Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 14 - Jahrgang 1929
Jes 42,2 – „Unser vollkommenes Beispiel“Jes 42,2 – „Unser vollkommenes Beispiel“
„Er wird nicht schreien und nicht erheben noch hören lassen Seine Stimme auf der Straße.“ (Jes 42,2)
Die Frömmigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer sowohl in den Tagen des Herrn als auch zu allen Zeiten hatte an sich etwas Reklameartiges; sie hielt sich gern in dem Getriebe der Öffentlichkeit auf, sie liebte, vor den Menschen gesehen zu werden. Das ist aber nur die Gesinnung oder der Geist dieses Zeitlaufs, denn die Welt brüstet sich und prahlt so gern; marktschreierisch ist sie durch und durch. Etwas von diesem Geiste oder dieser Gesinnung hat sich auch bei den Gläubigen eingeschlichen, doch dürfen wir ohne allen Widerspruch behaupten, daß die wahrhaftige Gottseligkeit in dieser Atmosphäre niemals gut gedeiht, sie fristet nur ein kümmerliches Dasein in der Stickluft der Öffentlichkeit.
In dieser Hinsicht ist unser Herr ein vollkommenes Beispiel für uns, und wir tun wohl, uns nach Ihm zu richten - von Ihm zu lernen, damit das, was von Gott ist, blühen und zunehmen kann, bis endlich echte Ewigkeitsfrüchte gezeitigt werden. Die oben angeführte Weissagung über unseren Herrn ist unserer ernsten Aufmerksamkeit wert. Dieses Prophetenwort - schreibt Matthäus - ist in Erfüllung gegangen, als Er von der Synagoge entwich, wo Er die verdorrte Hand eines armen Menschen heilte und die Ihm folgende Volksmenge bedrohte, daß sie Ihn nicht offenbare (Mt 12,14-21). Hat man etwas Wunderbares auf irgend einem Gebiet geleistet, so muß das hinausposaunt werden. Das gilt auch in der religiösen Welt. Es liegt uns so nahe, stolz zu sein und uns zu rühmen, doch wenn wir uns nur ein wenig nach unserem göttlichen Vorbild richten, nämlich nach unserem Herrn , so machen wir keine Reklame, denn das zu tun ist nach der Art dieses Zeitlaufs, dem völlig das Gift des Teufels inokuliert (eingeimpft) ist. Unser Herr war und ist das stille Gotteslamm, und die Lammesnatur kommt immer wieder zum Vorschein bei Ihm. Doch kommt in der Offenbarung der Ausdruck „Zorn des Lammes“ vor (Off 6,16.17); das letzte bedeutet ja, daß aus dem Mund dessen, der wie ein Lamm stumm vor Seinem Scherer stand und Seinen Mund nicht auftat, einmal ein scharfes, zweischneidiges Schwert gehen wird, damit Er die prahlenden Nationen schlage. (Off 19,15)
Kinder Gottes, die in der Tat wahrhaftige Fortschritte im Glaubensleben durch die Gnade des Herrn machen, schweigen darüber; ihre Fortschritte werden allen offenbar sein (1Tim 4,15), doch sie posaunen das nicht aus; sie fühlen instinktiv, daß, wenn sie es vor die Öffentlichkeit zerren und viel davon reden, sie jeden Segen verderben würden. Wenn man frische, gepflückte Blumen in der heißen
Hand hält, so verlieren sie schnell ihre erste Schönheit und ihren Duft; der Schmelz der Haut des reifen Obstes wird bald hin sein, wenn es angefaßt und gedrückt wird. Man spricht heutzutage viel von der Geistestaufe, obwohl es in vielen Fällen nur eine unbiblische Ausdrucksweise ist; wo man sich jedoch einbildet, sie erlangt zu haben, da unterläßt man nicht, dies bekannt zu geben und sich mehr oder weniger darüber - wenn auch vielleicht unabsichtlich - zu erheben und zu prahlen. Wäre es nicht viel besser, darüber zu schweigen? Wäre dies nicht vielmehr nach der Gesinnung des Herrn ? Fortschritte im Glauben oder in der Heiligung werden sich offenbaren, ohne daß man davon Reklame macht.
Wie anbetungswürdig war es von unserem Herrn , als Er damals Judäa verließ und wieder nach Galiläa zog, weil Er erkannte, daß die Pharisäer gehört hatten, daß Er mehr Jünger mache und taufe als Johannes (Joh 4,1-3). Ohne ein Wort zu sagen, ging Er von dort weg und überließ dem Johannes das Feld. Wie anders hätten wir gehandelt! Dann sehen wir, wie Er, nachdem Er den bei dem Teiche Bethesda harrenden Kranken gesund gemacht hatte, wieder entwich, weil eine Volksmenge an dem Orte war. (Joh 5,13) Er entzog sich der Bewunderung und der gaffenden Neugierde der Volksmenge. Kommen vermeintliche Heilungen heutzutage vor, so wird davon in übertriebener Weise erzählt und wunderbare Berichte darüber geschrieben, doch wahrhaftige Gottseligkeit verträgt das nicht, wie die Pflanze Mimosa die Hand des Fleisches nicht verträgt.
