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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 20 - Jahrgang 1935
Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (7)Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (7)
(Fortsetzung). „Laß dich nicht von dem Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Röm 12,21)
Nachdem ich in der vorigen Lieferung einige Begebenheiten aus dem Leben der drei Männer des Alten Testaments: Moses, Hiob und Elisa angeführt habe, Beispiele, die wirklich die Schönheit unseres Textwortes darzutun imstande sind, will ich nun heute wiederum zum Neuen Testament übergehen und an einigen Geschichten aus dem Leben und Dienst der Apostel zeigen, daß sie, wenn auch nicht dies Wort buchstäblich, so doch den Sinn desselben gut genug kannten. Wie könnte es auch anders sein, nachdem sie den Heiligen Geist empfangen hatten, der doch in Wahrheit „der Geist der Weisheit ist“ (Eph 1,17)?!
Viele Einzelheiten aus den ersten Zeiten der christlichen Gemeinde mögen im Sinne unseres Textwortes zu werten gewesen sein, uns sind in der kostbaren Apostelgeschichte einige berichtet worden, welche den Wert unseres Leitwortes in hervorragender Weise zeigen. Ich weise da zunächst hin ganz allgemein auf das Verhalten der Apostel vor der Welt, wenn diese Welt auch zunächst die von ihresgleichen zu sein schien. Sie war ja doch so ganz anders, und die Jünger des Herrn empfanden den Unterschied auch immer tiefer und gaben dem auch Ausdruck, so wenn Petrus zuerst von dem „verkehrten Geschlecht“ redet, später aber diesen Menschen verkehrten Geschlechtes, das sich gleich blieb, ins Angesicht sagt, daß sie Jesum ermordet hätten (5,30). Aber obwohl dem so ist, lassen sie dennoch nicht ab, „Buße und Vergebung der Sünden“ zu verkünden (V. 31), obwohl es näher läge, zu denken, daß sie sich nun endlich von diesem Volke abwenden würden. Aber nein, stets suchen sie das Böse mit dem Guten einer ganz anderen Gesinnung zu überwinden - und so machen es die Gläubigen, wenn sie recht stehen, noch heute!
Köstlich ist doch auch jene Stelle, nach der sie, trotz Gamaliels freilich nur halbherzigen Rates zum Guten, geschlagen wurden und nun nicht etwa murren und seufzen über den harten Dienst des HErrn, sondern „voll Freude“ aus dem Synedrium hinweggingen, weil sie gewürdigt worden waren, für den Namen (Jesu) Schmach zu leiden (5,40-41). Aber damit nicht genug - sie hörten nicht auf zu lehren und den Herrn Jesus als den Christus zu verkündigen, (42) indem sie so dartaten, was Petrus und Johannes in 4,19f. bekannt hatten: „Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, möget ihr beurteilen; denn es ist uns unmöglich, von dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht zu reden.“ Ja, das heißt gewissermaßen auch, das Böse mit dem Guten zu überwinden und sich nicht vom Bösen überwinden zu lassen!
Aber diese Beispiele und viele andere, die, wie gesagt, geschehen sein mochten, lagen alle in der allerersten Anfangszeit der jungen Gemeinde des HErrn, als der Geist Gottes noch unbetrübt (Eph 4,30) in ihnen und unter ihnen waltete und wirken konnte so, daß gleichsam der Herr selber zugegen schien. - Wie aber wird es nun sein, wenn das erste große Betrüben des Geistes eingetreten ist? Es wird ja, ehe es noch auf andere böse einwirken kann, sofort gerichtet (Apg 5), aber jetzt war das praktische Böse doch drin in der Gemeinde, - werden nun die Apostel noch Gnadenkraft genug haben, um Böses mit Gutem zu überwinden? Oder werden sie selber - auch doch nur Menschen! - vom Bösen hingerissen werden?
Die so ernst beginnende und so lieblich schließende Geschichte in Apg 6 zeigt es.
