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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 20 - Jahrgang 1935
Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (3)Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (3)
(Fortsetzung). „Laß dich nicht von dem Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Röm 12,21)
In der letzten Lieferung sahen wir, in wie wunderbarer Weise David eine Verwirklichung dieses Wortes gab, gerade als ob er es schon gekannt hätte (1Sam 24-26). Ich deutete schon an, daß wir im folgenden Heft - also jetzt - an einem anderen Manne aus dem A. T. sehen würden, wie sich die Wahrheit und Schönheit dieses Wortes auch Brüdern gegenüber beweisen ließe. Dieser Mann ist der Richter Gideon (Richterbuch Kap. 6-8), der rund 175 Jahre vor David lebte und dessen Geschichte außerordentlich belehrend ist.
Ich habe nun nicht die Absicht, näher auf diese Geschichte einzugehen, aber ich rate jedem, sie oft und aufmerksam zu lesen, sie zeigt uns einen noch jungen Mann, dem das Wichtigste seines Lebens zu sein scheint, mit und für Gott zu leben, und der darum auch ein gesegnetes Werkzeug wird, in diesem Falle zur Befreiung seines Volkes vom feindlichen Joche Midians. Sicher wird Gott Menschen für Seine hohen Zwecke gebrauchen, die schon frühzeitig Ernst machen mit einem Leben für Ihn. Gideon ist ein Vorbild für die Jugend, sofern diese wünscht, Gott zu gefallen und von Ihm gesegnet zu werden in irgendwelcher Weise. Wenn ich nun also auch nicht näher seine Taten besprechen will, so möchte ich doch einer Begebenheit in der Vorgeschichte gedenken, die mir für später für sein Verhalten gemäß unserer Stelle von Bedeutung zu sein scheint. Denn wie David in seiner Jugend seine kostbaren Erfahrungen mit seinem Gott machte beim Weiden der Schafe seines Vaters (vgl. 1Sam 17) - ich schrieb darüber! -, so äußerte sich auch bei Gideon schon frühzeitig ein ganz besonderes Verhalten, das ihm in seinem Tun gemäß Röm 12,21 eine gewisse Grundlage zu geben scheint.
Ich meine den V. 13 in Kap. 6! Der Engel Jehovas hatte sich zu Ihm herabgelassen, um ihm eine herrliche Verheißung zu geben, die er damit beginnt, daß er ihm selber eine Ermutigung und eine hohe Auszeichnung zuteil werden läßt: „Jehova ist mit dir, du tapferer Held!“ (V.13) Wird Gideon durch diese Auszeichnung stolz, vergißt er durch sie sein, vielmehr des Volkes Elend? Nein, gerade das Gegenteil! Die Antwort, die er dem Engel gibt, ist einfach köstlich! Ihn hatte der Engel angeredet, ihn hatte er nach Gottes Willen ausgezeichnet - aber Gideon, dieser junge Mann, antwortet mit solch freimütigen, aber auch belangreichen Worten, Worten, die fast neutestamentlich, gemeindlich, anmuten, daß wir tief betroffen fragen: „Das steckte in diesem jungen Manne drin?“ - Ja! Und wir müssen auch uns fragen: Denken wir ebenso? Da wird eines Mannes Dienst hervorgehoben, gerühmt vor anderen. Nimmt er diesen Ruhm an? Rühmt er sich dessen, zeigt er, wieviel ihm an demselben liegt und wie hoch sein Dienst erhaben sei über den anderer - oder bleibt er demütig und blickt hin auf das gedemütigte Volk Gottes, mit dem er sich zusammenschließt und so allen Ruhm von sich abweist? Geliebte, das ist nur ein Fall von Anwendung dieser wunderbaren Stelle! - Das Verhalten, die Antwort Gideons ist geradezu köstlich: Er schließt sich sofort mit dem schwer leidenden Volke Gottes zusammen, es ist ihm gleichsam unverständlich, daß man von ihm, dem „Jüngsten“, dem „Geringsten“, reden kann (V. 15)!, während das ganze Volk so im Elend daliegt. Zähle einmal die Worte „uns“ und „unser“! Siebenmal in einem Vers solche Ausdrücke! Er war gemeint, aber er meint „uns“! „Jehova ist mit dir, du tapferer Held!“ - „Bitte, mein Herr! Wenn Jehova mit uns ist, warum hat denn dieses alles uns betroffen? Und wo sind alle Seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben, indem sie sprachen: Hat Jehova uns nicht aus Ägypten herausgeführt? Und nun hat Jehova uns verlassen und uns in die Hand Midians gegeben.“ Kostbare Häufung dieses Wortes „uns“! Meine Brüder und Schwestern - das sind die Menschen, die Gott brauchen will und kann als Führer zum Segen für die Menschen, ja, für Sein Volk, die sich mit der Not desselben zusammenschließen, die nicht bei jeder ihnen passend erscheinenden Gelegenheit (nämlich weil sie sich beleidigt fühlen, weil sie nicht genügend beachtet werden) damit spielen und davon reden, daß sie am liebsten in einen anderen Kreis gingen, weil der Zustand der jeweiligen örtlichen Gemeinde, der sie angehören, ein so „beklagenswert schlechter“ sei! „Am liebsten ginge ich auf und davon, wenn ich nur wüßte, wohin?!“ Ja, ist denn das die Sprache der Treuen, der Durchhaltenden, der sich verantwortlich Wissenden? Sicherlich nicht! - O meine Brüder, laßt uns lernen von Gideon! Wahrlich, der Zustand des Volkes Gottes damals war nicht beglückend und beneidenswert, aber ein Gideon kennt seinen Platz, hält unbedingt treu zusammen mit Gottes Volk, redet nicht von sich und seinen Enttäuschungen, sondern von denen, die der Herr Sein Eigen nennt, von Seinem Volk (wie ein Paulus vom 12stämmigen Volk redet, als wahrlich von diesem nichts zu sehen war (Apg 26,7) - und wird gebraucht, gerade dies armselige Volk zusammenzuhalten und neu aufzubauen und zu beweisen, daß Gott Sein Volk nicht verlassen hat. Genug davon, doch laßt uns etwas von dieser Gesinnung lernen und offenbaren!
