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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 17 - Jahrgang 1932
Mt 11 - Einige Gedanken über den TextMt 11 - Einige Gedanken über den Text
Johannes, der Täufer, der große Vorläufer und Wegbereiter des Herrn , sitzt im Gefängnis. Ein gottloses Weib triumphiert über ihn. Im Gefängnis hört er von den Wunderwerken Christi und den Offenbarungen Seiner göttlichen Macht. Er kann nicht verstehen, daß der Herr der Ungerechtigkeit nicht entgegentritt - Sich scheinbar um Seinen Wegbereiter gar nicht kümmert. Zweifel und Fragen ziehen durch sein Herz. Hatte er Ihn nicht in der Kraft des Geistes als den Kommenden bekanntgemacht und angekündigt, daß Er Seine Tenne durch und durch reinigen werde? Und nun - geschah nichts davon! Sünde und Gottlosigkeit herrschten, kein Gericht traf die Widersacher. Enttäuscht, niedergebeugt und unzufrieden über das Verhalten des Herrn , sendet er zwei seiner Jünger zu Jesu und läßt Ihm sagen: „Bist Du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?“
Konnte es ihm fraglich sein, ob Jesus der Kommende sei? Niemals! Hatte er nicht nach der Taufe den Geist Gottes wie eine Taube auf Ihn herabkommen sehen und die Stimme vom Himmel gehört: „Dieser ist Mein geliebter Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen gefunden habe!“? (Mt 3,16.17) War es möglich, daß er jetzt an der Person des Herrn als des Messias zweifeln konnte? Unmöglich!
Die Frage war nicht die Frage des zweifelnden Johannes, sondern des „geärgerten“ - des mit dem Wege und Verhalten des Herrn unzufriedenen Johannes. Ihm schien es nicht am Platze zu sein, daß der Herr jetzt Wunderwerke der Liebe vollbrachte, anstatt das göttliche Gericht über das Böse zu vollziehen. Hatte er Ihn nicht dem Volke angekündigt als Den, der die Worfschaufel schon in der Hand habe, Seine Tenne zu fegen? - Und nun dies gnädige Verhalten des Herrn !
Unzufrieden damit wendet er sich direkt an Ihn: „Bist Du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Er sagt gleichsam: „Es ist doch unmöglich, ein anderer kann doch nicht noch kommen! So nimm denn jetzt die Worfschaufel, fege Deine Tenne, zerbrich die Widerstände, verbrenne die Spreu, richte Dein Königreich auf, sammele den Weizen in Deine Scheune!“
Wohl hatte er Ihn als das „Lamm Gottes“ bezeichnet, aber ach, Johannes verstand ebensowenig wie später die Jünger, daß der Messias leiden, sterben und auferstehen müsse. Er schaute nach der Aufrichtung des Reiches aus, der Herr aber sah weiter. Vor Ihm lag der Weg des „Lammes Gottes“, der Weg der Leiden - die Vollendung der Erlösung.
Und welche Antwort schickt der Herr dem mit Seinem Verhalten unzufriedenen und „geärgerten“ Johannes? „Blinde werden sehend und Lahme wandeln, Aussätzige werden gereinigt und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird gute Botschaft verkündigt; und glückselig ist, wer irgend sich nicht an Mir ärgern wird!“
Wunderbarer Meister! Wie weiß Er den Müden durch ein Wort aufzurichten! Das war die Erfüllung der Weissagung Jesaias (Kap. 35,5ff.; 61,1.2). Mit dem Hinweis auf die Erfüllung der Schrift stärkt Er Seinen schwach gewordenen Vorläufer, auszuharren im Glauben an Ihn, auch dann, wenn er Sein Verhalten nicht versteht, und Er zeigt ihm in dem dann folgenden so liebreichen Tadel eine Glückseligkeit, die er auch im Gefängnis und in der Nacht der Anfechtung erlangen kann.
Wie gut ist der Herr! Wieviel Erbarmen und Mitgefücht finden wir bei Ihm! Haben wir Ihn nicht auch schon so erfahren in Stunden der Dunkelheit und wenn Stürme uns schier zu Boden werfen wollten? Finden wir es nicht so auch bei Mose, als er unter der Last des Volkes ermattete und mutlos zu Jehova sagte: „Warum habe ich nicht Gnade gefunden in Deinen Augen, daß Du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? ... Habe ich es geboren, daß Du zu mir sprichst: Trage es in deinem Busen ...“ (4. Mose 11,11.12) Auch von Mose wich in dieser dunklen Stunde Gottes Güte nicht. Er gab ihm siebzig Männer zur Seite, und obwohl Er Seinen Knecht zurechtwies, so rechtfertigte Er ihn doch vor dem Volke, als Er Mirjam und Aaron über ihre Aussprüche wider Mose beschämte.
