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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Phlm 23.24 ; Kol 4,24 ; 2Tim 4,9.20 - „Eine traurige Lebensgeschichte“Phlm 23.24 ; Kol 4,24 ; 2Tim 4,9.20 - „Eine traurige Lebensgeschichte“
Eine kurze aber inhaltsreiche Lebensgeschichte! Nur sich über ca. vier Jahre erstreckend, obwohl es sich um einen reifen Mann handelt, von dem wir wenigstens einen männlichen Lebensausgang hätten erwarten dürfen. Aber nein - was wir zuletzt von ihm hören, trägt durchaus unmännlichen Charakter, ist ein Zeichen von Wankelmut und Treulosigkeit. Ach, möchte keiner von uns, die wir dies lesen, jenem Manne, der auch ein Christ, ein Jünger Jesu war, gleichen! Möchten wir stets, wenn wir seinen Namen hören oder lesen, zurückschrecken vor dem Wege dieses Mannes, dem das unendliche Glück zuteil ward, einer der Genossen des gewaltigen und doch so demütigen Apostels Paulus zu sein, aber der dieses Glück nicht bis ans Ende schätzte! Und nun wissen wir alle, wer gemeint ist: der unglückliche Demas!
In drei Bildern ist seine Lebensgeschichte niedergelegt? Ja, und hier seien sie vorgeführt in der Reihenfolge, wie sie mir zeitlich richtig zu sein scheint:
Bild 1: Philem. V.23.24: „Es grüßt dich ... Demas, Lukas, meine Mitarbeiter.“
Bild 2: Kol 4,14: „Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas.“
Bild 3: 2Tim 4,9.10: „Befleißige dich, bald zu mir zu kommen, denn Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hat, und ist nach Thessalonich gegangen ... Lukas ist allein bei mir!“
Der Philemonbrief und der Brief an die Kolosser, die beide gleichzeitig nach Kolossä gingen, fallen in das Gefangenschaftsjahr 62 der ersten Gefangenschaft des Paulus; aus mehreren inneren Gründen scheint mir der kurze Philemonbrief zuerst abgefaßt zu sein, doch will ich es nicht fest behaupten. Der zweite Timotheusbrief fällt in die Zeit kurz vor dem Ende des Apostels und ist geschrieben in Rom während seiner zweiten Gefangenschaft im Jahre 66.
Ist es nicht merkwürdig, daß jenen drei einzigen Erwähnungen des Namens Demas in ganz besonderer Weise der Name Lukas beigesellt ist? Und zwar sind diese drei Stellen auch die einzigen, in denen Paulus von Lukas spricht, der doch in der von ihm geschriebenen Apostelgeschichte so oft selbst dabei ist - freilich nicht mit Namen -, wie in den Berichten von „wir“ die Rede ist (vgl. z. B. Kap. 16,10ff). Jene drei Stellen, die von Demas berichten, tun dies auch von Lukas. Und dabei welche ins Auge fallende
Verschiedenheit! Bei ersterem absteigende - bei letzterem aufsteigende Linie! Ersterer verschollen - letzterer dem Paulus zur Seite, soweit wie wir des Apostels Lebensweg verfolgen können. Welch Unterschied! Armer Demas - glücklicher, gesegneter Lukas! Welch trauriges Zeugnis jener - welch kostbares dieser! Welche Mahnung und Warnung der Weg jenes - welche Ermunterung und Erquickung, Beginn, Fortgang und Ausgang des Weges bei Letzterem!
Aber lassen wir für jetzt den Blick auf Lukas, den gesegneten Schreiber des Evangeliums und treuen Begleiter des Paulus, und sehen wir nun Demas an und lernen wir, wie wir's nicht machen sollen, an diesem schmerzlichen Vorbild, denn „alles, was ... geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“! (Röm 15,4; vgl. 2Tim 3,16.17)!
