verschiedene Autoren
Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Tit 1 ; 1Tim 3 ; 1Pet 5,2 - „Hütet die Herde!“ (1)Tit 1 ; 1Tim 3 ; 1Pet 5,2 - „Hütet die Herde!“ (1)
Wenn ich im Anschluß an unsere Schriftstellen einige Worte über die Ältesten sage, so tue ich es in dem Wunsche, den Jüngeren in unserer Mitte eine Hilfe zu sein, da über die Frage der Ältesten in unseren Tagen viel Verwirrung und Unklarheit herrscht.
Der 5. Vers unseres Kapitels (Tit 1) sagt uns, weshalb Titus in Kreta zurückgelassen wurde. Ähnliches finden wir auch in bezug auf Timotheus gesagt. Der Apostel schreibt Timotheus: „Ich bat dich, in Ephesus zu bleiben, auf daß du etlichen gebötest, nicht andere Lehren zu lehren ...“ (1Tim 1,3). In Ephesus war die Gefahr der falschen Belehrungen. Ungesunde Lehren wurden gelehrt, die alles auf den Kopf stellten. In Kreta war die Gefahr der Unordnung. Paulus schreibt Titus: „Deswegen ließ ich dich in Kreta, daß du, was noch mangelte, in Ordnung bringen ... möchtest ...“ „Gott ist kein Gott der Unordnung“ (1Kor 14,33), sondern ein Gott, der Ordnung haben will. Wenn Er ein Haus auf Erden hat, dann will Er keine Unordnung in Seinem Hause sehen. Wir wissen, daß alle Gläubigen Hausgenossen Gottes geworden sind. Gottes Haus ist ein Bau aus lebendigen Steinen. Diese lebendigen Steine sind du und ich und alle, die durch Gottes Gnade mit dem „lebendigen Stein“ in Berührung gekommen sind; aus ihnen besteht das Haus Gottes. Wenn nun Gott in unserer Mitte wohnt, will Er, daß alles in Ordnung ist. Gott hat uns über die Ordnungen Seines Hauses Anweisungen gegeben. Wir sind nicht im Dunkeln darüber gelassen. Der erste Korintherbrief wie auch die Timotheusbriefe sind voll Belehrungen darüber, und hier im Titusbrief empfängt Titus spezielle Anweisung, in Ordnung zu bringen, was noch mangelte.
Titus scheint ein energischerer Charakter als Timotheus gewesen zu sein, denn Paulus mußte den Korinthern schreiben, daß sie zusehen sollten, daß Timotheus „ohne Furcht“ bei ihnen sei. (1Kor 16,10). Titus war dem Apostel ein geeigneter Mann für Kreta, den er heißen konnte: „bringe in Ordnung“. Wir finden den Namen des Titus gar oft da, wo es Schwierigkeiten und etwas zu ordnen gab, so z. B. mit Paulus zusammen in Jerusalem, als es galt, die Beschneidungsfrage zu ordnen, dann auch in Korinth, wo große Schwierigkeiten bestanden und Zucht geübt werden mußte.
Die Gaben und Aufgaben, die der Herr jedem zuteilt, sind ganz verschieden. Das, was ich zu tun habe, hast du vielleicht nicht zu tun, wir alle aber sind immer gern bereit, das zu tun, was einem anderen zu tun aufgetragen ist. Möchten wir lernen, da zu stehen, wo der Herr uns hingestellt, und den Platz auszufüllen, den Er uns zugeteilt hat. Wie viele Schmerzen, Torheit und Aufhalten der Arbeit sind dadurch eingetreten, daß man sich in die Aufgaben anderer hineinmischte! Wenn der Herr nicht so langmütig wäre und in Seiner Gnade das oft abgeschlagene Ohr geheilt hätte, wir hätten schon längst alles verdorben und durcheinander gebracht.
Die Sorge des Herrn über Sein Haus und für die Ordnung Seines Hauses sehen wir in ganz besonderer Weise in den Ältesten, welche Er durch den Heiligen Geist der Gemeinde gibt. Ehe ich indessen etwas über die Ältesten sage, muß ich auf den
Unterschied zwischen den Diensten der Ältesten und der Gaben, die der Herr Seiner Gemeinde für ihre Auferbauung gegeben hat (Evangelisten, Hirten, Lehrer), aufmerksam machen. Wird dieser Unterschied nicht beachtet, so müssen natürlich verkehrte Dinge daraus hervorkommen. Es ist deshalb wichtig, etwas näher darauf einzugehen.
