verschiedene Autoren
Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 19 - Jahrgang 1934
Wie kam es? (2)Wie kam es? (2)
(Fortsetzung).
Ohne lange Einleitung und Überleitung aus der vorigen (1). Lieferung möchte ich hier nur kurz darauf hinweisen, daß es mir in diesem Aufsatze darauf ankommt, den tieferen Gründen nachzugehen, wie es kam, daß diese und jene Persönlichkeit aus der Schrift nicht das Ziel erreichte, das ganz offensichtlich Gott ihr gesteckt hatte - daß man seine gottgewollten Vorrechte verscherzte oder einen tiefen Fall tat usw., usw. In Lieferung 1 habe ich mehr als ein Dutzend solcher Möglichkeiten angeführt, wie sie alle mehr oder weniger eine Illustration bilden zu der Stelle, von der ich ausgegangen bin: 1Kor 10,12.
Wir beschäftigten uns zuerst mit Saul und sahen, daß es bei ihm kam - durch Ungehorsam! Sonderlich betrachteten wir 1Sam 15,22-23! - Damit genug der Überleitung zum Heutigen!
Es dürfte jetzt vielleicht mancher an Jonathan denken, und in der Tat: dessen Leben und sein Vorbeigleiten an dem ihm von Gott sicher zugedachten Segenslose ist - so traurig es ist - sehr belangreich. Aber nicht nur ich habe mich früher eingehend mit seiner Person beschäftigt - vgl. Jahrb. 9, Seite 106ff., unter dem Titel „Außerhalb des Lagers“ (Heb 13,13) -, sondern auch Br. A. v. d. K. in dem Aufsatz „Jonathan“, Seite 193ff., Jahrb. 15. Außerdem finden wir in Jahrb. 13, Seite 193ff. schöne Ausführungen über Saul, Jonathan und Mephiboseth. Ich möchte darum hier davon absehen, mein „Wie kam es?“ über dieses Mannes Leben zu schreiben, dessen trauriges Ende mit seinem gottlosen Vater Saul auf Gilboa (1Sam 31) nicht seinem kostbaren Anfang und erstem Fortgang (1Sam 18 usw). entsprach; ich brauche hier nicht mehr zu sagen als das: Es war „das Lager“ mit den Verführungen der Verwandtschaft, der Bequemlichkeit des Hofes, den althergebrachten „Gottesdiensten“ der religiösen Welt, das ihn vielleicht innerlich anwiderte und doch festhielt, das ihn die Beschwerden der Wüste und der Höhle Adullam nicht mittragen ließ, das ihn vielleicht nur schwer, aber doch so fesselte und so beeinflußte - weil er es nämlich nicht gleich, als er es als „böse“ erkannte, verlassen hatte! -, daß er seinen wirklich geliebten Freund David allein lassen konnte „im Walde“ (1Sam 20,43 und 23,18)!! Und so findest du Jonathan nicht in Heb 11. Nur sein „Anfang“ erscheint vorbildlich, sein Ende nimmermehr! Auf Jonathan paßt Heb 13,7 in nichts, weil er nicht zu handeln wagte gemäß Heb 13,13 oder Heb 11,25! - Doch genug mit diesen kurzen Hinweisen! Man lese die angegebenen Aufsätze nach, man wird's nicht ohne Gewinn tun! Wie ernst sind doch die Warnungen, die von dem Ende dieses einst so begnadeten Mannes an uns ergehen! Laßt uns dem nachdenken!
