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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 6 -Jahrgang 1918/19
„Der Sohn des Menschen“ (1)„Der Sohn des Menschen“ (1)
Ein kleiner, fast unscheinbarer, bei der Korrektur des vorigen Heftes von mir übersehener Druckfehler ist die äußere Veranlassung dieses Aufsatzes. Dort ist nämlich in der auf Seite 139 befindlichen Fußnote in der dritten Reihe von dem Herrn gesprochen als von „dem Sohne der Menschen“. Jeder Schriftkundige wird wissen, daß so zu reden nicht nur ungeziemend, sondern völlig falsch ist, daß der Herr vielmehr „der Sohn des Menschen“ ist und Sich Selbst so nennt. Diese Verschiedenheit scheint geringfügig, ist aber unendlich bedeutsam. Denn was liegt doch alles darin, daß Er nicht von den Menschen abstammt, so wenig wie Er je als Kind zweier Menschen angesehen werden darf. Es wäre Gotteslästerung! Er war als Mensch der Sohn der Jungfrau Maria, während Joseph nur Sein Pflegevater war. Er war aus dem Geiste gezeugt und somit nicht nur der Heilige, sondern „das Heilige“ (Lk 1,35).14
Wahrlich, der Herr Jesus, der eingeborene Sohn Gottes, war nicht „der Menschensohn“ schlechthin, sondern „des Menschen Sohn“, einzigartig, überragend in ganz bestimmter Bedeutung, wie wir später sehen werden. Diese Tatsache kann gar nicht ernst genug bezeugt werden in einer Zeit, wo Theosophie, Millenniumstagesanbruch- und andere schreckliche Irrlehren Satans wie auch die moderne Theologie Ihn in Seiner unvergleichlichen Heiligkeit und Göttlichkeit antasten, wie es im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung schon der Arianismus tat.
Aber von dieser Seite obiger Tatsache sehe ich jetzt hier ab, ich möchte vielmehr in diesem Aufsatz auf die hohe Bedeutung des Ausdrucks „der Sohn des Menschen“ näher eingehen.
Wäre von dem Herrn in der Schrift als von dem Sohne der Menschen geredet (wenn dies überhaupt möglich wäre)!., so läge in dem Ausdruck nichts Besonderes, Ihn Auszeichnendes, und derselbe hätte kein so bedeutsamer werden können, wie der Ausdruck „der Sohn des Menschen“ in der Schrift geworden ist, und zwar durch Jesu Selbstbezeichnung. Und damit will ich hier den Anfang machen: d. h., ehe ich auf die Bedeutung des Ausdrucks eingehe, will ich
1. zeigen, wo er gebraucht ist.
Die Wortverbindung „der Sohn des Menschen“ kommt nur in den Evangelien und außerdem ein einziges Mal vor, nämlich in der Apg 7,56. In ersteren etwa 80 mal. Eine ähnliche Wortverbindung lesen wir noch einmal in Heb 2,6 und zweimal in der Offenbarung (1,13 u. 14,14), wo im griechischen Urtext allemal vor beiden Hauptworten („Sohn“ und „Menschen“) der Artikel fehlt, so daß es z. B. in den beiden letzteren Stellen wörtlich heißt „gleich (einem) Sohn (eines) Menschen“ (vergl. Dan 7,13). Zweifellos sehen wir hier die gleiche Person wie in den Evangelien vor uns, den Herrn Jesus, aber der veränderte Wortlaut hat auch eine veränderte Bedeutung gegenüber der in den Evangelien.
In den Briefen finden wir den in den Evangelien so häufig wiederkehrenden Ausdruck weiter nicht. Kannten die Briefschreiber ihn nicht? O, die meisten von ihnen hatten ihn oft genug aus des geliebten Meisters Munde vernommen, und von ihnen hatte Paulus - abgesehen davon, daß er durch persönliche Offenbarung sowie durch den Geist über alles belehrt wurde, was Christus betraf - ihn sicher auch gehört, Paulus, der außerdem bei des Stephanus Steinigung als Saulus eine Hauptrolle spielte, wo der Ausdruck noch einmal ertönte, nicht mehr aus Jesu Mund, sondern aus dem des ersten Märtyrers, aber keines späteren in der Schrift! Später in der Hebr.-Stelle sehen wir den Herrn gleichsam als die Erfüllung von Ps 8, und dann treffen wir den gegen den in den Evangelien etwas veränderten Ausdruck (also ohne Artikel wie in Heb 2,6) erst in der Offenbarung und auch nur zweimal dort an. Das muß doch etwas bedeuten - zuerst so sehr häufig, dann nur noch an ganz besonderen Stellen, und zwar nie, auch nicht in der „Offenbarung Jesu Christi“ (1,1), aus dem Munde des Herrn Selbst, der während Seines Erdenwandels Sich geradezu mit Vorliebe so zu nennen scheint?! Bitte, liebe Leser, denkt einmal über diese merkwürdige Tatsache nach!
