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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 5 -Jahrgang 1917
2Kön 5,2-4 - „Treue im Verborgenen“2Kön 5,2-4 - „Treue im Verborgenen“
Es ist nichts Besonderes in der Geschichte dieser kleinen Dirne. Sie teilte in den furchtbaren Tagen des Krieges das Los Tausender. Von einem grausamen Feinde gewaltsam aus dem Hause und dem Kreise ihrer Lieben herausgerissen, kam sie als eine arme Gefangene in das Haus des siegreichen Heerobersten. „Die Syrer waren in Streifscharen ausgezogen und hatten aus dem Lande Israel eine kleine Dirne gefangen weggeführt, und sie war vor dem Weibe Naemans.“ Mit diesen wenigen Worten wird uns durch den inspirierten Schreiber ihre traurige Geschichte mitgeteilt. Ihr Name wird nicht genannt; wer fragte nach ihrem Namen? Eine kleine Sklavin in fremdem Lande, allein und ohne Freunde, was galt sie?
Von ihren Lippen hörte Naeman zum ersten Male ein Wort über die Heilung seines Aussatzes. Sie sprach zu ihrer Herrin: „Ach, wäre doch mein Herr vor dem Propheten, der zu Samaria ist! Dann würde er ihn von seinem Aussatz heilen.“ Und Naeman ging und berichtete es seinem Herrn und sprach: „So und so hat die Dirne geredet, die aus dem Lande Israel ist.“ Wie sorgfältig berichtet uns der Geist Gottes die Worte, die sie redete! Wundern wir uns, daß Gott ihre Geschichte und ihre Worte in Sein heiliges Buch schrieb? Es braucht uns nicht zu wundern. Es liegt mehr darin, als wir auf den ersten Blick sehen. Und finden wir es nicht immer wieder in der Schrift, daß
Gott die unscheinbarsten Werkzeuge in Seine Hand nimmt und mit dem Kleinsten große Taten tut? Aber nicht dies allein, wie oft sind es gerade die Armen, die Niedrigen, die Verborgenen unter Seinem Volke, in denen Er Seine Gnade am köstlichsten zum Ausdruck bringen kann. Verborgene Pflanzen, in der Einsamkeit und Stille von Gottes Hand gezogen, voll duftenden Wohlgeruches, von Menschen unbeachtet, aber Seinem Herzen Freude und Lust! Solch ein Pflänzlein war diese kleine gefangene Dirne.
Bei sorgfältiger Betrachtung finden wir drei köstliche Punkte in ihrer kurzen Geschichte:
1. Sie besaß völliges Vertrauen zu Gott.
Über jeden Zweifel erhaben, spricht sie es als Tatsache aus: Er würde ihn von seinem Aussatz heilen.“ Woher wußte sie das? Wer hatte es ihr gesagt? Aus einem früheren Ereignis konnte sie solches nicht entnehmen. Es gab keinen solchen Fall, kein Beispiel, aus dem sie dies hätte schließen können. Und die Heilung eines Aussätzigen war in jenen Tagen im Lande Israel etwas Unbekanntes. Wir wissen dieses aus den Worten des Herrn Jesus selbst. Er sagte in der Synagoge zu Nazareth: „Ich sage euch: Viele Aussätzige waren zur Zeit Elisas, des Propheten, in Israel, und keiner von ihnen wurde gereinigt, als nur Naeman, der Syrer.“ (Lk 4,27).
Ihr Hinweis zu dem Propheten Jehovas war etwas ganz Außerordentliches. Sie hatte keine greifbare Bürgschaft für ihre Behauptung, sie konnte nicht einmal einen Fall anführen, daß aus dem Volke Jehovas einer geheilt worden sei, und doch behauptete sie vertrauensvoll, daß, wenn ihr heidnischer Herr, der Gottes Volk bekämpft und verwüstet hatte, zu dem Propheten Jehovas ginge, er sicher von ihm geheilt werden würde. Was war das? Widersinnige Torheit oder unbegrenzter Glaube?
Um diese Frage ging es auch in den Tagen Goliaths, als David hinabstieg in das Tal, dem Riesen zu begegnen. Sein ältester Bruder Eliab sagte: Ich kenne deine Vermessenheit.“ War es Vermessenheit oder Glaube? Die Frage wurde bald durch den Ausgang des Kampfes entschieden. Menschen mögen fragen und spotten, der Glaube aber rechnet mit Gott und geht seinen Weg.
So auch mit der kleinen Dirne. Ihre Worte wurden voll gerechtfertigt. Der Ausgang bewies ihr Vertrauen auf Gott. Das ist echter Glaube! Glaube, der sich nicht auf Vernunftschlüsse und menschliche Beweise gründet noch mit Umständen rechnet, sondern Gott Selbst erfaßt in Seiner Macht und Gnade und allein auf Ihm ruht, solcher Glaube ist echt. Dieses Erfassen des lebendigen Gottes im Glauben ist etwas ganz anderes als kühne Behauptungen aus eigenem inneren Vertrauen oder Überzeugtsein heraus.
