Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 16 - Jahrgang 1931
Die Anfangsverse des Matthäusevangeliums
Mt 1,1-17 - Die Anfangsverse des Matthäusevangeliums Gedanken (1)Mt 1,1-17 - Die Anfangsverse des Matthäusevangeliums Gedanken (1)
In dem letzten Kapitel der Offenbarung, dem letzten des Neuen Testaments, erinnert der Herr Jesus die Gläubigen an Seine baldige Wiederkunft, indem Er uns liebend und mahnend zuruft: „Siehe, Ich komme bald!“ Unsere Herzen sollten auf dieses ernste „Siehe“ gerichtet sein. Sein Lohn wird mit Ihm kommen, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird (Off 22,12). „Unsere Verantwortung hienieden ist groß, möchten wir Ihm doch treu nachwandeln, auf Seine liebevoll mahnende Stimme hören und nicht achtlos an einem solchen „Siehe“ vorübergehen, das der Herr Jesus Selber spricht!
Einige Verse weiter umfängt uns die Stimme desselben Herrn mit aufmunternden, tröstenden Worten: „Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, Ich komme bald.“ (V. 20) Wiederum werden unsere Blicke Seiner Wiederkunft entgegengelenkt, aber nicht mehr mit jenem ernsten „Siehe“, sondern mit einem „Ja“, das uns felsenfeste Gewißheit verbürgt, weil es aus Seinem Munde kommt. Es erinnert uns an die unwandelbare Treue Dessen, der alles für uns getan hat. Er wünscht, daß wir Ihm täglich unser ganzes Vertrauen schenken, daß wir in allen Schwierigkeiten auf Ihn hoffen. Er wird wiederkommen, ganz gewiß, und wir dürfen Ihn bald aus den Himmeln erwarten. Er wird nicht mehr lange zögern. Wir rufen Ihm entgegen: „Amen, komm, Herr Jesus!“
Er, der uns diese Verheißung gegeben hat, nennt Sich „die Wurzel und das Geschlecht Davids“ (V. 16). In Ihm haben alle Segnungen, die auf David und sein Volk Bezug haben, ihren Ursprung, zugleich aber ist Er der Sohn Davids dem Fleische nach (s. Röm 1,3). Er ist Davids Sohn und Herr, eine Tatsache, die die ungläubigen Pharisäer zum
Schweigen bringt (Mt 22,41-46), uns aber ob ihrer umfassenden Bedeutung mit Bewunderung und Anbetung erfüllt.
Wenn uns das letzte Kapitel des Neuen Testaments von der Wiederkunft Dessen berichtet, der die Wurzel und das Geschlecht Davids ist, dann erzählt uns das erste Kapitel von dem ersten Kommen des Sohnes Davids auf diese Erde. Eine Unendlichkeit göttlicher Gnade und Liebe auf der einen Seite, eine Welt von Bosheit und Verderbtheit auf seiten des Menschen liegt zwischen diesen beiden Kapiteln. Jede Seite des göttlichen Buches redet vernehmlich davon, unsere Aufgabe ist es, zu lauschen und uns durch Seinen Geist in Seine Gedanken einführen zu lassen. Er redet durch Sein Wort. Möchten wir, Leser wie Schreiber, Ihn allein sprechen lassen!
I. Die Überschrift. „Buch des Geschlechts Jesu Christi“, so beginnt der 1. Vers unseres Evangeliums. Mit ihm erschließt sich uns ein weites Blickfeld in den Bereich der Heiligen Schrift. Wir finden diesen Ausdruck „Buch des Geschlechts“ noch einmal im Worte Gottes, aber nur noch einmal, und zwar in 1Mo 5,119. Dort ist es aber nicht das Buch des Geschlechts Jesu Christi, sondern das Buch von Adams Geschlechtern. Das ist freilich ein Unterschied. Es ist der Unterschied zwischen dem ersten Adam und dem letzten Adam, der Unterschied zwischen dem ersten Menschen, der von der Erde ist, von Staub, und dem zweiten Menschen vom Himmel. Das eine Buch erzählt uns von den Fehlern und der Verantwortung der Menschen, das andere von den vollkommenen Wegen unseres gelobten Herrn auf dieser Erde. Doch diese Tatsache bedarf noch einiger Erläuterungen.
