verschiedene Autoren
Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 20 - Jahrgang 1935
1Kön 19,1-3 - Elia auf der Flucht1Kön 19,1-3 - Elia auf der Flucht
Mit Bewunderung haben wir den Glaubensweg Elias in den beiden vorhergehenden Kapiteln betrachtet. Allein, voll Glaubens stand er auf dem Karmel dem gottlosen König, einem Heer von Baalspriestern und einem abtrünnigen Volke gegenüber. In der Ruhe des Glaubens wartete er das völlige Offenbarwerden der Nichtigkeit des Baals und alles Baalsdienstes ab. Als auf alles Rufen seiner Priester - ihr Hüpfen um seinen Altar - Ritzen mit Schwertern und Lanzen bis zum Bluten, Baal nicht antwortet, baut Elia den niedergerissenen Altar Jehovas auf, und zur Zeit des Abendopfers ruft er den Namen des Herrn an, und sofort antwortet Gott mit Feuer vom Himmel und verzehrt sogar das Wasser und die Steine. Überwältigt von der Machtoffenbarung Gottes fällt das ganze Volk auf sein Angesicht zur Erde und bekennt Jehova als Gott und vollzieht dessen Gericht an den Baalspriestern, die das Unglück über Gottes Volk gebracht hatten.
In welchem Gegensatz zu diesem Glaubenssieg finden wir Elia in unserem heutigen Schriftabschnitt! Derselbe Mann, der dreieinhalb Jahre furchtlos und treu für seinen Gott eintrat und dessen Sache zum völligen Siege führte, bricht hier unter dem Geist der Furcht zusammen und begibt sich, auf die Drohung eines Weibes hin, auf die Flucht, sein Leben zu erretten, und wird zum Ankläger seiner Brüder.
Da drängt sich uns die Frage auf: Wie war ein solcher Umschlag bei einem Elia möglich, der bis dahin allen Gefahren und seinem Todfeinde furchtlos ins Auge schaute? Wie war es möglich, daß er unmittelbar nach dem gewaltigen Siege auf Karmel in völlige Verzagtheit versinken und alles aufgeben konnte? Es kann nur heilsam für uns sein, den Dingen nachzuforschen, die einen solchen Zusammenbruch in seiner Seele hervorzurufen vermochten, und sie uns zur Warnung dienen zu lassen.
Versetzen wir uns zunächst in seine Lage. Sein ganzes Leben und Wirken hatte nur ein Ziel gehabt: Israel zu seinem
Gott zurückzuführen. Nach dem herrlichen Siege Gottes auf Karmel hielt er dieses Ziel für erreicht. Das ganze Volk hatte zur Erde gebückt Jehova als Gott bekannt, und Gott hatte mit dem Regen Seiner Gnade darauf geantwortet. Das Volk war erwacht, und Elia erwartete nun nach diesem Bekenntnis, daß es sich sicher von Isebel und dem Baalsdienst abwenden und wie ein Mann sich um ihn scharen und Stellung für Gott nehmen werde. Er hielt den Feind jetzt für vollkommen geschlagen, und die Erwartung der Rückkehr des Volkes zu Gott war aufs höchste gestiegen. Hatte nicht Gottes eigene Hand ihn vor dem Wagen Ahabs her nach Jisreel geehrt? War das nicht ein Zeichen, daß auch die gottlose Isebel sich nun der Macht des Herrn werde beugen müssen? Elia ist sich seines Sieges völlig gewiß.
In Jisreel ist Ahab mit seinem Weibe allein. Elia weiß, jetzt erfährt Isebel alles, was auf Karmel geschehen war: wie der Baalskultus sich als Götzendienst erwiesen habe und zusammengebrochen sei, wie das Volk sich der Baalspriester bemächtigt habe und diese von ihm getötet worden seien, daß dagegen aber Jehova als der lebendige Gott kundgeworden und vom Volke anerkannt worden sei. Würden diese Nachrichten Isebel die Augen öffnen? Würde sie Gottes Sprache verstehen, in sich schlagen und sich unter die gewaltige Hand Gottes beugen? Konnte seine Führung nach Jisreel nicht auch damit zusammenhängen, daß Gott Seine Macht jetzt auch an der Königin offenbaren wolle? Hatte doch auch der König sich der Macht des lebendigen Gottes beugen müssen und weder seine Hand noch seine Zunge rühren können, Gottes Gericht von den Baalspriestern abzuwenden!