Und nun, im Anschluß hieran, laßt uns eine Frau des Alten Testamentes erwähnen, deren Handlungsweise der des Jonathan ähnelt, wenn man auch sagen muß, daß letzterer zu den Gläubigen des Alten Testamentes gehört, jene Person aber durchaus nicht. Es ist Orpa im Buche Ruth (Kap. 1), sie, die ihrer Schwägerin Ruth zuerst so zu gleichen schien, die dann aber gerade durch den Gegensatz zu Ruth in um so größere Dunkelheit getaucht wird, als diese - eine der Vorfahren Davids und des Herrn, dem Fleische nach! - in strahlender Helligkeit erscheint. Ich frage, „wie kam es“, daß Orpa nach der anfänglichen Bereitwilligkeit, mit ihrer Schwiegermutter Naomi zu ziehen, doch abschwenkte? Waren es die Überredungsversuche der Naomi? Man hat diese dieserwegen zu tadeln versucht, doch glaube ich fest, daß die Vorsichtsmaßregeln der Naomi durchaus am Platze waren, konnte sie doch ihren Schwiegertöchtern wirklich nichts mehr bieten. Vielleicht war sie zu ängstlich, vielleicht hätte sie die beiden die Last der Entbehrung mittragen lassen sollen, ohne sie zu warnen, zumal ein Leben in Israel selbst im Mangel doch mehr sei als ein Leben im Überfluß in Moab? Ich will keine derartige Meinung kritisieren, aber mir scheint, daß ihre Einwände nur zu berechtigt waren, und sie, die doch die Charaktere ihrer beiden Schwiegertöchter am besten kannte, wußte als erfahrene Frau sicher gut genug, wie sie handeln mußte, um jene vor übereilten Schritten zu bewahren. Und sie hat sich nicht geirrt, am wenigsten wohl in der Orpa! Und von Ruth mochte sie im Herzen sowieso mehr erwarten als von Orpa. Diese Prüfung war sicher besser als die Vorwürfe, die ihr eine enttäuschte Orpa später gemacht hätte! „Wie aber kam es“, daß Orpa sich zurückwandte? Und zwar nach einem so guten Anfang? (Jonathan)! (V. 6-10) Hatte Orpa ihre Schwiegermutter etwa nicht lieb? Gewiß! Sie weinte mit (V. 9.14), sie küßte sie sogar beim Abschied, nachdem sie eine große Strecke Weges mitgegangen war. Aber „besser das Ende einer Sache als ihr Anfang“! (Pred 7,8) Eine Strecke Weges ist nicht der ganze Weg, und je länger dieser ist, desto sicherer kommt der Zeitpunkt der Frage: „Soll ich oder soll ich nicht?“ Man kann, je länger der Weg ist, desto besser überlegen, ob's der Mühe wert ist, ihn bis zu Ende mitzugehen, und sicher: Der Feind hat seine „Wegkreuzungen“ und „Wegmarken“, an denen die Seele stehenbleibt, das gegangene Stück überschaut, sich freut der zurückgelegten Strecke, aber auch wünscht, daß der unbequeme, steinige, holprige Weg bald ein Ende haben möchte! Ach, meine lieben Leser, wie trügerisch ist doch des Menschen Herz, wie leicht läßt es sich für eine Zeitlang „religiös interessieren“ - wenn's nur nicht zu lange dauert, nur nichts kostet, nur nicht zu „einseitig“ ist, nur nicht zu sehr das liebe Moab aus den Augen rückt! O Welt mit deinen Schätzen - wie bindest du das Herz! Doch eben nur, wenn man eine Orpa und keine Ruth ist! Gleiche Rechte hatten sie, gleiche Aussichten wie gleiche bevorzugte Vergangenheit (Schwiegertöchter einer gläubigen Naomi zu sein)!, aber keine gleiche Zukunft! Wie so furchtbar ernst! Was wurde aus Ruth! Und was hatte dagegen Orpa