Mit dem Murren der Hellenisten, d. h. dem des griechischen Bestandteils der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem, kam eine große Gefahr für die noch junge Gemeinde auf. Wenn die Apostel jetzt nicht Weisheit haben, um die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, so sind schwerste Schädigungen nicht mehr zu vermeiden. Die Gemeinde befand sich doch erst im ersten Jahre ihres Bestehens, und die alte aus der Wüstenreise her so wohlbekannte Sucht der Juden, zu murren, mußte den Führern, wie einst gut 1500 Jahre zuvor dem Mose, tiefe Sorgen bereiten, nur daß es hier nicht von hebräischen Christen aus Palästina ausging, sondern von jüdischen Familien- und Gemeindegliedern aus den westlichen Ländern des Römischen Reiches, also aus der sogen. „Diaspora“ (Zerstreuung), die nach Palästina zurückgewandert waren. Und so war's eigentlich noch schlimmer, denn von diesen fremdländischen Judenchristen hätte man wohl mehr Großzügigkeit, Menschenkenntnis und Tragkraft erwarten können, da sie der Weltbildung mehr zugänglich gewesen waren, als von den einheimischen Palästinensern. Aber sie fühlten sich nun einmal zurückgesetzt, sie meinten, ihre Witwen würden bei der täglichen Liebesarbeit übersehen oder wenigstens weniger gut behandelt, und solche Dinge wiegen bei einem Juden, wenn er auch Christ geworden ist, schwerer als bei anderen. Und die Witwenversorgungsfrage war stets und ist noch heute eine ernste Sache! Es kam hinzu, daß die Sprachverschiedenheit sie einander fremd machte! Sie sprachen wohl meist griechisch untereinander, und die althebräischen Gemeindeglieder bedienten sich wohl mehr des Aramäischen als Umgangssprache, und so mochten selbst die Apostel nicht solchen Einfluß auf jene haben wie auf die übrigen, mit denen sie schon lange zusammengelebt hatten, auch vor ihrer Bekehrung. Volkssitte, Volkssprache, Heimatgefühl usw. sind immerhin nicht zu unterschätzende Bande. Das echte Christentum überbrückt diese leicht trennend wirken könnenden Elemente naturhafter Lebensäußerung, die an sich nicht böse und für den Gläubigem wie alles Geschaffene (vgl. Frage 13)!, das er mit Danksagung annimmt, zum Nutzen, zum Segen, zur Freude sind (1Tim 4,4.5): Die Zugehörigkeit zu dem einen Leibe, welcher ist Christus, schafft ein festeres Band auch zwischen sich sonst entgegenstehenden Nationen als das sonst so berechtigte Heimat- und Vaterlandsbewußtsein innerhalb der eigenen Nation, von dem es für uns auch heißt: „Alles ist euer!“ (1Kor 3,21) In Christo „ist nicht Grieche und Jude usw., sondern Christus alles und in allen“ (Kol 3,11). Und in jener Gemeinde in Jerusalem handelte es sich noch nicht einmal um die äußersten volklichen Gegensätze, sondern nur um Bestandteile innerhalb des Judentums, und dennoch solche inneren Gegensätze, als solche empfunden und störend einwirkend auf die geistliche Gemeinschaft! Aber konnte man denn auch schon solches Gedankengut bei ihnen, diesen jungen Christen, erwarten, wie es später Paulus mit seinem Evangelium des Christus verkündigt? Keineswegs, dazu waren sie noch zu unerfahren im Worte der Wahrheit, wenn sie auch die Apostel in ihrer Mitte hatten. So wird ihr Murren uns verständlich, wenn es an sich auch böse war - sicher ein Versuch des Feindes, die junge Gemeinde zu zerreißen, seine Gedanken gehen stets auf dieses aus! (2Kor 2,11) - und selbst, wenn es nicht berechtigt gewesen sein sollte.
