Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 18 - Jahrgang 1933
Mt 6,6 - Das Gebet im VerborgenenMt 6,6 - Das Gebet im Verborgenen
„Du aber ... bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.“ (Mt 6,6)
Wir alle bedauern es sehr, wenn in der öffentlichen Gebetsstunde Brüder lange Gebete machen, denn dadurch werden oft die Herzen der anwesenden Geschwister unwillig und betrübt. Die alte Natur ist geneigt, sich darüber aufzuregen, und der Geist des freudigen Gebets wird gedämpft. Aber in obiger Stelle handelt es sich nicht um die Gebetsstunde der Gemeinde, sondern um das Gebet im Kämmerlein im Verborgenen, wo man allein mit dem Vater, der ins Verborgene sieht, weilt und Ihm das Herz völlig im Gebet ausschütten kann.
Vieles ist wohl schon über das Gebet im Verborgenen geschrieben und gesprochen worden, aber es ist gut, immer wieder daran zu erinnern, damit wir nicht darin lässig werden. Petrus trug Sorge, die Gläubigen an gewisse Dinge zu erinnern, obwohl sie sie wußten (2Pet 1,12). So haben auch wir uns selbst und auch andere an die Wichtigkeit des verborgenen Betens zu erinnern; denn gerade durch dieses erringen wir Siege über die unsichtbaren, geistlichen Mächte der Finsternis und dürfen für unseren Herrn Herrliches hienieden vollbringen.
Wenn unser Dienst, unser Zeugnis und unsere Arbeit für den Herrn nur immer gründlich im Gebet vorbereitet wären, so wäre unsere Tätigkeit viel erfolgreicher. Wie oft müssen wir klagen, daß unser Zeugnis so kraft-, salz- und saftlos ist - so trocken wie in der Sommerdürre. Wie traurig, so zu arbeiten! Vielleicht entschuldigen wir uns wie die Kinder der Wegführung, die die Arbeit an dem Bau des Hauses Gottes einstellten mit der Bemerkung, daß „die Zeit nicht dazu gekommen sei“. (Haggai 1,2) Wenn alles im verborgenen Gebet vorbereitet wäre, so würden wir herrliche Erfahrungen machen.
Man muß aber bekennen und gestehen, daß das Beten im Verborgenen keine leichte Sache ist, es ist keine Spielerei; viel leichter ist es, auf dem Podium zu stehen und das Wort zu verkündigen, als im Kämmerlein jahraus, jahrein auf den Knien zu verharren. Deswegen gibt es so wenige Gläubige, die sich dieser Art des Betens, diesem Werke der Fürbitte, hingeben. Zunächst ist es unbedingt notwendig, daß wir ein dazu entschiedenes Herz haben. Manche erkennen an, daß das Gebet im Verborgenen äußerst wichtig ist, und hoffen, später im Leben auch einmal damit anzufangen, im allgemeinen aber wird nichts daraus, denn „Wer auf den Wind achtet, wird nicht säen, und wer auf die Wolken sieht, wird nicht ernten“ (Pred 11,4). Deshalb ist es das erste Erfordernis, zum festen Entschluß zu kommen, den Anfang damit zu machen. Das Herz muß entschieden und der Wille völlig dafür sein, dann wird es geschehen, doch ohne Selbstverleugnung wird man in dieser Sache nichts ausrichten. Wenn man aber vor dem Herrn den Anfang gemacht hat und darin verharrt, so wird es zur lieblichen und heiligen Gewohnheit werden, und wir werden fühlen, daß wir das verborgene Gebet im Kämmerlein nicht mehr entbehren können, und die Erfahrung Davids wird auch die unsere sein: „Der Morgendämmerung bin ich zuvorgekommen und habe geschrien.“ (Ps 119,147) Das Gebet ist eine Macht im Leben, ein Halt in schwankenden Stunden, ein Überwinden in Zeiten der listigen Angriffe des Feindes; ja, das Beten im Verborgenen wird vieles erzielen und Berge von Schwierigkeiten zu Ebenen machen.
