Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
Röm 8,19-22 – Die seufzende und die befreite SchöpfungRöm 8,19-22 – Die seufzende und die befreite Schöpfung
Im jetzigen Zeitlauf seufzt die ganze Schöpfung und liegt in Geburtswehen. Sie ist der Nichtigkeit unterworfen (nicht mit Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat), auf Hoffnung (Röm 8,18-22). Als der Mensch durch seinen Ungehorsam das Band, das ihn mit Gott verband samt der ganzen Schöpfung, deren Haupt er war, zerrissen hatte, wurde ihm gesagt: „Verflucht sei der Erdboden um deinetwillen; mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen. Im Schweiße deines Angesichtes wirst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren.“ (1Mo 3,17-19) Dies ist der Ursprung des Seufzens und des sehnsüchtigen Harrens der Schöpfung. Von diesem Augenblick an bedeckte sich der Erdboden, der den Menschen mit herrlichen Früchten ernährt hatte, mit Dornen und Disteln, und er erhielt von ihm seine Nahrung nur dadurch, daß er ihn im Schweiße seines Angesichtes bebaute. Die Tiere, die vorher zu Adam kamen und denen er Namen gab, flohen bei seinem Anblick und machten ihm den Krieg als ihrem Tyrannen. Die Ermüdung, die sein Leib erlitt, der Schweiß, der von seinem Angesicht kann, erinnerten ihn, daß er in sich Krankheit und Tod trage; denn von da an war das Leben für den Menschen nur noch ein Kampf gegen den Tod. Unter Tränen und Seufzen tritt er in das Leben ein, und so geht er auch aus demselben hinaus.
Die Wehen der Schöpfung vergrößerten sich noch durch die wiederholten Empörungen des Menschen. Man kann z. B. nicht bezweifeln, daß die Sintflut den Zustand der Schöpfung tief eingreifend veränderte, indem sie die Lebenskraft verminderte und das Leben abkürzte. Während die Gewächse bis dahin der Nahrung des Menschen genügten, wurden ihm damals auch die Tiere zur Speise übergeben, sich von ihrem blutigen Fleisch zu nähren. Wenn, wie es wahrscheinlich ist, es damals zum ersten Male regnete, so mußte es auch zu der Zeit sein, daß die Gewitter, die Überschwemmungen usw. auftraten, die seitdem so oft die Erde verheert haben. Und wieviel Beschwerden und Unheil hat nicht die Verwirrung der Sprachen (die
Folge der Empörung der Menschen zu Babel) gebracht! Wieviel Kriege sind verursacht durch die Trennung der Familien in Stämme und einander sich beneidende Nationen! Sind es nicht die Sünden Sodoms, Ninives, insbesondere Israels, die die schönsten Gegenden der Erde in Einöden verwandelt haben?
Ja, die ganze Schöpfung harrt und seufzt. Es seufzen die Tiere, die sich einander zerreißen, die von den Menschen mit einer unersättlichen Begierde verfolgt werden, um ihre Habsucht, ihre Eßlust, ihre Eitelkeit usw. zu befriedigen; sie sind seine Arbeits- und Leidensgenossen und haben oft nichts anderes als eine grausame Behandlung zum Lohn. - Es seufzen die Pflanzen, die zwar noch in ihrer Schönheit die Herrlichkeit des Schöpfers verkündigen, aber doch ihre erste Schönheit verloren haben und das Vergehen in sich tragen. - Es seufzt die Erde, die um des Menschen willen verflucht und seitdem so oft wegen der Sünde ihrer Bewohner Veränderungen erlitt, die seit den Tagen Abels so oft das Blut des Menschen, durch Bruderhand vergossen, getrunken hat, die noch jeden Tag unseren Schweiß und unsere Tränen aufnimmt und sich zuletzt öffnet als eine große Begräbnisstätte, um in ihrem Schoß unsere Verderbnis zu verbergen.
Alles miteinander seufzt; aber nicht, um zu seufzen, hat der Schöpfer, der Liebe ist, alles geschaffen. Die ganze Schöpfung war im Anfang nicht in diesem Zustande, sondern als Er ansah, was Er gemacht hatte: „Siehe, es war sehr gut“ (1Mo 1,31). Jetzt seufzt die Schöpfung in der Hoffnung, einmal von der Knechtschaft des Verderbnisses befreit zu werden und an der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes teilzunehmen.