Auf diesen grundlegenden Erörterungen aus der Anfangsgeschichte Gideons ergibt sich bei gegebener Veranlassung sein Verhalten gleichsam gemäß Röm 12,21 sozusagen von selbst. Die Gelegenheit, wo sich seine Weisheit und Milde im Sinne unserer Stelle so köstlich zeigt, ist im Anfang von Kap. 8! Wir wissen, daß er seine Streiterschar, die er wie in einer gewaltigen Erweckung zusammenbringt, mehrmals reduzieren muß, und zwar aus gewissen Gründen (7,2.3 u. 4.8). Als aber der Sieg errungen war, da konnten auch andere sich an den Auswirkungen desselben, der Verfolgung des Feindes, der Bestrafung feindlicher Fürsten beteiligen. Unter diesen nachträglichen Mitkämpfern befanden sich „alle Männer von Ephraim“, die Gideon gerufen hatte - sicherlich, damit auch sie - gleichsam „ganz Israel“ - an dem Siege teilhätten. Das war schön und geistlich-kameradschaftlich gedacht. Aber jene Ephraimiten dachten nicht so wie der gottgewählte Führer! Sie glaubten sich von Manasse benachteiligt, weil sie nicht zur rechten Zeit, zu Beginn des Kampfes gerufen seien. Ob diese Entrüstung ganz echt war?
Einerlei, sie war zum mindesten sehr wenig liebevoll, sehr wenig demütig und sehr wenig geistlich. Diese Männer standen nicht auf der geistlichen Höhe eines Gideon, und wenn er in ebensolchem Wesen gehandelt hätte wie sie, dann hätte der große Sieg nach außen mit einer schmerzlichen Niederlage nach innen geendet! Aber Gideon war ein ganz anderer Charakter! „Sie zankten heftig mit ihm“ (8,1) - aber er nicht mit ihnen! Er blieb gewissermaßen stets dessen eingedenk, daß er den Kampf für das ganze Volk führte („uns“)! und daß er deshalb auf der Hut sein müßte, es möge etwa ein Stamm abgeschnitten werden (Vgl. 21,2.3.6)!. Er antwortete in einer geradezu herzlichen Art, brüderlich-lieb, zuvorkommend, selber zurücktretend, demütig, still und gütig, daß wir uns Mühe geben sollten, solche Sprache miteinander zu sprechen, wenn je ein Streit auszubrechen, eine Übervorteilung einzureißen, ein Mißverständnis aufzukommen scheint, das dann bei weiterem unklugem Verhalten zum offenen Kampf führen könnte. Wunderbar dies: „Was habe ich nun getan im Vergleich zu euch?!“ Klingt das nicht fast zu demütig? Der Führer, der von Gott gebraucht ist, einen Sieg ohnegleichen zu erringen - und dann mit 300 Mann! -, der „alle Männer von Ephraim“ gerufen hat, die dann vermöge ihrer ungeschwächten Kampfkraft kaum so sehr wie ihrer großen Zahl wegen den verhältnismäßig leichten Fang der durch die Niederlage völlig fassungslosen Fürsten Oreb und Seeb machen durften („durften“, weil Gideon es ihnen erlaubte und nahelegte! V. 24) - ich sage: dieser Führer spricht doch fast zu demütig! Aber ich glaube, er fühlte, was bei den ehrgeizigen Ephraimiten auf dem Spiele stand, und so handelte er gütig und überwand ihr Böses mit seinem Guten, seiner Güte und Demut! Er preist sie wegen ihrer „Nachlese“, die seine Weinlese weit überträfe! Er zieht Gott mit hinein und sagt ihnen, sie lobend, Gott habe die Fürsten von Midian, Oreb und Seeb, in ihre Hand gegeben ..., und dann: „und was habe ich tun können im Vergleich mit euch?