Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Joh 19,41 - „Und in dem Garten ein Grab“Joh 19,41 - „Und in dem Garten ein Grab“
„Es war aber an dem Orte, wo Er gekreuzigt wurde, ein Garten, und in dem Garten eine neue Gruft, in welche noch nie jemand gelegt worden war.“ (Joh 19,41).
Wie oft bin ich über diese Stelle beim Lesen des Wortes hinweggegangen.10
Heute früh, am Ostermorgen, blieben meine Gedanken an diesen Worten hängen, und immer wieder ging es durch meine Seele, daß an dem Orte, wo Er gekreuzigt wurde, ein Grab war.
Ich dachte an den Garten, von dem die Schrift zum ersten Male berichtet; in dem Garten gab es kein Grab. Jener Garten war in Eden und dieser an dem Orte, wo der Herr gekreuzigt wurde; können wir uns wundern, daß dort ein Grab war?
Das wunderbare Werk der Schöpfung war vollendet; Er Selbst sagte: „Es war sehr gut“ (1Mo 1,31). Aber dieser herrlichen Schöpfung fügte Er noch ein besonderes Werk Seiner Hand ein: „Er pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten und setzte dahin den Menschen, den Er gebildet hatte“ (1Mo 2,8). - Nach Jahrtausenden offenbart uns Gott, daß das in Seinem Herzen verborgene Geheimnis von Christus und Seiner Gemeinde in Adam und Eva enthalten sei. Wenn wir so sehen, daß Gott inmitten Seiner Schöpfung einen Garten pflanzt und den Menschen dahinein stellt, so ahnen wir, daß in diesem Garten mit seinen Bäumen und Strömen Geheimnisse Seines Willens und Wohlgefallens verborgen liegen.
In Eden - dem Platze der Wonne und Lieblichkeit - pflanzte Gott diesen Garten als eine besondere Stätte Seiner Freude; wir sehen Ihn darin wandeln, und dorthin setzt Er den Menschen. - Als Repräsentant Gottes in Herrschaft und Hoheit hatte er ihn zu bauen und zu bewahren, und in dem Stande der Abhängigkeit und des Gehorsams durfte er sich an ihm erfreuen und ihn genießen.
Wir kennen die weitere Geschichte. An diesem herrlichen Orte machte Satan sich an den Menschen heran und fing an, mit ihm über das zu reden, was Gott gesagt hatte: „Hat Gott wirklich gesagt: Ihr sollt nicht essen von jedem Baume des Gartens?“ So begann er Gottes Wort und Gottes Liebe in Frage zu stellen und das Vertrauen zu Gott und Seiner Liebe zu untergraben, um ihnen dann zu sagen: „Mit nichten werdet ihr sterben, sondern - ihr werdet sein wie Gott.“ Er sagte den Menschen gleichsam: „So lieb, wie ihr denkt, hat Gott euch nicht. Ihr könnt es viel besser haben; wenn ihr euren Stand der Abhängigkeit und des Gehorsams gegen Gott aufgebt, dann könnt auch ihr wie Gott sein.“ So raubte er ihnen das Vertrauen zu Gott und zu der Liebe Gottes - und die Sünde kam in die Welt und der Tod.
In Gottes Garten aber gab es keine Grabstätte; dort durfte kein Grab sein. Für den Menschen des Todes konnte deshalb auch kein Bleiben dort mehr sein. Gott schickte ihn hinaus aus dem Garten. Engel waren Zeugen dieser traurigen Stunde. Die Cherubim und die Flammen des kreisenden Schwertes bewahrten den Weg zum Baum des Lebens.
Seit dieser Stunde hat diese Erde kein Eden und keinen Garten der Freude mehr, und doch ist das Verlangen nach dem Garten - nach einem kleinen Gärtchen - in der Seele des Menschen zurückgeblieben. Wie geht die Sehnsucht der Großstädter nach einem grünen Fleckchen - wie strömen sie hinaus in die öffentlichen Gärten! Ein Sehnen, ein zurückgebliebenes Andenken an Eden, an Gottes Garten wohnt in der Menschenbrust. Er verlangt nach etwas Besserem - nach den Bäumen und Strömen, nach den Schönheiten der Schöpfung, er eilt ihnen nach, um immer wieder zu entdecken, daß der Fluch seiner Sünde auf ihnen ruht und die Unruhe und Leere seines Herzens die Folge der Sünde ist, die ihn von Dem getrennt hat, der die Quelle jeder Freude ist.
