Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
1Kor 11,26 - „Briefe über den Tisch des Herrn“
Briefe über den Tisch des Herrn - Zweiter BriefBriefe über den Tisch des Herrn - Zweiter Brief
Geliebte Geschwister!
Wir haben gesehen, daß der Begriff „Tisch“ sowohl in der Schrift als auch im täglichen Sprachgebrauch mehr in sich schließt als nur den Gegenstand, der diesen Namen trägt. Verschiedene Beispiele aus dem Worte Gottes zeigten uns, daß das Wort „Tisch“ angewandt wird als Zusammenfassung von Vorrechten, Segnungen usw.
Wir haben uns selbst gefragt, ob nicht dieser weitere Begriff seine Anwendung auch in dem Ausdruck „Tisch des Herrn“ finde, der nur einmal im Neuen Testamente in 1Kor 10,21 vorkommt. Zeigt der Zusammenhang nicht auch hier, daß mit dem Worte „Tisch“ mehr das gemeint ist, was mehrere gemeinsam genießen, als nur allein das, was die einzelne Seele für sich empfängt?
Ich denke, es fällt uns allen gar nicht schwer, wenn Namen von Gegenständen für andere Sachen und Begriffe gebraucht werden, unsere Gedanken von dem Gegenstande loszumachen und auf die damit gemeinte Sache zu übertragen. Solches geschieht ja in unserem Sprachgebrauch sehr oft, und wir sind daran so gewöhnt, daß wir durchaus nichts Fremdes darin finden. Denken wir z. B. an das Wort „Haus“ oder „Leib“. In der Schrift sowohl als auch im Sprachgebrauch werden beide oft für ganz andere Begriffe angewandt, als was diese Worte eigentlich bezeichnen. Wenn die Schrift von dem Hause Davids spricht oder wir von dem Hause Hohenzollern sprechen, so denkt natürlich niemand mehr an ein Gebäude; und wenn die Schrift die Gemeinde Christi einen „Leib“ nennt oder wenn wir sagen, daß der Staat ein großer Körper ist, so denkt niemand von uns an einen Organismus von Fleisch und Blut.
Wenn wir uns jetzt fragen, ob wir, wenn in 1Kor 10,21 vom „Tisch des Herrn“ geredet wird, dabei an einen Gegenstand oder an den von uns bezeichneten Begriff zu denken haben, so müssen wir uns zu dieser Frage die weitere Frage stellen: Um was handelt es sich hier in dieser Stelle? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, daß wir das 10. Kapitel in Verbindung mit den beiden vorhergehenden Kapiteln betrachten.
Offenbar hatten die Korinther dem Apostel eine Frage vorgelegt betreffs des Essens von Fleisch, das als Götzenopfer gedient hatte. In seiner Antwort (Kap. 8) stellt der Apostel in erster Linie fest, daß ein Götze oder ein Götzenbild nichts sei, d. h. nichts wirklich Bestehendes sei, daß also Fleisch, welches solchen Götzen oder Götzenbildern geopfert und geweiht worden, dadurch kein anderes oder unreines Fleisch geworden, sondern Fleisch sei wie von jedem anderen Tiere, und demzufolge nichts Böses daran sei, wenn man von diesem Fleische esse.
So einfach dieses auch für den sein mochte, der die Erkenntnis hatte, so gab es doch augenscheinlich in der Gemeinde in Korinth solche, die in ihrer Erkenntnis nicht so weit waren und die von ihrem Gewissen beunruhigt wurden, wenn sie von solchem Fleische aßen. Solchen sagt Paulus gleichsam: „Gut, dann esset ihr es nicht, denn durch die Speise haben wir vor Gott keinen Vorzug“. Und du, der du keinen Gewissenszweifel hast, solches Fleisch zu essen, du bist für dich selbst frei, soweit es deine eigene Person anbetrifft, aber du solltest nicht an erster Stelle an dich selbst und an deine eigene Freiheit denken, sondern an das Wohlergehen deines Bruders. Wirst du deinen Bruder, den Christus so liebte, daß Er für ihn gestorben ist, wirst du den nicht so viel lieben, daß du dir den kleinen Genuß versagen kannst, Fleisch zu essen, das dem Götzenbilde geopfert ist, wenn dein Bruder dadurch in Gefahr gebracht werden könnte?
Im 9. Kapitel gibt der Apostel sich dann selbst als Vorbild. Er beginnt damit, seine persönliche Freiheit festzustellen und ebenso auch, daß er Rechte besitze. Nicht weniger als siebenmal gebraucht er hier das Wort „Recht“. Er hatte ein Recht (ohne dafür zu zahlen) zu essen und zu trinken, ein Recht, zu heiraten, ein Recht, seinen Beruf fahren zu lassen usw. Warum macht er von diesen seinen Rechten keinen Gebrauch? Die Antwort gibt er im 19. Vers: „Denn wiewohl ich von allem frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, auf daß ich so viele wie möglich gewinne“.
Welch ein Vorbild zur Nachfolge, meine geliebten Geschwister! Wie bestehen wir so oft auf unseren Rechten und Freiheiten! Paulus schließt im 9. Kapitel seine Ausführungen mit den Worten: „Ich zerschlage meinen Leib und führe ihn in Knechtschaft,3 auf daß ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt, selbst verwerflich werde“.