Das erste Buch Mose zerfällt in zehn ungleiche Abschnitte20, deren jeder mit einem Hinweis auf das im Hebräischen „Toledoth“ lautende und in der Elberfelder Übersetzung mit „Geschlechter“ oder „Geschichte“ wiedergegebene Wort eingeleitet wird. Nach dem Schöpfungsbericht, den wir als eine Art Einleitung betrachten dürfen, begegnet Sie umfaßt alles, was bis zum Ende des 4. Kapitels berichtet wird, das heißt, den Menschen im Paradies, den Sündenfall, die Verheißung des Erlösers in dem Weibessamen, sie umfaßt den Brudermord, der ein Bild ist von der Bluttat der Juden (Heb 12,24), die Vermessenheit Lamechs, die in den letzten Tagen wiederum bei den gottlosen Juden gefunden werden wird, sie umfaßt endlich den Gegensatz zwischen den Sethiten und Kainiten, der Familie Gottes und der Welt, - kurzum, im Keime alles das, was in der Tat die Geschichte des Himmels und der Erde in ihrem tiefsten Sinne ausmacht.
In Kapitel 5,1 begegnet uns der Ausdruck „Geschlechter“ zum zweiten Male. Es folgen Kapitel 6,9: „Geschichte“ Noahs; 10,1: „Geschlechter“ der Söhne Noahs; 11,10: „Geschlechter“ Sems; 11,27: „Geschlechter“ Tarahs; 25,12: „Geschlechter“ Ismaels; 25,19: „Geschlechter“ Isaaks; 36,1 (9): „Geschlechter“ Esaus; und endlich zum zehnten und letzten Male Kapitel 37,2: „Geschichte“ Jakobs.
Diese verschiedenen Überschriften werden erst dann dem zugehörigen Abschnitt vorangestellt, wenn von den darin genannten Personen nicht mehr als von einem Vorbild auf Christum die Rede ist (soweit sie überhaupt als Vorbilder in dieser Hinsicht betrachtet werden können), sondern wenn nur noch von ihrer Verantwortung als Menschen dieser Erde berichtet wird. Greifen wir als Beispiel Noah heraus! Er steht in 1Mo 5,29 als Bild Christi, des wahren Trösters, vor unseren Blicken, die Geschichte seiner Verantwortung aber beginnt erst mit jener Überschrift in Kapitel 6,9: Dies ist die Geschichte Noahs. Ähnlich ist es mit Isaak. Isaak als Vorbild Dessen, der in völligem Gehorsam Sein Leben dahingab, finden wir in 1Mo 22. Das 24. Kapitel führt ihn als Vorbild des Bräutigams Seiner Gemeinde ein. Die Geschichte der Verantwortung Isaaks aber, die Geschichte seiner Fehler und Schwächen, beginnt erst mit Kapitel 25,19: Und dies sind die Geschlechter Isaaks, des Sohnes Abrahams.
Alle diese „Toledoth“, diese „Geschlechter“ oder „Geschichten“, werden durch das Buch von „Adams Geschlechtern“ zusammengefaßt; ist es doch die Aufgabe eines jeden Buches, Unterabschnitte zusammenzufassen. Dieses Buch beschreibt uns also in klaren, einfachen Erzählungen die mannigfachen Wege, die der Mensch geht, und spricht ohne Rückhalt von den Fehlern, die Gläubige und Ungläubige in den ersten Jahrtausenden der menschlichen Geschichte begangen haben. Aber es besteht ein Unterschied in diesen Fehlern, die einen führten ins Verderben, sofern keine Buße getan wurde, die andern, die Fehler der Gläubigen, aber riefen wohl ernste Züchtigung hervor, gaben aber auch der erbarmenden Gnade Gottes Gelegenheit, sich zu entfalten. Möchten wir doch mehr aus all diesem lernen!
Wir vermissen noch einen wichtigen Namen in dem Buch von Adams Geschlechtern. Hat Gottes Geist nirgendwo die Überschrift „Geschlechter“ oder „Geschichte Abrahams“ aufzeichnen lassen? Nein, eine Geschichte Abrahams in unserem besonderen Sinne gibt es nicht. Sein Leben wird uns unter dem Titel „Geschlechter Tarahs“ (11,27) mitgeteilt, das erscheint uns merkwürdig, wenn wir daran denken, daß Abraham eine der wichtigsten Personen im Alten Testament überhaupt ist. Wie läßt sich diese Unterlassung dann erklären?