Der Herr hat Seiner Gemeinde Gaben gegeben, Er hat Männer ausgerüstet mit Evangelisten-, Hirten- und Lehrer-Gaben für die Auferbauung Seiner Gemeinde. Der Dienst eines Evangelisten, eines Hirten oder eines Lehrers ist ganz anderer Art als der Dienst eines Ältesten. Der Dienst eines Ältesten ist nicht durchaus abhängig von dem Besitz einer solchen Gabe. Wie ersehen dieses aus 1Tim 5,17, wo wir lesen: „Die Ältesten, welche wohl vorstehen, laß doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre!“ - woraus klar hervorgeht, daß nicht alle Ältesten begabt waren, in solcher Weise zu arbeiten. Wohl aber waren Liebe, Treue und
Hingabe an den Herrn für ihren Dienst erforderlich und weiterhin alle die Eigenschaften, die in 1Tim 3 und Tit 1 aufgezählt sind. Diese Eigenschaften, die für einen Ältesten ein Erfordernis waren, waren aber anderseits wieder kein unbedingtes Erfordernis für die Ausübung der vom Herrn verliehenen Gaben.
Laßt uns einen Augenblick beachten, was in Epheser 4 über die Gaben gesagt ist! Wir finden dort, daß der verherrlichte Herr Gaben für die Auferbauung Seines Leibes gegeben hat. Obwohl jeder Gläubige den Heiligen Geist als die Gabe Gottes besitzt und durch den Heiligen Geist versiegelt und gesalbt ist und das Unterpfand des Erbes hat, so ist es doch etwas ganz anderes, wenn einem solchen Gläubigen noch eine gewisse Gabe von dem Herrn für die Auferbauung Seiner Gemeinde gegeben wird. Auch das 12. Kapitel des Römerbriefes und das 12. und 14. Kapitel des 1. Korintherbriefes sprechen von solchen Gaben. Im 1. Korintherbrief finden wir weit mehr Gaben angeführt als hier in Eph 4. Dort spricht der Apostel von den Gaben von einem weiteren Gesichtspunkt aus, indem er auch die Wundergaben mit aufführt, durch welche Gott „nach Seinem Willen“ (solange Er es für nötig hielt) das Zeugnis Seiner Knechte bestätigte (Heb 2,4). Der Epheserbrief spricht dagegen nur von den Gaben für die Auferbauung des Leibes, Seiner Gemeinde. Während Er jene Gaben, durch welche Gott in Zeichen und Wundern das Zeugnis Seiner Knechte bestätigte und „mitzeugte“, nur solange es Ihm gefiel, darreichte, bleiben diese (Evangelisten, Hirten und Lehrer) Seiner Gemeinde erhalten, solange sie in dieser Welt ist.
In unserer Epheserstelle werden uns zuerst die Gaben der Apostel und Propheten genannt. Aus Eph 2,20: „aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten ...“ sehen wir, daß der Herr durch diese Gaben die Grundlage für den Bau Seiner Gemeinde legte. Dann folgen die Gaben der Evangelisten, Hirten und Lehrer, die bestimmt sind für den Aufbau der Gemeinde auf diese von den Aposteln und Propheten gelegte Grundlage. So konnte Paulus sagen (1Kor 3,10), daß er „den Grund gelegt habe“. Der Grund und Eckstein ist Christus. Wie gesagt, die Gaben der Apostel und Propheten waren grundlegend. Nachdem der Grund gelegt war, hat dieser grundlegende
Dienst der Apostel und Propheten seinen Abschluß gefunden, und wir haben deshalb keine Fortführung dieser grundlegenden Gaben mehr in noch heute lebenden Personen, weil für einen Bau nicht immer wieder neue Grundlagen zu legen sind, sondern danach die aufbauenden Arbeiten zu folgen haben. Für die aufbauenden Arbeiten auf diesen gelegten Grundlagen hat der Herr die Evangelisten, Hirten und Lehrer gegeben. Diese haben wir heute noch, und diese werden bleiben bis „zur Vollendung der Heiligen“. Die Apostel, Propheten und ihren Dienst haben wir noch in der Heiligen Schrift, aber nicht mehr in lebendigen Personen, und wir verharren, wie im Anfang, in ihrer Lehre. (Apg 2,42).14 Dagegen aber haben wir die auferbauenden Gaben noch heute in lebenden Personen, und diese Gaben werden durch die Treue des Herrn Seiner Gemeinde erhalten bleiben, bis Er kommt, um sie zu Sich zu nehmen.
