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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 16 - Jahrgang 1931
Lk 10,38-42 - Das Schwesternpaar in BethanienLk 10,38-42 - Das Schwesternpaar in Bethanien
Wenn wir die Aufmerksamkeit der Leser auf die Schlußverse von Lk 10 lenken, tun wir es nicht, um einen tadelnden Vergleich zwischen Martha und ihrer Schwester Maria zu ziehen. Dies ist sehr oft geschehen und Marthas Charakter von vielen Schriftauslegern in dunklen Farben gezeichnet worden, so daß man, wie man zu sagen pflegt, sie als ein schwarzes Schaf ansah und als ein Warnungsbild hinstellte. Aber ist dies wahr und gerecht? Gewiß, sie war über die Maßen beschäftigt mit vielem Dienen. Sie dachte mehr an die Bedürfnisse unseres Herrn als daran, wozu Er in diese Welt gekommen sei. Aber wer wirft einen köstlichen Apfel weg, weil ein Fleck an ihm gefunden wird? Und ist nicht gar manches Gute bei Martha zu finden? Wir denken doch.
Erstens hatte sie eine offene Tür für den Herrn . Sie „nahm Ihn in ihr Haus auf“ (V. 38). Was war dies anderes als ein furchtloses Eintreten für den Herrn und ein freies Bekennen Seines Namens angesichts von Freund und Feind! Und vielleicht kostete dies Martha viel. Wir können davon überzeugt sein, daß nicht viele bereit waren, ihre Tür für einen solchen aufzutun, der verachtet, verschmäht und verworfen war und den die Führer des Volkes zu töten suchten. Und gerade dieses tat Martha. Sind die, die an Martha nichts als Fehler sehen, ebenso mutig und frei? Bekennen sie Seinen Namen stets mit solcher Kühnheit und überall? O möchte jeder, der an den Herrn gläubig geworden ist, den Mut dieser teuren Schwester in Bethanien haben! Ein ungeteiltes Herz, das sich ganz auf die Seite des Herrn stellt, ist etwas Köstliches. Und wirklich, das ist es, was vielen fehlt. Weiß man im Hause, im Geschäft, in dem Kreise, in dem du verkehrst, daß du ganz auf Seiner Seite stehst? Steht, wenn tausend Türen für den Herrn verschlossen sind, deine für Ihn offen? Sind wir immer bereit, Ihn zu bekennen mit einem Freimut, der nicht zögert noch den verachtenden Blick der Menschen scheut?
Lies den Brief an die Gemeinde in Laodicäa (Off 3). Es ist, als hörten wir die Frage: „Hast du eine offene Tür für Mich?“ Alle in Laodicäa, die sich zum Christentum bekannten, waren reich - reich an Wahrheiten, reich an Lehren, reicher, als sie früher jemals gewesen waren -, sie waren reich geworden. Sie bedurften nichts. So schätzten sie sich selber ein. Aber es war nicht die Schätzung Dessen, der Sein Auge auf diese aufgeblasene, großsprecherische Gemeinde gerichtet hatte. Er Selbst hatte in ihrer Mitte keinen Platz mehr, Er stand draußen, und für Ihn war die Tür verschlossen. Diese Laodicäa-Christen, deren Nachkommen noch heute unter uns sind, lebten im Traumland ihrer Einbildungen, im Paradies ihrer eigenen
Meinungen, die sie mit der Wirklichkeit und mit der Wahrheit verwechselten. Sie glaubten von sich, daß sie mehr Licht und größere Erkenntnis hätten als andere. Es war aber Täuschung. In Wirklichkeit waren sie elend und jämmerlich und arm und bloß. Er klopft an ihre Tür und fragt, ob noch jemand sei, der eine offene Tür für Ihn habe. Eine offene Tür für Ihn zu haben ist tatsächlich etwas Großes. Martha hatte sie.