Nun, wie fängt man das an? Unser Herr Selbst stand frühmorgens auf, als es noch sehr dunkel war, und ging hin an einen wüsten Ort und betete daselbst (Mk 1,35). Hier ist bestimmt ein Fingerzeig für uns; der Herr wollte allein sein im Gebet; im Hause Petrus hätte Er vielleicht kein stilles Plätzchen finden können. Aber Er überwand diese Schwierigkeit und ging hinaus an einen wüsten Ort. Sicher war das eine Seiner Gewohnheiten, wie Er auch die Gewohnheit hatte, am Tage des Sabbats in die Synagoge zu gehen (Lk 4,16). Die Morgenstunde ist gewiß die geeignetste Zeit zum Gebet im Verborgenen, denn wenn man in den Strudel und die Arbeit des Tages kommt, so schwindet der frische Morgentau an der Seele hin, das Manna ist zerschmolzen von der Glut der Sonne. Abends ist man müde, der Kopf ist schwer und der Geist nicht frisch. Deshalb ist es gut, eine stille Zeit in der Frühe zu haben. Sollte es nicht möglich sein, wenigstens eine Viertelstunde früher aufzustehen, um das Angesicht des Herrn im Verborgenen zu suchen, als es sonst nötig wäre, um an die Arbeit zu gehen? Wenn das
Gebetsleben nichts kostet, so ist es nicht viel wert. Doch betonen wir wieder, daß der ganze Mensch mit dem Willen und dem Herzen dabei sein muß, sonst wird man es früher oder später einstellen.
Sicher gibt es teure Seelen, die im Verborgenen beten; wohl erzählen sie nichts davon, das ist ein Geheimnis zwischen dem Herrn und ihrem eigenen Herzen; aber solche sind ein Segen und ein Salz für die Gemeinde, in welcher sie sich befinden. Wenn nur eine solche verborgen betende Seele in jeder Gemeinde wäre, so wäre das wie der Jubelschall um einen König in ihrer Mitte (4Mo 23,21). Es sind Gemeinden, die vorwärts schreiten und wieder andere, die wie Schmerzenskinder sind. Worin liegt denn der Unterschied? Vielleicht erfahren wir an jenem Tage, daß in der wachsenden Gemeinde eine oder mehrere Seelen waren, die verborgenes Gebetsleben führten. Man wußte nichts von ihrer geheimen Tätigkeit im Kämmerlein, aber die Frucht des verborgenen Betens wurde sichtbar, obwohl die Wurzel unter der Erde blieb. Gemeinden, die ihr Dasein kümmerlich fristen, haben kaum solche in ihrer Mitte, die diesen verborgenen Dienst tun.
Es sind ganz gewiß viele Gläubige, die noch nicht wissen, wie wichtig das verborgene Beten ist, denn sie haben kaum etwas davon selbst erlebt. Wohl beten sie oberflächlich, aber ein Gebetskampf im Kämmerlein ist ihnen unbekannt. Mögen solche nun aufgemuntert werden, den richtigen Anfang zu machen und darin auszuharren! Sie würden erfahren, daß eine geheimnisvolle geistliche Kraft sich allmählich offenbart, daß des Herrn Werk gedeiht, daß der Heilige Geist mehr Licht und Klarheit über das Wort gibt, daß sie ein inniges Verhältnis mit dem Herrn genießen und daß ihre Herzen getrost und freudig bleiben können auch in stürmischsten Tagen. Das Leben gestaltet sich anders, und ihr Zeugnis für den Herrn erweist sich in Kraft. Andere Gläubige merken bald, daß solche im Verborgenen betenden Seelen einen himmlischen Duft an sich tragen und ausbreiten.
Ja, Wunder der Gnade würden sich offenbaren, wenn man nur bereit wäre, dieses Wort des Herrn in bezug auf das Gebet im Verborgenen zu befolgen. Hier braucht man keine besondere Gabe zu haben, sondern ein williges Herz und einen festen Sinn. Der Herr fügt noch hinzu: „Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.“ (Mt 6,6) Nur soll das nicht ab und zu geschehen, wenn man sich gerade in einer passenden Stimmung befindet (das kann ja auch geschehen), sondern es soll bestimmt eine tägliche Gewohnheit sein, wie es bei dem Propheten Daniel in Babylon war (Dan 6,11), dann kann man auch im Gebet ausharren, wenn, menschlich zu reden, keine Aussicht auf Erhörung vorhanden ist; man blickt auf den Herrn, denn Er ist allmächtig, und mit Ihm sind alle Dinge möglich.
F. Btchr.