Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 9 -Jahrgang 1923/24
Zwei schlichte WahrheitenZwei schlichte Wahrheiten
Diese zwei Dinge, die ich hier kennzeichnen möchte, sind von großem Werte für das praktische Gemeinschaftsleben der Kinder Gottes, sie dienen dazu, „die Einheit zu bewahren in dem Bande des Friedens“ (Eph 4,3), und sie verhindern, wenn jeder sie erkennt und anwendet, ein gut Teil Unfrieden, wie er so leicht entsteht unter uns Gläubigen.
Die erste dieser beiden Wahrheiten ist folgende: Einerlei Gesinnung bedeutet nicht einerlei Erkenntnis. Zu einerlei Gesinnung werden wir nachdrücklich in der Schrift ermahnt, besonders in dem so kostbaren Philipperbrief, z. B. Kap. 2,2 u. 20, und in 2,5ff. wird uns gezeigt, daß unsere
Gesinnung der des Herrn Jesus entsprechend sein soll, indem es die
Gesinnung der Demut, Selbsterniedrigung, Hingabe usw. sei, die unter uns
Herrschen solle. Und dabei ist es einerlei, wie alt wir im Glauben sind:
in dieser Art Gesinnung können wir einmütig sein, denn der Geist Jesu
Christi wohnt doch in uns, wir sind Tempel des Heiligen Geistes
geworden, und des Geistes vornehmste Tätigkeit ist die, Christus in uns
und vor uns zu verHerrlichen (Joh 16,14). Aber Erkenntnis ist durchaus
abhängig von unserem Wachstum im Glauben. Einerlei Erkenntnis in allen
möglichen, ja auch nur schon in wenigen Punkten der Wahrheit kann nicht
gut vorhanden sein, da wir alle verschiedene geistliche
Entwickelungsstufen durchgemacht haben, ja schon eine in ihren
Einzelheiten ganz verschiedene geistliche Geburt erlebten und unter
verschiedenen Umständen geistlich aufwuchsen, nicht in uniformierter
Entwicklung gleichmäßig vorwärts kamen wie etwa Soldaten auf dem
Kasernenhof, sondern jeder nach seiner Eigenart vom Herrn besonders
ausgebildet wurde und wird. Erst dann, wenn wir bei Ihm sind, sind wir
wirklich und völlig hingelangt zu einerlei Erkenntnis (Eph 4,13); bis
dahin wirken die mannigsfachsten Kräfte und Gaben an unserem inneren
Erkenntnisaufbau, und je nach unserer Auffassungs- und
Anpassungsfähigkeit, aber auch je nach unserem Gehorsam und
Gehorchenwollen wachsen wir teils schneller, teils langsamer in der
Erkenntnis und in dem aus der gesunden Erkenntnis heraus sich
entwickelnden praktischen Leben. Erkenntnis ist nicht das gleiche wie
Gesinnung. Ein schwaches, geistlich noch sehr ungelehrtes Kind Gottes
mag viel tiefer in der Kostbarkeit der Gesinnung des Herrn in Demut,
Liebe und Hingabe vorgeschritten sein als ein anderes, das vielleicht ob
seiner hohen Erkenntnis sich aufbläht (1Kor 8,1). Es sollte uns nicht
schwer fallen, gleichgesinnt zu sein, wenn's uns auch schwer ist, in dem
Wachstum der Erkenntnis gleichen Schritt miteinander zu halten. Wenn wir
aber in der gleichen Gesinnung, der Gesinnung des Herrn Jesus Christus,
uns üben, so werden wir einander tragen und uns Zurechtbringen können,
uns ermahnen können „durch die Sanftmut und Gelindigkeit des Christus“
(2Kor 10,1.2), uns nicht gegenseitig wehe tun noch „beißen und fressen“
(Gal 5,15), sondern auch bei verschiedener Erkenntnis (sofern es sich
nicht um falsche Lehren, welche die Grundlagen antasten, handelt, Lehren
und Dinge, die natürlich gerichtet werden müssen) einander beistehen
oder wenigstens friedlich nebeneinander hergehen können, indem wir uns
dessen bewußt sind: nur „die Liebe erbaut“. (
Noch einmal: Verwechseln wir nie Gesinnung und Erkenntnis! Beides ist wichtig und unerläßlich für uns (2Pet 3,18); aber während wir einerlei Erkenntnis in vielen Dingen hienieden mit den wenigsten Brüdern nur haben und genießen können, ist einerlei Gesinnung mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen, kein so schwer erreichbares Gut, wenn wir nur den Heiligen Geist in uns nicht betrüben (Eph 4,30) und Ihm nicht im Wege sind, uns in das Bild Christi hineinzuverwandeln (2Kor 3,18), indem wir Seine Herrlichkeit anschauen, die sich hienieden am wunderbarsten offenbarte in Seiner Sich Selbst zu nichts machenden Demut und völligen freiwilligen Hingabe und Abhängigkeit von Seinem Gott und Vater. (Phil 2,5ff.; vgl. Frage 3 ds. Js).