Und wenn uns ihr Murren schon verständlich ist, wie denn nicht den Aposteln?! Diese gottgegebenen (Eph 4,11a) Männer kannten ihre Leute und deren Schmerzen, und sie waren in der Schule ihres und unseres göttlichen Meisters befähigt worden, das Böse mit dem Guten zu überwinden! O daß wir Heutigen allemal solche Weisheit hätten, so oft es sich um eine Gemeindegefahr handelt! Welche Torheiten werden von uns doch leicht begangen, wie so manchmal siegt der Feind, wo ein wenig Weisheit und Gnade nach unserer Stelle (Röm 12,21) Wunder gewirkt hätte! - Schon daß „die Zwölfe die Menge der Jünger beriefen“ und die Geschichte nicht so im Geheimen von sich aus (gleichsam „vom grünen Tisch aus“) zu erledigen trachteten, war göttliche Weisheit, der heute häufig diametral entgegengesetzt gehandelt wird! Nein, das Murren - zuerst natürlich geheim - war allen offenbarlich geworden, mochten sich nun auch alle damit beschäftigen, es gottgemäß zu beseitigen! Dann bewundern wir, wie die Apostel die Sache bereinigen. Sie selber wollen und dürfen sich nicht mit dieser äußeren Sache befassen! Sie haben höhere Aufgaben als etwa die, „Tische zu bedienen“! Sie haben das Wort Gottes zu verkündigen, am Worte zu dienen, die Wahrheit zu predigen, Sünder zu Christo zu führen und die von Gott der Gemeinde Hinzugetanen weiterzufördern im Worte des Christus und im Wandel nach Seinem Willen. Sich mit jenen Dingen zu befassen wäre für sie Verzettelung, wäre ein „Verlassen des Wortes Gottes!“ Wie unsagbar wichtig dies alles! Aber es scheint in ihrer Weisheit noch ein weiterer Grund für ihre Weigerung, sich selber mit der Sache zu befassen, verborgen zu sein: Sie alle waren Judenchristen aus Palästina, jene Murrenden waren Hellenisten. Wenn sie, die Zwölfe, eben auch Apostel waren, so waren sie doch „auch nur“ Menschen, und die Hellenisten hätten mit einem Schein des Rechts sagen können: „Ach, die verstehen uns ja nicht, die gehen ja auch mit viel zu hohen, herrlichen Gedanken um, als daß sie sich herniederneigen könnten zu unseren armen Witwen, von denen ja auch keine richtig aramäisch reden kann!“ Nein, nein, die Apostel waren zu weise, um diesen selbstverständlichen inneren Einwänden nicht gewachsen zu sein. Sie konnten und wollten nicht alles tun; zumal die Gemeinde in Jerusalem doch sehr groß war! Sie traten - das Böse mit dem Guten überwindend - bescheiden zurück und trugen der Gemeinde (den „Brüdern“) auf, sich nach sieben Männern16 aus ihnen umzusehen „von gutem Zeugnis, voll Geistes und Weisheit“ (wie köstlich ist dies, doch kann ich darauf hier nicht eingehen), während sie selber verharren wollten (V. 4) im Gebet (1. Punkt)! und im Dienst des Wortes (2. Punkt)!. Welch erhabene Weisheit, welche Liebe, Demut, Sanftmut, Handeln nach Spr 25,15b und Röm 12,21! Es ist nicht verwunderlich, daß „diese Rede der ganzen Menge gefiel“ (V. 5). Hier sahen alle ihre Belange in wahrhaft göttlicher Weise vertreten, hier fühlten sie Geisteswehen und Gebetsluft, hier konnten sie vertrauen, daß alles gut würde und kein Schatten sie in ihrer Gemeinschaft beeinträchtigen könnte. - Der Feind, der vielleicht gleichsam schon auf Zehenspitzen gestanden und in die Gemeinde hineingelugt hatte, weil er einen großen „Sieg“ witterte, mußte für diesmal gänzlich beschämt und völlig entwaffnet davonziehen, die „Gemeinschaft des Geistes“ blieb gewahrt, die Gemeinde blieb einig und treu dem Leiten des Geistes, der überragende Einfluß der Apostel blieb ungehemmt, ja hatte sich sicher noch vermehrt. Ja, ein Handeln nach Röm 12,21 schafft einen günstigen Nährboden für das Aufgehen der „Frucht des Geistes“ (Gal 5,22). Daß wir davon lernten!
