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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 17 - Jahrgang 1932
Lk 11,1-5 - Herr, lehre uns beten!Lk 11,1-5 - Herr, lehre uns beten!
Beten ist keine Gabe. Beten ist Verkehr mit Gott, ein Austausch mit Ihm über alles, was in unserer Seele vorgeht. Alles in unserem Leben, selbst das Alltäglichste, z. B. das Essen, ist uns ein Anlaß, mit Gott zu reden. Wie wunderbar nahe sind wir Gott gebracht, über alles mit Ihm reden zu dürfen! Wenn Seine Gnade uns zu einer solchen Würde erhoben hat, sollen wir uns nicht mit einer geringeren Stufe begnügen. Wenn wir aber auch so hoch begnadigt sind, so müssen wir doch lernen und uns immer bewußt sein, daß es der „Hohe und Erhabene“ ist, dem wir uns nahen. Das rechte Beten ist deshalb das Resultat unseres inneren Wachstums und unserer Erziehung für unser rechtes Verhalten in Gottes Gegenwart und in Seinem Hause.
Ein wohlerzogener Mensch wird überall geschätzt. Auch der Gläubige muß erzogen werden, um sich gottgemäß, wie es sich geziemt, im Hause Gottes zu benehmen. Paulus schreibt Timotheus: „Dieses schreibe ich dir, auf daß du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Gemeinde des lebendigen Gottes ist.“ (1Tim 3,14.15). Dieses sich geziemende Verhalten auch in unseren Gebeten müssen wir lernen. Paulus sagt Timotheus, daß er dieses durch seinen Brief lernen solle. Und so wie Timotheus müssen auch wir „auferzogen werden durch die Worte des Glaubens und der guten Lehre“ (1Tim 4,6). Timotheus konnte das Zeugnis gegeben werden, daß er den Worten des Glaubens und der guten Lehre „genau gefolgt“ sei. Möchte der Heilige Geist auch uns ein solches Zeugnis geben können!
Unser Verhallen im Hause Gottes darf nicht so sein, wie es uns gut dünkt, wir sind nicht in unserem, sondern im Hause Gottes. Alles, was im Hause Gottes geschieht, muß Seinen Gedanken entsprechen. Das große Vorbild für unser Verhalten ist der Herr Selbst. In Ihm wurde Gott in vollkommener Weise gesehen, und Er sagt zu uns: „Lernet von Mir!“
Als der Herr einmal an einem Orte gebetet hatte, kam einer Seiner Jünger zu Ihm mit der Bitte: „Herr, lehre uns beten!“ Er mußte etwas in der Art, wie der Herr betete, beachtet haben, das ihn den Unterschied zwischen dem Gebet des Herrn und den Gebeten anderer bemerken ließ. Gewiß fühlte er es, daß ein Gebet nicht nur aus Worten bestehen sollte, sondern in einem Reden mit Gott, der Sein Auge auf uns richtet und unser Herz liest.
Dieser Jünger sagte nicht: „Herr, lehre mich beten“, sondern „Herr, lehre uns beten“. Er wußte, daß nicht allein er, sondern alle in bezug auf das Gebet zu lernen hatten. Und haben wir nicht auch etwas zu lernen, wenn wir zum Gebet zusammenkommen? Ist es nicht unser Wunsch, daß alle Brüder wissen möchten, wie sie zu beten haben, und nicht nur einige, vielleicht alte Brüder?
Unsere Gebete können sehr verschiedene Gegenstände enthalten und mögen dieser Verschiedenheit entsprechend kurz sein. Gott warnt uns in Seinem Worte vor leichtfertigem Gerede in Seiner Gegenwart: „Sei nicht vorschnell mit deinem Munde, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen; denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde: darum seien deiner Worte wenige.“ (Pred 5,2) Wie kurz sind die Aussprüche in der Schrift! Beachte die Kürze, in welcher der Vater über Seinen Sohn Zeugnis gibt: „Dieser ist Mein geliebter Sohn, Ihn höret!“ (Lk 9,35) Mit wie wenigen Worten und doch wie vollkommen ist damit alles gesagt! Gott hätte viele Worte gebrauchen können, aber Er tut es nicht.
