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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
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Handreichungen Band 22 - Jahrgang 1937
Ein Brief von Johannes WarnsEin Brief von Johannes Warns
Zehn Tage vor seinem Heimgang sandte mir unser lieber, heimgegangener Bruder den nachstehenden Brief, den er seiner Frau vom Bett aus diktierte. Dieser Brief zeigt sein klares Erfassen der aus falschen Schriftauslegungen entstehenden verkehrten Ideen. Unsere Leser wird sicherlich dieses Schreiben interessieren.
Als ich seine Zeilen erhielt, kam mir zum erstenmal deutlich zum Bewußtsein, daß unser Bruder schwerkrank war und sein Zustand sehr besorgniserregend sein müsse. Vier Tage später, also am 21. Januar, rief ich in Wiedenest an, um Johannes Warns zu seinem Geburtstag meinen Glückwunsch auszusprechen. Von seiner Frau hörte ich, daß er das Bett nicht verlassen könne und sein Augenlicht bedeutend abgenommen habe. Sechs Tage später ging er heim. Obwohl ich das Schwerste befürchtete, hat mich diese Mitteilung tief erschüttert. Es gibt Augenblicke in unserem Leben, für die wir keine Worte haben. Wir stehen gebeugten Hauptes vor unserem Gott, der die Liebe ist, und können nur sagen: „Denen, die Gott lieben, muß alles zum besten dienen.“
Chr. Schatz.
Wiedenest, den 17. 1. 1937.
Lieber Christian!
Da ich schon eine ganze Woche fest zu Bett liege, muß ich diesen Brief meiner Frau diktieren.
Am letzten Sonntagabend überfiel mich ein abscheulicher Brustkrampf, der 12 Stunden anhielt und von einer 12stündigen Atemnot gefolgt war. Das war der Anfang einer schweren Grippe mit hohem Fieber. Es waren böse Tage und noch schlimmere Nächte. Nun bin ich aber, wie es scheint, fieberfrei, wenigstens zeigt das Thermometer nur 37,6o. Da will ich Dir nun zunächst meinen herzlichsten Dank sagen für die feine Einleitung ins Neue Testament von Feine-Behm. Ich werde mich, sobald ich am Schreibtisch sitzen kann, in das Buch vertiefen. Ich werde dann auch versuchen, einen Artikel zu schreiben über die Irrlehren, die X. veranlassen, in der letzten Nummer des ... Blattes nach 2. Joh. zu verfahren. Ich kann nicht begreifen, wie alte Lehrbrüder, die mehr als 50 Jahre die Bibel gelesen haben, so wenig zwischen Wesen und Bild zu unterscheiden imstande sind. An vielen Stellen bezeichnet doch „ist“ nicht das Wesen an sich, sondern dient zur Anknüpfung eines Vergleiches. „Ich bin“ der Weinstock, „Ich bin“ der Gute Hirte. Christus „ist“ das Lamm usw. Wenn es nun wirklich so wäre, daß der Vergleich des Bräutigams und des Hirten in der Heiligen Schrift nur auf Israel angewandt wäre, so hätten wir durchaus ein Recht, diese Bilder auch auf Christus und die Gemeinde oder auf Christus und die einzelne Seele anzuwenden. Denn was dadurch ausgedrückt werden soll, bleibt auch für uns eine unumstößliche Wahrheit. Das Bild des Bräutigams soll die Beziehung der Liebe und der Treue betonen. Das Bild des Hirten die treue Fürsorge und Leitung, die der Herr den Seinen gewährt. Das Bild des Weinstocks die organisch Lebensverbindung. Keines der Bilder darf gepreßt werden. Das Bild des Bräutigams schließt alle Gedanken an Ehe und Heirat aus. Weder der persönliche Christus noch Christus mit Seiner Gemeinde werden eine Ehe mit den Juden vollziehen. Israel ist Braut, insofern es sich in bräutlicher Liebe von allen Götzen abwendet und sich nur an den Herrn hält. So kann Paulus auch von der Gemeinde sagen, daß er sie Christus als eine reine Jungfrau darzustellen sich bemühe, oder das Bild der Ehe von Christus und der Gemeinde gebrauchen. Beide lieben Brüder, N. und N., sind zu wenig theologisch gebildet, um sich von der Verwendung von Tropen, Bildern, Gleichnissen, Parabeln, Allegorien für dogmatische Lehren fernzuhalten. Es ist die alte Methode, wenn andere Beweise fehlen, den Weg der Allegorie zu beschreiten. X. hat ganz recht, wenn er die Lieder vom Guten Hirten und vom Warten der Braut weiter singt. Ich tue es auch. Aber er sollte das „ist“ nicht pressen und zu sehr seiner Phantasie freien Lauf lassen, was ich ihm schon oft gesagt habe. N. steht unter dem Einfluß einer in Amerika sehr beliebten Schrifterklärungsmethode. Die äußerste Konsequenz davon sehen wir bei Knoch. Die Anfänge bei Bullinger. Da soll bei jedem Ausdruck festgestellt werden, welches die einzig erlaubte Anwendung ist. Mir kommt es immer so vor, als wenn statt gründlicher Studien eine Art Rechenschieber, Logarithmentafel und zuletzt eine Kartothek gebraucht wird. Das klingt sehr gelehrt und imponiert vielen, ist aber noch lange nicht eine pneumatische Schriftexegese.
N. hat sicher recht, daß oft sehr falsch gebetet wird. Daß man z. B. um Dinge bittet, die längst gegeben sind; daß man Gott bittet, etwas zu tun, was Gott von uns erwartet zu tun usw. Nur übertreibt er augenscheinlich auch hierin. Mir ist aber ganz sicher, daß Gott Sich durch ein dogmatisch oder grammatisch nicht ganz korrektes Gebet nicht hindern läßt, den Beter zu erhören.
Mit herzlichem Gruß von Haus zu Haus Dein getreuer gez. H. Warns.
Erstellt: 24.05.2024 23:14