Wie schon gesagt, jeder Gläubige hat den Heiligen Geist, aber nicht jeder Gläubige hat durch den Heiligen Geist eine von diesen auferbauenden Gaben empfangen. Wohl besitzt jedes Glied an dem Leibe eine Gnadengabe (1Pet 4,10), womit es dienen soll, und jeder hat nach diesem Maße beizutragen für das Wachstum des Leibes, mitzuhelfen in der Ausbreitung des Evangeliums, Mitsorge zu tragen für seine Brüder und seines Bruders Hüter zu sein. Aber damit ist nicht gesagt, daß jeder die Gabe eines Evangelisten, Hirten oder Lehrers habe. Die Gabe eines Evangelisten ist etwas anderes, als nur jemandem den Weg des Heils zeigen zu können. Aber doch hat jedes Glied etwas von dem Herrn empfangen, womit es dienen kann. Und selbst der einfachste und verborgenste Dienst, der nach dem ihm von Gott zugeteilten Maße und in der Kraft, die Gott darreicht, ausgeübt wird, dient zum Wachstum des Leibes und ist voll Segen und Gewinn, wenn er auch den Augen der Menschen verborgen bleiben mag.
Die Dienste der Ältesten sind rein örtlich begrenzte und stehen darin ganz im Gegensatz zu den Diensten der Gaben. Eine Gabe kommt überall zur Anwendung. Ein Evangelist dient überall, wo der Herr ihm Gelegenheit gibt als Evangelist in der Verkündigung des Evangeliums. Ein Lehrer ist überall ein Lehrer, und wo der Herr ihn hinführt, dient er als Lehrer den Heiligen mit seiner Gabe. Ein Ältester aber ist nicht überall ein Ältester und kann nicht überall den Ältestendienst ausüben. Er ist in der Ausübung seines Dienstes an die Ortsgemeinde gebunden, in der ihm dieser Dienst vom Heiligen Geiste anvertraut ist. Ein Ältester in Ephesus hatte seine Aufgaben als Ältester nur in Ephesus, aber nicht in Kreta, und ein Ältester in Kreta konnte nicht in Ephesus oder in einer Nachbarversammlung Ältestendienste tun. Ein Ältester hatte eben nur in der örtlichen Gemeinde seinen Dienst. Ein Bruder, der z. B. Ältestendienste in Berlin tut, kann nicht, weil er solche in Berlin tut, diese auch in Dresden tun. Kommt ein solcher Bruder in eine andere Ortsgemeinde, so kommt er nicht als „Ältester“ in diese Gemeinde, sondern als ein Bruder im Herrn und ist ein Bruder unter Brüdern. Ein Evangelist, Hirte oder Lehrer aber ist dieses überall, und die Schrift zeigt uns, wie solche Brüder hin und her in den verschiedenen Ortsgemeinden mit ihrer Gabe dienten.
Wenn diese Unterschiede zwischen den Gaben, die zur Auferbauung des Leibes Christi gegeben sind, und dem Dienste der Ältesten, der mit einer Orts-Gemeinde verbunden und auf diese beschränkt ist, nicht unterschieden werden, so müssen natürlich verkehrte Dinge daraus hervorgehen. Wie oft hört man Worte wie: Herr O... ist der Evangelist unserer Gemeinde; oder: der Evangelist der Gemeinde in N. N. wird heute hier das Evangelium verkündigen. Die solches sagen, zeigen, daß sie noch nicht gelernt haben, daß die Gaben der Gesamt-Gemeinde Christi, aber nicht einer örtlichen Gemeinde gegeben sind. Wo auch ein solcher Bruder seinen Wohnsitz haben mag, die ihm verliehene Gabe ist ihm für die Auferbauung des Leibes gegeben. Wo die Glieder dieses Leibes sich auch befinden mögen, die Gaben sind ihm zu ihrer Vollendung gegeben, und der Empfänger der Gabe ist dem Herrn verantwortlich, sie da auszuüben, wo irgend der Herr ihn hinführt.