Es war von dem Standpunkt Seiner zeitlichen Bedürfnisse, daß Martha an jenem Tage an den Herrn dachte. Für sie war Er der gute Samariter nach dem Gleichnisse, welches unmittelbar dieser Geschichte der beiden Schwestern in Bethanien vorausgeht. Er ging den Weg, damit der, dem Sein Erbarmen galt, den Weg bis zur Herberge reiten konnte. „Ermüdet von der Reise“ (Joh 4,6), so lesen wir, setzte Er Sich einst an der Quelle von Sichar nieder. Ermüdet von der Reise mochte Er in Marthas Haus getreten sein, und sie war sehr besorgt, ihr Bestes zu tun, den Meister zu erquicken und zu stärken. Und wer möchte das nicht tun? Wäre der Herr jetzt auf Erden, würden wir nicht unser Bestes für Ihn tun? Und wenn sie Ihm nicht gedient hätte, würde es nicht ein Versäumnis von ihr gewesen sein? Und heute noch ist viel Gelegenheit zum Dienst nach Marthas Art, doch darf derselbe unser Herz nicht so in Anspruch nehmen, daß es dadurch vom Herrn abgelenkt wird. Der Herr ist nicht mehr hier, Er bedarf keiner liebenden Tat für irdische Bedürfnisse mehr, und doch ist Er noch hier in den Personen Seiner Heiligen und Seiner Knechte. Was irgendeinem dieser Geringsten getan wird, wertet Er so, als sei es Ihm getan. Und Er hat gesagt, wenn einem der Seinigen nur ein Becher kalten Wassers gegeben wird, weil er Christi ist, so soll das sichere Belohnung finden. Laßt uns diese Worte wohl beachten! Ein solches Geben eines Bechers Wasser geschieht nicht deshalb, weil der Empfänger mit uns der gleichen Gemeinde angehört oder im gleichen Versammlungsraum Platz nimmt und aus demselben Liederbuch singt, nicht aus solchem Parteigrunde reichen wir ihm mit freudigem Herzen den Becher Wasser, sondern weil er Christo angehört.
Martha war sehr beschäftigt mit vielem Dienen. Das war ihr Fehler. Ihre Sorge, den Heiland zu bewirten, ging viel zu weit - ging so weit, daß sie ihre Pläne gar nicht allein verwirklichen konnte, und ging weiter, als dem Sinn des Meisters entsprach. Wie schade, daß sie in ihrem Dienst nicht maßhielt! Statt dessen wandte sie sich an den Herrn , daß Er ihrer Schwester gebiete, ihr zu helfen, als ob ihr Dienst die einzig rechte Sache sei, der alles andere Platz zu machen habe. Hier lag ihr großer Irrtum. Und in diesen Irrtum können auch wir verfallen, obwohl die Gefahr in den gegenwärtigen Tagen vielleicht mehr auf der entgegengesetzten Seite liegt. Marthas Irrtum ließ den Herrn tadelnd die Worte aussprechen: „Eines aber ist not. Maria aber hat das gute Teil erwählt, welches nicht von ihr genommen werden wird.“
Und eines ist heute noch not. Ohne dieses Eine wird unser Dienst wohl nicht an der Quantität, aber sicher an der Qualität leiden - nicht an der äußeren Vielheit, aber an dem inneren Gehalt. Unser Wachstum kommt dann zum Stillstand, und unser geistliches Auge verliert mehr und mehr seine Sehkraft. Das, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben“ (1Kor 2,9), wird mehr und mehr unserem Herzen verborgen bleiben. Ja, wir können die Arbeit eines Riesen leisten und doch in der Unwissenheit eines Kindes sein. Was ist das Eine, was not tut? Es ist, daß wir zu Seinen Füßen sitzen und auf Seine Worte achten. Maria saß dort und tat dieses.
Maria schaute den Herrn mit anderen Blicken an als ihre Schwester es tat. Sie sah in Ihm den Einen, der „Worte Gottes“ - „Worte des ewigen Lebens“ hatte, der in die Welt gekommen war, den Namen des Vaters kundzutun. Die Worte aus Seinem Munde zu hören, zu trinken, sich davon zu nähren und zur Betrachtung ihres Herzens zu machen, das war das gute Teil, welches Maria erwählt hatte. Und ihre Wahl, sollte sie nicht auch die unsrige sein? Einige mögen ein Leben voll Mühe und Arbeit haben - mögen in dieser Zeit des Jagens und Hetzens als Erste auf dem Platze sein und als Letzte ihn verlassen müssen. Gewiß, die häuslichen und familiären Pflichten sollen nicht vernachlässigt werden, und da gibt es oft wenig Muße, wenige Augenblicke der Stille für einen selbst. Auf irgendeine Weise müssen wir jedoch, wenn wir nicht große Verluste erleiden wollen, größer als sie sich in Worte ausdrücken lassen, zu Jesu Füßen sitzen, um Seinen Worten zu lauschen. Jemand möchte fragen: Ist es denn überhaupt möglich, inmitten der Unruhe und des Gedränges der täglichen Pflichten noch Aufmerksamkeil für das zu haben, was der Herr uns sagen will? Ja, es ist möglich, auch in der Hast und dem Getriebe der gegenwärtigen Zeit Seine Stimme zu hören, nicht nur die, die uns mahnt, was wir zu tun schuldig sind, sondern auch die, die uns die Worte der Schrift so öffnet, daß sie unserer Seele wie Sterne am Nachthimmel funkeln und strahlen. Wir glauben, daß es möglich ist, ja, wir sind dessen gewiß. Marias köstliches Teil liegt nicht außerhalb des uns Erreichbaren, wie gehetzt im irdischen Beruf auch unser Leben sein mag.