Wenden wir uns zum Neuen Testament, so finden wir wieder einen Garten - den Garten Gethsemane. Der zweite Mensch, der Same des Weibes, ein Mensch anderer Herkunft geht in den Garten hinein. Auch Er ist (wie einst der erste Mensch) der Repräsentant Gottes, aber in Liebe und Gnade und Wahrheit. So wie der Satan in jenem ersten Garten an den ersten Menschen herantritt, so sah der zweite auch hier ihn in den Garten kommen. Er sagte es Seinen Jüngern zuvor: „Der Fürst dieser Welt kommt“, aber Er fügt hinzu: „Er hat nichts in Mir; aber auf daß die Welt erkenne, daß Ich den Vater liebe und also tue, wie Mir der Vater geboten hat. Stehet auf, lasset uns von hinnen gehen“ (Joh 14,30.31). Der erste Garten sah die Freude und dann den Ungehorsam des ersten Menschen. Dieser zweite Garten sah die Tränen und dann den Gehorsam des zweiten Menschen. Die Schrift berichtet uns von den Tagen Seines Fleisches, da Er sowohl Bitten und Flehen Dem, der aus dem Tode zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen dargebracht hat (Heb 5,7). Der Feind aber wurde abgewiesen. Er bewahrte den Stand des Gehorsams und der Abhängigkeit, den der erste Mensch aufgegeben hatte. Er betete: „Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe“ und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuze.
Und wiederum ein drittes Mal finden wir einen Garten. Der Mensch hatte seine Hand an den Gesalbten Gottes gelegt und Ihn gekreuzigt. An dem Orte aber, wo Er gegekreuzigt wurde, war ein Garten und in dem Garten eine neue Gruft. Diese Gruft war noch leer, sie wartete auf die Beute des Todes. Mit einem herrlichen Garten fing die Geschichte des Menschen an, und in dem Garten mit der Gruft endete sie.
Der Mensch hatte Seine Probe nicht bestanden. Gott hatte ihn geprüft ohne Gesetz, unter Gesetz und zuletzt Seinen Sohn gesandt, aber sie hatten Ihn verworfen und gekreuzigt. Dieses Grab an dem Orte, da Christus gekreuzigt wurde, zeigte, daß der Schluß Seiner Geschichte gekommen war. Soll sich das Grab nun über diesem Menschen schließen? Soll dies das Ende des Menschen sein, der einst im Bilde Gottes geschaffen war? Darf der Stein um seines Verwesungsgeruches willen nie hinweggenommen werden (wie selbst die Liebe es nach nur vier Tagen zu verhindern suchte, als Martha sagte: „Herr, er riecht schon!“)? Wenn dies das Ende wäre, es wäre unsagbar traurig! Gott aber hatte Gedanken des Friedens! Dieses neue Grab sollte eine Stätte köstlichen Trostes werden.
Bereitet für den gefallenen Menschen, wartete es auf die Beute des Todes, aber ein anderer als der, für den es bereitet war, nimmt in dem Grabe Platz. Es ist Derselbe, der an dem Kreuze eines anderen, eines Mörders, in Gehorsam starb. An diesem, der am Kreuze des Mörders starb, wurde Gottes Todesurteil über den Menschen vollstreckt, der sich dem „Mörder von Anfang“ (Joh 8,44) hingegeben, dessen Geschichte in dieser Welt mit dem Morde Abels begann und mit dem Morde des Sohnes Gottes endete. Dieses Grab war von Gott ersehen, die Geschichte des „ersten Menschen“ für immer zu schließen und in Auferstehung der Anfang der Geschichte des „neuen Menschen“ zu werden. Welche Gnade, Er, der am Kreuze des Mörders hing, um die Sühnung zu vollbringen, ging in Seinem Tode in das Grab Josephs, um es zu öffnen und Leben und Unverweslichkeit ans Licht zu bringen!
