Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 21 - Jahrgang 1936
Lk 9,43-62 - NachfolgeLk 9,43-62 - Nachfolge
Es ist wichtig, zu sehen, wie die verschiedenen Begebenheiten unseres Schriftabschnittes zu den Schlußversen desselben hinführen.
Während die Volksmenge sich „über alles, was Jesus tat“, verwunderte, richtete der Herr Worte an Seine Jünger, die ohne Zweifel eine tiefe Bestürzung bei ihnen hervorrufen mußten. Sie erwarteten von Ihm die Aufrichtung des Königreiches, und Er, der König, sprach von Seiner Verwerfung und von Seinem Tode. Vor dem Auge des Herrn aber stand immer das große Ziel Gottes und die Zubereitung der Jünger für dasselbe.
Der folgende Vers (46) gibt uns einen Einblick in das Herz und die Gedanken der Jünger und auch in unser eigenes Herz. Wie wenig stimmen sie überein mit Seinem Herzen! Die Gedanken der Jünger waren damit beschäftigt, „wer wohl der Größte unter ihnen wäre“. Der Herr hatte von Seinem Tode - von der Stunde der Gewalt der Finsternis geredet, ihre Herzen waren aber weniger mit Ihm als mit sich selber beschäftigt. Welche Vollkommenheit sahen sie bei ihrem Herrn, der sie so unendlich liebte - ja, liebte bis ans Ende. Er nahm den niedrigsten Platz ein, und doch war Er der Größte. Wie ärmlich nahm sich ihre Ruhm- und Ehrsucht gegen Ihn aus, der in Wahrheit der Herr war und doch nur das eine Ziel vor Sich hatte, den Willen Seines Vaters zu tun.
Der Herr stellte ein Kindlein neben Sich. Dieses kleine, unbedeutende Wesen empfing dadurch Bedeutung. In diesem Kindlein an Seiner Seite sollten sie sich sehen. Er will sie von ihrer eigenen Größe und Selbstwichtigkeit herabführen. In dem Verbundensein mit Seinem Namen lag ihre Größe. Er erklärt ihnen, wer ein so geringes Wesen in Seinem Namen aufnähme, habe Ihn und damit auch Den, der Ihn gesandt habe, aufgenommen. Waren sie bereit, sich wie ein kleines unwichtiges Wesen in Seinem Namen aufgenommen zu sehen? Ach, nein, jeder suchte seinen Namen
über den des anderen zu stellen; aber es ist nur ein Name in dem Ohre des Vater lieblich. Übertrifft dieser Name in meinem Herzen jeden Namen in der Welt? Ist dieser Name mir so groß, daß das unbedeutendste Wesen, das mit diesem Namen gedeckt ist, mein Herz anzieht? Dann muß jede Ehr- und Ruhmsucht in mir gerichtet und abgetan werden.
Bei den Worten des Herrn (V. 48) erinnert sich Johannes eines Vorfalles, wo er gegen die hier ausgesprochenen Worte gehandelt hatte. Er hatte es jemandem verwehrt, sich im Namen des Herrn Elender anzunehmen und von Dämonen zu befreien. Der Herr überführt hier Seine Jünger von der Enge des menschlichen Geistes. Unser selbstsüchtiges Herz ist so ungern bereit, die Wirksamkeit der göttlichen Macht in anderen anzuerkennen, wenn diese nicht mit uns in Verbindung stehen. Wie leicht sind wir bereit, ebenso wie die Jünger zu handeln. Da möchte man jede Tätigkeit, die nicht unsere Zustimmung hat, als etwas Unerlaubtes oder doch Regelwidriges hinstellen, eben weil der Betreffende nicht mit uns dem Herrn nachfolgt. Der Herr aber sprach: „ Wehret nicht“, denn wenn jener Mann auch nicht in ihrer Mitte war, so war er doch an ihrer Seite, denn er stand in dem Kampfe wider den Satan auf der Seite des Herrn. Brüder mochten, um den Banden des Paulus Trübsal zu erwecken, aus unlauteren Beweggründen Christum verkündigen. Paulus konnte sich nicht über ihre traurigen Beweggründe freuen, aber er freute sich darüber, daß Christus verkündigt wurde. Ihre Beweggründe mußten ihn schmerzen und verletzen, aber der demütige Geist Christi in ihm ließ ihn seinen Gefühlen nicht Raum geben. Haben wir nach dieser Seite hin nicht auch etwas zu lernen?
