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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 22 - Jahrgang 1937
1Mo 22 - Die Einzigartigkeit des Opfers von Morija1Mo 22 - Die Einzigartigkeit des Opfers von Morija
23Glaube ist Wachstum in Gott hinein. Darum bedarf er einer fortschreitenden Erziehung. Immer mehr muß er vom Irdischen gelöst und ans Himmlische gebunden werden. In diesem Sinne finden sich in Abrahams Leben vier, sich steigernde Proben. Die höchste war die von Morija.
Zuerst war es der Auszug aus Ur, die Trennung von Vaterhaus und Verwandtschaft; das aber heißt, da die Familie von Abram götzendienerisch war (Jos 24,2): Trennung von der Welt. (1Mo 12)
Dann kam die Scheidung von Lot, diesem zwar „Gerechten“ (2Pet 2,7.8), aber doch weltlich Gesinnten (1Mo 13,10-13; 19,1ff). Das bedeutet: Loslösung von allem Halben und Lauen, also: Trennung von allem Weltförmigen. (1Mo 13)
Das Dritte war die Fortsendung von Ismael, diesem Sohn seiner menschlich-eigenen Kraft, also: Scheidung von Seele und Geist (Heb 4,12) und Trennung von allen Gedanken und Plänen frommer Selbsthilfe. (1Mo 21)
Das Letzte war die Opferung von Isaak, diesem ihm von Gott Selbst geschenkten Samen der Verheißung. Auch die Segnungen, die der Höchste ihm gab, gibt der Glaube dem Geber zurück; also: Trennung auch von den göttlichen Gaben (1Mo 22). Der Anbeter nimmt die Krone, die er von dem König empfangen hat, und legt sie Ihm wieder zurück vor Seinen Thron (Off 4,10.11) und spricht: „Dem Lamme die Segnungen.“ (Vgl. Off 7,12)
Damit aber wird klar, daß der soviel angefeindete Bericht von der Opferung Isaaks nicht etwa nur „irgendein“ Kapitel im Alten Testament ist, auf das unter Umständen verzichtet werden könnte - wie etliche meinen -, sondern der Höhepunkt im Leben des Patriarchen selbst und - da dieser die „Wurzel“ der Erlösungsoffenbarung ist - der prophetisch-symbolische Höhepunkt in dem Verheißungsfundament des Evangeliums überhaupt.
In der Tat, einzigartig ist der Opferbegriff, der gerade hier gelehrt wird. Weit davon entfernt, auf der Stufe der kanaanitisch-phönizischen, semitischen, indischen, aztekischen oder sonstigen Menschenopfer zu stehen, unterscheidet sich das Opfer von Morija von ihnen allen zum mindesten durch einen dreifachen Gegensatz:
Erstens: Die Seele des Opfers. Nicht die Form, sondern das Herz ist die Hauptsache. Abraham hatte Gott Isaak „geopfert“ (Heb 11,17) und doch nicht „getötet“. Der äußere Vollzug war sogar geradezu von Gott Selbst verhindert worden! (1Mo 22,12.13) Damit aber war der Grundsatz proklamiert: Nicht die äußere Ausführung macht das Opfer zum Opfer, sondern die Gesinnung des Herzens, nicht die Darbringung der „Gabe“, sondern die „Hingabe“ der Seele. Das aber ist ein ganz verinnerlichter und geistiger Opferbegriff, der hier zum allerersten Male in der Heilsgeschichte hervortritt. Gerade für diesen vergeistigten Opfergedanken haben sich dann später die Propheten des Alten (!) Testaments im Kampf gegen jüdische Veräußerlichung immer wieder mit Geistesmacht eingesetzt. (Jes 1,10-15; 66,3; Jer 6,20; Hos 6,6; Amos 5,21.22; Micha 6,6-8; Ps 40,7-9)
