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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 7 -Jahrgang 1920
Heb 11,26; Jos 5,9 - „Die Schmach Christi und die Schande Ägyptens“Heb 11,26; Jos 5,9 - „Die Schmach Christi und die Schande Ägyptens“
In der Schrift lesen wir von der „Schmach Christi“ und von der „Schande Ägyptens“. Es ist kaum nötig zu sagen, daß diese beiden ganz verschieden sind. Die erstere sollte jeder Gläubige erwarten, die letztere sollte er fliehen. Wir lesen von Mose (Heb 11,26): er hielt die Schmach Christi für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens.
Mose war, wie die Menschen sagen würden, durch einen glücklichen Zufall der Sohn der Tochter Pharaos geworden, in eine einflußreiche Stellung gekommen und somit, nach dem natürlichen Urteil, durch die Vorsehung Gottes bestimmt, die schwere Lage seiner Brüder zu erleichtern.
Aber die Urteile der Natur und des Glaubens sind in ihrem Wesen ganz verschieden, weil sie von ganz verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen. Wie wir auch das Verhalten Moses nach den Berichten des Allen Testaments beurteilen mögen, aus dem Neuen Testament ersehen wir, wie der Heilige Geist sein Verhalten beurteilt; dort lesen wir: „Als er groß geworden war, weigerte er sich, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen.“ Warum? Er fühlte, wie unangemessen es für ihn war, die Gunst jener zu empfangen, die seine Brüder unterdrückten.
Seine Brüder waren Sklaven, aber er verband sich mit ihnen, obwohl der natürliche Verstand ihm sagen mußte: Wenn du dies tust, so kannst du alles verlieren, aber nichts gewinnen; und du zerstörst dir damit auch jeden Einfluß, den du jetzt noch zu ihren Gunsten ausüben kannst. Und weshalb wählte er solchen Weg? Einfach deshalb, weil sie Gottes Volk waren. Das war genug für ihn. Gewiß, sie waren arm, verachtet und niedergetreten von ihren Unterdrückern, aber sie waren Gottes Volk, und nichts mehr änderte seinen Entschluß.
Dieses, so sagt uns der Heilige Geist, tat er durch Glauben. Der Glaube wirkte in seiner Seele. Er sah über den Glanz des königlichen Hofes hinweg und schaute hin auf die Belohnung. Die Folgen dieses Weges mochten Leiden, Verfolgung und die Flucht aus Ägypten sein, aber „er hielt standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren“. Ein Bleiben in der Ruhe, in der Bequemlichkeit, im Luxus wäre für ihn nach den ernsten Worten der Schrift ein Bleiben in der „zeitlichen Ergötzung der Sünde“ gewesen. Durch den Glauben blickte er über die vergänglichen Dinge der Zeit hinweg hinein in die Ewigkeit und sah, daß die Schmach Christi weit wertvoller war als die Schätze und die Ehre Ägyptens, diese verlockenden Dinge, die die Welt heute noch den Kindern Gottes anbietet.
