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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 9 -Jahrgang 1923/24
Die Stellung des Herrn zur SchriftDie Stellung des Herrn zur Schrift
„Und von Mose und allen Propheten anfangend, erklärte Er ihnen in allen Schriften das, was Ihn betraf.“ (Lk 24,27).
Unser Herr hatte die größte Achtung vor der Schrift. Er stellte Sich völlig unter das geschriebene Wort. Die Schrift war Ihm in allen Sachen vollständig maßgebend. Niemals finden wir ein überlegenes Lächeln auf Seinem Gesichte, wenn ein Schriftwort in Betracht kommt. Moderne Menschen halten sich für solche, die dem Worte überlegen sind. Er aber nicht! Ihm waren die Schriften kein poetischer Erguß oder Menschenmachwerk, sondern immer das untrügliche und unauflösbare Gotteswort. Er Selbst sagte: „Bis daß der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist“ (Mt 5,18).
In der Rolle des Buches steht von Ihm geschrieben. Er Selbst ist der Gegenstand des Wortes. Auch das Kleinste in dem Gesetz oder in den Propheten, was Ihn betraf, mußte erfüllt werden, sei es in Seinem irdischen Leben oder in Seinem Opfertode oder in Seiner kommenden Herrlichkeit. Ein unerfülltes Schriftwort war Ihm durchaus undenkbar. Er ging niemals leichtfertig mit den Schriften um. Als Er in dem Garten Gethsemane ergriffen wurde, sagte Er zu dem dreinschlagenden Petrus: „Meinst du, daß Ich nicht jetzt Meinen Vater bitten könne, und Er Mir mehr als zwölf Legionen Engel stellen werde?
Wie sollten denn die Schriften erfüllt werden, daß es also geschehen muß?“ (Mt 26,53.54). Bei dem letzten Passahmahl sagte Er: „Ich sage euch, daß noch dieses, was geschrieben steht, an Mir erfüllt werden muß:,Und Er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden'; denn auch das, was Mich betrifft, hat eine Vollendung“ (Lk 22,37). Er kannte die Schrift vollkommen, und welche Freude mußte es Ihm sein, wenn eine Schrift nach der anderen an Ihm ihre Erfüllung fand.
Ein Schriftwort war Ihm das Ende alles Widerspruches und Streites. Nichts war Ihm unwesentlich. Stand etwas geschrieben, und wenn es auch einem modernen Menschen bedeutungslos vorkäme, so stellte Er Sich mit Seinem ganzen Wesen darunter. Die Juden dagegen hatten das Wort nicht in sich bleibend, und obwohl der Herr ihnen Zeugnis gab, daß sie die Schriften erforschten und daß diese Schriften von Ihm zeugten, so beugten sich dennoch ihre Herzen nicht darunter, und also kamen sie nicht zu Ihm, auf daß sie das Leben hätten (Joh 5,38.40); denn um die Schrift richtig zu verstehen, muß man sich dem Worte völlig unterwerfen. Den Sadduzäern zeigte Er ihre Unkenntnis der Schriften, als Er ihnen sagte: „Ihr irret, indem ihr die Schriften nicht kennet, noch die Kraft Gottes“ (Mt 22,29; Mk 12,24), und bewies ihnen dann die Wahrheit der Auferstehung aus der Schrift einfach durch die Zeitform eines Zeitwortes! (Mt 22,31.32). Die Schrift zu kennen war Ihm so wichtig, daß Er schon als zwölfjähriger Knabe in dem Tempel inmitten der Lehrer saß und ihnen zuhörte und sie befragte (Lk 2,46-48). Wie harmonisch ist diese aus Seiner Jugend erzählte Begebenheit. Wie stimmt sie so getreu mit Seinem wunderbaren Wesen überein!
