Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 17 - Jahrgang 1932
Jes 42,1 - Teil 2Jes 42,1 - Teil 2
(Schluß )
Ohne dieses Kindes- und Sohnesverhältnis (denn der Herr Jesus gebraucht in Mt 7,21 nicht den Namen „Gott“, sondern des „Vaters, der in den Himmeln ist“) kann eine große, äußere, aber fleischliche Betriebsamkeit vorhanden sein, die gar nicht nach Gottes Willen ist; man kann weissagen, predigen, beten, Teufel austreiben und doch nicht ins Reich der Himmel eingehen. Wer aber gelernt hat, wie Maria zu Jesu Füßen zu sitzen und von Ihm zu lernen, wer mit dem Psalmisten auf grünen Auen und an stillen Wassern gelagert zu werden liebt, bei dem verfängt so laute Betriebsamkeit nicht. Wer sich selbst unter die Kritik des Wortes Gottes stellt, das schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert, das unsere ganze Gedankenwelt und unsere innersten Wünsche und Beweggründe aufdeckt und vor Gottes Augen bloßlegt, dem vergeht das Richten und Verurteilen anderer (Mt 7,1-5). Wer sein Fleisch gekreuzigt und in den Tod gegeben hat, dem gilt die Ehre von den Menschen nichts, für den hat der Mammon keinen Reiz, dem steht die Liebe des Vaters höher als alles, was die Welt bietet. Diese Beispiele können vermehrt werden, aber wir erkennen schon aus dem Angeführten, wie eng das Tun des Wortes Gottes, d. h. der Gehorsam, mit unseren innigsten Beziehungen zu dem Vater im Himmel zusammenhängt.
Das ist also der Knecht Gottes, den Jesaja uns zeigt. Er ist nicht nach dem Sinn und Wunsch des Menschen. „Er hatte kein Ansehen, daß wir Seiner begehrt hätten“, sagt derselbe Prophet Kapitel 53,2. Dieser Jesus, der Nazarener, der als Zimmermanns-Sohn aus dürrem Erdreich aufgesproßt ist, ist heute noch verachtet und verworfen. Es ist verpönt, von Ihm in öffentlicher Gesellschaft zu reden, ja, nur Seinen Namen zu nennen. Der Mensch sucht und wählt hohe, glänzende Persönlichkeiten, Herrschernaturen, Übermenschen.
Es ist deshalb gut, den Vers 1 nochmals mit anderer Betonung zu lesen: „Siehe, das ist Mein Knecht, Ich erhalte Ihn, Mein Auserwählter, an dem Meine Seele Wohlgefallen hat.“ Wer ist es, der so spricht? Es ist „Gott, der Höchste, der Himmel und Erde besitzt“ (1Mo 14,19-22). Er hat diesen Knecht auserwählt aus allen Menschen. Es gab viele fromme Knechte Gottes. Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Mose, Samuel, David, die Propheten. Aber keiner hat den Charakter des Gottesknechtes so vollkommen dargestellt wie der Herr Jesus. Unter dem ganzen Menschengeschlecht hat Gott keinen gefunden, der Seinen Willen so vollkommen erfüllt hat, der Seine Gerechtigkeit und Heiligkeil so vollkommen befriedigt und den Vater auch in Seiner Liebe so vollkommen verherrlicht hat. Von keinem konnte Gott sagen: „Dies ist Mein geliebter Sohn, an welchem Ich Wohlgefallen gefunden habe.“
Diesen auserwählten Knecht präsentiert Gott den Menschen immer wieder aufs neue mit dem Wort: „Siehe!“ Als wollte Er sagen: „Schauet doch her! Betrachtet diesen, Meinen Knecht, Ihn gebe Ich euch als den einzigen, der euch retten kann. Es ist in keinem anderen das Heil (die Rettung), als in Ihm. Ihn sollt ihr hören, ergreifen, an Ihn glauben. Anderenfalls gehet ihr verloren. Denn wer den Sohn nicht hat, der hat das Leben nicht, er bleibt unter Gericht und Zorn.“ (Joh 3,36; 1Joh 5,12)
Als die größte Sünde wird sich einmal nicht Mord, Totschlag, Stehlen, Lügen, Betrügen, Ehebruch usw. erweisen, sondern der Unglaube (Joh 16,9). Denn alle diese Sünden, große und kleine, können vergeben werden und sind schon vergeben worden. Wenn aber jemand die Gnade der Vergebung, die ihm in Jesu Christo angeboten wird, zurückweist, für einen solchen ist jede Hoffnung verloren. Mit dem Angebot Seines auserwählten Knechtes stellt Gott daher jeden Menschen vor die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Und der Mensch hat selbst die Verantwortung, wenn er Christus ablehnt.