Nun kommt er im 10. Kap. auf die Korinther zurück, um im 14. Verse den Gegenstand des Götzendienstes wieder weiter zu führen. In Vers 19 wiederholt er in Frageform, was wir schon in Kapitel 8 fanden. Er fragt gleichsam: „Bin ich denn jetzt anderer Ansicht, oder sage ich jetzt, daß das einem Götzen Geopferte etwas sei? Oder daß ein Götzenbild etwas sei?“ Und nun kommt er zu der großen und wichtigen Sache, um die es sich handelt: Hinter diesem (an sich nichts seienden) Götzenbilde und in dem an sich nichts seienden Götzenopfer steckt Satan, stecken unter seiner Anführung böse dämonische Geister.
Ja, es gibt tatsächlich ein geheimnisvolles Gebiet von teuflischen Mächten und bösen Geistern, die sich auf alle mögliche Weise mit Menschen, auch mit Gläubigen, in Verbindung zu bringen suchen. Daher ist es, soweit ich verstehe, die Absicht des Heiligen Geistes, uns zu warnen, auf der Hut zu sein vor „Gemeinschaft“ mit dieser dämonischen Geisterwelt, und der Apostel ermahnt: „Fliehet den Götzendienst“ (V. 14).
Damit kommen wir nun zu der Sache, um die es sich hier handelt, nämlich um „Gemeinschaft“ und was „Gemeinschaft“ ist. In diesen sechs Versen (16-21) finden wir viermal die Worte „Gemeinschaft im Sinne von Teilhaberschaft“ und zweimal das Wort „teilhaben“. Der Apostel will sie überführen, daß durch gewisse Handlungen tatsächlich Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht wird.
Zum Beweis dieser Tatsache führt der Apostel drei Beispiele an - drei Beispiele, die er aus den drei Gruppen der Menschheit nimmt: Christen, Juden und Heiden. Er beginnt mit einem Beispiele aus der Gruppe der Christen, indem er ihnen zeigt, daß sie Gemeinschaft mit dem kostbaren für sie vergossenen Blute des Christus haben und mit Seinem für sie dahingegebenen Leib, daß in allen Segnungen, Vorrechten, kurz in allem, was sie genießen, sind und haben, in allem Christus der Kern- und Mittelpunkt für Zeit und Ewigkeil ist.
Und worin brachten die Christen nun diese Gemeinschaft mit Christus zum Ausdruck? Sie sollen selbst die Antwort geben, und er fragt: „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?“ Beachten wir, daß hier nicht vom Trinken des Kelches und nicht vom Essen des Brotes gesprochen wird, auch wird hier nicht zuerst das Brot und dann der Kelch genannt, sondern gerade umgekehrt, erst der Kelch und dann das Brot.
In dem folgenden Kapitel, dem 11., wo es sich um das Abendmahl des Herrn handelt, da geht das Brot dem Kelche voran und da ist vom Essen und Trinken die Rede. Hier handelt es sich aber für den Apostel nicht darum, sie über das Abendmahl, sondern über die Götzenopfer zu belehren und ihnen zu zeigen, was „Gemeinschaft“ bedeutet. Selbstredend haben wir hier in diesen Versen es mit demselben Brot und demselben Kelche zu tun, von welchem im Kapitel 11 die Rede ist. Beide werden aber hier nur als Beispiel gebraucht, um daran zu zeigen, wie, in welcher Weise und wodurch „Gemeinschaft“ an den Tag tritt, Gemeinschaft mit dem Herrn; Gemeinschaft auch miteinander; Gemeinschaft in dem, was alle gemeinschaftlich haben und was alle zu dem gemacht hat, was sie sind; Gemeinschaft in dem Genuß der Segnungen, die alle gemeinschaftlich besitzen und wovon es in dem Liede so schön heißt: „Deren End' ich nirgends seh' “.
Also Gemeinschaft (Teilhaberschaft) des Blutes des Christus und Gemeinschaft des Leibes des Christus finden ihren Ausdruck in dem Kelch, den wir segnen, und in dem Brot, das wir brechen. In ihnen finden wir in Wahrheit den Kernpunkt von allem, was das Christentum kennzeichnet im Gegensatz zum Judentum und Heidentum.
Wird aber mit „Kelch“ im 16. und „Kelch“ im 21. Verse dasselbe gemeint? Oder haben wir im 21. Verse in dem Worte „Kelch“ wieder an einen weiteren Begriff zu denken? Laßt uns darüber nachdenken! Vielleicht bringt es uns zu einem anderen, klareren Verständnis auch von dem, was mit „Tisch des Herrn“ gemeint ist. Und würde es sich nicht auch empfehlen, dabei die bedeutungsvolle Tatsache zu beachten, daß in dieser Schriftstelle „Kelch des Herrn“ und „Kelch der Dämonen“ ebenso wie „Tisch des Herrn“ und „Tisch der Dämonen“ einander vergleichend gegenübergestellt sind? Fragen wir uns selbst, ob bei beiden damit ein gewisser „Kelch“ und ein gewisser „Tisch“ gemeint sein kann oder ob wir hier an ein Ganzes zu denken haben, an Mannigfaltiges, das in einem Worte zusammengefaßt ist.
Euer Bruder im Herrn
M. J. S.
3 Als wir in der Arnheimer Konferenz über dieses Kapitel sprachen, bemerkte ein Bruder, daß im Urtext ein Ausdruck gebraucht wird, der bedeutet: „Ich schleppe ihn am Gürtel hinter mir her“. Der Sinn ist also die unbedingte Unterwerfung.↩︎