O, daß wir dies jeder Seele tief ins Herz legen könnten! Das, was Sein Geist uns offenbaren will, verleiht Heil und Kraft dem, der es in sich aufnimmt. Es trennt uns von der Welt und ihren Dingen, indem sich unserer Seele eine andere Welt erschließt, in der die himmlischen Dinge sind. Sie geben dann unserem geistlichen Leben den Ton und die Farbe und füllen unser Herz mit Lob und immer größerer Bewunderung in der Erkenntnis unseres Gottes.
Und dies wirkt sich naturgemäß noch weiter auf die gemeinsame Anbetung des Gläubigen aus. Denn die Anbetung, die Gott, dem Vater, in den Gemeinden Seiner Heiligen dargebracht wird, ist aufs innigste mit dem Zustande der Anbetenden verknüpft. Durch Lehren und Grundsätze läßt sie sich nicht auf einen höheren Ton stimmen. Anbetung besteht nicht in Worten, solche sind nichts weiter als ein nichtiger, leerer Schall; der einzige Weg, der zur wahren Anbetung der Gemeinde führt, ist die Belebung und Förderung des geistlichen Zustandes derer, die die Anbetung darbringen. Und dies kann nur geschehen, wenn jeder einzelne sich zu Jesu Füßen setzt. Einen anderen Weg gibt es nicht.
Diese Wahrheit wird uns in der Geschichte eines anderen Tages in Bethanien gezeigt (Joh 12). Da sehen wir dieselbe Maria, wie sie ihre echte, sehr kostbare Narde bringt, um ihren Herrn und Heiland damit zu salben. Dies war die Frucht ihrer früheren Wahl des „guten Teiles“. Diese Narde, die sie über Seine Füße schüttete, war das dankbare Opfer eines liebenden und anbetenden Herzens, das durch Ihn unermeßlich reich geworden war. Nur in dem Maße, wie wir von Ihm empfangen und nehmen, sind wir fähig, Ihm zu geben. Nur dann, wenn Sein Wort innerlich aufgenommen, gegessen, unseres Herzens Freude und Wonne geworden ist, wird unser Herz zur Anbetung und zum Lobpreis Seines Namens getrieben werden.
Wir wollen nun nicht mehr von dem Fehler, in den Martha fiel, reden. Laßt uns jedoch nicht den Dienst, der ihr anvertraut war, übersehen oder gar gering achten, dabei aber auch nicht vergessen, den Platz einzunehmen, den Maria einnahm. Der Becher kalten Wassers, einer bedürftigen Seele gegeben, weil sie dem Herrn angehört, wird eine reichliche Belohnung finden, solche Liebestaten schätzt der Herr. Ebenso dürfen wir sagen, daß Er den, dem Sein Wort süßer als Honig und köstlicher als Gold ist, mit Seinem Wohlgefallen belohnt. Dies war Marias Teil. Möchte es auch das unsrige sein!
Oft begegnen wir gerade Jungbekehrten, die in die Schlinge fallen, sich mehr mit dem Dienst und der Arbeit in dem Werke des Herrn zu beschäftigen als mit dem Herrn Selbst. Die Arbeit steht zwischen ihnen und dem Herrn , so daß bei allem Eifer in der Arbeit für den Herrn doch der Herr Selbst daneben steht. Richte dein Auge auf den Herrn , klammere dich an Ihn, und dann wird auch die rechte Weise des Dienstes gefunden werden. Nur wenn wir am Weinstock bleiben, können wir wahre Frucht hervorbringen. Wir bleiben nicht in Christo durch den Dienst, sondern wir kommen zum Dienst, wenn wir in Christo bleiben. Der Herr sagt: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu Mir.“ (Joh 7,37) Warum sollen wir kommen? Um für andere zu schöpfen? Nein, sondern um selbst zu trinken. Und was geschieht dann? „Aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ (V. 38) Hier liegt das Geheimnis des wahren Dienstes. Die Arbeit für Ihn muß fließen aus der Verbindung mit Ihm.
S. T. - v. d. K.