Nirgends finden wir in der Schrift etwas derartiges, daß eine Gemeinde sich ihre „Gaben“ (Evangelisten, Hirten usw). selbst wählte, sondern Gott gibt sie Seiner ganzen Gemeinde (1Kor 12,28). Er sendet Arbeiter zum Säen und Arbeiter zum Ernten; aber die Gemeinde beruft sich nicht Kandidaten zu Probepredigten und hält Prüfungen darüber ab und überträgt einem dann das „Amt“, das Wort zu predigen. Solche Dinge kennt Gottes Wort nicht.
Jemand möchte sagen, die Schrift spricht aber doch von einem „Amt des Wortes“ (Apg 6,4), und in Verbindung mit den Evangelisten, Hirten usw. wird in Eph 4,11 u. 12 doch von dem „Werk des Amtes“ gesprochen, und weiter möchte jemand sagen, daß in dem Wort „ Amt“ doch ganz folgerichtig ein Angestelltsein, ein Übertragen gewisser Dienste enthalten ist. Ganz sicher wäre dieses richtig, wenn die Schrift von einem „Amte“ sprechen würde, aber dies ist eben nicht der Fall. Luther hat in seiner Übersetzung das griechische Wort „Diakonia“, welches „Dienst“ bedeutet, wohl an einigen Stellen richtig mit Dienst wiedergegeben (Röm 15,31; 1Kor 16,15; 2Tim 4,11; Heb 1,14), aber an fast allen anderen Stellen dafür „Amt“ gesetzt. Durch diese ungenaue Übersetzung sind manche irre geleitet worden und haben angenommen, daß die Schrift von einem „Amte des Wortes“ (Apg 6,4) usw. rede, während die Schrift jedoch von einem „Dienste des Wortes“ usw. spricht, weil an allen diesen Stellen das griechische Wort „Diakonia“ steht, welches nur die Bedeutung des Dienstes, aber nicht des Amtes hat.
Wenn wir uns nun von dem Unterschied zwischen Gaben und Ältesten-Dienst mehr den Ältesten und ihrem Dienste zuwenden, so mag hier gleich gesagt sein, daß in keiner Gemeinde der Schrift nur ein Ältester gefunden wird. Immer waren in jeder Gemeinde mehrere Älteste.
Wo die Schrift auch von den Ältesten in den Gemeinden redet, ob in Jerusalem, in Ephesus, in Philippi, in Kreta, überall redet sie von den Ältesten in der Mehrzahl, und wir lesen von den Aposteln, daß sie in jeder Gemeinde Älteste“ wählten, und dasselbe zu tun war auch Titus beauftragt (Apg 14,23; Tit 1,5). Als Paulus den Philippern schreibt, adressiert er seinen Brief an: „Alle Heiligen in Christo Jesu, die in Philippi sind, mit den Aufsehern und Dienern.“ Philippi war keine große Stadt, aber in der Gemeinde waren mehrere „Aufseher“. Wie ganz anders ist es heute! Zur Zeit der Apostel hatte eine Gemeinde mehrere Aufseher oder, wie Luther übersetzt, „Bischöfe“. Heute hat ein Bischof mehrere Gemeinden - oder die Gemeinden eines ganzen Landes.
Die Ältesten werden in der Schrift auch
Aufseher genannt. Das eine Wort weist mehr auf die gereifte Persönlichkeit, das andere mehr auf die Art ihres Dienstes hin, aber beide bezeichnen dieselben Personen. So ermahnt Petrus die Ältesten, die „Aufsicht nicht aus Zwang zu führen“, und Paulus sagte den „Ältesten“ in Ephesus, daß der Heilige Geist sie als „Aufseher“ gesetzt habe, und ebenso wird zu Titus in bezug auf die „Ältesten“ gesagt, daß der „Aufseher“ untadelig sein muß (Apg 20,28; Tit 1,5.6). Dieser wechselweise Gebrauch der beiden Bezeichnungen „Älteste“ und „Aufseher“ beweist deutlich, daß mit beiden die gleichen Personen gemeint sind. In den Ältesten oder Aufsehern sehen wir die Sorge des Herrn für Sein Haus. Er läßt Sein Haus nicht ohne Aufsicht. Wenn wir verreisen, so lassen wir unser Haus nicht ohne Aufsicht, und der Herr hat Sein Haus auch nicht ohne Aufsicht gelassen. Für die Zeit Seiner Abwesenheit hat der Herr in Seiner treuen Sorge Seiner Gemeinde Aufseher gegeben, die als „Gottes Verwalter“ die Herde Gottes hüten sollen (Tit 1,7; 1Pet 5,1.2).