Die wunderbare Wahl, zu der sich die Apostel dann in jeder Hinsicht bekannten (Gebet und Händeauflegung, d. i. Gemeinschaftmachung mit Person und Dienst der Betreffenden, V. 6), fiel auf sieben Männer mit griechischen Namen! Wir können daraus wohl entnehmen, daß es sämtlich Hellenisten waren, also nicht palästinensische Judenchristen. Selbst wenn dem nicht so sein sollte, so waren diese weisheitsvollen, geisterfüllten „treuen Leute“ (2Tim 2,2) doch wenigstens solche, die dem griechischen Sprachgebiet angehörten und somit den Witwen der Hellenisten am besten dienen konnten. Aber ich glaube, daß sie alle selber Hellenisten waren, nicht nur Griechisch Redende (Von Stephanus wissen wir jedenfalls, daß er in die Synagoge der Libertiner [Freigelassenen] ging, und das war eine Synagoge der Hellenisten. [V. 9.]). Somit war dem Murren jeglicher Boden entzogen; sie hatten jetzt ihre Leute zu ihrer Witwenbedienung und wußten ihre Angehörigen in besten Händen. Aber etwa nur sie? Nein, auch die hebräischen Judenchristen, denn auch ihre Witwen fielen unter die Bedienung seitens dieser sieben „Almosenpfleger“, Diakonen zur äußeren Bedienung der Gemeinde. Es ist ja ganz klar, daß diese Männer, unter solchen Umständen erwählt, auch für den Urbestandteil der jüdischen Gemeinde die besten Kräfte darstellen mußten, war es für sie doch eine gottgeschenkte Ehre, von der ganzen Gemeinde für diesen wichtigen Dienst erwählt zu sein, für einen Dienst, von dem die ganze Gemeinde Segen hatte.
Dieser Segen findet seinen Beweis darin, daß „das Wort Gottes wuchs“, daß „die Zahl der Jünger sich vermehrte“, daß auch „eine große Menge der Priester dem Glauben gehorsam wurde“ (V. 7). Wäre das alles wohl geschehen, wenn die Apostel nicht solche Gnade gehabt hätten, „sich nicht vom Bösen überwinden zu lassen, sondern vielmehr das Böse zu überwinden mit dem Guten“?! Sicher nicht! Ja, das waren die Anfangszeiten, zu denen wir, nachdem der Heilige Geist millionenfach betrübt ist, nicht zurückkehren können, aber wir können noch beten, wir können noch handeln nach Röm 12,21, wenn wir wollen, und wir werden sehen, daß Gott, der treue Gott, sich stets zu denen wunderbar bekennt, die in allem Sein Wort zu befolgen trachten, die nicht abhängig sein wollen von Menschenwort und religiösen Meinungen, sondern die fragen wie Paulus: „Was willst du, HErr, daß ich tun soll?“ (Apg 22,10) Und Er will, daß wir „das Böse überwinden mit dem Guten“. Und in Seiner Kraft, durch Seinen Geist und Seine Gnade ist es auch uns möglich! Gepriesen sei Gott!
F. K.
16 Es ist wichtig, daß es 7 sein sollten! Hiermit ist u. a. angedeutet, daß Gott mit der Vollkommenheit Seiner Wege und Seiner Gnade die Unzulänglichkeit der Menschen überwindet. D. Verf.↩︎