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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
Jes 46,3.4 - „Getragen“Jes 46,3.4 - „Getragen“
Wenn wir an der Wende eines neuen Jahres hinausschauen in eine ungewisse Zukunft, wie erfreut und tröstet da der Gedanke unser Herz, daß, so dunkel auch das Jahr vor uns liegen mag, wir doch durch Gottes Macht getragen werden sollen. Gottes Vaterhände sind es, die uns wie ein Kind durch allen Kampf und Streit hindurchtragen wollen bis zum Eingehen ins Vaterhaus. Vor alters sagte Er zu Seinem geliebten Volke: „Höre doch auf Mich, Haus Jakob und aller Überrest des Hauses Israel, die ihr von Mutterleibe an aufgeladen, von Mutterschoße an getragen worden seid! Und bis in euer Greisenalter bin Ich Derselbe, und bis zu eurem grauen Haare werde Ich euch tragen, Ich habe es getan, und Ich werde heben, und Ich werde tragen und erretten.“ Wie lieblich sind diese Worte für unser Herz; sie gelten heute noch, und wir haben ein Recht, sie auch auf uns anzuwenden.
Um die Größe und Kraft dieser Worte besser zu erkennen, müssen wir die vorhergehenden Verse beachten. Dort wird gesagt: „Bel krümmt sich, Nebo sinkt zusammen; ihre Bilder sind dem Saumtiere und dem Lastvieh zuteil geworden; eure Tragbilder sind aufgeladen, eine Last für das ermüdete Vieh. Sie sind zusammengesunken, haben sich gekrümmt allzumal und haben die Last nicht retten können; und sie selbst sind in die Gefangenschaft gezogen.“ (Jes 46,1.2). In diesen Worten spricht Gott von dem Sturz der Götzen, auf welche Menschen vertrauten. Anstatt daß jene, die auf ihre Götzen vertrauten, von diesen befreit wurden, wurden sie selbst in Gefangenschaft geführt, und auf dem Wege waren sie eine schwere Last für die Tiere, welche sie trugen. Hierzu im Gegensatz stehen nun die Worte Gottes, die wir im Anfang betrachteten. In diesen spricht Gott von Seiner Liebe und Sorge für Sein Volk. Er sagt ihnen, daß Er sie von der Geburt an bis ins Alter, bis in die Herrlichkeit trägt und sie von allem, was sie auf dem Wege hindern und gefangen nehmen will, errettet.
Die beiden ersten Verse unserer Stelle, die von der Abgötterei reden, sind sehr belehrend für uns. Manche meinen,
Abgötterei sei eine Sache, die der Vergangenheit angehöre, oder wenn sie noch irgendwo vorkomme, so sei es doch nur noch in fernen Heidenländern. Solche haben niemals die ernsten Worte der Schrift verstanden, die uns sagt, daß alle Begierden Götzendienst sind (Kol 3,5; Eph 5,5), und haben nicht die ernste Gefahr beachtet, der auch Kinder Gottes ausgesetzt sind und von der Johannes am Schlusse seines ersten Briefes so warnend spricht: „Kinder, hütet euch vor den Götzen!“ (1Joh 5,21).
Umgibt uns in unseren christlichen Ländern kein Götzendienst? Ist es nicht eine schmerzliche Tatsache, daß Götzendienst ungerichtet, ungehindert, ja sogar oft unbeachtet von Kindern Gottes ausgeübt wird? Um Götzendienst zu treiben, ist es nicht nötig, ein Bildnis zu haben und sich vor ihm zu bücken, wie es vor alters Israel tat. Wenn der Platz, der in unserem Herzen Gott gebührt, einer anderen Person oder Sache eingeräumt wird und wir statt dem Herrn solchen huldigen, so ist das Götzendienst.
