Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
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Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
Ps 145,18 – Und er betete ernstlichPs 145,18 – Und er betete ernstlich
„Nahe ist der Herr allen, die Ihn anrufen, allen, die Ihn anrufen in Wahrheit.“ (Ps 145,18).
Die Wichtigkeit des Gebets kennen wir alle; und doch möchte ich die Frage stellen: Wie viele von uns können wirklich „ernstlich“ beten? Haben wir uns nicht manchmal schon mit großer Beschämung dabei ertappen müssen, daß unsere täglichen Gebete kaum mehr als ein fast gedankenloses Aufzählen gewohnter Bitten waren, daß unser Mund Worte hervorbrachte, an denen das Herz nur geringen Anteil hatte? So war es häufig genug bei den Tischgebeten, so manchmal in der Versammlung, so mitunter selbst im Kämmerlein. Manche reden von einer Gebetsgabe. Das Wort Gottes kennt diese Gabe nicht. Man meint damit wohl die Fähigkeil, Gott in wohlgesetzten Worten - um es einmal ganz drastisch bei Namen zu nennen - einen schönen Vortrag zu halten. Ist das ernstlich beten?
Wie sich solche Gebetsvorträge auswirken können, dafür ein Beispiel. Ein älterer Christ ging durch ein Dorf. Plötzlich schlug eine Stimme an sein Ohr. Die Worte, die hinter einer dichten Hecke gesprochen wurden, erregten seine Aufmerksamkeit. Er blieb stehen und hörte, wie ein Junge in schönen, wohlgesetzten Worten ein langes Gebet sprach. Endlich erklang das Amen. Wie erstaunt und betrübt aber war der Zuhörer, als kurz darauf die gleiche Stimme zu einem ebenfalls unsichtbaren Dritten sagte: „Du, habe ich nicht schön gebetet?“
Auch wir erschrecken über solche Profanierung der heiligen Zwiesprache mit Gott. Aber wo hatte der Knabe dieses „schöne“ Beten gelernt? Nirgends anders als in den Gemeindestunden oder bei den Mahlzeiten zu Hause. Die „schönen“ langen Gebete dort hatten seinen kindlichen Nachahmungstrieb angeregt.
Um im wahren Sinn des Wortes zu beten, ist zunächst volle Sammlung nötig sowie die heiligernste Vorstellung: Jetzt rede ich zu dem allmächtigen Gott, dem König der Könige, dem Herrn der Herren. Zwar dürfen wir Ihm in Kindeseinfalt, ohne Scheu nahen, nie jedoch darüber die Hoheit Dessen vergessen, an den unsere Worte sich richten. Er ist in der Höhe. Wir sind auf der Erde. Würden wir wagen, einen irdischen Machthaber, der uns eine Audienz gewährte, mit der Aufzählung lauter bekannter Tatsachen zu langweilen? Unsere Bitten oder unseren Dank brächten wir bestimmt kurz und knapp in einfachen Worten vor. Solche einfachen, echten Bitten und Danksagungen allein können das Herz unseres himmlischen Vaters erfreuen.
In 1Tim 2 gibt der Apostel seinem Wunsch Ausdruck, daß die Männer „heilige“ Hände aufhöben zum Gebet. Die damalige Sitte war bekanntlich, die Hände beim Gebet zu erheben, nicht zu fallen. Das „Erheben heiliger Hände“ bedeutet ein Unbelastetsein von der Sünde. Wo sie ist, muß erst eine Reinigung, ein Selbstgericht erfolgen, ehe das Gebet wirksam sein kann.
Drittens ist unbedingte Ehrlichkeit notwendig. Was nützt es, etwas zu erbitten, auf dessen Besitz wir im Grunde herzlich wenig Wert legen! Bitten wie die z. B.: „Herr, hilf mir, daß es mit mir anders wird“, wo gar nicht der Wille dahinter steht, wirklich anders zu werden, haben nicht nur keinen Wert; sie sind geradezu unwürdig. Das ist so, wie wenn der verlorene Sohn Gott gebeten hätte, ihn zu seinem Vater zu bringen, und wäre dabei ruhig bei seinen Schweinen sitzengeblieben. Noch verwerflicher aber ist es, im Gebet nicht mißzuverstehende Anspielungen auf andere Anwesende vor Gott zu bringen, was auch manchmal vorkommt. Wenn wir uns wirklich der Nähe des dreimal heiligen Gottes bewußt sind, so werden solche Dinge ganz von selbst ausgeschaltet.
Schließlich - und das ist vielleicht das Schwerste - ist es nötig, im Glauben zu bitten, ohne irgend zu zweifeln. „Der Zweifelnde ist gleich einer Meereswoge, die vom Winde bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfangen werde.“ (Jak 1,6.7).
Unsere Zeit mit ihren gewaltigen geistigen Revolutionen erfordert für den Christen, den jungen wie den alten, ganz besondere Kraft. Alles halbherzige Wesen wird sich je länger, je weniger halten können. Ein jeder wird zur Entscheidung gedrängt, so oder so. Im Gebet trinkt die Seele aus der Quelle, die Christus, Gott ist. Da wird das Herz ruhig, und türmten sich die Schwierigkeiten bergehoch; da wird das Ziel klar, und lägen noch so viele Hindernisse im Wege; da wird der Schwache stark, der Verzagte mutig, der Ermattete frisch und die Seele des Trauernden voller Friede und Freude.
Gebe Gott, daß es uns allen gelinge, „ernstliche“ Beter zu werden!
Wa. Br.
Erstellt: 25.05.2024 15:42, bearbeitet: 09.10.2024 03:12
Quelle: www.clv.de