So finden wir es auch hier bei Johannes, dem Täufer. Johannes mochte Zurechtweisung empfangen, aber kein Schatten des Tadels fiel auf ihn, als der Herr von ihm zum Volke redete (Vers 7-19). - Als Balak das Volk Gottes unter den Fluch bringen wollte, da mußte der gottlose Bileam segnend rufen: „Er erblickt keine Ungerechtigkeit in
Jakob und sieht kein Unrecht in Israel; Jehova, sein Gott ist mit ihm, und ein Jubelgeschrei wie um einen König ist unter ihm.“ (4. Mose 23,21)
Viel hat der Herr heute auch mit uns über unser Zukurzkommen zu reden. Sein Gericht vollzieht sich jetzt am Hause Gottes. Viele mögen unter Seiner züchtigenden Hand „schwach und krank und ein gut Teil entschlafen sein“, aber von der Welt sind wir geschieden; nie werden wir mit der Welt verurteilt werden (1Kor 11,30.32). An dem großen Tage der Abrechnung mit der Welt, dann wird Er die Seinigen ohne Flecken und Runzel sich darstellen und „verherrlicht werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“. (2Thes 1,10)
Mit Schmerz wendet Sich der Herr dann den Städten zu, die die meisten Wunder Seiner Gnade empfangen hatten. In göttlicher Liebe hatte Er ihnen Sein Herz geöffnet, aber verblendet und verstockt verschmähten sie Ihn und beugten sich nicht über ihre Sünden in Buße. Die Lippen, die mit soviel Gnade zu ihnen geredet hatten, mußten sie jetzt schelten und das Wehe über sie ausrufen. Groß war die Sünde von Tyrus und Sidon - furchtbar die Schuld Sodoms - die Schuld jener Städte war größer. Wären solche Gnadenerweise in Sodom geschehen, es stände heute noch da. Wie furchtbar, wenn Gottes Gnadenangebote verworfen werden und der holdselige Mund nur noch ein Wehe über den Unglauben ausrufen kann! Wer vermag ein solches Wehe zu ertragen? Wer vermag zu bestehen an dem Tage des Zornes des Lammes? Gibt es ein Menschenherz, das nicht erzittert vor dem Wehe und dem Zorne des Lammes über die Verwerfung der so überreich angebotenen Gnade Gottes?
Während unsere Herzen noch unter den Eindrücken der Worte des Herrn und der furchtbaren Verantwortung für empfangene Gnadenangebote stehen, macht uns der Heilige Geist mit dem Lobpreis bekannt, den der Herr inmitten Seiner Verwerfung dem Vater brachte. „Zu jener Zeit“, so lesen wir, „hob Jesus an und sprach: Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß Du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor Dir.“ (V. 25.26) „Zu jener Zeit“, als das Ihm ergebene Herz im Gefängnis unmutig und „geärgert“ über Ihn war - als das leichtfertige, verblendete Geschlecht Ihn einen „Fresser und Weinsäufer“ nannte - als Er von den Empfängern Seiner meisten Gnadentaten verkannt und verworfen war, da wandte Er Sein Auge dem zu, der allein Ihn kannte. Nach außen vollzog sich da, was Jesaja weissagte: „Umsonst habe Ich Mich abgemüht, vergeblich und für nichts Meine Kraft verzehrt; doch Mein Recht ist bei Jehova und Mein Lohn bei Meinem Gott!“ (Jes 49,4) In jener Stunde verkannt, verachtet und verworfen, fand Er Seine Ruhe in Gott und in der Vollkommenheit aller Seiner Wege. „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor Dir.“ Damit bestätigt Er des Vaters Wohlgefallen, Weisen und Klugen das, was Er war, zu verbergen und es den Unmündigen zu offenbaren. Menschenweisheit ist für die Erkenntnis Gottes wertlos. Menschen, die in ihren Augen so klug sind, daß sie Gott beurteilen, denen hat Gott verborgen, was Er solchen offenbart, die den ihnen geziemenden Stand als Unmündige, die keine Kraft und Fähigkeit haben und ganz auf Seine Offenbarung angewiesen sind, einnehmen.
Menschen mochten Ihm ihre Anerkennung entziehen, um so vollkommener trat die Herrlichkeit Seiner Sanftmut, Demut und Abhängigkeit von Seinem Vater hervor. „Ja, Vater“, dies war der Ausdruck der Zustimmung Seines Herzens zu den Wegen Seines Gottes. Wie schwer wird es uns, „ja“ zu dem zu sagen, was unserer Selbstliebe entgegen ist. Seine Seele ruhte in dem Bewußtsein: „Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater, als nur der Sohn, und wem irgend der Sohn Ihn offenbaren will.“ (V. 27)
Nun folgt in völliger Gnade die Einladung an alle, die mühselig und beladen sind, zu Ihm zu kommen. Alle - seien sie im Gefängnis oder inmitten des leichtfertigen Geschlechtes oder der unbußfertigen Städte - alle ruft Er, zu Ihm zu kommen - jedem will Er die Ruhe geben, die er bedarf. - Von Ihm sollen wir Sanftmut und Demut des Herzens lernen. Möchten wir, unter welcher Last wir auch stehen, Seinem Rufe folgen, „Kommet her zu Mir ...!“ (V.28) Er will uns nahe, ganz nahe bei Sich haben. Und ganz nahe müssen wir Ihm sein, wenn wir von Ihm lernen, in Ihm ruhen und Ihm dienen wollen. Wie köstlich ist Sein Wort: „Komm!“ und welche Freude ist es Ihm, wenn wir zu Ihm kommen!
A. v. d. K.