In den Versen 51-56 finden wir wiederum die Jünger in einer Gesinnung, die der des Herrn nicht entsprach. Der Herr hatte um eine Ruhestätte gebeten und wurde schroff abgewiesen. Der harte Sinn der samaritanischen Dorfbewohner konnte die Gefühle des Herrn wohl verwunden, aber nicht die gleiche Härte bei Ihm auslösen. Jakobus und Johannes dagegen, erfüllt von dem Gefühl des ihrem Herrn angetanen Unrechtes, waren sofort bereit, in dem gleichen Geist der Härte zu handeln und den göttlichen Zorn herabzurufen. Sie konnten dafür auch gute Beispiele aus den Schriften des Alten Testamentes anführen. Der Herr aber „strafte sie und sprach: Ihr wisset nicht, wes Geistes ihr seid“. Damit weist der Herr hin auf die Verschiedenheit der Wege und Offenbarungen Gottes in dem jetzigen gegenüber den Wegen Gottes in den früheren Zeitaltern. Und diese zu unterscheiden ist auch für uns sehr nötig.
Die Leute von Nazareth verwunderten sich einst über die Worte der Gnade, die aus Seinem Munde hervorgingen (Lk 4,22). Und wie mochten die Jünger erstaunen, als sie jetzt wiederum Zeugen Seiner Gnade waren! Was empfinden unsere Herzen, wenn wir die Langmut und Gnade Gottes einer Welt gegenüber sehen, die Seinen Sohn verwirft und mit Füßen tritt? Paulus schreibt den Philippern: „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war.“ (2,5) Diese Gesinnung wird aber nur in uns gefunden werden, wenn wir, nahe Seinem Herzen, Seinen Fußtapfen folgen. Welche Hindernisse sich aber in der Nachfolge Jesu uns entgegenstellen, dafür finden wir einige Beispiele in den Schlußversen unseres Kapitels, Vers 57-62.
In dem ersten Beispiel sehen wir einen Mann, der in Begeisterung für den Herrn willens ist, Ihm nachzufolgen. Er spricht: „Ich will Dir nachfolgen, wohin irgend Du gehst, HErr.“ Der Herr prüft die Wahrheit seiner Worte. Er stellt seinen Entschluß den Tatsachen gegenüber, daß die Füchse Höhlen haben und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des Menschen nicht habe, wo Er Sein Haupt hinlege. Hatte jenes Dorf der Samariter nicht die Wahrheit Seiner Worte bewiesen? Er kam in das Seinige, aber die Seinigen nahmen Ihn nicht auf. Der Vater aber nahm Ihn auf, und dort im Hause des Vaters hat Er eine Stätte bereitet, wo Er die mit Freuden begrüßen will, die Ihm hier nachfolgen. Dort ist der Platz Seiner Ruhe, und der Weg dorthin geht durch den Tod. Wenn wir Ihm nachfolgen wollen, so haben wir denselben Weg vor uns, und dieser Weg bedeutet Entsagen - Sterben und ein Verwirklichen dessen, daß wir unseren Ruheplatz nicht in dieser, sondern in einer anderen Welt haben.