Auf die Bitte des Jüngers: „Herr, lehre uns beten“, antwortete der Herr: „Wenn ihr betet, so sprechet: Vater, geheiligt werde Dein Name ...“ Beachten wir auch hier 1. die Kürze des Gebetes und 2. die große Verschiedenheit der einzelnen Bitten. Dies sind zwei wichtige Stücke, die Seine Jünger betreffs des Gebetes lernen sollten. Durch die Kürze wird Raum für die verschiedenen Bitten gemacht. Kürze und Verschiedenheit sollten auch in den Gebeten in unseren Gebetsversammlungen gefunden werden. Jeder Bruder sollte fähig sein, in der Versammlung zu beten. Gebet hängt, wie schon anfangs gesagt, mit unserer Erziehung, mit unserem inneren Wachstum zusammen. Wenn unser Ohr jeden Morgen für Seine Stimme geweckt ist, wird unsere Zunge die Belehrungen, die Er uns gegeben hat, wiedergeben.
Wir sprechen hier natürlich von den Gebeten in den Gebetsversammlungen, nicht von den privaten Gebeten im Kämmerlein - dem „Obergemach mit den offenen Fenstern nach Jerusalem“ -, in welchem Daniel dreimal des Tages auf seinen Knien betete. Welch ein Sehnen nach dem persönlichen Verkehr mit Gott mußte in Daniels Herzen gewesen sein! Wie oft beten wir in unserem Obergemach mit einem sehnenden Auge und Herzen nach oben? Treibt es uns nicht manchmal, allein, ganz allein mit unserem Gott zu sein oder wiederum allein mit unserem Weibe vor Ihn zu treten? Es gibt doch keine Person auf Erden, die dem Mann auch in geistlichen Dingen so nahe sein sollte wie das Weib, das ein Fleisch mit ihm ist, wenn alles gottgemäß geordnet und kein Schatten zwischen ihnen und Ihm steht. Hier, in diesem privaten Zusammenkommen, können wir unser Herz in Worten und in Seufzern ausschütten, wie es in dem Gebetszusammenkommen der Gemeinde nicht geschehen kann.
Im Anschluß an die Bitte: „Herr, lehre uns beten“, fährt der Herr alsdann fort, Seine Jünger weiter zu belehren, indem Er sie auf die Bitte eines Mannes hinweist, der in ganz bestimmter Weise seinem Freunde sein Anliegen: „Freund, leihe mir drei Brote“, vorträgt. Was will der Herr uns damit sagen? Gewiß das, daß wir unsere Bitten in klarer und bestimmter Weise vor Gott aussprechen sollen (was auch sonst noch alles in dieser Stelle enthalten sein mag). Wenn wir diese bestimmte Bitte: „Freund, leihe mir drei Brote“, mit der Art und Weise vergleichen, wie Gläubige heute ihre Bitten vor Gott aussprechen, so muß es uns auffallen, wie unbestimmt, verschwommen, in einem Wust von Worten eingewickelt, es oft geschieht. Was dieser Mann in fünf Worten“ sagte, würden heute manche in „zehntausend Worten“ ausdrücken. Und wenn das Amen dann diesen vielen Worten folgt, so weiß kaum jemand, um was der Betreffende gebetet hat.
Gott will, daß wir alle unsere Anliegen nicht in unklaren, sondern klaren Worten vor Gott sollen „kund werden lassen“. Als Jesus nach Jerusalem reiste, rief ein Blinder am Wege immerfort: „Jesu, Sohn Davids, erbarme Dich meiner!“ Der Herr stand still und hieß ihn zu Sich führen und fragte dann: „Was willst du, daß Ich dir tun soll?“ Darauf antwortete der Blinde: „Herr, daß ich sehend werde.“ (Lk 18,38-41) Wußte der Herr nicht, daß der Blinde sehend zu werden wünschte? Sicher. Aber Er wollte die bestimmte Bitte aus seinem Munde hören.