erwählt? Ihr Volk und - ihre Götter! (V. 15) Was in ihrem Herzen war, das kam hervor, als die Entscheidung nicht mehr länger hinauszuschieben ging. Erst wenn wir sehen, was Ruth bewegte (V. 16.17), sehen wir auch so recht, wie oberflächlich eine weinende und Naomi küssende Orpa dachte. „Wie kam es“, daß sie zurückging? O nicht durch Naomis Warnungen! Nicht diese waren schuld, sie waren nur die Veranlassung, daß ihr Herz offenbar ward: Sie ging zurück aus Gründen, die in ihrem Hängen an ihren irdischen Beziehungen lagen. Sicher hatte sie bessere Aussichten, in Moab noch einmal Ehefrau und gar Mutter zu werden als - wie sie meinte, in dem armen Israel; sicher waren ihre heimischen „Gottesdienste“ herzerhebender als die in dem, wie in jeder Hinsicht, so auch in religiöser heruntergekommenen Lande Juda. Warum das Sichere für das Unsichere eintauschen? Das „Lager“ rief Jonathan, es rief auch Orpa, wenn auch ein ganz anderes, so doch im Charakter ähnliches! Arme Orpa! Wieviel hast du eingebüßt! „Was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewönne, verlöre aber seine Seele!“ (Mt 16,26) Arme Orpa, du hast deine Seele verloren an die Schätze dieser Welt! Moab war dir mehr als Gottes Volk und Land! Seele verloren - alles verloren! Lesen dies „Orpas“? Laßt euch warnen! Oder sind unter den gläubigen Lesern „Orpaähnliche“? Lassen wir uns ebenfalls warnen! Wie unendlich viel köstlicher, die glückliche Ruth als Vorbild zu betrachten! - 1Kor 10,12; Röm 15,4! - „Wie kam es?“ -
Und nun will ich die heutigen Darlegungen beschließen mit der Nennung jenes Mannes, der den neutestamentlichen Gläubigen angehört, dessen Weg aber - ebenfalls zu Anfang sehr schon! - stets zu den ernstesten Warnungen für uns Gläubige gehört, die es nur geben kann, zumal er ähnlich dem des Jonathan und der Orpa ist. Es ist Demas! Über ihn haben die „Handreichungen“ auch mehrfach geschrieben, so Br. v. d. K. in Jahrb. 14, S. 265 f., unter dem Titel „Demas, Lukas, Markus“, und in weit ausführlicherer Weise ich in Jahrb. 10, S. 211ff., unter der Überschrift: „Eine traurige Lebensgeschichte“. Ich habe diese eingeteilt in die 3 „Bilder“, die uns die Schrift von Demas (und Lukas) gibt in der Steigerung folgender Stellen: 1). Philem. 23.24; 2). Kol 4,14; 3). 2Tim 4,9.10. Indem ich hoffe, daß manche diesen Aufsatz nachlesen können, kann ich mich hier auf wenige Ausführungen beschränken. „Wie kam es“, daß dieser „ Mitarbeiter“ des Paulus so zurückging, daß ihn der schwere Tadel der letzten Stelle treffen muß: „Befleißige dich (Timotheus ist gemeint)!, bald zu mir zu kommen, denn Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hat, und ist nach Thessalonich gegangen ... Lukas ist allein bei mir“ - ja wie kam es? Aber ich möchte nicht so fragen: Wie kam es, daß er den Apostel verließ? Das ist ja klar genug gesagt, und was gesagt ist, ist schon eine unsagbar ernste Warnung für uns: „er hat den jetzigen Zeitlauf (wieder) liebgewonnen“! Ich möchte vielmehr so fragen: Warum gewann ein Demas den jetzigen Zeitlauf (wieder) lieb? In dieser Frage sehen wir die Gefahren für uns verborgen, ich meine, wir sehen, ob auch bei uns Gefahren dieser Art lauern.