Demas war ein Christ, ein Jünger Jesu - daran ist kein Zweifel! Nie hätte er sonst zu des Paulus Mitarbeitern zählen können, nie hätte Paulus, der in der Schule seines Meisters auch ein Menschenkenner geworden war (vgl. z. B. Phil 2,19ff)., diesen Mann in seine Gemeinschaft gezogen. Wie lange Demas schon zu Paulus gehörte, wissen wir nicht, aber er nennt ihn in der ersten obiger drei Stellen, der besten, was Demas anbelangt, seinen „Mitarbeiter“. Welch hohe Würde - Mitarbeiter eines Paulus, der wiederum von sich sagen kann, daß er „Gottes Mitarbeiter“ sei (1Kor 3,9), der also auch seine Mitarbeiter unmittelbar in Gottes Mitarbeit hineinzieht. Demas, du Unglücklicher, wie konnte dir je dieser herrliche Dienst gering werden?! Wie kam es nur bei dir dahin? O, wenn du jetzt vernehmbar reden könntest - was würdest du wohl sagen? -
Aber es ist gar nicht nötig! Schon die zweite Stelle, das zweite Bild läßt uns ahnen, daß etwas mit Demas nicht in Ordnung ist. - Paulus hatte in seinem Briefe die Kolosser von Lukas und Demas zu grüßen. Wie gern setzte der Apostel zu den grüßenden Personen, d. h. zu ihren Namen, ehrende, schmückende Beiworte, die aus der Paulus-Feder nie nur Worte sind, sondern - wie es ja auch in dem inspirierten Wort Gottes gar nicht anders sein kann! - stets sehr klare, bestimmte Kennzeichnungen! Und hier, wo er unter der Leitung des Geistes schreiben darf: „Lukas, der geliebte Arzt“, da heißes einfach nur „Demas“! Sagt uns das nichts? Ist es nicht fast so, wie wenn die Schrift hiermit andeuten wolle, daß der Gruß des Demas nicht voller Freude und Freimut gegeben sei? Vielmehr etwa so, wie wenn heute einer an einen Freund schreibt, und bei ihm sitzen zwei andere Freunde, auch Freunde des Empfängers, und er sagt ihnen: „Ich schreibe an unseren lieben N. N.“ - darauf der eine der beiden voll inniger Liebe sagt: „O, da grüße ihn herzlichst von mir!“ der andere kann nun nicht gut anders als halb und halb genötigt hinzuzufügen: „Von mir auch!“ - aber sein Herz ist nicht ganz dabei, was der Briefschreiber auch fühlt, weswegen der Gruß des zweiten Freundes nur noch so gleichsam nebensächlich an den Rand gesetzt wird, während der des ersteren einen Ehrenplatz hat? - So ähnlich also kommt mir dieser magere, kärgliche Demasgruß an die Kolosser vor, und er läßt mich darauf schließen, daß es mit Demas in jener Stunde nicht so stand wie in jener, als Paulus ihn seinen Mitarbeiter nennt. Sicher wußte der Apostel auch, wo es bei ihm fehlen mochte.
Also war er schon zurückgegangen? Wer weiß? Ich kann es nicht entscheiden. Aber - Bruder, Schwester - frage dein eigenes Herz, wie es ausschaut darin, wenn du äußerlich kühl oder gar kalt grüßest, nur weil es etwa sein muß! Oder wenn du nach einer Versammlung Händedrücke austeilst, denen man es anmerkt, daß du sie lieber verweigertest! oder wenn du gar diesen und jenen geflissentlich übergehst („schneidest“)! Wie schaut es in deinem Herzen dann aus? Ist die Liebe dann noch überströmend, wie es sein sollte? Ach, ich denke nicht! Und sieh, mit dem Nachlassen der Liebe fängt alles Zurückgehen an; mit dem Erkalten der Liebe zum Herrn und daraus folgend der zu den Brüdern! Das lehrt dich das Sendschreiben an Ephesus (Off 2,1-7). O, laß dich dann mahnen an Off 2,5! Lassen wir uns alle mahnen, auch ganz erkaltete Demasseelen, wenn solche dies lesen sollten!
Es geht ja oft so Schritt für Schritt bergab, wie Bild drei zeigt! Hättest du dem unglücklichen Demas vor vier Jahren gesagt: „Demas, hüte dich, daß ,der gegenwärtige Zeitlauf' nicht wieder Gewalt über dich gewinnt!“ - er hätte vielleicht gelächelt über deine „übertriebene Sorge um ihn“! Übertriebene Sorge? O, die Schrift spricht sehr deutlich davon, daß wir „aufeinander achthaben sollen zur Anreizung zur Liebe ...!“ (Heb 10,24). Nur daß solches Achthaben gar oft nicht aus der Liebe erwächst, sondern aus Kritiksucht - und dann ist es so sehr falsch und schädlich, dann endet es nicht mit „Füßewaschen“, wobei man sich tief zu den Schwächen des anderen herniederbeugen muß (wie der Herr tat bei Seinem Petrus)!, sondern gar oft mit gegenseitigem „Kopfwaschen“, wobei man sich hochmütig über einander erhebt. Ist das Liebe? O nein! Aber angehenden Demasseelen ist nur durch vom Herrn und Seinem Geist gewirkte tiefernste Liebe, die die Schäden sieht und bereit ist, alles zu tun, um sie abzustellen, zu helfen. Darum, Bruder, Schwester, wenn einmal einer in heißer Liebe eine „übertriebene Sorge“ um dich zu haben scheint - nimm es ernst, damit du kein Demas wirst!