Sein Pfad als gehorsamer Mensch hier auf Erden war in den Schriften beschrieben, darum beachtete Er genau, was über Ihn berichtet war, denn jedes Wort mußte in Erfüllung gehen. So sagte Er einmal zu den Juden: „Die Schrift kann nicht aufgelöst werden“ (Joh 10,35). Er fühlte die Verantwortung, dem Worte gehorsam zu sein. Kein einziges Stücklein durfte ungeschehen bleiben. Darum steht von Ihm geschrieben, daß Er bis zum Tode gehorsam war, ja, zum Tode am Kreuz (Phil 2,8); das bedeutet, daß Sein Herz Seinem Gott unterworfen war und daß Er Sich unter das
Wort in jeder Sache stellte, die Ihn betraf. Jeder, auch der scheinbar unbedeutendste Punkt mußte erfüllt werden, ehe Er sagen konnte: „Es ist vollbracht“.
Als der Herr anfing, Seinen Jüngern zu zeigen, was Ihm bevorstand, da strafte Ihn Petrus, indem er sagte: „Gott behüte Dich, Herr! Dies wird Dir nicht widerfahren.“ Aber Petrus erhielt eine scharfe Zurechtweisung vom Herrn, denn der bloße Gedanke, daß Er den Schriften ausweichen könnte, war Ihm ein Ärgernis und erkannte Er als vom Satan kommend. Es war nicht ein Sinnen auf das, was Gottes ist, sondern auf das, was der Menschen ist (Mt 16,22.23). Diesen völligen Gehorsam des Herrn beobachten wir schon, als Er an den Jordan zu Johannes kommt, um getauft zu werden. Ihm lag daran, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Er beugte Sich unter den Willen Seines Vaters, und alsbald kam eine Stimme aus dem Himmel: „Dieser ist Mein geliebter Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen habe“ (Mt 3,13-17). Was von Esra erzählt wird, durfte auf vollkommene Weise von unserem Herrn gesagt werden: „Er hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz Jehovas zu erforschen und zu tun und in Israel Satzung und Recht zu lehren“ (Esra 7,10).
Ein wunderbares Beispiel von der Hochachtung unseres Herrn den Schriften gegenüber finden wir, als Er in unsäglichen Leiden auf dem Kreuze, verlassen von Seinem Gott, für unsere Sündenschuld schmachtete. Der Augenblick, in welchem Er sagen durfte: „Es ist vollbracht“, war nahe, und wie mußte Sein Herz sich danach sehnen, diese bedeutungsvollen Worte zu sprechen. Aber Er konnte es nicht, bis alles erfüllt war, wie sehr Er auch danach verlangen mochte. Johannes, als einer, der dabei stand, vom Heiligen Geiste inspiriert, beschreibt uns dies, wie Er Seinen Geist nicht eher übergab, bis auch kein Jota mehr unerfüllt war. Er berichtet: Als der Herr wußte, „daß alles schon vollbracht war, spricht Er, auf daß die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet!“ Im Psalm 69,21 stand geschrieben, daß man Ihm Galle in Seine Speise geben und in Seinem Durste Ihn mit Essig tränken würde. Wir wissen nun, daß sie Ihm, bevor die grausamen Nägel durch Seine Hände getrieben wurden, Wein oder Essig mit Myrrhe oder Galle vermischt gegeben hatten, aber Er wollte es nicht trinken.
(Mt 27,34; Mk 15,23). So war die erste Hälfte dieser Schrift (Ps 69,21) in Erfüllung gegangen; einer, der das Wort nicht genau nimmt, würde gesagt haben: Das ganze Wort ist schon geschehen; aber nicht unser Herr. Er wußte, daß man Ihn in Seinem Durste noch nicht mit Essig getränkt hatte. Er wußte auch, daß dieser 21. Vers die letzte Sache in Seinen Leiden enthielt und daß dann mit Vers 22 die Wendung der Dinge, die Gerichte der Widersacher kommen würden. So furchtbar und groß Seine Leiden auch waren, in dem, was die Schrift geredet, hieß es für Ihn auszuharren und gehorsam zu sein bis zum Tode. Und so in Seinem schrecklichen Durst flüstert Seine verschmachtende Zunge: „Mich dürstet“, und dann vollführten Seine Widersacher die Weissagung und füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn zu Seinem Munde. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach Er: „Es ist vollbracht!“ „Und Er neigte das Haupt und übergab den Geist“ (Joh 19,28-30). So sehen wir, wie Er bis zum Tode am Kreuze verharrte in unwandelbarer Hochachtung und Ehrerbietung vor der Schrift. Das kleinste Schriftwort mußte erfüllt werden. Hätte Er den Geist übergeben oder gerufen: „Es ist vollbracht“, bevor dieser kleine Punkt: die zweite Hälfte des 21. Verses, erfüllt war, so wäre die Schrift aufgelöst. Er wäre nicht (wir sprechen mit der größten Ehrerbietung) bis zum Tode gehorsam gewesen, und dann wäre Gottes Gerechtigkeit nicht befriedigt, und alle, die auf Gott gehofft hatten, wären auf ewig beschämt (Ps 69,6)! Doch es war nicht so, Er blieb treu bis ans Ende, es konnte nicht anders sein, denn Er war Gott von Ewigkeit! Wie freut sich das Herz in Ihm! Wie froh sind wir, daß unser treuer Herr jetzt hoch erhoben ist von Seinem Gott, der Ihm einen Namen gegeben hat, der über jeden Namen ist, und daß in dem Namen Jesu jedes Knie sich beugen soll.
