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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
Jos 3,4; Joh 13,36 – Der ungebahnte WegJos 3,4; Joh 13,36 – Der ungebahnte Weg
„Ihr seid des Weges früher nicht gezogen.“ (Jos 3,4). „Wo Ich hingehe, kannst du Mir jetzt nicht folgen.“ (Joh 13,36).
Als die Kinder Israel im Begriff waren, in das verheißene Land einzutreten, rollten die Wasser des Jordans zwischen ihnen und dem Lande ihrer Hoffnung. Der Jordan war in gewisser Beziehung ein Vorbild des Todes, der zwischen der Wüste und Kanaan liegt, so wie das Rote Meer den Tod vorbildlich darstellte, der Ägypten von der Wüste trennt. Die Israeliten schritten durch das Meer in die Wüste. Sie schritten durch den Jordan in das Land Kanaan. In Ägypten, in der Wüste und in dem Lande Kanaan sehen wir die drei verschiedenen Stellungen des Volkes Gottes. Tatsächlich befinden wir uns in Ägypten, bezüglich unserer Erfahrungen sind wir in der Wüste; durch Glauben sind wir im Geiste und dem Grundsatze nach in Kanaan. Wir wandeln durch die Welt, die für die neue Natur geistlicherweise eine Wüste ist; unsere Heimat ist droben, wo Jesus unser Haupt und Vorläufer ist.
Bevor das Volk sein verheißenes Erbteil antreten konnte, mußte der Jordan durchschritten werden. Gleich einem gewaltigen Schlagbaum versperrte er wohl nie drohender den Weg als in der Zeit, da „der lebendige Gott“ im Begriff war, zugunsten Seines Volkes zu handeln; denn „der Jordan war voll über alle seine Ufer die ganze Zeit der Ernte hindurch“ (Jos 3,15). Der Tod zeigte nie schrecklicher seine furchtbare Gestalt als in der Stunde, wo der Fürst des Lebens seine Macht zu unseren Gunsten zerstörte und ihn in einen gebahnten Fußweg umwandelte, auf dem wir unserer himmlischen Heimat zuschreiten können. Das tiefe Bett des Jordans war ein ungebahnter Weg für Israel; sie mußten daher warten, bis die von den Priestern getragene Lade des lebendigen Gottes vor ihnen herging, um den Weg zu öffnen. „Es geschah am Ende von drei Tagen, da gingen die Vorsteher mitten durch das Lager, und sie geboten dem Volke und sprachen: Sobald ihr die Lade des Bundes des Herrn, eures Gottes, sehet, und die Priester, die Leviten, sie tragen, dann sollt ihr von eurem Ort aufbrechen und ihr nachfolgen. Doch soll zwischen euch und ihr eine Entfernung sein bei zweitausend Ellen an Maß. Ihr sollt ihr nicht nahen, auf daß ihr den Weg wisset, auf dem ihr gehen sollt; denn ihr seid des Weges früher nicht gezogen.“ - „Und Josua sprach zu den Kindern Israel: Tretet herzu, und höret die Worte des Herrn, eures Gottes! Und Josua sprach: Hieran sollt ihr wissen, daß der lebendige Gott in eurer Mitte ist usw. - Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde zieht vor euch her in den Jordan.“ (Jos 3,2-4.9-11)
Hier haben wir also ein herrliches Vorbild von dem Herrn Jesus Christus bezüglich Seiner Überwindung der Macht des Todes für Sein Volk. Er begegnete dem Tode in seiner erschreckendsten Gestalt. Nie wurde der Jordan gewaltiger und verheerender gesehen als an dem Tage, da die Bundeslade seine mächtigen Fluten zurückdrängte und eine Heerstraße zum Übergang der Erlösten des Herrn bildete. „Und die Priester, welche die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen festen Fußes auf dem Trockenen in der Mitte des Jordans; und ganz Israel zog auf dem Trockenen hinüber, bis die ganze Nation vollends über den Jordan gegangen war.“ (V. 17) Es war ein vollständiger Sieg des Lebens über den Tod. Es war die Macht des lebendigen Gottes, der selbst den Tod in einen Fußsteig des Lebens umwandelte. Den Füßen der Erlösten Gottes wurde nicht gestattet, die finsteren Wasser des Todes zu berühren. Diese Wasser sahen in der Entfernung drohend und erschreckend aus; aber in dem Augenblick, wo sich das Volk näherte, war statt einer erschreckenden Flut nur ein trockener Fußpfad zu finden. Gott, der lebendige Gott, war da in Gnade und Wahrheit und wurde geschaut in den Priestern und in der Bundeslade. Das verändert alles. Der Tod kann nicht dort sein, wo Gott gegenwärtig ist. Die Sünde brachte den Tod in die Welt. Die Sünde ist der wirkliche Stachel des Todes; die Gnade aber ist erschienen und hat alles verändert, so daß der Gläubige sagen kann: „O HErr! durch dieses lebt man, und in jeder Hinsicht ist darin das Leben meines Geistes.“ (Jes 38,16) Das ist der geistliche Triumph der Gnade, die „durch Gerechtigkeit herrscht zu ewigem Leben durch Jesum Christum, unseren HErrn“ (Röm 5,21). In Christus und durch Ihn hat die Gnade so gewirkt, daß der Tod in einen Diener des Gläubigen umgewandelt ist. Anstatt ein furchtbarer Feind zu sein, ist er ein wirklicher Teil unseres Besitzes (vgl. 1Kor 3,22); anstatt ein unübersteiglicher Schlagbaum zu sein, ist er ein Fußsteig geworden.