Daß er „diesen Zeitlauf“ wieder liebgewonnen, hatte bei ihm zur Folge, daß er den einsamen Paulus noch einsamer (im Gefängnis)! zurückließ, also das Beiwort „mein Mitarbeiter“ für alle Zeiten verlor. Daß er „diesem Zeitlauf“ sich wieder zugewandt, hatte sicher auch die Folge, daß er nun nicht mehr mit dem Apostel leiden mußte, wie es sonst vielleicht zu befürchten war (Ah - Furcht vor Leiden war bei Demas? Gewiß! Und bei uns?). Daß er wieder mit diesem Zeitlauf liebäugelte, brachte ihm vielleicht die Hoffnung auf ein längeres Leben ein - vielleicht unter dem Selbstbetrug, nun noch länger für den Herrn da sein zu können! usw. Aber warum? „Wie kam es“, daß er überhaupt auf „diesen Zeitlauf“ blickte? Nun, es steht nicht da, wie es kam, sagst du. Nein, es steht nicht da und doch ist es in der Schrift zu finden, wie es kommt! Ich glaube, daß „die kleinen Füchse, die den Weinberg verderben“, hier viel Schuld tragen (Hld 2,15), d. h. wir, die wir diesen „kleinen Füchsen“ Spiel- und Wühlraum in unseren Herzen lassen. Solche „kleinen Füchse“ sind z. B-Mangel an Wachsamkeit, Gebetsunlust, Vernachlässigung des Bibellesens, Unachtsamkeit gegenüber „kleinen“ Vergehungen (ein Nichthandeln nach 1Joh 1,9)!, Versäumnisse nach Heb 4,16, aber auch nach Mt 5,23-25, oder nach 2Kor 7,1 u. a. zu verfahren usw. (vgl. übrigens Jahrb. 14, S. 158ff.)!. Und solche „kleinen Füchse“ sind die inneren Ursachen für unsagbar viel Zurückgehen unter uns Gläubigen, für Menschenfurcht (statt Gottesfurcht)!, Leidensscheu, Bekennerangst, Liebäugeln mit Zugeständnissen an die Welt, sonderlich die religiöse, und überhaupt für „Demaswege“. Die „Treue im Kleinen“ ist ein - was uns anbelangt - wunderbarer Schutz gegen „zeitläuftige Infektionskrankheiten“, während von Seiner (Gottes) Seite unentwegt für uns unser großer Hoherpriester und Fürsprecher (Heb 4 u. 1Joh 2,1) eintritt. Gerade deshalb ist aber unser Verhalten nach Heb 4,16 und 1Joh 1,9 so wichtig (s. oben)!. „Wie kam es“ bei Demas zu seinem Aufgeben des Getrenntseins von dem jetzigen Zeitlauf, d. h. von dessen innerem Wesen, zu seiner Leidensscheu und zu dem daraus folgenden Verlassen des Apostels im Gefängnis? Letzten Endes vielleicht daher, weil er im Glaubensblick auf den Herrn nachlässig geworden war, weil er das Sichtbare dem Unsichtbaren vorzog (2Kor 4,16-18 und 5,7)! - in dieser Gefahr waren auch die Hebräer, an die der Hebräerbrief gerichtet ist! - und darum sicherlich der Ermahnung des Herrn vergessen hatte: „Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Versuchung kommet!“ (Mt 26,41)
Wenn wir diese Ermahnung als zu uns geredet annehmen und allezeit beherzigen, so, meine Geliebten, werden wir der Gefahr entgehen, „Demasseelen“ zu werden, was doch gewiß auch keiner von uns werden möchte. Lassen wir uns warnen, seien wir auf der Hut vor uns selbst, die wir uns oft die ärgsten Feinde sind! 1Kor 3,18! Jak 1,22.
Wie kam es? Saul - Jonathan - Orpa - Demas? Welche Reihe, welch schmerzliche Erinnerungen - und es hätte nicht so sein müssen, wie es bei und mit ihnen war! Und keiner von uns muß zu kurz kommen, keiner muß fallen, keiner muß das Ziel verfehlen! Warum nicht? Weil „Gnade da ist zur rechtzeitigen Hilfe“ (Heb 4,16). Laßt uns sie benutzen, und laßt uns „wegblicken von allem, hin auf unseren Herrn, „auf Jesum, den Bahnbrecher und Vollender des Glaubens!“ (Heb 12,2) - Ihm aber sei in allem die Ehre und die Herrlichkeit, in Ewigkeit! Amen.
F. K.
(Fortsetzung folgt, s. G. w).