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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 18 - Jahrgang 1933
Heb 12,14 - Jaget nach ... der Heiligkeit, ohne welche niemand den Herrn schauen wirdHeb 12,14 - Jaget nach ... der Heiligkeit, ohne welche niemand den Herrn schauen wird
So wie wir nach Frieden mit allen nur trachten können, wenn Gottes Friede unser Herz regiert, so können wir auch nur der Heiligkeit nachjagen, wenn wir Geheiligte in Christo Jesu geworden sind. Ehe der Apostel deshalb die Hebräer ermahnt, der Heiligkeit nachzujagen, schreibt er ihnen, daß sie „geheiligt sind durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Heb 10,10). Weil sie Geheiligte waren, sollten sie als solche auch der Heiligkeit in ihrem praktischen Leben nachjagen.
Bevor wir uns aber hiermit weiter beschäftigen, müssen wir wissen, was die Schrift mit „heilig“ meint. Eine falsche Heiligungslehre verknüpft mit „heilig“ den Gedanken eines Gefördertseins bis zur Sündlosigkeit, ja bis zur Ausrottung der Sünde und der alten Natur usw. Wenden wir uns aber zum Worte Gottes und prüfen wir dieses sorgfältig, so finden wir, daß das Wort „heilig“ (ob es in Verbindung mit Personen oder Dingen usw. gebraucht wird) in der Schrift die Grundbedeutung von „abgesondert“ hat.
Nehmen wir eine Konkordanz zur Hand und schlagen die Stellen in der Schrift nach, in denen die Worte „heilig“, „heiligen“, „Heiligung“ usw. gebraucht werden, so werden wir unter Beachtung des Zusammenhanges bestätigt finden, daß der Grundbegriff dieser Worte „abgesondert“ ist, ein Abgesondertsein von dem Bisherigen, Gewöhnlichen oder Allgemeinen, und zwar für eine neue Stellung und Bestimmung. Nur einige wenige Stellen der Schrift mögen hier zur Prüfung angeführt werden!
1. „Ihr sollt Mir ... eine heilige Nation sein.“ (2Mo 19,6) Das Volk Israel war nicht tadelloser, reiner oder besser als andere Völker, Gott aber wollte es in eine besondere Stellung und Beziehung zu Sich Selbst bringen und heiligte - sonderte es zu diesem Zweck von allen anderen Völkern der Erde ab.
2. „Heilige Mir alles Erstgeborene, was irgend die Mutter bricht unter den Kindern Israel, an Menschen und an Vieh; es ist Mein.“ (2Mo 13,2) Gott forderte, daß alles Erstgeborene in Israel Ihm geheiligt - Ihm abgesondert werden sollte. Er forderte es für Sich: „Es ist Mein.“ Diese Erstgeborenen, ob Menschen oder Tiere, waren nicht vollkommener oder vorzüglicher als alle anderen, aber sie sollten geheiligt, abgesondert werden von allen anderen für Gott zu Seinem Gebrauch und Dienst.
3. Im Neuen Testament finden wir das Wort „heilig“ zum ersten Male in Verbindung mit Jerusalem, der „heiligen Stadt“ (Mt 4,5). Weiter redet die Schrift von: heiligen Gefäßen, heiligem Schmuck, heiligem Wasser, heiligem Bund, heiligem Tempel, heiligen Händen, heiligem Kuß usw. Welche Anwendung kann „heilig“ in der Bedeutung einer inneren Reife oder Vollkommenheit in diesen Verbindungen finden? Jerusalem war nicht reiner oder besser als andere Städte. Über diese Stadt weinte der Herr, und in ihr wurden Er gekreuzigt. Aber selbst noch nach der Kreuzigung wurde sie die „heilige Stadt“ genannt (Mt 27,53). Warum? Gott hatte diese Stadt von allen anderen abgesondert, weil Sein Name dort wohnen sollte. (2Chr 12,13)
4. „Saget ihr von dem, welchen der Vater geheiligt ... hat: Du lästerst?“ (Joh 10,36) In dieser Schriftstelle wird „heilig“ auf den Sohn Gottes angewandt. Wenn „geheiligt“ sein mit innerer Reife, vermehrter Reinheit und Heiligkeit verknüpft ist, wie könnte es dann auf den angewandt werden, der immer „der Heilige“ war und dessen Kommen in die Welt angekündigt wurde mit: „Das Heilige, das geboren ..., wird Gottes Sohn genannt ...“ (Lk 1,35) Was hier aber gesagt wird, ist, daß der Vater den Sohn geheiligt - Ihn abgesondert und für die Vollführung des Werkes der Erlösung in die Welt gesandt hat.