Schlagen wir nunmehr wieder die erste Seite des Neuen Testaments auf, dann finden wir die Lösung. Dort steht im ersten Verse des Matthäusevangeliums der Name Abraham geschrieben, und zwar nicht in Verbindung mit dem Buch von Adams Geschlechtern, sondern dem Buch des Geschlechts Jesu Christi. „Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ Jesus Christus, unser Herr, der eingesetzt war vor den Uranfängen der Erde, ja, von Ewigkeit her (Spr 8,23), der von Sich sagen konnte: „Ehe Abraham ward, bin Ich“ (Joh 8,58), wird hier der Sohn Abrahams genannt! In welche Stellung rückt damit Abraham! Ihm und seinem Samen waren einst die Verheißungen zugesagt worden, der Same aber ist Christus! (Gal 3,16) Da handelt es sich also in unserem Vers nicht mehr um menschliche Verantwortung, sondern um die wunderbare Stellung, in die ein Abraham durch die unumschränkte Gnade Gottes gebracht ist, die Stellung eines Mannes, dem die köstlichsten Verheißungen gegeben wurden, die Gott Menschen anvertrauen konnte.
Verstehen wir nun, daß Abrahams Name in jenen Überschriften des ersten Buches Mose fehlen mußte, wenn er hier genannt wird? „Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ Er ist Davids Sohn und zugleich Davids Herr. Er ist Abrahams Sohn und kann doch von Sich sagen: „Ehe Abraham ward, bin Ich.“ Es ist, als ob der Geist Gottes diese Gegensätze, die keine sind, schon in den ersten Worten des Neuen Testaments andeuten wollte. Er, Jesus Christus, ist Gott und Mensch zugleich, - Gott, geoffenbart im Fleische, ein Geheimnis, zu wunderbar, als daß wir es je erfassen könnten. Wunderbarer Herr! In diesem Geheimnis Deiner Person und seinen Folgerungen liegt unser ewiges Heil. „Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids. des Sohnes Abrahams.“ Diese Überschrift gilt nicht nur dem anschließenden Geschlechtsregister, sondern dem ganzen Matthäusevangelium. Sie deutet in der knappsten Form darauf hin, daß uns dieses Evangelium den Herrn zunächst als den Messias der Juden, den Sohn Davids, offenbart, daß aber infolge der Verwerfung durch das Volk Israel ein weiterer Kreis gezogen wird, der die Nationen miteinbegreift. Das dürfen wir dem Titel „Sohn Abrahams“ entnehmen. In Abraham sollten alle Nationen gesegnet werden, und der Segen Abrahams sollte in Christo Jesu zu den Nationen kommen (Gal 3,8.14). Mochten sich die Juden auf ihren Vater Abraham berufen, indem sie bei sich selbst sagten: wir haben Abraham zum Vater (Mt 3,9); die Tatsache, daß sie nicht Buße taten und sogar Jesum, den Sohn Abrahams, der alle Verheißungen in Sich trug, verwarfen, würde bewirken, daß sie, die Söhne des Reiches, in die äußere Finsternis hinausgeworfen würden, daß aber viele von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische liegen würden (Mt 8,11.12). Die Schlußverse unseres Evangeliums endlich schließen den Kreis, der diese und viele andere Verse mit dem Anfangsverse verbindet, indem dort der Herr den Elfen den Auftrag gibt, alle Nationen zu Jüngern zu machen (Kapitel 28,19). Der göttlich genaue Griffel des Schreibers zeichnet schon im ersten Verse die Ausgangspunkte der Linien, die sich im Laufe des heiligen Berichtes ergeben würden. Er kennzeichnet mit der äußersten Kürze jenen tief bedeutungsvollen Übergang, den der Prophet in die zwei wunderbaren Verse kleidet: „Und nun spricht Jehova, der mich von Mutterleibe an zu Seinem Knechte gebildet hat, um Jakob zu Ihm zurückzubringen - und Israel ist nicht gesammelt worden; aber ich bin geehrt in den Augen Jehovas, und mein Gott ist meine Stärke geworden -, ja, Er spricht: Es ist zu gering, daß du Mein Knecht seiest, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen; Ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um Mein Heil zu sein bis an das Ende der Erde.“ (Jes 49,5.6)
Forts. folgt, s. d. H. w.
19 In der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, steht biblos geneseos = Buch des Geschlechts, derselbe Ausdruck wie hier im Griechischen des Matthäusevangeliums, zweimal: 1Mo 2,4 und 5,1.↩︎
20 Erinnert nicht schon diese Zahl 10 an die Verantwortung des Menschen? uns der Ausdruck „Toledoth“ zum erstenmal in 1. Mose 2,4: Dies ist die „Geschichte“ des Himmels und der Erde. Was enthält denn diese Geschichte des Himmels und der Erde?↩︎