Freiwillig in Gnade ging Er in den Tod, aber keine Verwesung konnte
an Ihn herantreten; so hatte schon David geweissagt: „Du wirst nicht
zugeben, daß Dein Frommer die Verwesung sehe“ (Ps 16,10,
Und andere köstliche Linien nach verschiedenen Richtungen hin würden wir finden, wenn wir den Einzelheiten nachgingen. Denken wir nur an den Namen „Joseph“, der uns an den erinnert, der von dem Vater am meisten geliebt, der verworfen in die Grube hinab mußte und der dann der Erhalter seines Geschlechts wurde, oder an diesen „Joseph“ als den „reichen“ „Rats“-Herrn, der das Grab in den „Felsen“ machte und Jesus dort hinlegte. Doch sei dieses nur nebenbei erwähnt.
Das 19. Kapitel schließt mit dem Grabe; und dann beginnt ein neues Kapitel mit dem göttlichen „Aber“ eines ganz neuen Tages.
Der Bericht dieses ersten Tages der Woche führt uns wieder in den Garten. Wie in dem ersten Garten, so finden wir auch hier ein Weib, aber nicht wie einst vom Versucher angetastet, sondern ein Weib, von welchem der Herr sieben Dämonen ausgetrieben hatte. Sie war von Satans Gewalt und Macht befreit. Auch Engel sehen wir in diesem Garten, aber keine Cherubim und keine Flamme des kreisenden Schwertes, um die Menschen von dem Baume des Lebens zurückzuhalten.
Wie gesagt, ein neuer Tag des Waltens Gottes war angebrochen. Alles, was mit dem Menschen im Fleische, mit dem Judentum usw. verbunden war, hatte sein Ende gefunden. Der auferstandene Christus, „der Baum des Lebens“, stand im Mittelpunkte dieses Gartens und dieses Tages, des ersten einer neuen Woche, einer neuen Zeitperiode.
Markus beginnt seinen Bericht über diesen ersten Wochentag mit den Worten: „Als die Sonne aufgegangen war“, diese Sonne (geistlich) geht nie wieder unter! Es ist die Sonne der Gerechtigkeit, von der Mal 4,2 schon schreibt. Ihr Licht leuchtet uns, die wir mit geistlichen Segnungen gesegnet sind, schon vor ihrem Aufgange über diese Welt. Derselbe Markus, der sein Evangelium mit dem Aufgang der Sonne schließt, beginnt seinen Bericht über den Dienst Christi gleichsam mit dem Abend des Tages, „als die Sonne unterging“ (Mk 1,32).
Während Markus so in Verbindung mit dem Häuflein Frauen berichtet: „Als die Sonne aufgegangen war“, berichtet Johannes in Verbindung mit Maria: „Als es noch finster war“. Dieses Wort, das wohl den äußeren Zeitpunkt berührt, steht doch in herrlicher Harmonie mit Marias innerem Stande. Ihr leuchtete noch nicht das volle Licht der Sonne, während in dem Auferstehungsberichte des Markus die Sonne der Beweise Seiner Gnade und Macht den Weibern voll entgegenstrahlte. Eine wundervolle Harmonie liegt in diesen vier Auferstehungsberichten.
Doch wir kehren zum Garten zurück. Wir sahen wieder wie im Anfang ein Weib - Maria - im Garten. Sie steht noch im Dunkel dieses Tages; ihr Blick ist auf das Grab, aber ihr Herz ist auf den Herrn gerichtet. Sie sucht den Baum des Lebens, der Christus ist. - Evas Blick war auf die verbotene Frucht gerichtet, ihr Herz war mit dem „Lügner“ und dem „Mörder“ beschäftigt, und die Stimme der Schlange bezauberte ihr Herz. Maria hörte die Stimme der Engel, aber Engel konnten ihr Herz nicht fesseln noch ihre Tränen trocknen, und ihre Antwort zeigte, daß sie nur nach Einem, nach ihrem Herrn verlangte.
