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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
Spr 15,19 – Geistliche Trägheit (1)Spr 15,19 – Geistliche Trägheit (1)
Erkenntnis ist nicht Glaube, und Grundsätze sind nicht Kraft. Das erste kann das zweite nicht ersetzen, wie sehr auch der Heilige Geist Erkenntnis und richtige Grundsätze zu unserer Leitung und Segnung gebrauchen mag. Wenn nicht Glaube und geistliche Kraft sich mit ihnen verbinden, helfen sie nur einen Zustand herbeiführen, den wir wie kaum etwas anderes zu fürchten haben. Wie verhängnisvoll ist es z. B., wenn jemand sich seiner Grundsätze, seiner Prinzipien rühmt, während ihm die Verherrlichung des Herrn Jesus und das Halten Seiner Gebote wenig am Herzen liegen!
Wohl ist es wahr, daß viele Kinder Gottes Schaden an ihren Seelen leiden durch einen Mangel an Verständnis über die in der Schrift geoffenbarten Gedanken Gottes. Aber das ist nicht die Ursache des lahmen Zustandes, in welchem sich so manche Gläubige heute befinden. Sie liegt anderswo.
Die Briefe der Apostel zeigen uns fast ausnahmslos, daß nicht die Erkenntnis der Heiligen es war, was die Aufmerksamkeit der Schreiber zunächst beschäftigte, sondern vielmehr ihr praktischer Zustand hinsichtlich „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“. Erst in zweiter Linie folgen Belehrungen, Ermahnungen, Warnungen usw. So sagt Paulus im Eingang seines ersten Briefes an die Thessalonicher: „Wir danken Gott allezeit für euch alle, indem wir euer erwähnen in unseren Gebeten, unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus.“ Und im Anfang des zweiten Briefes lesen wir: „Wir sind schuldig, Brüder, Gott allezeit für euch zu danken, wie es billig ist, weil euer Glaube überaus wächst und die Liebe jedes einzelnen von euch allen gegeneinander überströmend ist.“ Dann erst folgen in beiden Briefen Belehrungen zur Förderung in der Erkenntnis der Wahrheit Gottes. Im Epheserbrief sagt Paulus: „Weshalb auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben an den Herrn Jesus, der in euch ist, und von der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, nicht aufhöre, für euch zu danken.“ Danach erst bittet er, daß der Vater der Herrlichkeit ihnen den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis Seiner Selbst geben möge, auf daß sie wissen möchten, welches die Hoffnung Seiner Berufung sei usw. (Eph 1,15-23). Schon aus diesen beiden Stellen ersehen wir, wie sehr diejenigen irren, die auf Erkenntnis mehr Gewicht legen als auf Glaube, Liebe und Hoffnung.
In dem Briefe an die Kolosser sagt der gleiche Apostel: „Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit, indem wir für euch beten, nachdem wir gehört haben von eurem Glauben in Christo Jesu und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, wegen der Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln.“ Und in Verbindung damit bittet er für sie, daß sie „erfüllt sein möchten mit der Erkenntnis Seines Willens in aller
Weisheit und geistlichem Verständnis“ (Kap. 1,3-5.9). Auch hat er einen großen Kampf um sie, daß sie nicht zurückbleiben möchten in der Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, und er bemüht sich, sie frei zu machen von dem Einfluß menschlicher Philosophie und jüdischer Überlieferung. Eine Vernunftreligion auf der einen und eine Religion äußerer Formen auf der anderen Seite drohten ihren Glauben zu untergraben. Als Vollendete in Christus Jesus aber, und indem sie Ihn als das Haupt Seines Leibes festhielten, sollten sie befreit werden von den Einflüssen beider.
Ohne diesen interessanten Gegenstand in den apostolischen Schriften hier weiter zu verfolgen, möchten wir jetzt fragen, ob der laodicäische Zustand, der dem Herrn so widerwärtig ist (vgl. Off 3,16), nicht deutlich als die Folge geistlicher Trägheit in unseren Tagen wahrzunehmen ist. Ist das aber der Fall, so haben wir uns weiter zu fragen, inwieweit wir selbst an diesem Zustand teilhaben. In den Briefen der Apostel werden wir immer wieder zum Fleiß ermahnt und vor Trägheit gewarnt. Wir werden aufgefordert, „allen Fleiß“ anzuwenden, um in unserem Glauben die Tugend, in der Tugend die Erkenntnis, in der Erkenntnis die Enthaltsamkeit, das Ausharren, die Gottseligkeit, die Bruderliebe und endlich die Liebe darzureichen. Auf diese Weise werden wir weder träge noch fruchtleer dastehen bezüglich der Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus. Wo aber diese Dinge nicht vorhanden sind, da ist man blind, kurzsichtig und hat die Reinigung seiner vorigen Sünden vergessen. Und der Hebräerbrief ermahnt „einen jeden“ von uns, „denselben Fleiß zu beweisen zur vollen Gewißheit der Hoffnung bis ans Ende“; denn der Genuß unserer „Hoffnung“ steht in Verbindung mit unserem Fleiß im Dienst, ja, mit einem dem Herrn wohlgefälligen Wandel überhaupt (2Pet 1,5-11; Heb 6,11.12). Glücklich deshalb alle, deren Herzen vor Gott geübt sind in bezug auf ihr Wachstum in Glaube, Liebe und Hoffnung!
