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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
Lk 5,18-20 - „Zielbewußter Glaube“Lk 5,18-20 - „Zielbewußter Glaube“
Es war an einem jener wunderbaren Tage, an denen der Herr Jesus hienieden im Kreise einer großen Zahl von Menschen lehrte und die kostbaren Wahrheiten des Reiches Gottes verkündigte. Pharisäer und Schriftgelehrte waren auch zur Genüge zugegen, sie mochten von allen Seiten zusammengeströmt sein, vielleicht, um durch ihre (vermeintliche) Autorität zu verhindern, daß die ungelehrte Volksmenge dem neuen Rabbi allzu ungehindert Beifall zolle. Sie wußten es nicht, jene tugendstolzen und dabei so sündenkranken Volksführer und Volksverhetzer, daß der Heilige Geist über jene Szene die Worte schreiben lassen würde: „und des
Herrn Kraft war da, sie zu heilen“ (Lk 5,17). Sie waren sich ja leider keiner Krankheit bewußt, sie kannten ja ihre Sündenleiden nicht und hätten sie nie zugegeben, wenn Er sie darüber belehrt hätte (vgl. Joh 9,41). Wie jammervoll traurig ist das doch, daß ungezählte Menschen damals wie heute des Heiles verlustig gehen, weil sie sich nicht heilsbedürftig vorkommen! (Sollte irgend jemand dies lesen, der auch noch bis jetzt versäumt hat, den rettenden Heiland um Gnade anzuflehen, so sei er ernstlich auf das in diesem Kapitel vom Herrn Jesus gesagte Wort hingewiesen: „Die Gesunden bedürfen nicht eines Arztes, sondern die Kranken! Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße!“ Lk 5,31.32). Obwohl nämlich zwischen damals und heute gewaltige Unterschiede in politischer, kultureller, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht bestehen - in dieser Beziehung sind sich die Menschen von damals und heute ganz genau gleich: ihre Leiber sind heute nicht weniger krank denn damals, ihre Gewissen sind heute ebenso beschwert wie einst, und die Herzen der Menschen sind gegenwärtig genau so heilungsbedürftig wie ehedem. Jedoch ebenso wie damals fehlt heute den selbstgerechten (wie auch den weltseligen) Menschen der Wille, geheilt, gerettet zu werden - und dennoch ist in unseren Tagen wie zu jener Zeit die Kraft des Herrn da, zu retten die, die in zielbewußtem Glauben Gebrauch machen von der Rettermacht Jesu Christi, des Sohnes Gottes und Sohnes des Menschen.
Plötzlich wird die Sachlage völlig verändert, man könnte auch sagen: in der kurzweiligsten Weise gestört! Aller Blicke vereinigen sich auf vier Männer - eigentlich aber fünf -, deren absonderliches Tun wohl fähig ist, die Aufmerksamkeit zu erregen: „Und siehe, Männer“ (nach Mk 2,3 „vier“), „welche auf einem Bette einen Menschen bringen, der gelähmt war; und sie suchten ihn hineinzubringen und vor Ihn zu legen. Und da sie nicht fanden, auf welchem Wege sie ihn hineinbringen sollten wegen der Volksmenge, stiegen sie auf das Dach und ließen ihn durch die Ziegel hinab mit dem Bettlein in die Mitte vor Jesu. Und als Er ihren Glauben sah, sprach Er: Mensch, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Lk 5,18-20). „Siehe!“ sagt der Heilige Geist. An diesen glaubensstarken Menschen nimm dir ein Beispiel! Sie können uns viel lehren, diese tatkräftigen „Männer“! Gewiß, auch Frauen können solche Glaubensmenschen sein, aber es kommt auf den Charakter derselben an, dieser „Männer“, die jedes Hindernis überwinden, die genug Tragfähigkeit und Liebe haben, um ihr Ziel: „die Mitte vor Jesus“ zu erreichen. War es nicht auf gewöhnlichem Wege möglich, dann auf ungewöhnlichem. Liebe ist erfinderisch, und genau wie später in Lk 19,1ff. der suchende Zachäus sein Ziel, „Jesus zu sehen, wer Er wäre“, auf dem Umwege über den Maulbeerfeigenbaum völliger, als er ahnte, erreicht, so gewinnen diese vier oder fünf „Männer“ es auf dem Umwege über das Dach. Ein solcher Umweg zu solchem Ziel ist der direkteste Weg, den es gibt; um solch ein Ziel zu erreichen, ist kein Umweg zu weit, zu umständlich - für jedermann? O nein, sondern nur für Glaubensmänner!