Die Aufseher haben darauf zu sehen, daß alles ordentlich im Hause Gottes zugeht; Gottes Haus soll keine Stätte der Unordnung oder der Willkür der Menschen sein. Du und ich, wir stehen alle unter Aufsicht.
Manche Kinder Gottes wollen nicht unter Aussicht stehen, sondern nach eigenem Gutdünken leben, handeln und sich bewegen. So etwas gibt es nicht im Hause Gottes. Du erlaubst solche Willkür nicht einmal in deinem Hause, und noch viel weniger ist solche zulässig in Gottes Haus. Wenn du der Gemeinde Gottes angehörst und du dich mit denen, die auf diesem Grunde (als Gottes Gemeinde) zusammenkommen, versammelst, dann bist du da, wo der Heilige Geist Aufseher gesetzt hat, und dieser Dienst findet dann seine Anwendung auch auf dich und mich, und wir sollten darin dankbar die treue Sorge des Herrn über uns anerkennen. Ein Herz aber, in dem noch der eigene Wille wohnt und welches noch nicht gelernt hat, sich jedem Worte des Herrn zu beugen, liebt es nicht, unter Aufsicht zu stehen. Deshalb sieht man heute zuweilen solche traurige Gestalten unter den Kindern Gottes, die gleich Zigeunern leben, die von einem Platze zum anderen ziehen, überall gastieren und sich so jeder Aufsicht entziehen, um nach ihren eigenen Ideen und nach ihrem eigenen Willen leben und sich bewegen zu können. Ihr eigener Wille ist ihr Götze, dem sie huldigen (1Sam 15,23). Paulus ermahnt: „Fliehet den Götzendienst“ (1Kor 10,14). Möchte der Herr uns vor solchem Zigeunersinn bewahren!
Laßt uns nun, wenn auch nur einen kurzen Blick, auf den Dienst der Ältesten richten! Ihre Aufgaben bestanden nicht, wie wir schon gesehen haben, in der Verkündigung des Evangeliums oder in dem Dienste am Worte, ihre Aufgaben waren andere und gar mannigfaltiger Art, die schon in ihrer Bezeichnung als „Aufseher“ ausgedrückt lagen.
Zuerst laßt uns beachten, daß der Herr Selbst uns in der Schrift als „Aufseher“ gezeigt wird. Petrus schreibt: „Ihr seid zurückgekehrt zu dem ‚Hirten und Aufseher‘ eurer Seelen“ (1Pet 2,25). Und sicher, in Ihm haben wir das große Vorbild des Aufsehers. So wie Er den Schafen der Herde „Hirte und Aufseher“ ihrer „Seelen“ ist, so bezieht sich der Dienst der Ältesten auch auf die Herde und auf die Seelen der Schafe.15 Wir herrlich ist Gottes Gemeinde! Er rüstet sie mit allem aus, was für die Leiber und Seelen der Seinigen nötig ist. Er gibt Gaben, Er setzt Aufseher, gibt Diener und Dienerinnen. Die Gaben und die Ältesten sind für die Seelen, die Diener und Dienerinnen sind um die leiblichen und irdischen Dinge der Heiligen besorgt. Wie wenig wird heute die Gemeinde Gottes nach den Gedanken des Herrn erkannt!
Die Ältesten hatten der Gemeinde vorzustehen als Gottes Verwalter (1Tim 5,17; Tit 1,7). Deshalb mußten es Männer sein, die untadelig waren und die ihre Fähigkeit zum Vorstehen in ihren eigenen Häusern bewiesen hatten. Denn wenn jemand seinem eigenen Hause nicht wohl vorstehen konnte, wie war er fähig, die Gemeinde Gottes zu besorgen! Würdest du einen Mann nehmen, deinem Hause vorzustehen, der seinem eigenen Hause nicht wohl vorsteht? Wie konnten sie zurechtweisen, wenn sie nicht selbst tadellos waren?!