Es handelt sich bei Demas nun nicht darum, daß er etwa verloren gegangen wäre! War er errettet, hatte er Christi Geist, war er eins von des Herrn Jesus Schäflein, so war er's für ewig, und niemand, auch er selber nicht in seiner Torheit, konnte ihn aus der Hand des Herrn und der des Vaters rauben (Joh 10,29-31). Aber dadurch, daß er nicht mehr die Stimme des guten Hirten hörte (V. 28), „durchbohrte er sich selber mit vielen Schmerzen“; auf wie schmerzlichen Wegen mag der Herr ihn einst wieder zurechtgebracht haben - „denn Er ist treu und kann Sich nicht Selbst verleugnen“ (2Tim 2,13). Wie wird Demas in seinen selbsterwählten Wegen dieses Zeitlaufs später es haben erfahren müssen, daß der Herr nie die Wege der Sünde der Seinen mitmacht, daß Er die irregehenden Seinen vielmehr durch Zucht mancher Art beugt und zerbricht, bis sie zurechtkommen oder wenigstens gerettet werden „wie durchs Feuer“ (1Kor 3,12-15), indem ihr totes Lebenswerk verbrennt im Feuer göttlichen Gerichts, während ihre ein für allemal dem Herrn gehörende Seele errettet wird.
Aber wenn es sich bei Demas auch nicht um die Frage des ewigen Verlorengehens handelte - und ebensowenig bei untreu wandelnden Gläubigen und Erretteten unserer Tage -, so war sein und ist unser Verlust heute doch ernst genug. Wer möchte wohl errettet werden nur „wie durchs Feuer“? Wer möchte wohl allen Lohn, der den Geber verherrlicht, verlieren und ein Leben fast ohne Frucht gelebt haben?! O so laßt uns uns hüten, nicht den Demasweg zu gehen! Er gewann „den jetzigen Zeitlauf“ (vgl. 1Tim 6,17)! wieder lieb, sagt die 3. Stelle - das 3. Bild, und darum verließ er - den Herrn? nein, das steht nicht da, und wir brauchen es nicht hineinzulesen, brauchen dem Demas nicht Unrecht zu tun - sein Weg bleibt dennoch noch traurig genug! Er verließ den dem Tode geweihten treuen Apostel Paulus! Er fürchtete sich, in das nahe Geschick dessen, der ihn einst, vor vier Jahren noch, seinen Mitarbeiter genannt hatte, mit hineingezogen werden zu können. Dazu fehlte ihm wohl der Mut - dem Lukas anscheinend nicht, obwohl es nicht dazu kam, daß er mit Paulus sterben mußte - doch laßt uns nicht darüber mit Demas rechten! Wer weiß, ob wir alle bereit sind, mit Christo zu leiden, so wie Paulus es tat, und doch ist das die Bedingung für das mit Ihm Verherrlichtwerden! (Röm 8,17). Wer weiß, ob wir alle bereit sind, mit dem leidenden Volk Gottes zusammen zu leiden? Wie mancher mag sich schon, wenn es gilt, mit den Gläubigen außerhalb des religiösen Lagers dieser Welt und der sogenannten „Landeskirchen“, in denen nichts wirklich nach Gottes Wort ist, Schmach zu tragen (Heb 13,13), ängstlich zurückziehen, indem er sich hinter allerlei gut scheinenden Gründen verschanzt, einfach weil er keinen Mut hat, gehorsam dem Worte zu sein - stünde er auch ganz allein! (Vgl. Daniel)! Ja, Demas fürchtete sich! Und du und wir? Wo ist unser Glaube, und wozu ist er fähig? Und wieviel ist der Herr, der alles für uns gab und tat, uns wert? Was können wir um Seinetwillen, dessen Blut uns erlöst hat, drangeben, aufgeben, lassen, hassen, tun und wirken? Fürchten wir uns wie Demas vor den Folgen eines entschiedenen Weges mit Paulus, mit dem Herrn Jesus? Aber noch mehr! Diese Furcht bei Demas, die ihn dazu brachte, den treuen Apostel im Stich zu lassen, vielleicht sogar schmählich, hatte einen besonderen Grund: er hatte den gegenwärtigen Zeitlauf wieder liebgewonnen! Dies sein Liebgewonnenhaben des gegenwärtigen Zeitlaufs steht schroff gegenüber dem, was Paulus lieb