Auch wir sind berufen, Knechte Gottes zu sein und Christi Vorbild nachzuahmen. Wie kann das geschehen? Denn von Natur sind alle Menschen verloren, dem Gericht Gottes verfallen. Zu ihrer Rettung hat Gott den Heiland gesandt. Unter der Rettung verstehen wir die Vergebung der Sünden, die Versöhnung mit Gott. Gott und Christus bleiben aber bei diesem Werk nicht stehen. Die Geretteten empfangen auch neues Leben. Zum Leben braucht man Kraft. Die Kraft des neuen Lebens ist der Heilige Geist. Die Tätigkeit des neuen Lebens ist eine zweifache, 1. die alte Natur, die noch im Gläubigen ist und die das Böse wirken will, im Tode zu halten, 2. Gerechtigkeit zu wirken. - Die Entdeckung, daß das Fleisch (die Sünde, die Adamsnatur) noch im Geretteten lebt und ihn mit mehr oder weniger Erfolg in Knechtschaft zu halten sucht, ist für ihn zunächst niederschmetternd. Sobald er jedoch zur Erkenntnis gelangt, daß der Herr Jesus durch Seinen Tod ihn auch aus der Macht und Beherrschung der Sünde befreit hat (der Gläubige ist mit Christo in Seinem Tode einsgemacht), fängt er mit Paulus an zu jubeln: „Gott aber sei Dank durch unseren Herrn Jesus Christus!“ Wie nun der unbekehrte Mensch der Sünde dient - denn „wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht“ -, so lebt der aus ihrer Herrschaft Befreite für Gott.
Wie er vorher ein Sklave der Sünde war, so ist er jetzt ein Sklave der Gerechtigkeit und ein Sklave Gottes, und zwar nicht aus Zwang oder Gesetz, sondern aus freiem Trieb des Heiligen Geistes. Glückselig sind die, die diese Befreiung nicht bloß mit dem Kopf verstehen, sondern die sie in ihrem Herzen erfahren haben und sie täglich erleben. Sie singen mit Tersteegen: „Dein Sklave sein ist größere Ehre, als König über Land und Heere.“ Weil aber Geist und Fleisch entgegengesetzt sind, so entsteht ein Kampf. Damit wir ihn siegreich bestehen, ruft Paulus uns ermunternd zu: „Wandelt im Geist, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen.“ Mit anderen Worten: „Beschäftigt euch mit geistlichen und göttlichen Dingen, dann wird das Fleisch keinen Raum bei euch finden.“ (Phil 4,8; Kol 3,16) Zu diesem Kampf brauchen wir Wachsamkeit und Kraft. Sie liegen für uns in der Gnade Gottes bereit, zu der wir jederzeit Zutritt haben (Röm 5,2; Heb 12,5). Wir bedürfen aber auch der Ermahnung, das Vorbild des Herrn Jesus zu betrachten (Heb 3,1), und Seine Gesinnung, eben die Gesinnung des Niedrigseins, in uns wohnen zu haben (Phil 2,5). Jetzt suchen wir Seiner Knechtsgestalt ähnlich zu sein, „auf daß wir auch mit Ihm verherrlicht werden“ (Röm 8,17). Die Apostel nannten sich mit Vorliebe „Knechte Gottes und Jesu Christi“. Auch wir sind dazu berufen, Knechte zu sein. Je mehr wir diese Berufung erfüllen, um so inniger wird der Herr Sich mit uns verbinden und um so beseligender wird Seine Gemeinschaft von uns genossen werden. „Wo Ich bin, da soll Mein Diener auch sein,“ Jetzt in der Verwerfung, später in der Verherrlichung. Im Glauben und in der Hoffnung dürfen wir sie jetzt schon besitzen und uns ihrer freuen (Röm 8,30). (Beachte das „hat“ am Schluß des 30. Verses).