Was aber geschieht? Statt Beugung nimmt Isebel den Kampf mit dem Propheten auf. Ihr ganzer Haß wendet sich gegen den Knecht Gottes, der es gewagt hatte, seine Hand an ihre Baalspriester zu legen. Sie sendet ihm die Botschaft: „So sollen mir die Götter tun und so hinzufügen, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dein Leben eines von ihnen gleich mache.“
Warum morgen? Warum nicht heute? Warum schickte sie nicht gleich den Henker, wie später Herodes den Henker sandte, Johannes, dem Täufer, den Kopf zu nehmen? Die Antwort liegt nahe: Sie wagte es wahrscheinlich des Volkes wegen nicht, das sich hätte empören können, weil es noch unter dem Eindruck des gewaltigen Erlebens auf Karmel stand und in Elia den Propheten Jehovas achtete. So weit zu gehen wagte sie nicht, genau wie später die Hohenpriester und Schriftgelehrten es auch nicht dem Herrn gegenüber wagten (Mt 21,46; Lk 19,47.48; 20,19; 22,2; Apg 4,26). Sie schickte ihm die Botschaft ihrer Rache und wartete die Wirkung ab, ob vielleicht Elia sich der Gefahr, in ihre Hände zu fallen, selbst entziehen und gehen würde.
Mit einer solchen Botschaft hatte Elia nicht gerechnet. Auf solchen Ausgang war er nicht gefaßt. Er hielt ja den Feind für völlig geschlagen und Isebels Macht für gebrochen. Statt dessen erlebt er nun (an dem Orte ihrer Residenz und ihres Palastes, 1Kön 21,1) ihre ungebrochene Macht. Sie schwört ihm bei ihren Göttern den Tod. Er sieht sich in seinen Erwartungen gänzlich enttäuscht. Das Volk, das vom Karmel zurückgekehrt ist, kümmert sich weder um Jehova noch um ihn, Seinen Propheten. Alles ist fehlgeschlagen. Dunkelheit umfängt ihn. Welchen Wert hat es nun noch, für den Herrn einzutreten, da das Volk sich nicht vom Götzendienst löste noch für den Herrn und Seinen Knecht Stellung nahm, sondern sich weiterhin von dem Weibe beherrschen ließ, daß ihm nach dem Leben trachtete! Kummer und Verzagtheit erfüllen seine Seele. Er ist fertig mit allem. Hoffnungslos, müde und niedergebeugt, gibt er den Dienst für den Herrn auf.
Elias Geschichte bestätigt uns wieder, daß die gefährlichsten Stunden für uns nicht immer die sind, in denen wir durch Kampf und Leiden gehen. Die gefährlichsten Zeiten sind vielmehr die Zeiten nach den Kämpfen - nach errungenen Siegen - nach empfangenen Segnungen, nach einem standhaften Eintreten für den Herrn und dem treuen Bekenntnis Seines Namens. Gerade in solchen Zeiten sind wir in Gefahr, uns mit dem errungenen Siege zu beschäftigen und uns zu erfreuen an dem, was wir gesprochen und getan haben und wie wir den Angriff des Feindes überwunden haben. In der Siegefreude fühlen wir uns so leicht sicher; wir werden sorglos und achten nicht mehr darauf, mit der ganzen Waffenrüstung Gottes angetan zu stehen. Legen wir aber, wenn auch nur etwas, von der ganzen Waffenrüstung Gottes ab, so vermögen wir selbst den scheinbar kleinen Angriffen des Feindes nicht mehr standzuhalten. Dann können wir das gleiche, was wir hier an Elia sehen, noch erleben, daß Männer des Glaubens, die heute in der Kraft des Herrn stehen, morgen ihren Stand für den Herrn aufgeben, weil sie, verzagt gemacht, aufhörten, in Glaubensabhängigkeit vom Herrn ihre Kraft aus der einzigen Quelle der Kraft zu schöpfen.