Wir wissen nicht, wieviel Moses damals von Christus wußte, denn die Schatten und Vorbilder von Christus waren zu jener Zeit noch spärlich, aber die Schrift kennzeichnet seinen Glauben als eine solche bewegende und entscheidende Kraft in ihm, daß sie sagt: „Er hielt die Schmach Christi für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens.“6
Bei dem schwach schimmernden Lichte jener Tage konnte das damalige Verständnis Moses von Christo nicht groß sein, wir aber besitzen das volle Licht. Wir wissen, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat (1Joh 5,20). Wir besitzen die Erkenntnis der Liebe Gottes, besitzen die Vergebung unserer Sünden und wissen uns als Kinder Gottes, die angenehm gemacht sind in dem Geliebten. In unsere Herzen ist der Heilige Geist gesandt, uns alle Reichtümer der Gedanken der Liebe mitzuteilen. So geehrt auch Mose war in seinen Tagen, er war nur ein Diener; wir aber sind Söhne, Erben und Miterben Christi! Wieviel stärkere und innigere Bande verbinden uns mit Christus als Mose. Um wieviel höher sollten wir deshalb auch die Schmach Christi achten als den Beifall und die Ehre, die diese arme Welt uns bietet! Zwischen der Welt und Christus gibt es keine Verbindung. Hier ist eine scharfe Scheidelinie. „Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1Joh 2,15). „Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, stellt sich als Feind Gottes dar“ (Jak 4,4). Steht nicht der Tod Christi zwischen uns und der Welt? Stehen wir abseils von ihren Verbindungen, ihrer Politik, ihrer Freundschaft, ihrer Ehre? Wenn unser Herz nicht von der Welt und dem, was Ehre in der Welt ist, gelöst ist, so haben wir keine Kraft für den Weg der Absonderung, und wir werden suchen, die Schmach Christi zu umgehen. Gewiß es ist ein Weg, auf dem wir beschimpft, als Beschränkte und Scheinheilige angesehen werden, selbst von solchen, die bekennen, Christen zu sein; aber kann uns das überraschen?
Kann die Welt, die unseren Herrn haßt, Seine Knechte lieben? „Wenn ihr im Namen Christi geschmäht werdet, glückselig seid ihr“ (1Pet 4,14). „So wir mit Ihm ausharren, werden wir auch mit Ihm herrschen“ (2Tim 2,12). Der Weg der Verwerfung und der Absonderung ist der Weg der wirklichen himmlischen Freude, und glücklich sind wir, wenn, durch Seine Gnade, wir wie Mose ihn wandeln nach der freien eigenen Wahl des Glaubens.
Die Schande Ägyptens (Jos 5,9) ist etwas ganz anderes, als was wir bisher betrachteten. Die Kinder Israel waren 40 Jahre durch die Wüste gewandert und hatten nun den Jordan überschritten, um das verheißene Land in Besitz zu nehmen. Jene Männer, die einst geklagt hatten, daß sie aus Ägypten geführt und ihre Kinder eine Beute der Feinde werden würden, waren in der Wüste gestorben. Diese Kinder waren jetzt zu Kriegsmännern herangewachsen und wurden von Josua geführt. Aber sie waren unbeschnitten, und ehe sie weiter gehen konnten, mußte die Beschneidung an ihnen vollzogen werden. Mit dieser Beschneidung wurde die Schande Ägyptens von ihnen abgewälzt.
In der Beschneidung zeigt Gott uns vorbildlich, daß, wenn Er uns segnen will, das Fleisch abgeschnitten, in den Tod gegeben werden muß. Die Beschneidung trennt uns von dem ganzen Gebiete des Fleisches. In ihr sehen wir die Beseitigung des ersten Menschen durch das Kreuz Christi und die Einführung des neuen Menschen, mit welchem wir verbunden sind.
Die Kinder Israel hatten zu kämpfen, um in den Besitz dessen, was ihnen von Gott bestimmt war, zu gelangen. Bei uns ist es anders, auch wir kämpfen, aber nicht um in den Besitz zu gelangen, sondern damit uns die Freude des Besitzes der himmlischen Segnungen nicht genommen werde. Sie führten den Kampf als Offensive (Angriff), wir als Defensive
(Verteidigung), sie wider Fleisch und Blut, wir wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern (Eph 6,12).
Um in Wirklichkeit den Genuß unserer geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern zu haben, muß gleich wie bei ihnen, so auch bei uns das Fleisch, der erste Mensch, beiseite gesetzt sein. Wir sind allgemein wohl bereit, die Früchte der bösen Natur, die Sünde in ihrer tausendfachen Art, als ein Hindernis anzusehen, aber sind wir auch bereit, das Schöne, Talentvolle und Liebenswürdige des alten Menschen als Hindernisse für die himmlischen Segnungen anzusehen? So ist es aber: „der natürliche Mensch nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist.“ (1. Kor. 2,14).