2. Und in Verbindung damit will ich nun untersuchen, wann dieser Ausdruck gebraucht wird, und zwar soll heute nur noch die Frage behandelt werden, wann zuerst er angewandt wird.
Die erste Anwendung dieser Selbstbezeichnung Jesu finden wir bedeutsamerweise in dem Evangelium, welches uns die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes, „der in des Vaters Schoß ist“ (Joh 1,18), schildert, nämlich in Joh 1,51; der Zeit nach folgen in dem Gebrauch der Bezeichnung dann die Stellen Joh 3,13 u. 14 und erst dann Mt 8,20; 9,6; Lk 6,22; Mk 8,31 usw., wie denn auch die sogen. Synoptiker (die ersten drei Evangelien, die das Wesen des Herrn mehr unter Seinen menschlichen Gesichtspunkten darzustellen haben - Matthäus zeigt Ihn als den König, Markus als den vollkommenen Knecht, Lukas als den Menschen) den Ausdruck am meisten bringen. Immerhin enthält das vierte Evangelium ihn auch noch neunmal aus Jesu Mund, zweimal aus dem der Menschen (12,34). Das Wichtige aber ist der Zeitpunkt, wann der Herr Sich als „der Sohn des Menschen“ bezeichnet, weil daraus ein Wink für die Bedeutung des Ausdrucks zu gewinnen ist.
Was war dem Ausspruch Joh 1,51 vorangegangen? Kurz gesagt: die Nichtannahme des Herrn in Seiner Eigenschaft als Messias. Ich will nicht sagen die Verwerfung! Offene Verwerfung folgte erst nach und nach, besonders Lk 4,16-30, auch Joh 2 u. 3. Aber in Nathanael, dem „Israeliten ohne Falsch“, sehen wir eine vorläufige Verwerfung bezw. Nichtannahme des Messias, statt daß er gleich den ersten beiden Jüngern sofort nach Jesu Auftreten, das begleitet war durch des Täufers Zeugnis, Ihm zugeeilt wäre. Er ändert, durch des Herrn Verhalten und Seinen prophetischen Blick gefesselt, freilich bald sein ablehnendes Urteil und huldigt Jesu als dem Sohne Gottes und als dem König Israels (V. 49), wie gleichsam der jüdische „Überrest“ tun wird am „Tage des Herrn“; aber nichtsdestoweniger war das erste ablehnende Urteil seitens Israels über Ihn ausgesprochen, und da hören wir zuerst die Selbstbezeichnung des Herrn Jesus: „der Sohn des Menschen“, wenngleich in einer Verbindung, die Seine Hoheit und Einzigartigkeit deutlich erkennen läßt.
Viel klarer noch kommt in Lk 6,22 u. Mt 8,20 der Charakter dieses Namens zum Ausdruck, eben, wenn man beachtet, daß der Herr in Seiner besonderen Sendung und Bedeutung für Israel nicht erkannt, nicht angenommen, ja, offen verworfen ist, wobei ich nochmals erinnere an Lk 4,16-30.
Der Ausdruck „der Sohn des Menschen“ ist also die Selbstbezeichnung des nicht anerkannten, verworfenen Messias.
Ich will für heute schließen, es sind gleichsam nur Vorbemerkungen für die eigentlichen Ausführungen darüber, was mit des Herrn Jesus Selbstbezeichnung - „der Sohn des Menschen“ - praktisch verbunden ist. Ich will aber schon heute sagen: es lohnt sich, sich mit diesem Gegenstande zu beschäftigen! Der Herr wird uns dadurch größer, Seine Liebe reicher, Sein Kommen für die Verlorenen anbetungswürdiger. „Des Menschen Sohn“, d. i. der verkannte, verworfene, verachtete, leidende, verratene Messias, dem als solchem der Ihm zukommende Titel des Sohnes Gottes von dem Volk, für das Er kam, versagt wird (vgl. Mt 16,13-17 und Joh 10,33) und der Sich dies um der Verherrlichung des Vaters und um unseres Heiles willen willig gefallen läßt - der „ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist“ (Lk 19,10). Hier bete an im Staube! - Gepriesen sei Dein Name, Herr Jesu!
F. K.
14 Man vergl. darüber auch des Verfassers Büchlein: „War Jesus versuchlich?“ Siehe Umschlag!↩︎