In Joh 13 haben wir ein Gegenbild von dem, was wir in Josua gesehen haben. Dort belehrt unser geliebter Herr Seine Jünger, daß Er vor ihnen her durch den Jordan des Todes gehen, daß „ein Raum“ zwischen Ihm und ihnen sein müsse, und daß sie Ihn nicht begleiten können, wenn Sein Fuß den schrecklichen Pfad betreten würde. „Kinder! noch eine kleine Weile bin Ich bei euch; ihr werdet Mich suchen, und so wie Ich den Juden sagte: Wo Ich hingehe, könnt ihr nicht hinkommen, so sage Ich jetzt auch euch.“ (V. 33) Diesen Weg zu gehen war für die Jünger ebenso unmöglich wie für die Juden. Jesus mußte ihn ganz allein betreten. Wer hätte Ihn begleiten können? Wer hätte dem schrecklichen Heere aller Mächte der Finsternis, der List Satans, der Wut der Hölle und vor allem dem Zorne Gottes begegnen können? Wer konnte diesen Dingen entgegentreten? Wer außer Ihm, der Gott und Mensch war?
Petrus verstand das nicht. Er glaubte, dem Tode begegnen zu können. Er wollte es wagen, den göttlich bezeichneten „Zwischenraum“, die geheimnisvollen „zweitausend Ellen“, zu überspringen. Armer Petrus! Wie wenig dachte er daran, daß das ferne Rauschen der fürchterlichen Fluten des Jordan ihn so sehr erschrecken würde, daß er mit Flüchen und Schwüren seinen Herrn und Meister verleugnete! „HErr!“ fragte er, „wo gehst Du hin?“ Jesus antwortete ihm: „Wo Ich hingehe, kannst du Mir jetzt nicht folgen; du wirst Mir aber später folgen.“ (V. 36) Mit anderen Worten, der gnadenreiche Herr sagt Seinem schwachen Diener, daß Er ihm vorausgehen müsse, um ihm durch die finsteren Wasser des Todes einen trockenen Fußpfad zu öffnen, auf dem Petrus in Gemeinschaft mit allen Erlösten unverletzt zur Herrlichkeit eingehen könne. Welche Gnade! Er ging allein - in die finstere, schreckenerregende Einsamkeit. Wehrlos trat Er dem mit seiner ganzen Macht ausgerüsteten und mit allen Schrecken bewaffneten Tode entgegen. Dort gab es kein Ufer, das den wirklichen Jordan in sein Bett eingezwängt hätte. Nur eine finstere Öde, die kein Lichtstrahl erhellte, öffnete sich Ihm. Dort entfaltete sich die Bosheit Satans und die Treulosigkeit Seiner nächsten Freunde; und nachdem schließlich Menschen und Teufel ihr Äußerstes getan hatten, öffnete sich vor dem Fürsten des Lebens eine so dunkle und schaurige Region, in die weder ein Mensch noch ein Engel hineinzutreten vermochte, wo Er den „Kelch“ des gerechten Zornes Gottes wider die Sünde trinken und - was uns unmöglich gewesen wäre - das Verborgene des Antlitzes Gottes ertragen mußte.
Das alles hätte die Antwort auf die Frage Petri: „Wo gehst Du hin?“ enthalten müssen. Wer aber hätte es verstehen können? Niemand! Statt jeder ferneren Erklärung sagt der Herr deshalb einfach: „Du kannst Mir jetzt nicht folgen; du wirst Mir aber später folgen.“ Wenn der Weg geöffnet war, sollte Petrus folgen; denn dann konnte er es. Welch ein gnadenreicher Herr und Meister! Er wollte den Schrecken des Todes begegnen, damit wir die Freude der Unsterblichkeit genießen möchten.
Doch Petrus begreift noch immer nicht die Andeutungen des Herrn. „HErr!“ sagt er, „warum kann ich Dir jetzt nicht folgen? Mein Leben will ich für Dich lassen. Jesus antwortet: Dein Leben willst du für Mich lassen? Wahrlich, wahrlich, Ich sage dir, der Hahn wird nicht krähen, bis du Mich dreimal verleugnet hast.“ (V. 37.38) Petrus kannte weder sich selbst noch den Weg, den er im Selbstvertrauen zu unternehmen bereit war. Aber Jesus - gepriesen sei Sein Name! - kannte beides; Er ging mit festen Schritten den Pfad allein; und dann führte Er Seinen schwachen Jünger auf demselben Pfade zur Herrlichkeit. Und mit welcher Güte sucht Er bei Petrus und den anderen Jüngern jeden Gedanken zu entfernen, der sie mutlos und traurig machen könnte! „Euer Herz“, sagt Er, „werde nicht bestürzt. Ihr glaubet an Gott, glaubet auch an Mich. In dem Hause Meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde Ich es euch gesagt haben; denn Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn Ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme Ich wieder und werde euch zu Mir nehmen, auf daß, wo Ich bin, auch ihr seiet!“ (Kap. 14,1-3)
Aus „Botschafter des Heils“ 1869.