Der Mann in Lukas 11,5 brauchte drei Brote, (nicht ein, nicht zwei, sondern drei), und seine Bitte war klar und bestimmt: „Freund, leihe mir drei Brote.“ Alles dieses hat der Herr uns zur Belehrung niederschreiben lassen. Möchten wir in unseren Gebeten deutlich und bestimmt sein! Dieser Mann wußte klar in seinem Herzen, um was er seinen Freund bitten wollte.
Wenn jemand von uns in der Versammlung aufsteht und sagt: „Laßt uns beten!“, so sollte der Betreffende ebenso klar in seinem Herzen wissen, in welcher Sache er jetzt seinen Mund vor dem Herrn auftun will. Es mag sein, daß der Geist Gottes ihm, nachdem er sein Anliegen vor den Herrn gebracht hat, noch anderes ins Herz gibt, um es vor den Herrn zu bringen, aber manchmal scheint es so, als ob Brüder, die ihren Mund zum Gebet auftun, gar nichts Bestimmtes vor dem Herrn zu sagen hätten und der Betende sich in einem Wust von Worten, Phrasen und Lehrsätzen verlöre. Wenn der Herr einem solchen in unbestimmten Ausdrücken sich verlierenden Beter nach seinem Gebet jene Frage an den Blinden vorlegen würde: „Was willst du, daß Ich dir tun soll?“, müßte er nicht erschrecken und sich selbst besinnend fragen: „Was habe ich dem Herrn eigentlich mit meinen vielen Worten sagen wollen?“
So sollte es nicht sein, liebe Brüder, solches Beten ist kein Beten „im Heiligen Geist“. Wenn es so bei uns war, laßt es uns aufgeben! Gewiß, alte Gewohnheiten sind nicht leicht aufgegeben, und manche, die solche Gewohnheiten haben, wissen nicht einmal, daß sie sie haben, und sehen sie oft bei anderen, aber nicht bei sich selbst. Laßt uns klar und bestimmt in unseren Gebeten und uns bewußt sein, daß wir mit Gott reden und der Mund der betenden Versammlung sind, die fähig sein soll, unserem Gebet ihr „Amen“ hinzuzufügen. Hüten wir uns besonders vor Gebetspredigten und vor Worten, die wir an Gott richten, mit denen wir aber unsere Brüder meinen! Wie schmerzlich sind solche Gebete, wenn sie in der Versammlung gehört werden!
Eine Gefahr besteht auch darin, daß zeitliche Dinge und Schwierigkeiten unsere Gebete ausfüllen. Gewiß dürfen wir dieses alles dem Herrn bringen, so taten es die Jünger in ihrem Gebet in Apgsch. 4,24-30. Und wieder sehen wir, wie kurz und doch alles umfassend ihr Gebet war - kein Labyrinth von Worten -.
Alle Gebete des Neuen Testamentes sollten von uns beachtet werden. Auch sie sind uns zur Belehrung gegeben. Denken wir an die Gebete des Apostels Paulus! Wie klar und in welch bestimmten Worten sind die Gegenstände für das Wachstum und die Segnungen der Heiligen in seinen Gebeten in Phil 1 und Eph 1 und 3 ausgedrückt!
Welches auch die Gegenstande sein mögen, die wir in unseren Gebeten vor Gott bringen, ob sie die Gemeinde, ob sie die Heiligen, ob sie das Evangelium, ob sie die Nationen, ob sie die Könige, ob sie Fürbitten oder Danksagungen betreffen, laßt uns darin besonnen und nüchtern sein und die Belehrungen beachten, die der Herr Seinen Jüngern gab, als sie Ihn baten: „Herr, lehre uns beten!“
A. v. d. K.