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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 20 - Jahrgang 1935
Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (9)Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (9)
(Fortsetzung). „Laß dich nicht von dem Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Röm 12,21)
In den letzten beiden Lieferungen beschäftigten wir uns mit Szenen aus dem Leben des Apostels Paulus, die unseren Schriftgrundsatz offenbarten im Verhalten dieses treuen Mannes gegenüber der Welt, im letzten Heft in der Geschichte vom Kerkermeister zu Philippi, und schon zweimal kündigte ich an, auch in seinem Benehmen unter den Gläubigen die Befolgung unseres Textwortes nachzuweisen. Dies soll nun heute geschehen.
Freilich kann es sich nur um eine Auswahl von Gelegenheiten handeln, bei denen deutlich zu sehen ist, daß Paulus auch bei den Geliebten des Herrn nach diesem Worte zu verfahren suchte, denn es dürften sich bei näherem Zusehen wohl mehr Stellen finden, als ich hier um des beschränkten Raumes willen anführen kann. Aber die ich anführe, sollen eben auch zu weiterem Forschen anregen.
Schmerzlich ist es, daß bei einer der erstmöglichen Gelegenheiten keiner der beiden Beteiligten, auch ein Paulus nicht, nach Röm 12,21 zu handeln trachtete, das ist in dem Barnabas-Paulus-Zerwürfnis in Apg 15 am Schluß. Doch will ich darüber weiter nichts sagen, als nicht zum Thema gehörend, zumal Br. A. v. d. K. zu Anfang dieses Jahrbuchs über „Barnabas“ geschrieben hat. Aber indem ich dieser Stelle gleich zu Beginn meines Aufsatzes Erwähnung tue, möchte ich zeigen, daß ein Paulus (wie Barnabas) ein Mann von gleicher Art war wie wir alle! (Vgl. Jak 5,17! aufs Gebet bezüglich)! Wenn er daher nachmalig den Grundsatz von Röm 12,21 so treulich zu verwirklichen trachtete, so zeigt uns die Anführung der Erbitterungsgeschichte, die so echt menschlich ist - obwohl Paulus mehr im Recht war als Barnabas! -, daß wir, von Natur gleiche Charaktere wie Paulus, auch imstande sind, nach seinem guten Vorbild zu wandeln, daß wir also nicht sagen dürften: „Ja, das war auch Paulus!“ - Ja, jenes andere in Apg 15 war auch Paulus!
Auf die Stelle Apg 16,3 möchte ich hier nicht näher eingehen, da sie nicht unmittelbar mit unserer Titelstelle zusammenhängt und der Nachweis des paulinischen Handelns auch hier nach Röm 12,21 etwas zu lang werden würde. Übrigens haben wir in Jahrb. 2, Frage 17, ausführliche Beantwortungen der schwierigen in V. 3 liegenden Frage: „Warum beschnitt Paulus den Timotheus?“
Auch die Geschichte der Auferweckung des Eutychus (Apg 20,7-12) erwähne ich, als nicht unbedingt hierhergehörend, nur im Vorbeigehen. Doch ist es mir ganz sicher, daß der Teufel dort eine empfindliche Störung der gesegneten Zusammenkunft der Gläubigen beabsichtigte, und dieses Böse überwand Paulus allerdings in kostbarer Weise mit dem Guten. Er überwand das Böse eines gerade in jenen Stunden durch die Umstände tiefschmerzlichen Todes mit dem Guten des gottneugeschenkten Lebens. Wahrlich, ein lieblicher Tausch, zumal wenn wir den Teufel gleichsam hinter dem Vorhang lachen hören über seinen gelungenen Streich gegen die Gemeinde in Troas. Aber gedachte er es böse zu machen - Gott gedachte es gut zu machen und tat es durch Paulus. Wie kostbar dann V. 12!
In die Stelle Apg 20,31 will ich Röm 12,21 nicht hineinkonstruieren, aber Geliebte, wenn Paulus mit Tränen ermahnt, dann hat er auch Grund dazu, und wer weiß, ob nicht solchen gemäß unseres Wortes?! Wer weiß, ob es sich nicht vielleicht auch um solche „Älteste“ gehandelt haben mag, von denen Paulus später zu Timotheus, der doch auch in Ephesus war, redet in 1Tim 5,20?! (Ein Wort, über das in Jahrb. 16, Frage 2 handelt).