Der Herr gebe Gnade, daß wir aus dem Verhalten dieser Männer für uns lernen! Siehe!
Wie sah ihr Glaube aus?
1. Es war echter Glaube an den Herrn Jesus (vgl. Apg 16,31). Freilich gewiß nicht so sehr Heilsglaube als Wunderglaube, aber der letztere war ja damals auch das für sie Nächstliegende, einmal weil ihr Freund oder Nachbar, der Kranke, ihrer Meinung nach, (nicht seiner anscheinend nach V. 20)! vor allem Heilung brauchte und dann, weil sie damals den Herrn schon kennen gelernt hatten als den Wunderheiler. Denn diese Geschichte geschah in Kapernaum (Mk 2,1), und dort waren nach Mk 1 schon mancherlei Wunder geschehen. Und sie hatten jenen echten Glauben an Ihn, der da rechnet mit Seiner Liebe und mit Seinem Willen, zu heilen die, die sich Ihm nahen nach Ps 50,15. Der Glaube, wenn er rechter Art ist, vertraut sich, ohne irgend zu zweifeln, dem Retter an. Das taten sie, oder vielmehr: das wollten sie tun, und bis sie ihr Ziel erreichten, hielt dieser ihr Glaube durch.
Wie ist es darin um unseren Glauben bestellt?
2. Es war ein Glaube, der da wußte, was er wollte. Sie behielten ihr Ziel unentwegt im Auge, ohne Zögern, ohne Schwanken, ohne durch die Hindernisse im mindesten aufgehalten zu werden in der Verwirklichung ihrer Glaubenszuversicht. Siehe, wie sie mit ihrer kostbaren Last, einem ebenso wie sie gläubigen - aber anscheinend heilsgläubigen - Manne, der krank daniederlag, daherkommen! Kein Gedanke daran, daß die Tür durch Menschen verrammelt sein könnte! Aber sie war es! Was tun? Hintenherum! Die gleiche Kalamität! Geht nach Hause, ihr guten Leute! Kommt morgen wieder! Heute, hier läßt euch keiner durch - wie später den Zachäus auch nicht - keiner will etwas versäumen, keiner hat ein Herz für euch! (Wirklich keiner? O doch, Einer, aber dieser Eine weiß, was der „Glaube, der durch die Liebe tätig ist“ fähig ist, noch zu tun)! - Nach Hause? Warum nicht gar? Männer des Glaubens gehen nicht, ohne ihr gestecktes Ziel erfaßt zu haben, nach Hause. Also was dann? - Was? Hinaus aufs Dach! (Die Treppen auf die platten Dächer führten vom inneren Hof aus außen an der Hausmauer hinauf). Wußten unsere Freunde, was sie wollten? O gewiß, denn das Dach allein hätte ihnen ja auch nichts genützt, - sie müssen von vornherein ihren Plan fertig gehabt haben!
Wissen wir, was wir wollen?
3. Ihr Glaube war eingestellt auf die einzige Person, die solchen Glauben beanspruchen konnte: auf den Herrn Jesus, und darum, und nur darum, war diesem Glauben kein Preis zu hoch: er überwand alle äußeren Hindernisse, gab jede Bequemlichkeit auf, war bereit, Kosten zu übernehmen - oder meinst du, das Aufbrechen des Daches wäre kostenfrei gewesen?! Versuche mal, in einem fremden Hause das Dach aufzubrechen - kostet das nichts!? Vielleicht haben sie es nachher selber wieder geschlossen? Vielleicht ja - aber aufbrechen ist sicher leichter als wieder heilmachen, weißt du!? Vielleicht haben sie dies doch lieber Fachleute machen lassen, und das kostet etwas! Aber mehr! Meinst du, die erstaunten Menschen, die von unten zuschauten, hätten ganz still geschwiegen? Ich glaube, einige höhnische oder hämische Bemerkungen haben die Vier doch zu hören bekommen! Vielleicht haben einige gelacht - wie sicher auch in der Zachäusgeschichte! Verlacht oder auch nur belächelt zu werden vertragen manche Leute schlecht - Glaubensmänner ficht dies wie jenes nicht an, sie zahlen jeden ihnen nur möglichen Preis, um ihr Ziel - Jesus - zu finden, zu gewinnen (vgl. Paulus nach Phil 3).