5. Und weiter sagt der Herr Joh 17,19: „Ich heilige Mich Selbst für sie, auf daß auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit.“ Kurz bevor Er Sein Werk vollendete und die Welt verließ, sagt Er - der vom Vater „Geheiligte“ -, daß Er nun Sich Selbst für die Seinigen heiligt - absondert und gen Himmel fährt, um Sich dort für sie zu verwenden, damit sie durch das Licht der Wahrheit auch Geheiligte - Abgesonderte - von der Welt seien, die Ihn verworfen hat.
6. „Der ungläubige Mann ist geheiligt durch das Weib (oder in dem Weib), und das ungläubige Weib ist geheiligt durch den Bruder (oder in dem Bruder); sonst wären ja eure Kinder unrein, nun aber sind sie heilig.“ (1Kor 7,14) In dieser Schriftstelle wird das Wort „heilig“ in Verbindung mit äußeren und irdischen Verhältnissen gebracht. Der ungläubige Mann ist durch seine Willigkeit, mit seinem gläubig gewordenen Weibe weiterhin zusammenzuleben, in Gottes Augen geheiligt - abgesondert -, nicht in Christo Jesu, sondern in seinem Weibe - nicht in bezug auf ewige Segnungen, sondern in bezug auf äußere Segensvorrechte und -einflüsse durch sein Weib. So wie Speise durch Gebet geheiligt - abgesondert wird von anderer Speise (1Tim 4,5), so wird auch der ungläubige Mann durch seine eheliche Gemeinschaft mit einer Gläubigen abgesondert und unterschieden gesehen von Männern mit ungläubigen Weibern. Ebenso ist es mit den Kindern. Sie sind heilig (nicht gerettet), abgesondert gegenüber Kindern, die nicht in der Zucht und Ermahnung des Herrn erzogen werden.
7. Noch eine Stelle, und zwar eine solche, in der das Wort „heilig“ auf „Gottlose“ angewandt wird: „Alle, die sich für die Gärten heiligen und sich reinigen hinter einem Götzenpriester in der Mitte her ..., die sollen allesamt ein Ende nehmen.“ (Jes 66,17 - Menge-Übers).15
Wir kehren nun nach dieser Unterbrechung zur Betrachtung unseres Schriftwortes zurück. Wie oben gesagt, nachdem der Apostel den Hebräern geschrieben hatte, daß sie durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Christi geheiligt seien, forderte er sie nun auf, der Heiligung nachzujagen. Das erste hatte Gottes Gnade an ihnen getan, das zweite sollten sie tun.
Das gleiche finden wir bei den Korinthern. Paulus schreibt ihnen, daß sie „Geheiligte in Christo Jesu“, „berufene Heilige“, seien (1Kor 1,2). Gottes Gnade hatte sie „abgewaschen“, „geheiligt“, „gerechtfertigt“ (1Kor 6,11). Dann aber werden sie ermahnt: „Die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes.“ (2Kor 7,1) Das eine hatte Gott getan, das andere sollten sie tun.
Wir sehen somit, daß die Schrift in zwei verschiedenen Weisen von der Heiligung spricht, und dies ist höchst wichtig zu beachten. Sie spricht von der Heiligung 1. als von einem vollkommenen Werk der Gnade Gottes an uns, welches eine vollendete Tatsache ist, und 2. als von einer praktischen Heiligung, die nach dem Maße der Treue des Gläubigen wachsend und fortschreitend ist und deren Vollendung durch uns bewirkt werden soll.
Wenn Gott in Seiner Gnade mit dem Sünder handelt, so ist das erste, daß Er ihn von dem Schmutz seiner Sünden wäscht, ihn heiligt und rechtfertigt. So finden wir es in 1Kor 6,11: „Solches (Räuber, Trunkenbolde usw). sind euer etliche gewesen; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes.“ Sie wurden gewaschen von ihrer Unreinheit; sodann geheiligt - abgesondert von dem, was sie zuvor waren, und in eine neue Stellung gebracht, in welcher sie Zutritt ins Heiligtum hatten; alsdann folgt „gerechtfertigt“ - von Gott auf Grund des Todes und der Auferstehung Jesu Christi für gerecht erklärt.