Ob Paulus in 21,20ff. nicht das Böse des Eiferns bei den Gläubigen aus den Juden für das Gesetz mit dem Guten einer freiwilligen Unterordnung unter das Gesetz beantworten wollte, um, ihr Vertrauen gewinnend, ihnen dadurch oder danach besser eine Belehrung über ihre falsche Stellung geben zu können? Doch will ich mich hier nicht mit dieser vielumstrittenen Stelle beschäftigen, was übrigens in den „Handreichungen“ schon mehrfach, und zwar so oder so, geschehen ist. Jedenfalls, Geliebte, kritisieren, gar verurteilen dürfen wir (wer sind „wir“?)! den Apostel nicht, um so weniger, als Gott es nicht tut! (Im Gegenteil! 23,11 und siehe 21,13)! Das inspirierte Wort zeigt uns den späteren Verlauf doch mehr als Rechtfertigung Pauli. „Bin ich also euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage?“ so lautet ein tiefbewegendes Wort des Apostels an die Galater (4,16). Welch einen Kummer hatten sie ihm bereitet, indem sie als Heidenchristen den Einflüsterungen der judenchristlichen Lehrer Gehör geschenkt hatten und sich zur Gesetzesbeobachtung, Vollzug der Beschneidung (heute das gleiche: Sabbathalten! siehe 4,10)! bereit erklärt hatten (sie „wollten unter Gesetz sein“, V. 21)!. Ja, welches Leid fügten sie durch solch Verhalten dem treuen Diener zu! Dennoch spricht er: „Ihr habt mir nichts zuleide getan.“ (V. 12) Hatten sie nicht? Einerlei, der Apostel wertet es nicht so und handelt so nach Röm 12,21! Aber sie, die ihn einst gleich einen Engel Gottes aufgenommen hatten, wandten sich jetzt von ihm ab! Wahrscheinlich wurde ihnen gesagt: „Paulus -? ach, ja, das ist ein ganz honoriger, netter, begabter Mann, aber er wandelt nicht nach der Wahrheit des Wortes, ihr müßt euch nicht von ihm beeinflussen lassen, er tut den Willen Gottes nicht; wir haben das lange mit angesehen mit schweren, stillen Befürchtungen, aber jetzt halten wir es doch für an der Zeit, euch zu warnen und eines Besseren zu belehren.“ Und das taten sie denn in solcher Weise und mit den Hintergedanken, die 4,17 und 6,12.13 beschrieben sind. Und die armen verführten Galater (5,7.8) - doch warum ließen sie sich verführen? (1,6, Paulus wundert sich darüber)! -, sie sahen dann gar bald ihren treuen Apostel als „Feind“ an. Ist das heute nicht oft ebenso?! Aber Paulus läßt sich nicht verdrängen von den Irrlehrern, auch darin offenbart er Röm 12,21! Hätte er sich einschüchtern lassen, so wäre er nicht der gewesen, der er war! Aber er mahnt die Gläubigen mit dem Wort oben (4,16), einmal zu überlegen, ob der ihr Feind sei, der ihnen die Wahrheit sagt. Der Apostel sagt ihnen stets die Wahrheit - das ist einfach und klar, lassen sie sich von seinen Lehren abziehen, so fallen sie dem Irrtum zum Opfer (Darum für uns so wichtig: „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel“, Apg 2,42). Indem er aber nicht böse auf sie ist - wohl geistlich zornig auf jene Irrlehrer (1,7.8.9)! -, sondern ihnen weiterhin die Wahrheit sagt, während er doch menschlich genug Grund gehabt hätte, sich nun auch von ihnen abzuwenden, da handelt er nach unserer Titelstelle in echt apostolischer Gesinnung, von der zu lernen uns zukommt. Wohl hätte ihn das Böse im Verhalten der Galater überwinden können - er ist doch auch nur ein Mensch! -, aber er überwindet es mit dem Guten der Gesinnung Christi. Nein, er war nicht ihr Feind geworden, sondern er erwies sich gerade als ihr bester Freund, denn der, welcher uns in geistlicher Gesinnung die Wahrheit sagt, ist unser Freund! So wurde dieser Angriff Satans abgeschlagen, „auf daß die Wahrheit des Evangeliums bei euch verbliebe“ (2,5). Lernen wir daraus? Oder wollen wir die als Feinde ansehen, die uns die Wahrheit bringen? „Was denn? Wird doch auf alle Weise - Christus verkündigt, und darüber freue ich mich, ja, ich werde mich auch freuen.“ (Phil 1,18) Eine wunderbare Gesinnung, ein köstliches Überwinden des Bösen mit dem Guten und die Philipper daran teilhaben zu lassen, ja, sogar sie zu Mitfürbittern dieserhalb zu machen (V. 19). Hat es den großen, edlen Apostel gar nicht berührt, daß in Rom, wo er um Christi willen gefangen war, „etliche Christum aus Neid und Streit verkündeten“, „nicht lauter, indem sie meinen Banden Trübsal zu erwecken gedenken“? (V. 15.17) Ja, sicher hat es ihn berührt, aber nicht so, wie der Teufel es wollte, sondern so, daß er seine ganz und gar auf Christum gerichtete Lebenshaltung (V. 20.21) nur um so mehr offenbaren durfte. Hat er wirklich keine persönlichen inneren Leiden dabei empfunden? Er läßt nichts davon merken, wohl aber sehr das Gegenteil, wie die zweimalige Betonung seiner Freude beweist! Welch großdenkender Mann! Ja, aber seine Kraft war Christus (4,13)!, das laßt uns nicht vergessen. Und wenn wir in ähnlichen Fällen nicht imstande sind, Röm 12,21 hier zu betätigen, so laßt uns wohl nachforschen im eigenen Leben, ob „das Leben für uns Christus“ ist (V. 21), sonst sollte uns solch Verhalten wie bei dem Apostel wohl schwer fallen! Alles richtet sich nach der Quelle unserer Kraft, sonst werden wir eher handeln nach dem Grundsatz, „Gleiches mit Gleichem zu vergelten“! Das ist leicht, aber bringt keinen Segen, sondern nur Unsegen!