Zweitens: Der Sieg des Opfers. Nicht der Tod, sondern das Leben ist das Endziel des wahren Opfers. Wohl mußte der Befehl, den einzigen Träger der Verheißung zu opfern, dem Patriarchen zunächst widerspruchsvoll erscheinen. Denn wie sollten nun die Verheißungen Gottes erfüllt werden können, die doch an keinen anderen als nur eben diesen Isaak geknüpft worden waren24? (1Mo 17,21; 21,12) Hier schien eine Spannung zwischen Befehl Gottes und Treue Gottes vorzuliegen, die geradezu unerträglich war. Dennoch aber blieb - da Gott nimmermehr lügen kann - dem sinnenden Glauben auch hier eine Lösung: Entweder Gott wird Sich an Stelle des zu opfernden Isaak ein Tieropfer ersehen (1Mo 22,7.8), oder aber Er wird, falls Er es wirklich bis zur Tötung des Eingeborenen kommen lassen sollte, ihn, den Träger der Verheißung, wieder zum Leben erwecken! (Heb 11,19)! Er fordert ein Brandopfer (1Mo 22,2.3.6.7.8); Er verlangt unter Umständen, daß der mit dem Messer (Vers 10) geschlachtete Isaak durch das Feuer (Vers 6.7) zu Asche verbrannt wird! Aber um Seiner Treue und Verheißungen willen muß Er dann diesen selben, zu Asche verbrannten Isaak wieder aus dem Tode zum Leben erwecken! Und gerade bis zu diesem letzten Höhepunkt schien es auf Morija kommen zu sollen! (1Mo 22,9.10)
Das ist die Glaubenskühnheit Abrahams. So bezeugt es die Schrift. Er urteilte, gerade bei der Opferung seines Sohnes, „daß Gott auch aus den Toten zu erwecken vermöge“! (Heb 11,19) Darum sagte er auch beim Hinaufgang zu seinen Knechten: „Wenn wir angebetet haben, so wollen wir (nicht ‚ich‘) wieder zu euch kommen.“ (1Mo 22,5) „Der Glaube versöhnt die Gegensätze“ (Luther), und Abrahams Glaube wurde durch diese Prüfung zum Vorbild auf den neutestamentlichen Auferstehungsglauben geadelt. Bei der Geburt Isaaks war es erst ein „Auferstehungsglaube“ im Sinne von Neubelebung kraftlos „erstorbener“ Naturkräfte gewesen (Röm 4,17-20); bei der Opferung Isaaks aber war es ein Auferstehungsglaube im Sinne einer unter Umständen buchstäblichen Auferweckung eines buchstäblich Toten. So gewann der Patriarch „durch die vorauseilende Tätigkeit seines Glaubens die Idee der Auferstehung und in dem wirklichen Ausgang der Opfergeschichte - in der Opferung des Widders an Isaaks Statt - die Idee des Drittens: Das Ziel aber von Morija ist Golgatha. Nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft gab diesem Opfer seinen allerhöchsten Wert. Deshalb fand es auch gerade auf „Morija“, dem Berge „Gottesschau“, statt (1Mo 22,14), also genau ebenda, wo später der Tempel stand (2Chr 3,1), wo auf dem Brandopferaltar alle auf Christum hinweisenden Opfer dargebracht wurden und wo in der Todesstunde von Golgatha der Vorhang zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten zerriß (Mk 15,38). Damit aber wird Isaak zum Vorbild auf Christum und Abraham zum Vorbild auf Gott den Vater, und der Höhepunkt im Heilsfundament des Alten Testaments wird zur symbolischen Prophetie auf den Mittelpunkt aller Testamente und Bundesschließungen Gottes, das Kreuz von Golgatha.
So kündet das Opfer von Morija drei große Heilswahrheiten der biblischen Opferidee:
1. Die Geistigkeit des Opfers.
2. Die Auferstehung des Opfers.
3. Die personhafte Erfüllung des Opfers in Christo.
Die letzte aber ist die größte von ihnen allen.
Erich Sauer.
23 Aus dem am 15. August d. J. erscheinenden Buch von Erich Sauer: „Das Morgenrot der Welterlösung.“ Ein Gang durch die alttestamentliche Offenbarungsgeschichte. 250 Seiten. In Leinen gebunden 4,50 RM. Subskriptionspreis 4,00 RM.↩︎
24 Der noch dazu zur Zeit seiner Opferung noch ohne Nachkommen war. wahren Opfers“. Darin aber ist er von neuem ein Vorbild auf unseren Glauben; denn im Opfer des Herrn gehört die Auferstehung unzertrennbar zum Kreuz, und das Leben triumphiert über den Tod. (Röm 8,34; 5,10; 1Kor 15,17-19)↩︎