Um dem Herrn auf dem Wege, den Er durch diese Welt ging, nachzufolgen, reichen ein begeisterter Willensentschluß und menschliche Kraft nicht aus. Möchten wir in der Nachfolge Christi besser verstehen lernen, was es heißt, „allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragen, auf daß auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.“ (2Kor 4,10)
In dem folgenden Beispiel (Vers 59.60) fordert der Herr einen anderen auf, Ihm nachzufolgen (Nach Mt 8,21 war dieser ein Jünger des Herrn). Er war aber nicht bereit, der Aufforderung des Herrn sofort nachzukommen. Was hielt ihn zurück? Hatte er eine Entschuldigung? Sein Vater war gestorben und mußte beerdigt werden; gewiß eine an sich berechtigte und von Gott anerkannte Sache (1Mo 3,19; 5Mo 34,6). Müssen solchen Dingen gegenüber die Ansprüche des Herrn zurücktreten? Wie verhielt Sich der Herr dazu? Er hebt die Pflichten der natürlichen Verwandtschaft nicht auf, aber Er erlaubt nicht, daß diese Seiner Nachfolge und der Verkündigung des Reiches Gottes vorangestellt werden. Der Herr antwortet dem Manne, der ein „Zuvor“ Seinen Ansprüchen entgegenstellt: „Laß die Toten ihre Toten begraben, du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes.“ Dieses Wort sagt ihm und auch uns klar und deutlich, daß jede Sache zu unterlassen ist, wenn sie uns hindert, das zu tun, was der Herr von uns fordert. Auch das scheinbar Dringendste, wenn es ein Hindernis ist, dem Herrn zu folgen, hat kein Recht, anerkannt zu werden. Der Ruf und die Ansprüche des Herrn gehen vor. Wer andere Anforderungen, auch wenn man sie mit Pflicht entschuldigen möchte, Seinen voranstellt, stellt Ihn zurück.
Zweimal spricht der Herr hier von „Toten“, zwar nicht im gleichen Sinne, aber doch in Verbindung miteinander. Es handelte sich hier um einen Jünger des Herrn, dem der Herr gebot, hinzugehen und das Reich Gottes zu verkündigen, und um das Begräbnis eines ungläubig gewesenen Vaters. Zu diesem Jünger sagt der Herr, er solle die (geistlich) Toten ihre Toten begraben lassen und sich nicht dadurch zurückhalten lassen, den Auftrag des Herrn auszuführen. Alle Dinge, die auf dem Gebiet des Gerichtes und des Todes liegen, haben das Interesse derer, die im Tode sind, die Dinge des Reiches Gottes aber haben den Vorrang bei den Jüngern des Herrn. Für diese Dinge gibt es bei ihnen kein Zuvor.
In dem dritten Beispiel haben wir jemand, der sich selber auf den Pfad der Jüngerschaft wagt. Auch er hat ein „Zuvor“, das der Herr anerkennen soll. Bei ihm handelt es sich um die Rücksichtnahme auf verwandtschaftliche und gesellschaftliche Gebräuche. Das Haus dieses Mannes hatte in seinem Herzen einen wichtigen Platz. Er wußte nicht, wie sehr die Höflichkeitspflichten des gesellschaftlichen Lebens ablenken und aufhalten in der Nachfolge des Herrn. Der Herr sagt ihm klar, daß es auch in diesen Dingen kein „Zuvor“ Seinen Ansprüchen gegenüber gibt: „Niemand, der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, ist geschickt zum Reiche Gottes.“
Wer mit einem Pflug über das Feld zieht, muß den Endpunkt im Auge haben, sonst wird er eine gekrümmte Furche zurücklassen. Auch nur eine augenblickliche Ablenkung des aufs Ziel gerichteten Blickes ist verhängnisvoll. Vielleicht war es etwas Harmloses, was die Ablenkung verursachte, und die Abweichung mag dem natürlichen Auge sehr klein vorkommen, und doch steht nichts Geringeres auf dem Spiel als das Passendsein für das Reich Gottes.
So lernen wir aus diesen drei Beispielen:
1. Daß Begeisterung und eigene Kraft nicht ausreichen, dem Herrn nachfolgen zu können;
2. daß, wenn wir verwandtschaftliche Beziehungen (so wichtig und von Gott angeordnet sie auch sind) den Ansprüchen des Herrn gegenüber den Vorrang geben, wir der Verkündigung des Reiches Gottes Schaden zufügen;
3. daß Rücksichtnahme auf verwandtschaftliche und gesellschaftliche Gebräuche in der Nachfolge Jesu solchen geistlichen Mangel bewirken können, daß wir unfähig für das Zeugnis werden und aufhören, dem Herrn zubereitete und nützliche Gefäße zu sein.
Möchte diese betrachtete Schriftstelle zu unserem Herzen reden, um über die Neigungen unserer Herzen zu wachen! v. S.-W. - v. d. K.