Wenn wir nun wissen, daß wir dazu berufen sind, Knechte Gottes zu sein und als Nachfolger des wahren Gottesknechtes in Niedriggesinntheit zu wandeln, so sollte man meinen, daß es für uns Menschen als Geschöpfe Gottes eine Selbstverständlichkeit wäre, nichts zu haben und nichts zu sein, alles von Gott zu erwarten und alles aus Seiner Hand zu empfangen. Daß der natürliche Mensch eine solche Gesinnung nicht hat und infolge seiner Verderbtheit nicht haben kann, liegt auf der Hand. Aber hier ist von Sklaven
Gottes die Rede, bei denen neben dem Bewußtsein, daß sie Geschöpfe sind, die Tatsache ins Gewicht fällt, daß sie durch das Blut Jesu Christi Sein teuer erkauftes Eigentum sind, über das Er als Herr das Verfügungsrecht hat. Bei ihnen sollte das Abhängigkeitsverhältnis vorausgesetzt werden können.
Nicht so bei dem Herrn Jesus. Er war vor Seiner Geburt kein Mensch, sondern Gott (Joh 1,1), und hatte die Daseinsgestalt, d. h. die Herrlichkeit, Gottes. Aber Er gab sie auf und wurde freiwillig arm (2Kor 8,9) und nichts (Phil 2,7). Obgleich Er in Seinem Wesen Gott blieb, war Seine Menschheitsgestalt doch so vollkommen, daß Er in den Tagen Seines Fleisches (darunter dürfen wir nicht nur das Erlebnis in Gethsemane, sondern die ganze Zeit Seines irdischen Pilgerlaufes verstehen) Bitten und Flehen vor Gott brachte (Heb 5,7) und Sein ganzes Vertrauen auf Gott setzte (Heb 2,13; Ps 22,8; Mt 27,43), wie wir als „Nur-Menschen“ es in solcher Vollkommenheit unser ganzes Leben hindurch wohl nicht fertigbringen werden.
Sodann ist es eine reizvolle Ausgabe, den Spuren nachzugehen, wie der Vater für Seinen geliebten Sohn sorgte, Ihn beschützte und pflegte, mit anderen Worten, wie Er Seine Verheißung Jes 42,1 erfüllte: „Ich erhalte Ihn“ (Luther) oder „Ich stütze Ihn“ (Elberf).. Ja, dieses schwache Reis aus dürrem Erdreich, das als Säugling (Lk 2,12 und 16) in eine gottsfeindliche Welt eintrat, brauchte eine Stütze, durch die es aufrechtgehalten wurde (Ps 63,8). Der Vater gab Ihm fürsorgende Eltern (Mt 1; Lk 2,6.7; vgl. auch Ps 22,9.10) in Maria und dem Pflege- und Nährvater Joseph. Magier aus dem Morgenlande mußten Gold herbeibringen, wohltätige Leute Geld in die Kasse zu Seinem und Seiner Jünger Unterhalt einlegen (Joh 12,6), Weiber Ihm mit ihrer Habe dienen, so daß Er keinen Mangel litt (Lk 22,35). Engel dienten Ihm nach der überstandenen Versuchung in der Wüste, und in Gethsemane wurde Ihm ein Engel zur Stärkung gesandt.