Dies ist eine beachtenswerte Reihenfolge, die uns zeigt, wie Gott in Seiner Gnade mit dem Sünder handelt. Er wäscht ihn, sondert ihn für Sich ab und spricht ihn gerecht. Vielleicht sagt jemand, daß die Reihenfolge in 1Kor 1,30 entgegengesetzt sei. Dort heißt es, daß Christus Jesus uns geworden ist „Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung“. Und doch ist die Reihenfolge die gleiche (Heiligkeit bleibt in der Mitte), sie wird nur von zwei Entgegengesetzten Gesichtspunkten aus gesehen; das eine Mal von der Seite des Sünders aus, das andere Mal von Gottes Seite aus.
Diesem Geheiligtsein auf Grund des Opfers Christi fügen wir durch unser Werk und unser Verhalten nichts hinzu. Es ist ein Heiliggemachtsein aus Gnaden, in welchem es keine verschiedenen Stufen oder Grade gibt, ebensowenig wie es solche in der Erlösung oder Rechtfertigung gibt. Was von Gottes Seite geschieht, ist vollkommen.
Wir kommen nun zu der zweiten Seite - zur Heiligkeit, die von uns vollendet werden soll. Jedes Kind Gottes ist ein Geheiligter in Christo Jesu, d. h. er ist durch
Gottes Gnade in Christo Jesu abgesondert für Gott und deshalb auch verantwortlich, als ein Geheiligter für Gott zu leben. Während, wie schon gesagt, in dem „Geheiligtsein“ es keine verschiedenen Stufen noch Grade gibt, gibt es solche aber im praktischen Ausleben desselben.
Die Korinther entsprachen in ihrem Wandel und Verhalten nicht ihrer hohen Stellung, Geheiligte in Christo Jesu zu sein. Neid und Streit waren in ihrer Mitte. Paulus konnte zu ihnen nicht als zu Geistlichen reden, sondern als zu Fleischlichen, die nach Menschenweise wandelten. (1Kor 3,1-3) Und dennoch zögerte der Apostel nicht, ihnen zu schreiben, daß sie geheiligt seien, und sie als „Geheiligte in Christo Jesu“ und als „berufene Heilige“ anzureden. Aber eben deshalb konnte der Apostel sie auch ermahnen, sich selbst zu reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes. (2Kor 7,1)
Und so wie die Korinther, werden auch die Hebräer in unserer Schriftstelle ermahnt, dieser ihnen aus Gnaden zuteil gewordenen Heiligkeit - ohne welche niemand den Herrn schauen wird16 - nachzujagen und sie im praktischen Leben zu verwirklichen. Dieses Nachjagen muß die naturgemäße Folge unseres Geheiligtseins auf Grund des Opfers Christi (gleichsam die Antwort unseres Herzens darauf) sein. Hat aber unser Herz die Wahrheit, von Gott geheiligt zu sein, noch nicht erfaßt, wie können wir dann dem Geheiligtsein nachjagen? Solches würde nur ein Mühen in eigener Kraft sein, in welchem das eigene Ich zum Hauptgegenstand der Betrachtung und Beschäftigung unseres Herzens gemacht wird.
Im Grundtext fehlt der bestimmte Artikel vor „Frieden“, während er vor „Heiligung“ steht. Menge, Wiese u. a. übersetzen: „Trachtet nach Frieden mit jedermann und nach der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird.“
Sicher ist das Verlangen nach einem heiligen Leben von dem Heiligen Geiste gewirkt. Es kann nicht anders sein. Gottes Werk der Heiligung ist der Anfang und Ausgangspunkt eines neuen Lebens und inneren Triebes, seine Glieder nicht mehr in den Dienst der Unreinigkeit und Gesetzlosigkeit, sondern der Gerechtigkeit und Heiligkeit zu stellen. (Röm 6,19) Der Gläubige kommt aber nicht eher dahin, bis er das völlige Errettungswerk Gottes erfaßt hat. Das, was darin unbefestigte Seelen niederdrückt, ist nicht das, was sie getan haben, sondern das, was sie selbst sind; nicht ihre Sünden beunruhigen sie - sie wissen, sie sind vergeben -, sondern ihre Unfähigkeit, Gott zu leben. Kurz, sie haben die Erfahrungen von Röm 7,12 bis hin zu Röm 8,2 noch nicht gemacht17. Sie seufzen unter dem Gesetz in ihnen, welches dem Wollen des Geistes entgegen ist und demgegenüber sie die Kraft in sich vermissen, es wegzubringen. Bevor wir unsere völlige Errettung und Befreiung in Christo Jesu