Solange wir im Kampfe stehen und den Feind vor uns sehen, wissen wir uns abhängig vom Herrn, in dessen Kraft allein wir dem Feinde begegnen können. Vergessen wir aber unsere Abhängigkeit von Ihm und halten wir uns nicht mehr nahe dem Herrn, so sind wir sicher nahe dem Teufel und seiner List. Es ist Gottes Weisheit, die uns durch Anfechtungen, Leiden und Trübsale gehen läßt, damit die Bewährung unseres Glaubens köstlicher als die des Goldes möge erfunden werden (1Pet 1,7). Gerade auf Wegen der Leiden und Trübsale lernen wir Gehorsam.
Als Elia vom Karmel herabstieg und in der Kraft des Herrn vor dem Wagen des Königs herlief, ahnte er nicht, welch ein Ansturm der Finsternisgewalten in Jisreel über ihn hereinbrechen würde. Von der Höhe des Sieges geht Elias Weg nun hinab in die Schule der Anfechtung und Prüfung. Und haben diesen Weg nicht mehr oder weniger alle Knechte des Herrn zu gehen?
Die Botschaft Isebels zeigte ihm, wie die Sachen standen. Wir lesen: „Als er das sah, machte er sich auf und ging fort um seines Lebens willen, und kam nach Beerseba, das zu Juda gehört.“ „Als er das sah“ - in dieser Stunde stand nicht der lebendige Gott, sondern Isebel, ihre Rache und die Haltlosigkeit des Volkes, vor seinem Auge. Was mochte in seiner Seele vorgehen? Von seinem bisherigen Weg konnte er sagen, daß er alles getan habe nach dem Worte des Herrn (1Kön 18,36), jetzt aber leitete ihn nicht das Wort Jehovas, sondern Isebels Wort. Bisher stand niemand zwischen ihm und seinem Gott, jetzt stand Isebel dazwischen. Er mißt den Kampf mit Isebel nicht an Gottes Kraft, sondern an seiner Kraft, und in dem Augenblick verlor er allen Mut. Die Psalmisten David und Asaph gedachten in den Stunden der Dunkelheit der Wunder und Machttaten ihres Gottes (Ps 70,16; 77,11). Erinnerte er sich nicht, wie Gott ihn durch Raben ernährte - wie das Mehl im Topf und das Öl im Kruge nicht abnahm - wie Gott den Toten zum Leben zurückführte und auf sein Gebet mit Feuer vom Himmel geantwortet hatte? Der Mann des inbrünstigen Gebets wendet sich in seiner Hoffnungslosigkeit jetzt nicht an seinen Gott, bittet nicht um Wegweisung, er geht selbst den Weg, „um seines Lebens willen“.
Sein Auge sah nur die mächtige IsebeI und seinen Tod. Petrus sah nur den starken Wind, und er sank. Der große Prophet und der große Apostel, als sie auf das blickten, was vor Augen war, sahen sie ihre Kraftlosigkeit und sanken. Und geht es uns anders? Nur dann, wenn gleich Mose unser Glaubensauge den Unsichtbaren sieht, sind wir befreit von der Furcht und vermögen wir wider die Listen des Teufels zu bestehen.
Erinnert uns diese dunkle Stunde in Elias Leben nicht auch an ähnliche Stunden in unserem Leben? Wie schnell vergaßen auch wir die Machttaten Gottes - vergaßen die Wunderwege, die Er uns führte - vergaßen die Gnade, mit der Er uns trug - vergaßen die Macht, mit der Er uns schirmte! Wir sahen nur das Leid und den Untergang, und anstatt in die Gegenwart des lebendigen Gottes zu gehen, Gnade und Kraft zum Ausharren zu empfangen, versuchten wir den Trübsalen zu entfliehen.