In leicht erkennbarer Weise können wir den Götzendienst in jenen sehen, die das Geld zum Gegenstand ihrer Begierde haben; es ist die in unseren Tagen am leichtesten erkennbare Begierde. Solche arme Menschen, die dem Geldgott huldigen, werden durch ihn beherrscht und geknechtet. Alle ihre Wege, alle ihre Gedanken sind mit dieser einen Begierde erfüllt. Wir sehen solches bei Judas Ischarioth; sein begieriges Herz verlangte nach dem Gelde von Marias sehr kostbarer Narde; er hätte sie gern verkauft, um das Geld zu haben; und dann verkaufte er Ihn, auf den diese kostbare Narde ausgeschüttet wurde, für 30 Silberlinge. Dem Gelde galt die Huldigung seines Herzens; er diente dem Mammon, und Geld beherrschte ihn so vollständig, daß Satan seine schrecklichen Pläne durch ihn ausführen konnte. Viele wenden sich mit Abscheu und Widerwillen von einem solchen Bilde weg und sind doch selbst Götzendiener. Wohl mag es nicht Geld sein, das sie fesselt und leitet, aber andere Sachen oder Personen haben ihre Sinne gefangen genommen und nehmen den Platz im Herzen ein, den nur Gott einnehmen soll; und diese Dinge oder Personen sind die Götzen, von denen sie beherrscht werden. Wir können nicht alle die Götzen aufzählen, die ihre Macht über Menschen ausüben und denen von Menschen gehuldigt wird, denn ihrer sind so viele und so mannigfaltige, wie sie in keinem Götzenladen der Heiden zu finden sind.
Und wenn wir die Ergebnisse solcher Götzendienste betrachten, welche Warnungen empfangen wir dann für unser Herz? So wie die schweren Götzenbilder von Bel und Nebo eine zu schwere Last für die schwachen Tiere waren, welche sie trugen, so brechen auch im geistlichen Sinne jene, die Gottes Platz in ihrem Herzen an Götzen abtraten, unter der Last ihrer Götzen zusammen. Ihre Götzen sind ihnen eine stete Bürde; ununterbrochen lasten sie auf ihnen. Sie sind ihnen nichts als ein jammervolles Leid, die sie zu ständigem Mühen und Hasten antreiben. Welch ein trauriges Bild und ein Leben des Elends ist dieses! (Und wie sehr wird der Name des Herrn dadurch verunehrt)! Die einen zahlen diesen Tribut durch die Huldigung der Welt, die anderen durch Huldigung des Mammons, der Sinneslust, der Ehre usw. Wie unglücklich sind alle diese Armen in ihren Seelen. Sie jagen und mühen sich ab und werden nie satt. Seufzend unter ihren Götzen sind sie immer am Ringen und kommen nie zur Ruhe. Immer im Streit und Kampf und nie im Frieden; immer den Gegenstand ihrer Begierde - ihren Götzen - vor Augen und immer wieder neu nach dem Truge haschend. Das ist der friedlose Weg des Götzendienstes. Die diesen Götzen huldigen und dienen, müssen erfahren, daß sie weder ihr Herz befriedigen noch sie aus ihrem Elend und ihrer Verzweiflung erretten können.
Wie oft haben die Worte des Apostels meine Seele mit Ernst erfüllt: „Die aber reich werden wollen, fallen in Versuchung und Fallstrick und in viele unvernünftige und schädliche Lüste, welche die Menschen versenken in Verderben und Untergang. Denn die Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen, welcher nachtrachtend etliche vom Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben.“ (1Tim 6,9.10).
Wir alle mögen mehr oder weniger einmal offenkundige Götzendiener gewesen sein, Gottes Freude aber war es und ist es heute noch, unser Herz ganz für Sich zu gewinnen und uns von allem zu befreien, was uns noch von den Dingen der Welt und des eigenen Ichs fesseln mag. Durch Sein kostbares Evangelium offenbarte Er uns, was Er ist. Er wandte einst die Herzen der Thessalonicher von ihren Götzenbildern weg zu Sich hin, und fortan dienten sie nicht mehr ihren Götzen, sondern dem wahren und lebendigen Gott, und warteten auf das Kommen Seines Sohnes vom Himmel. Nichts beherrschte ihr Herz, ihre Gedanken, ihre Wege, als nur Gott allein, und sie hatten keine andere Hoffnung und keine andere Erwartung mehr, die ihr Leben erfüllte, als das Kommen Seines Sohnes vom Himmel. (1Thes 1,9.10).