Und ich - und du?
4. Solcher Glaube, der nur an einer Person, nur an dem Herrn Jesus hängt, blickt auch nicht auf sich, vergeht nicht in Selbstbewunderung und Selbstruhm - „wer sich rühmet, der rühme sich des Herrn!“ 1Kor 1,31 - er ist sich nicht selbst interessant; das wäre ja Zielverrückung! Wer hätte von diesen Männern geredet, wenn nicht der Heilige Geist?! Sie selber reden nicht von sich, nicht ihre Ehre ist ihr Ziel, sondern Jesus allein! „Vor Jesus mit dem Kranken!“, das ist dieses zielbewußten Glaubens Parole!
Welche Lehre für uns?
5. Wie wir schon sahen, sucht solcher Glaube gangbare Wege, einerlei wie beschwerlich sie sind, denn er ist durchtränkt mit brennender Liebe. Und da bewundere diese zu allem fähige Liebe, der eine enge Stiege nicht zu unbequem ist, um den Kranken hinaufzubringen! Hast du schon einmal eine Krankenbahre mitgetragen? oder bist du schon einmal getragen worden? Weißt du, wie weh jeder Stoß tut, welche Leiden solch ein Transport eine schmale Treppe hinauf dem Kranken bereiten kann? Siehe jene glaubensfrohen, liebenden Männer, wie vorsichtig und zart sie den, der sich ihnen anvertraute, damit sie ihn zu Jesus brächten, zu tragen bemüht sind, um ihm den Weg nicht saurer zu machen, als er schon ist: sie selber nehmen alles Saure mit in den Kauf, sie gehen den gangbaren Weg in vorbildlicher Weise; wie nur sie diesen Liebesdienst überhaupt tun können, so tun sie ihn auch mit hingebender Treue (vgl. Frage 11)!, treu auch im Kleinen, nämlich jeder an seiner Ecke!
6. Denn einmütig muß solcher Glaube sein, und einmütig handelten auch diese Vier. Keiner beanspruchte die Ecke eines der anderrn; jeder tat seine Pflicht an seiner Ecke, und jeder hatte „Tragfähigkeit“ genug, um bemüht zu sein, sein redliches Teil an der gemeinsamen Last und der Beschwerde zu tragen, ohne Murren und „Seufzen widereinander“ (Jak 5,9), in gegenseitiger Unterordnung untereinander, je nachdem wie die gegenseitigen Zurufe beim Tragen es verlangten. Sie handelten in wahrer Gemeinschaft, das ist: „Teilhaberschaft“ am gemeinsamen Werk, an dem keiner überflüssig war und keiner mehr tun sollte und tun konnte als der andere. So gingen sie in bewußtem (nicht nur behauptetem) Einssein voran, alle von dem gleichen Wunsche beseelt, sowohl die Vier, wie auch der Fünfte: „Vor Jesus!“ Keiner kritisierte den anderen - ist doch Kritik so oft der Tod der Liebe; keiner hielt das Tun des anderen für unnötig - stand doch jeder mit seinem Glauben fest an seinem ihm angewiesenen Posten und tat dort sein möglichstes, seine inneren Augen gerichtet auf den Herrn, der ihrer aller Ziel war - und war Er's nicht, so war ihre Arbeit und Mühe wertlos! -
Welche Predigt doch halten uns und unserer Arbeit in der Gemeinde des Herrn diese „treuen Männer“! Verstehen wir ihre Predigt, Brüder? - Welche Belehrung noch geben sie uns auch für zielbewußtes Gebet, zu dem wir übereingekommen sein mögen (Mt 18,19)! Sind wir darin so treu wie jene in ihrer dem inneren Sinne nach so ähnlichen Tätigkeit, mit der sie äußerlich genau so, wie die Beter geistlicherweise, einen Menschen vor Gott brachten?! O, daß wir von ihnen lernten, was Gemeinschaft, Teilhaberschaft in der Schrift ist!