Unterlassen wir dieses „Beiseitesetzen“ des alten Menschen und der mit ihm verbundenen Dinge, seiner Religion, seiner Schöne, seiner Talente als auch seiner Lüste, so laden wir in den Augen Gottes die Schande Ägyptens auf uns, und sie hindert uns am Eintreten in die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes, an der Freude der Segnungen, die an der Stätte gefunden werden, wo nichts vom Menschen noch von seinem Glanze zu sehen ist, wo weder Grieche noch Jude, sondern wo allein Christus alles und in allen ist (Kol 3,11).
Genau in dem Verhältnis, wie die Schande Ägyptens von uns abgewälzt ist, kommt die Schmach Christi auf uns. Je mehr wir dieser Welt entfremdet werden, desto mehr werden wir uns in Gottes Gegenwart heimisch fühlen; je mehr wir in unserem Charakter als Fremdlinge und Pilgrime in dieser Welt wandeln, desto mehr werden wir die himmlischen Freuden genießen und Ihm treu sein. Das eine ist immer rückwirkend auf das andere, sie stehen in Wechselbeziehung zueinander.
Der Heilige Geist redet ernst zu unseren Herzen. Er will uns dahin führen, die Schande Ägyptens abzuwälzen und den ersten Menschen in seiner mannigfachen, dem Fleische angenehmen Gestalt im Tode zu halten, damit wir den Segen der Schmach Christi genießen können. Möchten wir dem Wirken des Heiligen Geistes nicht durch ein Hinschielen nach der Schande Ägyptens hemmend im Wege stehen! Unser Verlust wäre groß!
P. (v. d. K).
6 Mose hatte erfaßt, daß dies geschmähte Volk Gottes Volk war. Es war für ihn sicher, daß Gott dies Volk erwählt hatte und daß Er alle Seine herrlichen Pläne mit Seinem Volke zur Ausführung bringen würde. So schaute sein Glaube in dem schwachen Lichte der Verheißungen schon den kommenden Retter Gottes. Seine Demut war so groß, daß er sich wohl als die Hand, aber nicht sich selbst als den Retter ansah; ohne Zweifel hatte er das Bewußtsein, daß er ein Werkzeug in der Hand des Retters sein würde, denn wir lesen in Apg 7,25: Er meinte, seine Brüder würden verstehen, daß Gott durch seine Hand ihnen Rettung gäbe. Gewiß, in jener Stunde handelte er in fleischlichem Eifer, und er mußte noch in Gottes Schule gehen, aber doch war der Glaube die Ursache seines Eifers. Die Schmach, die dem Volke von den Ägyptern angetan wurde, war ihm nicht nur Schmach des Volkes und Schmach ihm persönlich, sondern vielmehr die Schmach Dessen, der mit diesem Volke verbunden war - Christus. Sein Glaube sah schon etwas von der Liebe Gottes und der Verbindung Christi mit Israel, wie wir sie aus dem Worte Hoseas (11,1) ersehen „Aus Ägypten habe Ich Meinen Sohn gerufen“, welches sowohl auf Israel als auch auf Christus Anwendung findet. Israel war Gottes Erstgeborener, den Er aus Ägypten zog, aber erst in der Verbindung mit Christo findet Israel seine wahre Darstellung vor Gott und Menschen. Hiervon mußte Moses Glaube etwas geschaut haben. Er wählte deshalb, ein Teilnehmer dieser Schmach zu sein, um auch an der Belohnung am Tage Seiner Herrlichkeit teilzuhaben. - Heute ist es nicht Israel, sondern ein anderes Volk, welches die Schmach Christi trägt. Wohl denen, die heute freiwillig wählen, Teilnehmer dieser Schmach zu sein! v. d. K.↩︎