Sie sollten an ihrem Platze als Gottes Verwalter stehen, und Petrus ermahnt sie deshalb, die Aufsicht zu führen, nicht als die da herrschen
über ihre Besitztümer. Die Gefahr für den Knecht ist, sich als Herr zu fühlen. Wie ungeziemend ist es, wenn ein Arbeiter von Gottes Ackerfeld als von „seinem Ackerfeld“, von „seiner Gemeinde“ redet. Wie unangenehm und oft lächerlich berührt es schon, wenn ein Arbeiter von dem Besitze seines irdischen Herrn als von seinem Besitz, von seinem Geschäft redet, und doch, wie ungleich widerlicher ist es, wenn ein Knecht Jesu Christi von Gottes Gemeinde als von seiner Gemeinde redet. Solche ungeziemenden Worte sollten nie von uns gehört werden! Die hohen Apostel redeten nicht so; sie sprachen von Gottes Gemeinde, von Gottes Herde, von Gottes Bau, von Gottes Ackerfeld, und der Herr Jesus sagte zu Petrus: „Weide Meine Schafe!“ Wenn das Bewußtsein, an Gottes Gemeinde als Mitarbeiter dienen zu dürfen, tiefer in unseren Herzen wurzelte, mit wieviel mehr hingebender Liebe und sich selbst verleugnender Demut würde dann jeder seine Aufgabe in Gottes Gemeinde erfüllen! Die Lippen aber, die so gewohnheitsmäßig von „meiner Gemeinde“ usw. reden (und oft liegt darin, ach, nur eine zu traurige Wahrheit), offenbaren nur, wie dieses Bewußtsein am Erlöschen ist und dafür Selbstwichtigkeit und Selbstbewußtsein im Herzen Platz genommen haben. Solche sieht man dann auch oft gleich Regenten in ihren Gemeinden herrschen. Wie ernst ist deshalb auch dieses Wort der Ermahnung: „Die Aufsicht zu führen, nicht als die da herrschen über ihre Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid.“ Nicht das Herrschen, sondern das Vorbild soll bei den Ältesten gefunden werden, und nicht durch Befehl, sondern durch ihr Beispiel sollen sie die Herde leiten und ordnen.
Die Aufseher hatten es mit allen Klassen zu tun: mit den Schwachen, mit den Unwissenden, mit den Widersprechenden, mit den Betrügern, mit den falschen Lehrern usw.; sie hatten zu ermahnen, zu ermuntern, zu stärken, zurechtzuweisen usw. Ein solcher Dienst ist keine Kleinigkeit! Wie ernst und wichtig dem Paulus der Dienst der Ältesten war, das sehen wir aus Apg 20,31. Er hatte die Ältesten der Gemeinde in Ephesus nach Milet gerufen, um ihnen noch einmal die Sorge für die ganze Herde in Ephesus ans Herz zu legen, und dann sagte er ihnen prophetisch voraussehend, daß aus ihrer - der Ältesten - Mitte Jünger aufstehen würden, die verkehrte Dinge reden und die Männer hinter sich herziehen würden. Das sind furchtbare Zeiten für die Gemeinde, wenn es dem Feinde gelingt, aus den Reihen der Ältesten Männer des Vertrauens für sein Ziel zu gebrauchen, die Gemeinde Gottes zu zerstören. Wie groß ist dann die Gefahr für die Arglosen, Unwissenden und Unbefestigten! Der Apostel hatte solche Angriffe des Feindes durchgemacht, und er sah, daß solche Tage und Kämpfe auch für sie kommen würden. Da sollten sie wachsam sein und sich seiner erinnern, wie er Tag und Nacht nicht aufgehört habe, einen jeden mit Tränen zu ermahnen. Solch ein Nacht- und Tag-Dienst, ein Dienst mit Tränen, ist der Dienst der Ältesten, insonderheit dann, wenn die Unwissenden und Unbefestigten von der gesunden Lehre abgezogen und zu Männern, die verkehrte Dinge reden, hingezogen werden. Mit wieviel Schmerz sind dann die Ermahnungen verknüpft, wenn solche Arglosen verführt anfangen, ihre Herzen denen zuzuneigen, „die verkehrte Dinge reden“. Kannst du etwas verstehen von dem Schmerz und den Tränen, die Paulus weinte? Und kannst du verstehen, daß treue Männer weinen, wenn sie sehen, daß ein Herz so vom Irrtum geblendet ist, daß es „das Bild der gesunden Worte“ (2Tim 1,13.14) nicht mehr sieht und ihre Ermahnungen nicht mehr verstanden und angenommen werden? Wenn das Ermahnen schon schwer ist, wieviel schwerer noch ist das Zurechtweisen und das Überführen der Widerspenstigen, wo so oft die Liebe mit Haß beantwortet wird oder wenn es sich darum handelt, Betrügern und zügellosen Schwätzern den Mund zu stopfen.