Mit der Flucht Elias hatte der Teufel sein Ziel erreicht. Und wie kam er zu seinem Ziel? Das erste, was die Schrift uns im Zusammenhang mit dieser traurigen Sache sagt, ist, daß ein Gespräch zwischen Ahab und Isebel stattfand. Dieses
Gespräch drehte sich um Elias Wirksamkeit und die Tötung der Baalspriester. Und das Ergebnis dieses satanischen Gespräches finden wir in den Worten des zweiten Verses: „Da sandte Isebel einen Boten“ mit der Botschaft ihres Hasses und ihrer Rache zu Elia. Wie listig ist der Feind in der Erreichung seines Zieles, den Knecht Gottes dahin zu bringen, den Platz, an den Gott ihn jetzt geführt hatte, zu verlassen und seinen Dienst als ein Knecht des Herrn aufzugeben! Was er bisher nicht zu erreichen vermochte, erreicht der Feind nun durch ein dunkles Gespräch. Und wie oft sind durch Gespräche des Hasses, der Feindschaft, der Unversöhnlichkeit usw. Knechte des Herrn müde und verzagt gemacht und ist dem Werk des Herrn geschadet worden! O, daß Kinder Gottes mehr über ihre Gespräche wachen möchten, damit sie Ausgänge des Segens und nicht des Verderbens seien!
Wenn Menschen die Geschichte Elias geschrieben hätten, so würden wir wohl schwerlich etwas von dieser Stunde seiner Schwachheit und Glaubenslosigkeit erfahren haben. Wenn Gott aber die Geschichte eines Menschen schreibt, dann zeichnet er uns den Menschen, wie er in Wahrheit ist, und da müssen wir die tief demütigende Erfahrung machen, daß bei uns allen, auch bei den besten, seien es Patriarchen oder Apostel, beschämende Widersprüche im Leben und Wandel gefunden werden.
Nur bei einem, unserem Herrn Jesus Christus, finden wir Vollkommenheit, sowohl als Er auf der Höhe des Erfolges und der Anerkennung von seiten der Menschen stand als auch in der Dunkelheit Seiner Verwerfung und der scheinbaren Erfolglosigkeit Seiner Arbeit. In Mk 1,22ff. sehen wir Ihn gewissermaßen auf der Höhe Seines Dienstes: Die Menschen staunen Ihn an über die Wunder Seiner Gnade, und die Dämonen bekennen Ihn als den Heiligen Gottes; Er aber bewahrt im Gebet am einsamen Ort als Mensch Seine Abhängigkeit von Gott. Die Jünger mögen sich erfreuen über den Zulauf des Volkes und Ihm sagen: „Alle suchen Dich“ (V. 37), Er aber antwortet: „Laßt uns anderswohin in die nächsten Flecken gehen, auf daß Ich auch daselbst predige; denn dazu bin Ich ausgegangen.“ (V. 38)
Er war nicht in die Welt gekommen, um bewundert zu werden, sondern um zu suchen und zu erretten, was verloren ist.
Und wiederum, in der Tiefe Seiner Verwerfung und der scheinbaren Erfolglosigkeit Seiner Arbeit (Jes 49,4), als Er nach all den Worten und Taten der Liebe verachtet und als „ein Fresser und ein Säufer“ verworfen wurde, blieb Sein Vertrauen zu Seinem Gott und Vater unerschüttert, und Er spricht: „Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß Du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor Dir.“ (Mt 11,19.25) Sein ganzes Leben war ein Leben ununterbrochener Abhängigkeit von Seinem Vater.
Wie gut, daß wir unseren Blick von den Knechten weg zum Meister, unserem Herrn Jesus Christus, dem Knechte Jehovas, hinwenden können, bei dem allein Vollkommenheit gefunden wird. Er wurde nie vom Erfolg geblendet und von scheinbaren Niederlagen mutlos gemacht.