Der zweiten schlichten Wahrheit möchte ich Ausdruck geben durch folgenden Grundsatz: Verlange nie von anderen, daß sie im Lichte deines Gewissens wandeln! - Mit anderen Worten: du hast dein Gewissen von irgend einer Sache, und daß du es so und nicht anders hast, ist sowohl Gnade als auch eine Sache deiner schwachen oder geförderten oder gereiften Erkenntnis - und der andere hat auch sein Gewissen davon, und von ihm fordern wollen, daß er in jener Sache handelt wie du, hieße sein Gewissen vergewaltigen! Welch ernste Unterweisungen geben uns hierin Röm 14 u. 15 und 1Kor 8 u. 10! Wieviel ist in dieser Hinsicht schon gesündigt worden, wie oft die Liebe verletzt, wie oft üble Nachrede gepflogen, wie leicht die Ehre eines anderen in den Schmutz gezogen, statt daß einer den anderen höher geachtet hätte denn sich selbst. Beispiele zu nennen erübrigt sich angesichts der in jenen genannten Kapiteln der Schrift angeführten. Es ist sehr ernst, daß die Schrift nicht bei jeder und jeder Sache sagt „dies darfst du, dies darfst du nicht“, sondern daß sie es in manchen Dingen - aber gewiß nicht überall - dem geistlichen Verständnis des Gläubigen überläßt, das Rechte zu tun, d. h. das, was seinem inneren Erkennen gemäß das Rechte ist, was aber in solch einer zweifelhaften Sache für einen anderen ein ganz anderes, vielleicht sogar sündiges Aussehen hat. Ob einer dies oder jenes tut - er tue es dem Herrn nach Röm 14,6-8, und die Gläubigen, die anders in dem betreffenden Punkte denken und handeln würden, auch sie mögen es dem Herrn tun - aber wie traurig, wenn da menschliche Gesetze aufgerichtet werden und man den Bruder verurteilt in einer in der Schrift durchaus offen gelassenen Sache (Röm 14,12-18) und einen Rückschluß auf seinen Herzenszustand vornimmt, weil er nicht so gehandelt habe, wie man selber es für richtig gehalten hatte. Fast wird es mir schwer, hier nicht praktische Beispiele anzuführen, aber es ist besser, es zu unterlassen, damit keinem wehe getan werde. Leider liegen die Beispiele reichlich geradezu auf der Hand. O, geliebte Geschwister, laßt uns der Schrift und der Gesinnung Christi gemäß einander achten, und nicht nur das, sondern auch nicht gering von- und übereinander denken, wenn nicht jeder handelt so, wie andere es für sich für richtig halten in an sich nebensächlichen Dingen des praktischen Wandels. (Bestimmte Stücke der Lehre der Apostel und klar als Sünde bezeichnete Dinge gehören natürlich nicht hierher)! Laßt uns einander tragen und anerkennen und stets zuerst und solange wie irgend möglich nur das Beste voneinander denken und loben, was irgend zu loben ist (Phil 4,8f.)!, und laßt uns uns selber nie zum Gewissen des Bruders machen!
Geliebte, möchte der Herr Gnade geben, daß diese beiden einfachen Wahrheiten uns sozusagen in Fleisch und Blut übergehen, es würde sehr zum praktischen Frieden untereinander, besonders innerhalb der einzelnen Kreise, beitragen und dadurch zur VerHerrlichung des Herrn, und die Welt würde etwas weniger berechtigten Anlaß haben, sich über die Christen aufzuhalten und würde eher dazu gezwungen sein, wie in dem ersten christlichen Zeitalter, erstaunt zu sagen: Wie haben sie einander so lieb!
Ja, möchte mehr unter uns Ps 133 verwirklicht werden! Der Herr gebe uns Gnade dazu! „Er gibt größere Gnade!“ (Jak 4,6). Laßt uns sie nur auch im Glaubensgehorsam nehmen und gebrauchen!
F. K.