“ Das ist überwältigend! Das ist doch wohl die Gesinnung des demütigen Meisters, unseres Herrn Jesus, das ist, wie wenn es dem Paulus abgelauscht ist (z. B. 2Kor 12,15)!. Welch eine Lehre für uns, die wir so leicht uns einzelne selbst, unsere eigene Arbeit, unser eigenes Tun, unsere „so guten“ Absichten, unsere Mühe, unsere Erfolge in den Vordergrund zu rücken geneigt sind, um die der anderen zu verkleinern. Ja, ja unser „Ich“! Der Herr gebe uns Gnade, aus dieser Haltung des Gideon viel zu lernen für unser Zusammenstehen mit anderen Arbeitern in Seinem Werk, mit Brüdern, die ebenso von Gott geliebt sind wie wir und die ihre Aufgaben und Pflichten erfüllen und ihrer Verantwortung nachkommen so gut wie wir, wenn auch vielleicht auf ganz andere Weise und auf ganz anderem Boden! Tragkraft und Güte tut uns so not, Verständnis für andere und ihre Gedankenkreise (während wir so leicht und so gern andere nach uns beurteilen und einschätzen) und Anerkennung ihrer, unserer Meinung nach vielleicht kleineren Gabe („was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber auch empfangen hast, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ 1Kor 4,7) und dessen, was sie leisten, wenn sie auch nicht mit uns wetteifern können (??)! Tragkraft der kleinen Schwächen bei anderen und Güte gegen die Brüder und daher Niedriggesinntheit, Demut und Sanftmut, ja Liebe untereinander tut uns not. Dann bleibt auch Gottes Volk zusammen, wird nicht zerrissen, und - gerechtfertigt oder ungerechtfertigt aufsteigender Zorn wird besänftigt (V. 3)!. „Dieses Wort“ von ihm bewirkte das - ach, laßt uns Gnade nehmen und haben, „dieses Wort“ der Güte und Sanftmut auch zu reden, wo irgend möglich, dann würde sicher oft unsagbar viel erreicht im Verkehr untereinander innerhalb der Gemeinde des HErrn! „Eine gelinde Zunge zerbricht Knochen!“ (Spr 25,15b) „Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt!“ (Kol 4,6a)
Das kostbare Verhalten Gideons ist wirklich ein solches, das unsere Stelle Röm 12,21 verwirklicht: „Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ Sein Verhalten strahlt um so heller, als der einige Jahrzehnte später lebende Richter Jephtha - wahrlich, auch ein gewaltiger und treuer Mann; auch wie Gideon im Glaubenskapitel Heb 11 genannt! - sich leider nicht zu den gleichen geistlichen Höhe erhob wie Gideon. Wir haben ihn nicht zu richten, aber wir haben zu lernen, und da die Veranlassung zu dem so schmerzlichen Ergebnis sozusagen die gleiche war, ja, auch mit dem gleichen Stamm (Ephraim), so ist uns das Lernen leicht gemacht! (Richter 12)! Sicher, wenn der große Jephtha gedacht und gehandelt hätte wie Gideon, dann wäre der so überaus schmerzliche Verlust von 42000 Ephraimitern vermieden worden! (Es ist bezeichnend, daß der Gebrauch des Wortes „Schibboleth“ auf ein so betrübliches Ereignis zurückgeht)! Doch will ich darüber nicht mehr schreiben; nur fragen möchte ich uns alle: Wie wollen wir lieber handeln - wie Gideon in Richter 8 oder wie Jephtha in Kap. 12? Und so gern wir auch sagen wollen: „wie Gideon“! - müssen wir nicht beschämt zugeben, daß oft gehandelt ist gleichsam gemäß Jephtha in Richter 12? Wäre das Volk Gottes wohl so zerspalten, wenn es mehr gegangen hätte nach Richter 6,13 und 8,2.3?! Ach, wie ernst sind doch die Belehrungen des Wortes Gottes, wie ernst sagt es uns 1Kor 10,11: „Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist!“ (Vgl. Röm 15,4) Ja, wie ernst ist Sein Wort, aber auch wie kostbar, gepriesen sei Er! Er gebe uns Gnade, aus Seinem Worte uns belehren zu lassen, wie wir dem „beherzigenswerten Rat“ von Römer 12,21 besser nachkommen können - zu unserer Auferbauung und vor allem zu Seiner Ehre!
F. K.
(Fortsetzung folgt, s. G. w).