Und auch wir, die Verursacher dieses Seufzens, die wir durch unseren gebrechlichen Leib dieser seufzenden Schöpfung angehören und durch den Geist die verständigen Dolmetscher ihrer unverständlichen Seufzer sind, auch wir seufzen in uns selbst und erwarten die Sohnschaft, nämlich die Erlösung unseres Leibes. Dann, wenn Er, den wir vom Himmel erwarten, unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit, dann wird unser Seufzen aufhören. Dann wird auch die Befreiung der Schöpfung nahe sein, denn die wirksame Kraft, durch die Er das letzte Teilchen unseres verweslichen Leibes verherrlicht haben wird, wird Er auch bald nachher gebrauchen, „um Sich alle Dinge zu unterwerfen“. (Phil 3,20.21)
Nachdem der mächtige und himmlische Boas die Ruth, die Moabitin, genommen hat, wird Er nicht zögern, auch ihr Erbe zu kaufen. Dann, im zukünftigen Zeitlauf, nachdem der Herr die Erde mit der Rute Seines Mundes geschlagen und den Bösen durch den Hauch Seines Mundes verzehrt hat, wird „die Schöpfung freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses“, dann „wird der Wolf bei dem Lamme weilen und der Pardel bei dem Böcklein lagern; und das Kalb und der junge Löwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Knabe wird sie treiben, und Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen zusammen lagern; und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, und der Säugling wird spielen an dem Loche der Natter, und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle des Basilisken“ (Jes 11,6.8). Und in betreff Seiner Auserwählten sagt der Herr: „Ich werde an jenem Tage einen Bund für sie schließen mit den Tieren des Feldes und mit den Vögeln des Himmels und mit den kriechenden Tieren der Erde; und ich werde Bogen und Schwert und den Krieg aus dem Lande zerbrechen und werde sie in Sicherheit wohnen lassen“ (Hos 2,18). Die Schlange scheint auch in dieser Zeit der Segnungen durch ihre Speise ein Zeugnis der Verführung zu bleiben (Jes 65,25). „Die Wüste und das dürre Land werden sich freuen, und die Steppe wird frohlocken und aufblühen wie eine Narzisse. Sie wird in voller Blüte stehen und frohlocken, ja, frohlockend und jubelnd.“ (Jes 35,1.2) „In Freuden werdet ihr ausziehen und in Frieden geleitet werden; die Berge und die Hügel werden vor euch in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen; statt der Dornsträucher werden Zypressen aufschießen, statt der Brennesseln werden Myrthen aufschießen. Und es wird dem Herrn zum Ruhme, zu einem ewigen Denkzeichen sein, das nicht ausgerottet wird.“ (Jes 55,12.13)
Der Tod, diese Quelle der Trauer und des Seufzens - wird er nicht in diesem Zeitlauf der befreiten Schöpfung (wenigstens für die Gerechten) abgeschafft sein? Dies ist höchst wahrscheinlich, wenn man bemerkt, daß nur von dem Tod des Gottlosen ausdrücklich die
Rede ist, der, wenn er hundertjährig stirbt, noch jung sein wird; von
dem Gerechten dagegen heißt es: „Und kein Einwohner wird sagen: Ich bin
schwach ..., die Stimme des Weinens und die Stimme des Wehgeschreis wird
nicht mehr gehört werden. Dort wird kein Säugling von einigen Tagen und
kein Greis mehr sein, der seine Tage nicht erfüllte ..., denn gleich den
Tagen der Bäume sollen die Tage Meines Volkes sein, und Meine
Auserwählten werden das Werk ihrer Hände verbrauchen.“ (
Doch wie dem auch sei; dies sind „die Zeiten der Erquickung vom Angesicht des HErrn“ für eine ermüdete Schöpfung (Apg 3,19). So wird sie freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes (Röm 8,21). So wie heute Satan und seine Engel von oben herab ihren bösen Einfluß ausüben, so wird dann die mit ihrem Haupte vereinigte Gemeinde in den himmlischen Örtern der Kanal der Segnungen sein, die diese über die ganze Schöpfung verbreiten wird. Dann wird man singen: „Lobet den Herrn von den Himmeln her; lobet Ihn in den Höhen! Lobet Ihn, alle Seine Engel; lobet Ihn, alle Seine Heerscharen; lobet Ihn, Sonne und Mond; lobet Ihn, alle ihr leuchtenden Sterne! Lobet den Herrn von der Erde her ... ihr Könige der Erde und alle Völkerschaften, ihr Fürsten und alle Richter der Erde; ihr Jünglinge und auch ihr Jungfrauen, ihr Alten samt den Jungen! Loben sollen sie den Namen des HErrn! Denn Sein Name ist hoch erhaben, Er allen; Seine Majestät ist über Erde und Himmel.“ (Ps 148)
Das Seufzen und Sehnen nach dieser vom Fluch der Sünde freigemachten Schöpfung lebt in der ganzen Kreatur und wird wie ein Andenken an Eden und ein Seufzen danach im Menschenherzen getragen, insonderheit aber von uns, die wir die Erstlinge des Geistes haben und die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes, erwarten.
+++