Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 8 -Jahrgang 1921/22
Joh 20,8.9.29 - „Er sah und glaubte“Joh 20,8.9.29 - „Er sah und glaubte“
„Er sah und glaubte.“ (Joh 20,8.9.29)
War der Auferstehungsglaube eines „zweifelnden“ Thomas wirklich soviel geringwertiger als der der übrigen Jünger? Zugegeben, daß des Thomas Glaube (V. 26-29) uns den dereinstigen Glauben Israels vorbildet, wie er sein wird, wenn es seinen Messias erkennt und anerkennt - aber so sehr viel unterschied sich der Glaube des „anderen Jüngers“ am Auferstehungsmorgen nicht von dem des Thomas. Allerdings: letzterer hätte eher glauben sollen, nachdem ihm von allen Seiten bezeugt war: „wir haben den Herrn gesehen!“ Jedoch, man tue auch dem Thomas nicht Unrecht: er zweifelte nicht, um zu zweifeln, wie etwa der sogenannte „Gebildete von heute“, sondern er zweifelte, da er die unendliche Herrlichkeit eines auferstandenen Messias nicht zu fassen wagte. Solche aufrichtigen Zweifler lassen sich durch die Macht und Wucht der erlebten Tatsachen leicht und gern überzeugen (vgl. auch Nathanael, Joh 1,45-49). Und wie kostbar dann sein Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“ (V. 28).
Daß wir alle dieses Bekenntnis mit der Tat und der Wahrheit als das unsere auslebten!
Zurück zu dem „anderen Jünger“ von V. 8! „Er sah und glaubte, denn“ - und so müßte es V. 9 weitergehen: „sie kannten die Schrift, daß Er aus den Toten auferstehen mußte“. Aber so schreibt Johannes nicht, vielmehr muß er schreiben, und zwar über sich selbst, denn er ist ja „der andere Jünger“: „denn sie kannten die Schrift noch nicht ...“ Ich bin überzeugt, daß er dies in tiefer Beschämung geschrieben hat, indem er sich, als er es, geleitet vom Geist, niederschrieb, seines damaligen Unglaubens erinnerte, während doch der Herr ihnen über Seine Auferstehung so oft Belehrung gegeben (vgl. z. B. Mt 17,9; 20,19; 26,32; Mk 9,31; Lk 18,31ff; Joh 2,18-22 und Kap. 17) und die Schrift so deutlich davon gesprochen hatte (vgl. Jes 53; Ps 16 u. 22 u. a). Die Schrift berichtet uns Tatsachen, somit ist es eine Tatsache, daß auch Johannes (und Petrus) nur durch den Augenschein überzeugt wurden von Jesu Auferstehung, nicht durch die Schrift und nicht durch das, was der Herr ihnen gesagt hatte. Erst später wurde die Schrift ihnen klar als eine Bestätigung ihres Auferstehungsglaubens und zur Bestärkung darin (vgl. Joh 2,18-22; Lk 24,25-27.44ff). Für unseren Glauben ist das übereinstimmende Zeugnis der Schrift und der persönlichen Erfahrung der Jünger von größter Bedeutung, denn wir, die wir jene Tatsachen nie mit unseren Augen gesehen haben, sind auf jenes übereinstimmende Zeugnis allein angewiesen, da für uns der Auferstehungsglaube noch ungleich mehr denn für jene „ein Überzeugtsein von Dingen ist, die man nicht sieht“ (Heb 11,1) - deren Wirklichkeit wir aber dann, „wenn wir glauben, wie die Schrift sagt“, praktisch erfahren und ausleben (können) - ein Rechnen mit dem Unsichtbaren, „als sähen wir Ihn“, nach Heb 11,27. Darum, mochten jene Jünger mit Beschämung bekennen, daß sie erst, nachdem sie gesehen hatten, hätten glauben können - für uns ist das Schriftzeugnis davon von größtem Wert und auch von bleibender Kostbarkeit - denn, was sahen sie? was rief bei ihnen den Glauben an Jesu Auferstehung hervor, was war es, was so überzeugend auf des Johannes Herz wirkte, daß „er glaubte“? Das war es: er sowohl wie der nachfolgende Petrus „sahen die leinenen Tücher liegen“ (dreimal ist in den drei Versen 5-7 von den leinenen Tüchern die Rede)! „und das Schweißtuch besonders zusammengewickelt an einem Orte“, mit anderen Worten: sie sahen die kostbare Bestätigung dessen, daß „Gott nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (und der Ruhe) ist (1Kor 14,33). Sie sahen das, was schon früher namhafte Schriftforscher als einen der augenfälligsten Beweise für die Zuverlässigkeit des Auferstehungsberichtes angesehen haben (siehe Torrey: „Meine Überzeugung“) - denn wenn die Berichte erfunden