2. Sie offenbart größten Mut im Bekenntnis. „Reichet dar ... in eurem Glauben die Tugend“ (die Energie, Entschiedenheit), so ermahnt Petrus die Gläubigen (2Pet 1,5). Dieses tat die kleine Dirne. Sie hatte solches Vertrauen zu Gott, daß Er auch den Feind segnet und heilt, wenn er zu Ihm kommt, daß sie entgegen aller Wahrscheinlichkeit und aller Erfahrung es mit Glaubensmut bekennt.
Versetzen wir uns einmal in die Lage der kleinen Dirne, um zu sehen, was ihr Bekenntnis bedeutete! Würden wir uns nicht in solchem Falle gesagt haben:
1. Diese Menschen haben kein Vertrauen zu Jehova. Meine Worte werden ihnen höchst unglaublich vorkommen. Sie werden darüber lachen.
2.Werden sie Meine Worte nicht mißdeuten? Können sie nicht denken, es sei ein schlauer Plan, Naeman ohne Schutz in das Land Israel zu locken, damit an ihm Rache genommen werden könne?
3. Vorausgesetzt, aus irgend einem Grunde, den ich nicht weiß, gefiele es Jehova nicht, ihn zu heilen, mit welchem Zorn und Grimm würde er zurückkommen! Wie töricht wird er in den Augen der Öffentlichkeit erscheinen! Ein großer Heerführer, so dumm, sich von einer kleinen Dirne auf den Leim führen zu lassen! Was werden die Folgen sein? Sicher, er wird seinen ganzen Grimm an mir auslassen. Mein Leben ist dann verwirkt. - Gewiß, ich bin ganz überzeugt, daß Gott ihn durch Seinen Propheten heilen wird - aber - man kann nicht wissen - es ist verständiger, den Mund zu halten.
Wirklich, Gründe des Unglaubens zu finden, nicht mit Glaubensmut auszusprechen, was wir von Gott wissen, gibt es in Fülle. Die kleine Dirne aber gab solchen Erwägungen keinen Raum.
Und was trieb sie zu solchem mutigen Zeugnis? Die Antwort liegt in ihren Worten.
3. Sie wurde getrieben von dem Mitgefühl für den Verlorenen.
Die Art, der Ton, der Inhalt ihrer Worte zeigen dies. Da ist Naeman, der Erbfeind ihres Volkes, durch den sie in Gefangenschaft kam, und nun an einem Tage kommt es ihr zu Ohren: Er ist ein verlorener Mann, der entsetzliche Tod des Aussatzes wartet sein. Wird sie mit stiller Befriedigung erfüllt? Freut sie sich bei dem Gedanken, daß ihm Recht geschieht für all das Böse, das ihr geworden? Nichts davon. Sieh', wie sie vor ihrer Herrin steht. Lies das Mitgefühl in ihrem Auge, höre die Worte, wie sie aus dem Herzen des Erbarmens so innig über die Lippen gehen: „Ach, wäre doch mein Herr vor dem Propheten, der zu Samaria ist!“
Da war kein Gedanke an Rache. Ihr Mitgefühl war nicht kleiner als ihr Mut und als ihr Vertrauen zu Gott. Das, was ihr Gott war, das kam auch an ihr zum Ausdruck. Was einst David an Mephiboseth
(2Sam 9,3) erwies, das erwies auch sie Naeman: „Güte Gottes“. In Wort und Benehmen offenbarte sie Den, an den sie glaubte. Was tat doch diese kleine Dirne! Ihr Lohn wird groß sein. Ob Naeman ihr dankte, ob ihr ein Wort der Anerkennung von Menschen wurde? Wir wissen es nicht, aber das wissen wir, Gott wird ihr den Lohn ihrer Treue im Verborgenen einst voll zuteilen.
Die Anwendung dieser Geschichte auf uns ist nicht schwer. Jeder Leser möge sie auf sich selbst machen.
Die Tage, in denen wir leben, stellen in besonderer Weise auch uns auf die Probe. Nach außen hin trägt das Christentum heute einen guten Anstrich, aber nie hatte der Glaube an den lebendigen Gott einen tieferen Stand. Was haben wir empfangen im Vergleich zu der kleinen Dirne! Wir besitzen die vollkommene Offenbarung der Liebe Gottes in Christo. Uns ist der Heilige Geist gegeben. Wie sollte unser Herz mit Vertrauen zu Gott und mit Mut zum Bekennen erfüllt sein: „Weil der, der in euch ist, größer ist als der, welcher in der Welt ist“ (1Joh 4,4). Und Gott sagt: „Ich will dich nicht verlassen noch versäumen“; so daß wir kühn sagen mögen: „Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun?“ (Heb 13,5.6). Laßt uns Sein Bild in dieser Welt tragen und „anziehen als Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte: Herzliches Erbarmen, Güte, Niedriggesinntheit, Milde, Langmut“. (Kol 3,12).
Dein Weg mag, wie der Weg der kleinen Dirne, in der Tiefe und im Verborgenen sein. Gib den Glaubensmut nicht auf! Der Gott, der Sich in Naemans Tagen dem Glauben bezeugte, ist noch heute Derselbe. Laß in deinem verborgenen Winkel durch Treue das Licht Seiner Liebe und Gnade leuchten.
H.