mit dem Herzen des Glaubens ergriffen haben, können wir aber dem, was Gottes Gnade für uns getan und aus uns gemacht hat, unmöglich entsprechen. Unsere Seele muß erst die Wahrheit unseres Geheiligtseins von seiten Gottes erfaßt haben, ehe wir die Heiligkeit vollenden können, denn unsere praktische Heiligkeit gründet sich ja darauf, daß wir „Heilige“ sind und nicht erst durch unseren „heiligen Wandel“ werden. Ein würdiger Wandel macht niemanden zu einem „Geheiligten“ in Christo Jesu, sondern umgekehrt, die Heiligung des Geistes macht uns zu Gottes würdig wandelnden Menschen (1Pet 1,2; 2Thes 2,13). Auf Sein Wort: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt“, antwortet unser Glaube mit einem Wandel, „wie es Heiligen geziemt“, und wir rühren Unreines nicht an“. (Eph 5,3; 2Kor 6,17)
Der Mensch im Fleische aber kann der Heiligkeit nicht nachjagen, und der Gläubige vermag es nur nach dem Maße seines Wachstums in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus (2Pet 3,18) und seines Gewurzelt- und Gegründetseins in der Liebe (Eph 3,17). Deshalb betete der Apostel auch für die Thessalonicher: „Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe ... um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen usw.“ (1Thes 3,12 u. 13) Er wußte, daß, wenn ihre Herzen tadellos in Heiligkeit befestigt sein sollten, dies nicht, wie manche heute lehren, von einem besonderen Erfahrungsakte abhing, sondern davon, daß sie völlig und überströmend in der Liebe seien. Heiligkeit ist eine Wirkung der Liebe, einer Liebe, die ihre Quelle in dem Herrn Jesus hat und die zu denen ausströmt, die aus Gott geboren sind. (1Joh 5,1)
Deshalb schreibt auch Petrus: „Heiliget Christus, den Herrn, in euren Herzen.“ (1Pet 3,15) Das Herz muß Ihm geöffnet sein. Jagen wir der Heiligung nach, dann heiligen wir Ihn in unserem Herzen. Abgesondert von allem, was Anspruch an unser Herz macht, empfängt Er darin den Ihm gebührenden höchsten Platz, und für Götzen ist kein Raum mehr. Dann ist Er der Herr über alles im Herzen, dann bleibt kein Gedanke, keine Neigung, kein Wort, keine Handlung, über welcher Er nicht steht. Dann sind wir nicht mehr unser selbst.
Wir sehen, wie wichtig die Ermahnung ist: „Jaget nach der Heiligkeit, ohne welche niemand den Herrn schauen wird.“ Bald wird der große Tag der Offenbarung anbrechen, wo „wir Ihn sehen werden, wie Er ist“ (1Joh 3,2), aber schon vor diesem herrlichen Tage können wir Ihn schauen, nicht mit unseren leiblichen Augen, aber mit den Augen unseres Herzens (Eph 1,18), die im Nachjagen der Heiligkeit immer mehr geöffnet werden, Ihn „mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt“ zu sehen. Doch hiermit wollen wir uns nicht mehr beschäftigen, hierüber ist bereits auf Seite 138ff. geschrieben worden. (Frg. 7)!
Der Herr betete einst für die Seinigen: „Heilige sie durch die Wahrheit; Dein Wort ist die Wahrheit.“ (Joh 17,17) Möchten wir uns noch viel mehr mit dem teuren Worte unseres Gottes befassen, um die heiligende Kraft desselben an unserem Herzen zu erfahren!
A. v. d. K.
15 Die Elberfelder Bibel übersetzt hier das im Grundtext stehende Wort „heilig“ mit „weihen“.↩︎
16 Unser Bruder W. E. Vine, der vielen bekannt ist, schreibt über unsere Schriftstelle: „Der bestimmte Artikel vor ‚Heiligkeit‘ ist wichtig zu beachten. Der Schreiber des Hebräerbriefes enthüllt die ganze Fülle des Werkes der Gnade Gottes und schließt auch die Heiligung darin ein. Diese kommt nicht von Menschen, sondern von Gott, und ohne diese kann niemand den Herrn sehen; eine Seele, welche diese nicht besitzt, ist getrennt von Ihm und rettungslos verloren. Kein Jude konnte diese durch Nachjagen dem Gesetz erlangen, sie ruht allein in Christo. Der Gläubige hat als ein „Geheiligter“ der Heiligkeit nachzujagen.↩︎
17 Siehe auch die Betrachtung über Röm 7,24 - 8,2 in Bd. 6, S. 154ff.↩︎