Viele andere Beispiele finden wir in der Schrift über die Stellung des Herrn zum Worte Gottes; aber wir haben genug geschrieben. Fragen wir uns nun selbst: Was sind die Schriften uns? Sind sie unseren Herzen köstlich? Stehen wir auch mit solcher Ehrerbietung vor dem Worte unseres Gottes? Beugen wir uns unter das Wort in allen Sachen. Nehmen wir dieselbe Stellung zur Schrift wie Er?
Muß uns nicht Entrüstung packen, wenn moderne Bibelkritiker das Wort auflösen und mit überlegenem, spöttischem Lächeln ihren Unglauben und Torheit auf den Kanzeln und in den Hörsälen der Theologie hochmütig und laut verkündigen, sie, die niemals daran denken, dem Worte untertänig oder dem Herrn gehorsam zu sein?! Wie himmelweit ist der Gegensatz zwischen solchen und dem demütigen Gottessohn, der, obwohl Er Sohn war, an dem, was Er litt, den Gehorsam lernte (Heb 5,8). Wie leichtfertig wird die Schrift in unseren Tagen aufgelöst! Aber die unauflösbare Schrift bezeugt uns auch, daß Gott solchen die Plagen hinzufügen wird und ihr Teil an dem Baum des Lebens und der heiligen Stadt wegnehmen wird, die Sein untrügliches Wort ändern (Off 22,18.19). Aber leider auch bei vielen Gläubigen ist die Hochachtung vor dem Worte nicht mehr vorhanden, und weit stehen sie hinter dem Herrn in dieser Sache zurück. Wie mancher setzt sich leicht über das Wort hinweg mit einfältigen, törichten Bemerkungen wie: „Ach, das ist ein unwesentlicher Punkt“ oder „das ist nicht nötigt“, „wir wollen keinen Buchstabendienst“! Wie schamlos und frech zeigt sich in solchen Worten der alte Mensch! Man hält sich für zu geistlich, um zu tun, was geschrieben steht, und so überlegen lächelt man dabei! Bei dem Herrn aber war es anders! Er unterstellte Sich jedem Worte der Schrift, sogar bis in den Tod. War das bloßer Buchstabendienst bei dem Herrn? Hing nicht meine und deine Errettung davon ab?
Sollten wir nicht, statt solche törichten Schlagworte in den Mund zu nehmen, lieber lernen von unserem Herrn, dessen Jünger wir bekennen zu sein? Er wenigstens hat niemals von einem Strichlein des Wortes gesagt: „Das ist nicht wesentlich“. Lieben wir Ihn, so wollen wir tun, was Er wünscht; Er schätzt den Gehorsam der Seinigen sehr hoch, so wie Sein Vater Seinen unentwegten Gehorsam schätzte und ehrte. Das Wort sollte uns ebenso heilig sein, wie die Schriften Seinem Herzen waren. Saul verscherzte sein Königreich, gerade weil er auf den Wortlaut des Befehls Gottes nicht achtete, und war so des Ungehorsams dem Worte gegenüber in den Augen Gottes schuldig (1Sam 15,22.23), und was wird unser Verlust sein, wenn wir es mit dem Worte nicht genau nehmen?!
F. Btchr.