hatte: die Erscheinung des Herrn, jene Erscheinung, wenn der Herr Vergeltung an jenem Tage gibt als der gerechte Richter (V. 8). Hiermit ist nicht die Entrückung gemeint (1Thes 4,13ff)., sondern die darauf folgende Lohnverteilung vor dem Richterstuhl (2Kor 5,10). Freuen wir uns darauf, Geliebte? Seht, diese Erscheinung Christi Jesu hatte Demas aus den Augen verloren, statt dessen ruhten seine Blicke wieder mit Wohlgefallen auf den - ach, so vergänglichen - Dingen des „gegenwärtigen Zeitlaufs“, eines Zeitlaufs, der seinen Mittelpunkt hatte in der Verwerfung und Kreuzigung des Herrn. Nicht daß Demas den Herrn verwerfen wollte - sicher nicht! -, aber die Annehmlichkeiten dieses Zeitlaufs, ein verlängertes Leben inmitten der ihm angesichts des bevorstehenden Todes des Paulus, durch den auch er gar zu bald hätte auch sterben können, ganz besonders verlockend scheinende Weltgenüsse, fesselten sein Herz so, daß er den alternden Paulus verließ und recht weit von Rom weg - nach Thessalonich - ging. Vielleicht tröstete ihn der Gedanke, daß dort ja auch eine christliche Gemeinde sei - dachte er vielleicht Gott und der Welt dienen zu können? Kam er sich noch zu jung vor, um schon für den Herrn alles, auch das Leben, dranzugeben? Wollte er sein Leben noch einmal genießen, oder wollte er nur dem Märtyrertode entgehen? Einerlei - Paulus, die Schrift, sagt, er habe „den gegenwärtigen Zeitlauf wieder lieb gewonnen“. Armer Demas, das ist das Letzte, was die Schrift über dein Lebensbild sagt! wie furchtbar! und welche Warnung für uns!
Und nun zum Schluß die Frage: sind unter den werten Lesern angehende Demasseelen? Solche, die sich fürchten vor Leiden um des Herrn willen? Was ist der tiefere Grund? Liebe zur Welt? Liebe zur Lust der Welt? Ein Nachlassen in der praktischen Heiligung, ein Laßwerden in der Liebe zum Herrn und Seinem Wort (Joh 14,21ff)., ein Laßwerden in der so unsagbar nötigen Verwirklichung von 2Kor 7,1, ein Gleichgültiggewordensein im Bekennen des Herrn in Wort und Wandel, im Wandel vielleicht nach 1Pet 2,1f. oder Apg 24,16?
O geliebte Geschwister, möchten wir doch alle vorsichtiglich wandeln, daß wir nicht der Gefahr anheimfallen, auch nur angehende Demasseelen zu werden: wohl Brüder und Schwestern, aber mehr nicht, nicht mehr „Geliebte“ oder „Mitarbeiter“ und dergl. mehr! Man versteht schon, wie's gemeint ist. Nicht Brüder mit erkaltender Liebe und mit Unlust in der Nachfolge! Möchten wir den kleinen, leisen Anfängen widerstehen, zu denen der Feind uns in jeder möglichen Hinsicht verführen will! Wie bemüht ist er z. B., die Gläubigen vom Gebet und Schriftstudium abzuhalten oder vom Bekennen des kostbaren Jesusnamens; sie dagegen in Sorgen zu verstricken und in Gleichgültigkeit gegen den Willen des Herrn! Wie oft auch weiß er es zu hintertreiben, daß die Kinder Gottes nach vorgekommenen Sünden nur ja nicht sofort gemäß 1Joh 1,9 handeln! Wie leicht gelingt es ihm, die trügerische Geldliebe den Gläubigen ins Herz zu legen! (1Tim 6,9.10). Wie gern wiegt er leichtsinnige Jünger (wie Petrus) in falsche Sicherheit ein (vgl. 1Kor 10,12.13)! usw. usw.
Aber der Herr sagte zu Paulus - und das gilt auch uns: „Meine Gnade genügt dir!“ (2Kor 12,9). O so laßt uns „Gnade nehmen zur rechtzeitigen Hilfe“ (Heb 4,16), daß unser keiner in die Gefahr komme, durch Untreue des Demas' traurige Lebensgeschichte in drei Bildern durch seine eigene zu erweitern - möchte uns vielmehr nach 2Pet 1,11 (lies 3-11)! „reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus!“
F. K.