7. Für diesen Glauben endlich gab es keine „nebensächlichen Dinge“. Alles, was dem Gelingen ihres Planes, der Zielgewinnung, diente, war wichtig genug, um getan und benutzt zu werden, galt es doch, „die Mitte vor Jesus“ zu finden, um den Freund an die rechte Stelle, nicht aber etwa auf die Köpfe der Menschenmenge fernab vom Meister herniederzulassen! Nicht jeder der Vier mochte die Fähigkeit haben, genau den Punkt zu erwägen, wo das Abdecken des Daches zu geschehen hatte, aber wer da genügend „mathematischen Sinn“ hatte, um es zu „berechnen“, unter welchem Punkt, - wer da wußte, wo Sich der Herr befand, dem haben die anderen nicht zugerufen, wie es heute manchmal geschieht, wenn der eine oder andere diese oder jene Wahrheit der Schrift betont: „Ach, das ist nicht so nötig“ - oder gar: „das ist nebensächlich!“ (Hat Gott uns Nebensächliches durch den Heiligen Geist mitteilen lassen??) Nein, sie hörten aufeinander - handelte es sich doch um ein kostbares Ziel! - Und dann mußten sie nach Aufbrechung des Daches an dem großen Loch rings herum einen festen Standort haben, um den Kranken herniederzulassen (- auch Seile mußte ihre zielstrebige Liebe mitgebracht haben! Ihr Glaube hatte die praktische Liebe mobil gemacht und ihre Liebe den praktischen Glauben! -) und um nicht selber nachzustürzen - meinst du, sie haben so kurz vor dem Ziel gegenseitige Ermahnungen zum Feststehen auf dem festen Grunde (Welches ist unser fester Grund? vgl. 1Kor 3,11; 2Tim 2,19; Off 3,8 usw). für überflüssig gehalten (für „nicht so wichtig?“ vgl. Jahrbuch 7, S. 160)!? -
O Bruder, Schwester, was lehrt uns doch alles der Glaube dieser vier, nein, dieser fünf Männer!
Und dieser zielbewußte „Glaube“, der, wie schon oben betont, „durch die Liebe tätig“ war (Gal 5,6), erreichte das Ziel seiner Hoffnung: den Retter, den Meister Jesus! Und damit war die Arbeit jener Vier getan. Sie werden ihres Lohnes in der Ewigkeit nicht verlustig gehen, Gott vergißt ihr Tun gewiß nicht, wie auch der Herr ihren Glauben nicht vergißt (V. 20; Heb 6,10). Aber nun traten sie zurück vom Schauplatz. Nun das Ziel erreicht ist, tritt Er, der das Ziel ihres Glaubens, ja des fünffachen Glaubens war, ganz in den Vordergrund. Als der Herzenskundige, vor dessen sehendem Auge wir alle wie ein aufgeschlagenes Buch sind, greift Er das Übel an der Wurzel an, macht Er das Herz des Fünften offenbar! Er antwortet dem stillen Herzensglauben dieses Mannes, den seine Sünden mehr quälen als seine körperlichen Lähmungen, und jene treuen Männer, die ihn „in die Mitte vor Jesus“ gebracht hatten, dürfen Zeuge sein des ewig denkwürdigen Wortes, das jeder von uns für sich mit den Ohren des Glaubens vernommen haben muß: „Deine Sünden sind dir vergeben!“ Gepriesen seist Du, teurer Herr, daß Du durch Deinen Geist dieses dein Wort auch uns lebendig gemacht und versiegelt hast, uns, die wir glauben gelernt haben an Dich, den Sohn Gottes und Heiland der Sünder - an Dich, unseren Heilandgott!
Er aber gebe uns Gnade, für unser praktisches Glaubensleben in persönlicher Hinsicht wie im Blick auf unsere Teilhaberschaft innerhalb der Gemeinde einiges aus diesen noch sehr unvollkommenen Bemerkungen über jene fünf Männer gelernt zu haben und auch noch weiter darüber zu forschen, - können sie uns doch noch manches lehren! „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht für meinen Pfad!“ (Ps 119,105).
F. K.