Dieses Wort in Tit 1,10 in bezug auf die Schwätzer zeigt uns, daß die Gemeinde nicht zum Tummelplatz für jeden Geist gemacht werden darf, wo Schwätzer reden dürfen. Schwätzern den Mund zu stopfen ist nicht so einfach getan, wie manche denken, die da meinen, das Mundstopfen gut zu verstehen und es mit einem „Halte deinen Mund“ glauben abtun zu können. In dieser Weise soll der Mund von den Ältesten nicht gestopft werden; auch dieses muß von dem Herrn Jesus gelernt werden! Wie manches Beispiel haben wir von Ihm hierfür in der Schrift: z. B. in Mt 22,31-34 sehen wir, wie Er einst den Sadduzäern „den Mund stopfte“; (Luther: „Wie er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte“, - eine gute Übersetzung ist auch „verstummen gemacht hatte“)! Er ließ das Licht Gottes und die Herrlichkeit Seiner Gedanken so auf sie fallen, daß sie einfach stumm sein mußten. Und so ist die Weise, wie auch heute den Schwätzern der Mund gestopft werden soll; „die gesunden Worte, die unseres Herrn Jesus Christus sind, und die Lehre, die nach der Gottseligkeit ist“ (1Tim 6,3), sollen so auf das Herz und Gewissen gelegt werden, daß diese Schwätzer gar nicht anders können, als stille zu sein.
Paulus sagt von diesen Schwätzern, daß sie ganze Häuser umkehren, und wie manches Haus ist schon durch Schwätzer umgekehrt worden, wenn wir denken an die Arbeit der Adventisten, Christlichen Wissenschaftler, Sogen. Bibelforscher. Aber gibt es auch nicht auch andere Schwätzer, törichte, unbedachte und verleumderische Schwätzer? Haben wir nicht schon gesehen, daß Arbeiter im Werke des Herrn entmutigt und ganze Versammlungen durch solche Schwätzer fast zugrunde gerichtet wurden? Wie wichtig ist daher ein solcher Dienst, der durch die Kraft des Wortes die Gewissen berührt und den Schwätzern den Mund stopft!
(Schluß folgt s. G. w). v. d. K.
14 Beachtet, es heißt in Apg 2,42 nicht: sie verharrten bei oder mit den Aposten, sondern: „sie verharrten in der Lehre der Apostel“. Die Apostel haben wir nicht mehr, aber wir haben noch ihre Lehre, und darin können wir wie im Anfang verharren. (Vergl. 1Joh 2,24).↩︎
15 Es ist auch nicht unwichtig, zwischen der Hirtengabe eines „Hirten“ (nach Eph 4) und dem Hirtendienst eines „Ältesten“ zu unterscheiden. Beide, die „Hirten“ wie auch die „Ältesten“, haben es mit der Herde zu tun. Die „Hirten“ führen durch ihre Gabe die Herde auf Auen, wodurch das innere Leben mit Christo genährt wird. Die „Ältesten“ hüten die Herde in dem Sinne von „habet acht ... auf die ganze Herde“ und „hütet die Herde ... indem ihr die Aufsicht führet“ (Apg 20,28; 1Pet 5,2). - Der Dienst der „Hirten“ besteht in dem Gebrauch ihrer „Gabe“, die Herde zu weiden in ihrem inneren Wachstum und Verbundensein mit Christo. Der Hirtendienst der „Ältesten“ besteht in achthabender Sorge auf die Herde, daß alles dem Erzhirten gemäß sei. - Der Dienst der „Hirten“ umfaßt alle Schafe der einen Herde des großen Hirten. Der Dienst der „Ältesten“ umfaßt die örtliche ganze Herde, „in welcher der Heilige Geist sie als Aufseher gesetzt hat“.↩︎