Mit besonderer Sorgfalt sehen wir den Vater über Ihn wachen, damit Ihm von seiten Seiner Feinde nicht etwas angetan wurde, bevor Seine Stunde gekommen war. Er entzog Ihn der Ermordung durch Herodes durch die Flucht nach Ägypten, gab Ihm in der Zimmermannsfamilie in Nazareth einen sicheren Bergungsort, bewahrte Ihn vor dem
Felsabsturz (Lk 4,29.30), vor der Steinigung (Joh 10,31), vor den Nachstellungen des Herodes (Lk 13,31.32) und der Hohenpriester. (Joh 7,44.45 und 11,8.9)
Nie hat Gott versäumt (5. Mose 31,6b u. Jos 1,5b), Seinem Sohn die Ihm gebührende Ehre zuteil werden zu lassen und alle Schrift durch Ihn zu erfüllen (Lk 1,42ff.; 2,20.25ff.38; Lk 9,35; Joh 19,19-22 und andere Stellen). Wenn Maria in Bethanien Ihn nicht acht Tage vor Seinem Tode gesalbt hätte, so wäre Er überhaupt nicht gesalbt worden, denn am Karfreitag konnte es nicht mehr geschehen, weil es Abend war, und am Osterfest früh kamen die Weiber mit ihren Salben zu spät. - Kein Bein durfte Ihm zerbrochen werden. Zur Kreuzabnahme und Grablegung wurden Joseph von Arimathia und Nikodemus bereitwillig gemacht (Jes 53,9 u. Joh 19,38ff).. - Gott konnte nicht zugeben, daß Sein Frommer (Heiliger) die Verwesung sah (Apg 2,27; Ps 16,10). Anbetungswürdiges Verhältnis zwischen Vater und Sohn, in das wir hier hineinblicken dürfen!
Haben auch wir das Recht, uns die Verheißung: „Ich stütze ihn“ oder „Ich halte ihn“ zu eigen zu machen? Grundsätzlich ja. Denn wir alle sind der Erhaltung und Stützung bedürftig. Aber bezüglich des Maßes oder des Grades des tatsächlichen Besitzes wird je nach unserer Treue eine Einschränkung gemacht werden müssen. Je treuer wir das Knechtsverhältnis gegen unseren Herrn verwirklichen, um so tiefer werden wir es spüren und verstehen, in wie vielen Lagen, Verhältnissen, Schwierigkeiten, Entscheidungen wir es nötig haben, daß unser Herr uns leiten, an der Hand führen, aufmuntern, erquicken, nähren, stärken, stützen, heben, tragen, erretten muß. Und darüber, daß Er es wirklich tut, werden wir glücklich sein und Ihn preisen. So bringt uns das Abhängigkeitsverhältnis erst so recht zum Genuß des Besitzes dieser Verheißung. Wir freuen uns dann über die erfahrene Stützung und Erhaltung und noch mehr über unseren so gütigen, geduldigen, barmherzigen Herrn Selbst.
Zwar trägt Gott auch Seine Widersacher mit Geduld und Güte (Mt 5,45), doch haben die Gläubigen besondere Verheißungen. Nach 1Tim 4,10 ist Gott ein Erhalter aller Menschen, besonders der Gläubigen. Diese Fürsorge wurzelt in der Liebe des Vaters und des Herrn Jesus zu uns (Joh 15,9 und 16,27) und äußert sich in der Bewahrung, während wir in der Welt sind (Kap. 17,11.12). Der Psalmist, der diese Stützung und Befestigung genossen hat, zeigt uns den Weg dazu, nämlich Ps 16,8 den Wandel mit Gott und Ps 119,116.117 den Gehorsam gegen Sein Wort. Der Apostel Petrus macht uns in seinem ersten Brief, Kap. 1,4 bekannt mit einem unverweslichen, unbefleckten, unverwelklichen Erbteil, das für uns bereitliegt und im Himmel aufbewahrt wird, fügt aber Vers 5 hinzu, daß auch wir selbst bewahrt werden von seiten Gottes durch Seine Macht, von unserer Seite durch Glauben (denn der Weg führt durch Leiden und Prüfungen) bis zur Erlösung, d. h. bis wir zum endgültigen Besitz der Seligkeit gelangen. Kein Wunder, daß er den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus wegen Seiner großen Barmherzigkeit gegen uns preist. (Vers 3)
Glückselig, wer einstimmen kann in diese Lobpreisung und auch in diejenige des Apostels Judas am Schluß seines Briefes (V. 24.25): „Dem aber, der euch ohne Straucheln zu bewahren und vor Seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken, dem alleinigen Gott, unserem Heilande, durch Jesum Christum, unseren Herrn , sei Herrlichkeit, Majestät, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und in alle Ewigkeit! Amen.“
B.