wären, wer hätte dann wohl solchen „Nebensächlichkeiten“ irgendeine Beachtung geschenkt?! Aber auch diese nur scheinbaren Nebensachen verkünden laut: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ Wenn, wie Maria Magdalena in ihrer Unwissenheit, aber auch in ihrer grenzenlosen Liebe fürchtete, der Leib des Herrn gestohlen wäre, dann wären Spuren von Unordnung in der Grabkammer gewesen, auch wären dann die Tücher mit fortgenommen gewesen; daß sie dalagen, zeigte den aufmerksamen Jüngern, daß der Herr auferstanden sein müsse - aber daß sie wunderbar fein gesondert lagen und reinlich zusammengewickelt, das ist ein wahrhaft Gott würdiges Zeugnis Seines Wesens und Seiner Vollkommenheit, und dieser inspirierte Bericht lieblichster Kleinmalerei ist (mir) wie ein ganz besonders köstliches Kleinod in dem herrlich erhabenen, lebendigen Wort unseres Gottes. Welche Schönheit und welche Tiefe der Gedanken! Unser geliebter Heiland verließ den Ort, in dem Seine Selbsterniedrigung ihren Abschluß fand, nicht in Unruhe, sondern Seine oder Seiner Diener, der Engel, sorgsame Hände legten Zeugnis dafür ab, daß gotteswürdiger Friede, gotteswürdige Ruhe, Ordnung, Reinheit den Beginn der neuen Zeit, der neuen Schöpfung kennzeichneten. Was jene Jünger dort in der Grabkammer, die gewürdigt war, den Leib des Herrn zu beherbergen, sahen, hat sich ihnen sicher unauslöschlich eingeprägt, war es doch damals die Ursache und der Grund ihres Auferstehungsglaubens.
Aber mehr, auch kostbare Belehrung für unseren Wandel gibt uns dieses Erlebnis der beiden Jünger: Johannes betont ja später die gotteswürdige Weise (3Joh V. 6) sowie immer wieder in seinen Briefen unseren praktischen Wandel in Wahrheit und Liebe, und Petrus lehrt uns in seinem 1. Brief, Kap. 2,9, wie wir, „das auserwählte Geschlecht“ usw., hienieden dazu da sind, die Vortrefflichkeiten Dessen zu verkünden („in Wort und Werk und allem Wesens“), der uns berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht - und, geliebte Leser, auch hier, gleich zu Beginn des Auferstehungsbodens, sehen wir eine gotteswürdige Weise usw. und haben etwas von Seinen Vortrefflichkeiten vor uns!11 Ist unser praktisches Leben in Haus, Beruf und Versammlung ein Zeugnis von des Herrn Vortrefflichkeiten, wie sie uns in jenem Frieden und in jener gottgemäßen Ordnung (vgl. Kol 2,5) vor Augen gestellt sind? (Vergl. noch 2Pet 3,11.14)!
Wir gehören zur neuen Schöpfung, werden selber so genannt (2Kor 5,17) - sind aber auch jene (und andere) Kennzeichen derselben bei uns zu finden?
Genug davon! Sicher werden wir noch andere Belehrungen aus dieser Stelle für unser praktisches Glaubensleben finden, z. B. auch in der Hinsicht, die jenes Lied anführt: „Seele, dein Heiland ist frei von den Banden, glorreich und siegreich vom Tode erstanden“. Die neue Schöpfung beginnt mit Freiheit von allen Gebundenheiten, was jene daliegenden Tücher bezeugen (ein Vorbild davon gibt uns Joh 11,44; vgl. meinen Aufsatz „Lazarus, der Gestorbene“ in Band V), aber ich will darüber nichts mehr sagen. Mir kam es vor allem darauf an, zu zeigen, was jene Jünger sahen, woraufhin sie glaubten, daß der Herr Jesus auferstanden sei. Und wir sehen es gleichsam mit ihnen stets aufs neue, und wir hören diese kostbaren und lieblichen Tatsachen wieder und wieder, und wir erleben fortgesetzt ihre lebendige Kraft und Herrlichkeit, und unsere Herzen werden erfüllt mit Lob und Preis unseres geliebten Heilands, und anbetend und jubelnd bezeugen auch wir: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!“ Halleluja!
F. K.
10 Siehe „Christus und die Gemeinde“ in Band V und „Ein unbeliebtes Schriftwort“ in Band VII.↩︎
11 Nur beiläufig: Möchte unsere irdische Wohnung auch die äußeren Kennzeichen der Ordnung und Ruhe aufweisen, wenn anderer Augen sie plötzlich zu sehen bekommen, und - da wir nie wissen, wann wir zuletzt unser Haus und unsere Hinterlassenschaft ordnen - möchten wir stets alles in Ordnung hinterlassen haben! (vgl. Fr. 3. in Band VI). F. K.↩︎