Von welcher Liebe redeten diese Tränen! Sie vermißte Den, der sie erlöst hatte, und sie weint, weil sie Seine Nähe nicht hat. Besaß sie eine größere Erlösung, besaß sie mehr als wir? Kennt unser Herz etwas von solcher Liebe zu Ihm?! Was mußte es für den Herrn sein, als Er ihre Liebe sah, die ihren Blick im Verlangen nach Ihm in das leere Grab richtet und sich dann unbefriedigt von Engeln abwenden konnte, um Ihn zu suchen! Wie brannte einst Josephs Herz, als er das Bekenntnis seiner Brüder hörte. Wir lesen, er konnte sich nicht länger bezwingen. Sind wir fähig, zu ahnen, was in dem Herzen des Herrn vorging? Konnte Er Sich noch bezwingen, als Er ihre Liebe sah? Sein erstes Wort ist: „Weib, was weinst du?“, als ob Er sagen will: „Keine Ursache mehr zum Weinen, kein Grund mehr, ins Grab zu schauen!“ Wie köstlich sind diese Worte - die ersten, die über die Lippen des Auferstandenen kommen. Dann nennt Er ihren Namen. Beim Klang ihres Namens aus Seinem Munde schaut und erkennt sie Ihn, und alle Tränen sind getrocknet. Bald werden auch wir unseren Namen aus Seinem Munde rufen hören - sei es wie Maria, sei es wie Lazarus, dann sehen und erkennen wir Ihn, der jedes Seiner Schafe mit Namen ruft und jede Träne von ihren Augen abwischen wird.
Sie will Seine Füße umfassen und in das alte Verhältnis zurückkehren, so wie sie Ihn bisher nach dem Fleische gekannt hat (2Kor 5,16), aber Er unterweist sie, daß Seine Auferstehung die Grundlage eines neuen Tages - eines neuen, wunderbaren Verwandtschafts-Verhältnisses zwischen Ihm und den Seinen zu dem Vater geworden ist. Sie soll die Botschaft hiervon den Jüngern überbringen mit den Worten: „Ich fahre auf zu Meinem Vater und eurem Vater, und zu Meinem Gott und eurem Gott.“ Diese Botschaft brachte die zerstreuten Jünger zusammen. Sie lernten: Wir alle sind Seine Brüder und gehören nicht mehr zur Familie der Welt - wir sind eine neue Familie -, und die Türen wurden zugemacht vor denen, die draußen waren. - Dann trat der Herr in ihre Mitte, und Seine Gegenwart brachte ihnen Friede und Freude.
Hat diese Botschaft, die Er der Maria zum ersten Male anvertraute, nicht auch uns zusammengefügt? Sind wir nicht auf dem gleichen Grunde in der Stunde (wie die
Jünger) versammelt, wo wir zusammenkommen, den Tod Dessen zu verkündigen, der Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat? Haben wir nicht Ihn in unserer Mitte, der gesagt hat: „Inmitten der Gemeinde will Ich Dir lobsingen?“ So dürfen wir, Ihn in unserer Mitte, als Gemeinde dem Vater den Lobgesang bringen. Es gibt keine Stätte, die dem Himmel näher kommt, als die Stätte, wo Kinder Gottes versammelt sind an dem Mahle des Herrn. Wie nahe sind wir dem Himmel, wenn Christus der Mittelpunkt ist und Lob und Anbetung dem Vater gebracht werden. In einem solchen Zusammenkommen haben wir den Vorgeschmack von Seiner Liebe und von den ewigen Dingen, die über kurz oder lang unser Teil sein werden. Es ist etwas Wunderbares, daß sowohl in der Erbauung der Gemeinde als auch in der Anbetung der Gemeinde das Singen mit eingeschlossen ist. Wir können einzeln singen, aber das ist nicht gleich dem Singen, welches Ihm dargebracht wird, wenn alle gemeinsam singen und Ihm das Lobgetön von der ganzen Schar, von der Gemeinde, dargebracht wird. Das ist das wahre Singen, mit welchem wir heute schon im voraus Ihm das „neue Lied“ singen, das unserer Seele ein Ahnen und Vorempfinden gibt von dem, was wir in Kürze auf ewig bei dem Herrn tun werden.
Welche Unterweisungen geben uns diese drei Gärten! Wir können nur mit David sagen: „Vielfach hast Du Deine Wundertaten und Deine Gedanken gegen uns erwiesen, Jehova, mein Gott; nicht kann man sie der Reihe nach vorstellen. Wollte ich davon berichten und reden, es sind ihrer zu viele, um sie aufzuzählen.“ „Sie, die köstlicher sind als Gold und viel gediegenes Gold und süßer als Honig und Honigseim“ (Ps 40,5; 19,10). v. d. K.
10 Nach Notizen von einer Ansprache.↩︎