Stellen wie 4,8.9 und V. 11ff. lassen sich auch unter dem Gesichtspunkt unseres Wortes betrachten.
Ebenfalls aber auch 2Tim 4,14, wo er alle Gegenmaßnahmen, z. B. in Worten, ablehnt und dem Herrn die Vergeltung völlig überläßt. Desgleichen V. 16! Gleicherweise enthält der köstliche Philemonbrief Züge im Sinne von Röm 12,21. Ganz besonders aber, und damit bringe ich diese Betrachtung über des Paulus Handeln nach unserer Titelstelle zum Abschluß, sehen wir in der schon einmal früher bei David genannter Stelle 2Kor 12,15 diese köstliche Gesinnung. Bei den Korinthern waren auch falsche Diener Christi („Falschapostel“, „betrügerische Arbeiter“ nach 11,13-15, und vgl. Frage 12 im Jahrbuch 15)! am Werke, um die Arbeit und Person des Apostels Paulus zu verunglimpfen und zu verleumden. Er warnt vor ihnen durch mehrere Kapitel hindurch (10-12). In Frage 6 im Jahrbuch 14 habe ich mich eingehend damit befaßt (im Anschluß an die Frage „Was bedeutet 2Kor 13,8?“). Da schreibe ich u. a. den Satz: „Wie hat doch Paulus leiden müssen, nicht nur durch solche Satansknechte, sondern vielmehr durch seine geistlichen Kinder, die jenen vertrauten und darum ihm mißtrauten. In gewisser, wenn auch geringerer Weise machen treue Arbeiter noch heute ähnliches durch, und ein wie großer Schmerz ist das!“ Und im Blick auf solche Gläubigen, die ihm solchen Schmerz bereiteten, schreibt er obengenanntes Wort 2Kor 12,15 (nach der Elberfelder Übersetzung): „Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet („aufgezehrt“ nach anderer Übersetzung) werden für eure Seelen, wenn ich auch, je überschwenglicher ich euch liebe, um so weniger geliebt werde.“ Ist das nicht schier völlig die Gesinnung Christi Jesu, von der Paulus sagt: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war!“ (Phil 2,5)? Und jedenfalls ist jenes Handeln eine der vollkommensten Darstellungen, die ich kenne von Röm 12,21 „Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ Also, er ist bereit, immer weniger geliebt zu werden, und das will er beantworten mit immer überschwenglicherer Liebe. Und Liebe ist Hingabe, Wille für die anderen, Wille zur Gemeinschaft unter allen Umständen, Liebe ist Opfer und willige Entbehrung, ist Leiden und Kreuz, ja, Liebe ist das Wesen Gottes, des Gottes, der „Licht“ und „Liebe“ ist (1Joh 1,5 und 4,8.16); und so möge uns nach dem Blick auf Paulus, das menschlich vollkommenste Werkzeug, noch, so Gott will, ein Blick auf Gott Selbst vergönnt sein, der der herrlichste Erfüller von Röm 12,21b ist! Ja, wahrlich: Er überwindet das Böse mit dem Guten im kostbarsten Sinne; darüber später, so Gott Gnade gibt! Aber in Paulus, dem „Lehrer der Nationen in Glaube und Wahrheit“ (1Tim 2,7b), haben wir ein wunderbares „Vorbild“, nach dem Grundtext richtiger „Abbild“ (1Tim 1,16), um zu lernen, Fortschritte zu machen gemäß unserem teuren Titelwort! Der Herr gebe uns dazu Gnade und Weisheit!
(Fortsetzung u. Schluß folgt, s. G. w).
F. K.