Als Er dann, wie in Johannes 6 berichtet wird, eine ca. 5000 zählende Menge mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen völlig gesättigt hatte und die Leute voller Begeisterung Ihn ergreifen wollten, um Ihn zum König zu machen, entwich Er, als Er es erkannte, wieder auf den Berg, Er Selbst allein (V. 15). In der hitzigen Luft der Bewunderung der Volksmenge wollte Er nicht bleiben; das war nicht nach Seiner Art. Wie schwer wäre es uns gefallen, uns so zurückzuziehen und nichts aus uns selbst zu machen! Matthäus schreibt, daß Er auf den Berg besonders stieg, um zu beten. (Mt 14,23)
Die Brüder des Herrn sogar verlangten, daß Er mehr an die Öffentlichkeit käme. Sie sagten: „Wenn Du diese
Dinge tust, so zeige Dich der Welt“ (Joh 7,3-5). Damals glaubten sie nicht an Ihn; sie hatten die Gesinnung dieser Welt, und danach redeten sie; sie hielten es für etwas Selbstverständliches, daß Er suchen sollte, öffentlich bekannt zu sein. Und als Er dann zum Laubhüttenfest hinaufging, ging Er nicht öffentlich, „sondern wie im Verborgenen“ (V. 10). Diese Weise entsprach dem stillen Gotteslamme; und sollten wir nicht mehr bestrebt sein, Ihm ähnlich zu werden? Wie widerlich ist es, wenn Gläubige viel von sich machen, wenn das stolze „Ich“ sich immer wieder entpuppt! Das Wort ermahnt: „Wer ist weise und verständig unter euch? Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit“ (Jak 3,13). Wie oft sagt unser Herr zu solchen, die Er gereinigt oder geheilt hatte: „Siehe, sage es niemanden!“ Er trieb alle zuerst hinaus, bevor Er die Tochter des Jairus bei der Hand ergriff und rief und sprach: „Kind, stehe auf!“
Wie ganz anders ist das als das, was heutzutage in den Versammlungen der angeblichen Wunderheilungen geschieht. In solchen Versammlungen werden Kranke aus dem Podium öffentlich gesalbt, indem man sich auf Jak 5,14 beruft. Jeder unbefangene Mensch aber kann sehen, daß dies nicht mit der Heiligen Schrift stimmt, denn es hat etwas Marktschreierisches an sich, und wir betonen wieder, daß die wahre Frucht des Geistes verwelkt, ja dürr und saftlos in einer solchen Luft wird; sie kann nicht darin gedeihen.
Unser Herr lehrte ausdrücklich, daß die Linke nicht wissen soll, was die Rechte tut, d. h. in bezug auf Almosengeben, denn das soll im Verborgenen sein (Mt 6,3). Das Beten soll auch in verschlossenen Kammern geschehen, und ein Fastender soll als ein nicht Fastender vor den Menschen erscheinen. (Mt 6,5-18)
Für das Fleisch oder den alten Menschen ist das unmöglich, aber einer wiedergeborenen Seele mit geistlicher Übung unter der Zucht des Geistes und täglich neu dargereichter Gnade ist es möglich, denn unser Herr hat uns ein Beispiel oder Vorbild hinterlassen, damit wir Seinen Fußtapfen nachfolgen. Die Nachtigall singt ihr schönstes Lied mit den schmelzenden Tönen fern von den Wohnungen der Menschen; sie meidet die Öffentlichkeit; aber der Pfau schreitet so stolz mit fächerartigem, ausgebreitetem Schweif daher, tut er jedoch seinen Mund auf, so ist es ein unmusikalisches Gekrächze.
Die stille Maria brachte ihre sehr kostbare Narde wortlos zu den Füßen des Herrn . Auf die bescheidenste Art und Weise tat sie das, denn sicher hatte sie schon etwas von Ihm gelernt und Seine Gesinnung sich angeeignet.
Aus allen diesen Sachen und besonders von unserem vollkommenen Beispiel lernen wir, daß Gottes Sache am besten im Verborgenen gedeiht; äußerer Erfolg hat wenig Wert, das kann nur Holz, Heu und Stroh sein, welches an dem Tage verbrannt wird. Der verborgene Mensch des Herzens aber, in dem unverweslichen Schmuck des sanften und stillen Geistes, ist vor Gott sehr kostbar. (1Pet 3,4)
Der Apostel wurde fast gezwungen, den Korinthern gegenüber etwas von sich zu schreiben, obwohl er das ungern tat, denn er schrieb: „Ich wollte, ihr möchtet ein wenig Torheit von mir ertragen“, und wieder „Ich bin ein Tor geworden; ihr habt mich gezwungen“ (2Kor 11,1; 12,11). Er betrachtete es als etwas Törichtes und Ungeziemendes, von sich zu erzählen, obwohl er Wunderbares hätte erzählen können, z. B. daß man in Ephesus „sogar Schweißtücher oder Schürzen von seinem Leibe weg auf Kranke legte, und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren“ (Apg 19,11.12). Doch er schwieg lieber.
So lernen wir immer wieder, im Hintergrund mit unserem Herrn zu bleiben und dann endlich Seine Herrlichkeit zu teilen.
F. Btch.