Und wie bei jenen Gläubigen in Thessalonich, so ist es - der Herr sei dafür gepriesen - bei vielen anderen gewesen. Viele Kinder Gottes können heute durch Glauben sagen: Was haben wir nun noch mit Götzen und Götzendienst zu tun. Gottes Liebe und Gottes Herrlichkeit in dem Angesicht Jesu Christi haben uns frei gemacht von den Dingen, die uns einst anlockten und uns bis zum Zusammenbrechen in Knechtschaft hielten. Es ist mit uns anders geworden; anstatt daß wir seufzend unsere Götzen tragen, werden wir von Seinen Vaterhänden getragen. Wir ruhen in Ihm und genießen den Frieden, den Er durch das Blut Seines Kreuzes gemacht hat. Welch ein Gegensatz! Er, der uns von unseren Gebundenheiten errettet, gestaltet uns auch in Sein Bild um und trägt uns Tag für Tag auf den Armen Seiner Gnade und Liebe bis ans Ende; „bis ins Greisenalter bin Ich Derselbe, bis zu eurem grauen Haare werde Ich euch tragen. Ich habe es getan, und Ich werde heben, und Ich werde tragen und erretten.“
Solange wir Götzen dienen, welcher Art sie auch seien, werden wir von unseren Götzen regiert und wandeln eigene Wege, auf welchen wir nicht nach Seinem Willen und Wohlgefallen fragen, und schleppen die Last der Götzen mit uns bis zum Niedersinken. Steht aber der Herr vor unserer Seele, so werden wir von Ihm regiert, und Sein Wille und Sein Wohlgefallen ist unser Ziel, und getragen durch Seine göttliche Macht genießen wir den Frieden und die Freude des Wandelns mit Ihm.
Ein schönes Bild hiervon finden wir in dem Gleichnis unseres Herrn in Lk 15. Der Herr zeichnet uns hier den Zustand eines verlorenen Schafes. Welch ein Bild von Eigenwillen und Irregehen bis zur Hoffnungslosigkeit wird uns in dem einen Worte „verloren“ vor die Seele gestellt; und wieviel Ermüdung, Schmerz und Leid sind darin eingeschlossen. So war einst unser Leben. Und dann folgt der köstliche Gegensatz: „Er legt das Verlorene, wenn Er es gefunden hat, mit Freuden auf Seine Schultern.“ Diese Worte zeigen uns die Freude des Heilandes über die Errettung eines Schäfleins. Und sie lassen uns erkennen, wie sanft und sicher das gefundene Schäflein durch die Gefahren und die Dornen des Weges von Ihm hindurchgetragen wird. So ist jetzt unser Leben.
Wenn wir nun wieder an der Schwelle eines neuen Jahres stehen und unsere Augen auf die vielen Tage desselben blicken, wie dunkel liegt dann alles vor uns! Wir wissen nichts von der Länge unserer Pilgerreise; sie kann in ein paar Tagen, in wenigen Augenblicken beendet sein; oder werden wir die ganze Jahresreise noch zu durchschreiten haben? Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, was die vor uns liegenden Tage uns bringen, ob sie hell oder dunkel sein werden, ob sie Sorge oder Freude für uns enthalten. An Gefahren und Versuchungen durch den Feind wird es uns nicht fehlen. Werden wir Niederlagen oder Sieg darin haben? Eins aber wissen wir: wenn der Herr unseres Herzens Teil ist, so hält die Vollkommenheit Seiner Liebe uns aufrecht, und Seine Gnade und Kraft machen uns fähig, im Lichte zu wandeln und als solche gekannt zu sein, die auf den Schultern Seiner göttlichen Macht getragen werden. Im Ruhen an dem Herzen Seiner Liebe kennen wir keinen Schmerz, keine Ermüdung, keinen Zusammenbruch, sondern erfahren das Heben, Tragen und Erretten Seiner Hände. Und wenn Leiden und Trübsale uns in dem vor uns liegenden Jahre erwarten, an Seiner Brust können wir auch inmitten derselben Ihm lobsingen.
Haben wir nicht zuweilen ein Kind gesehen, wie es, müde des Weges, die Hände zum Vater emporstreckt, um in dessen Arme genommen zu werden? So wollen auch wir an der Jahreswende wieder unsere Hände emporstrecken, daß Er uns in unserer Kraftlosigkeit hebe und trage und errette. Und wenn der Vater sich niederbeugt und sein müdes Kind in die Arme nimmt, wie still ruht das Kind dann in den starken Armen des Vaters. Alle Anstrengungen eigener Kraft, alles eigene Mühen ist beendet; es ruht in seligem Bewußtsein in den Armen der Liebe und weiß sich heimgetragen. So liegen auch wir in den Armen und auf den Schultern des guten Hirten und wissen uns von Seiner Kraft getragen, bis das Vaterhaus erreicht ist.
R. - K.