Eins der ersten Anzeichen, daß innerlich bei dem Gläubigen etwas nicht in Ordnung ist, ist wohl, daß er anfängt, sich vor sich selbst zu entschuldigen, wenn sein Fleiß und seine Hingabe für den Herrn nachlassen. Man hört ihn von Schwierigkeiten reden, die früher nicht für ihn bestanden, von Gefahren, die er früher nicht kannte. Es ist auch leicht genug, Entschuldigungsgründe für diese oder jene Nachlässigkeit zu finden, denn „wegen des Winters mag der Faule nicht pflügen“, und wegen des „Brüllers auf dem Wege, eines Löwen inmitten der Straßen“, hält er es für geratener, zu Hause zu bleiben. (Spr 20,4; 26,13). Es ist nicht schwer, Hindernisse für einen selbstlosen, hingebenden, Gott verherrlichenden Dienst zu entdecken, und wenn dieser Neigung nachgegeben wird, findet sich gar bald ein bequemerer Weg, auf dem man wandeln kann. Das Wort, daß es uns „in bezug auf Christus geschenkt worden ist, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden“, übt bei einem solchen Seelenzustand wenig Einfluß mehr aus, und man kommt sehr bald dahin, an zeitliche Vorteile oder Bequemlichkeiten in dieser Welt zu denken. Ehe man sich's versieht, werden die Pfade göttlicher Weisheit, die doch so voll Lieblichkeit und Frieden sind, verlassen, und die Seele wird matt und dürr. „Hat der Faule seine Hand in die Schüssel gesteckt, beschwerlich wird es ihm, sie zu seinem Munde zurückzubringen.“ (Spr 26,15; 19,24).
Solch geistlich träge Seelen haben nicht nur ihre erste Liebe verlassen, sondern wenden sich auch nach und nach von denen ab, die Gottes Wahrheit festzuhalten begehren. Ein Schlafzustand hat sich ihrer bemächtigt; sie bewegen sich in geistlicher Beziehung nur noch mechanisch und gewohnheitsmäßig, „wie die Tür sich dreht in den Angeln“. Sie gleichen einem schlaftrunkenen Menschen, der sich nicht mehr bewegen mag. Obwohl er alles bemerkt, was um ihn her vorgeht, hat er doch nicht die Energie, sich aufzuraffen. Und trotz all dieser Schwäche und Gleichgültigkeit ist dennoch sehr oft „der Faule weiser in seinen Augen als sieben, die verständig antworten“ (Spr 26,16). Schrecklicher Zustand, wenn die Seele nur noch Wünsche, aber weder Kraft noch Freude mehr hat, so daß sich das Wort erfüllt: „Die Seele des Faulen begehrt, und nichts ist da“ - „denn seine Hände weigern sich, zu arbeiten.“ (Spr 13,4; 21,25).
Ein anderes Zeichen des Lässigen ist, daß er „sein Wild nicht erjagt“ oder, wie andere übersetzen: „nicht brät“ (Spr 12,27). Zu weit oder beschwerlich dünkt ihm der Weg zur Versammlung, zu den Betrachtungen des Wortes Gottes, zum Erjagen der doch so wohlschmeckenden und uns so nötigen Speise. Zu groß erscheint ihm seine Müdigkeit an den Werktags-Abenden (wirklich berechtigte Fälle werden hierdurch natürlich nicht berührt), und leicht hören wir ihn sagen, es habe ja doch keinen Zweck, in die Versammlung zu gehen oder sich persönlich näher mit der Erforschung des Wortes zu befassen. Wie vieles bleibt da unerjagt, ungebraten, was Freude und Kraft bringen würde! Und wie mancher wurde je und je in den Reihen der Gläubigen gefunden, der das „Erjagen seines Wildes“ am Morgen nur selten oder fast nie übte, weder durch das Lesen des Wortes Gottes noch durch das Gebet - zwei Dinge, die doch so eng miteinander verbunden sind!
Lieber Bruder, liebe Schwester, laß dich warnen! Es gilt Schätze zu sammeln für den inwendigen Menschen, Kraft für die Aufgaben des Tages. Wir begegnen Mühen, Nöten, Entscheidungen, dunklen Stunden. Versuchungen zur Sünde, zum Zorn, zur Aufregung, zur Begehrlichkeit und zu vielen anderen Dingen liegen auf dem Wege. Es gibt Lasten zu tragen, Enttäuschungen in den Kauf zu nehmen, Ruhe und Würde zu bewahren, Kränkungen und Verleumdungen über sich ergehen zu lassen und in noch vielen anderen Dingen, sonderlich in der Ausübung der Liebe, geübt und bewährt erfunden zu werden. Woher Kraft, woher Gnade zu alle dem nehmen, wenn das Wild nicht erjagt oder nicht gebraten wird? Denn der Lässige mag sich wohl noch mit den Gläubigen versammeln, auch die Wirkung des mit Frische und Kraft verkündigten Wortes Gottes verspüren, aber, sich selbst überlassen, nehmen die irdischen Dinge ihn wieder so völlig ein, daß er das Gehörte bald wieder vergißt. Wie wenn jemand sich nicht die Mühe nimmt, sein Wildbret zu braten, so bleibt auch für ihn die gehörte Wahrheit nutzlos, weil er zu lässig ist, über sie nachzudenken und sie auf das praktische Leben anzuwenden.
Bezeichnet das nicht den Zustand mancher Gläubigen in unseren Tagen? Das Wort zu lesen oder zu hören ist eine Sache, aber darüber „zu sinnen Tag und Nacht“, zum Nutzen für unsere Seele, ist eine zweite. Die nach dem Gesetz reinen Tiere nahmen nicht nur Speise zu sich, sondern wiederkäuten auch - ein Bild davon, wie das, was unserer Seelen Speise ist, sorgsam verdaut werden muß zur Erhaltung unserer geistlichen Kraft in einem entsprechenden Wandel. (3Mo 11,3).
(Schluß folgt).