verschiedene Autoren
Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 6 -Jahrgang 1918/19
„Der Sohn des Menschen“ (2)„Der Sohn des Menschen“ (2)
Nachdem ich zunächst feststellte, wo obiger Ausdruck in der Schrift angewendet ist, habe ich dann an Hand derselben nachzuweisen gesucht, wenn auch in großer Schwachheit, daß es sich um eine Selbstbezeichnung Jesu (keineswegs um eine Anrede an Ihn)!. handelt, die nach den ersten Spuren Seiner Verwerfung seitens Israels eintrat und Den vor unser Auge rückt, der, obwohl Ihm der Titel „der Sohn Gottes“ zukam, doch auf dessen Betonung verzichtet und Sich „den Sohn des Menschen“ nennt, da Er der verkannte, verworfene, leidende Messias ist (vgl. Mt 16,13-17)!..
Heute möchte ich mich bemühen, die Frage zu beantworten, welchen praktischen Zweck der Herr Jesus mit dieser Selbstbezeichnung verfolgte, - wozu, mit welcher Absicht Er freiwillig einen solchen, Ihn vor den Augen des Universums (Heb 2,6) scheinbar erniedrigenden Titel annahm (vgl. Phil 2,7.8). Es wird vielfach angenommen, daß der Herr diese Bezeichnung aus Dan 7,13 übernommen bezw. sich in Erfüllung jener messianischen Stelle so genannt habe. Doch glaube ich für mein Teil nicht, daß diese Meinung viel für sich hat. Denn einmal deutet der Wortlaut jener Stelle durchaus nicht auf die Bezeichnung Jesu in den Evangelien hin (wie schon voriges Mal gezeigt), sondern vielmehr auf die beiden ähnlichen Stellen in der Off 1,
13 und 14,14, wo es ebenso wie in Dan 7 wörtlich heißt „vergleichbar (einem) Sohne (eines) Menschen“, und demgemäß enthält auch erst die Offenbarung die vollständige Erfüllung der Danielstelte, wenn auch die Person die gleiche ist wie in den Evangelien; doch aber nicht der Charakter, in dem diese Person dort und hier auftritt. Ferner geht aus Joh 12,34, der verwunderten Frage der Volksmenge, hervor, daß die Bezeichnung „Sohn des Menschen“ keineswegs infolge Dan 7,13 (oder auch Psalm 8,4) eine im gewöhnlichen Volk allgemein bekannte Messiasbezeichnung gewesen ist. Warum auch hätte der Herr Jesus Sich so nennen sollen, um jene messianische Weissagung zu erfüllen, wenn doch die Zeit der Erfüllung noch nicht gekommen war? Nein, Er mußte für Sein Volk erst der große Unbekannte geworden sein, wie Er es im Vorbild für die Emmausjünger (Lk 24) war; erst wenn Sein Volk Israel ganz am Boden liegt, weil es einst seinen Messias nicht erkannt und anerkannt hat, und erst wenn die Erde reif geworden ist zum Gericht, weil sie sich nicht suchen und retten ließ von „dem Sohne des Menschen“, der zu diesem Zwecke aus dem Himmel kam (Joh 3), erst dann kommt Er, der der Welt und Israel Unbekannte, Verworfene, Verborgene als „einem Sohne eines Menschen“ vergleichbar. [Ich betone: es heißt nicht: „vergleichbar dem Sohne des Menschen“! „Der Sohn des Menschen“ zeigt den bekannten „Sohn des Menschen“, wie Er in dem Evangelium Sich Selbst, d. h. Sich, den Sohn Gottes, Selbst bezeichnete und wie jeder - auch der Heide (Mt 26,63.64) Ihn kennen konnte.] „Einer gleich einem Sohne eines Menschen“ wird kommen, aber dieser große Unbekannte ist derselbe „Sohn des Menschen“, der einst diese Bezeichnung freiwillig annahm, durch die Er uns Menschen, und zwar, weil als Messias verworfen von Israel, allen Menschen, am nahesten trat. Auf jenen Charakter, in dem Er in Dan 7 und der
Offenbarung auftritt, gehe ich, s. G. w., das nächste Mal näher ein und fahre jetzt fort in meiner Untersuchung, in welcher Absicht und zu welchem Zwecke der Herr Jesus diese Selbstbezeichnung wählte.
Wenn wir etwa mittels einer Konkordanz15 die Stellen in den Evangelien nachlesen, in denen der Herr Sich „den Sohn des Menschen“ nennt, so werden wir deutlich zwei verschiedene Arten von diesbezüglichen Aussprachen finden, solche, in denen mit dieser Bezeichnung Herrlichkeit, und solche, in denen mit derselben das Gegenteil, nämlich Schmach und Niedrigkeit, wie sie Seine Leiden mit sich bringen, verbunden ist. Für beide Gruppen von Aussprüchen hier einige Beispiele aus allen Evangelien, die sich leicht vermehren lassen: Mt 16,27; 19,28; 24,27; Mk 2,10.28; 14,62; Lk 17,24 (vgl. dagegen 25)!.; Joh 1,51; 5,27; 6,27.62 - demgegenüber Mt 8,20; 12,40; 20,28; 26,2; Mk 8,31; Lk 22,48; Joh 3,14. Was lernen wir aus diesen sich gegenüberstehenden Aussprüchen, denen sich auch noch solche anreihen ließen, die eine gewisse Verbindung zwischen beiden Gruppen darstellen (Joh 3,13! 13,31; Mt 20,18.19; Mk 9,9 u. a., vgl. Psalm 8 und Heb 2)!.?
Als der Herr auftrat, geschah es unter sichtbarer Bezeugung des Vaters, daß Er Sein geliebter Sohn sei (Mt 3,17 und Parall)., und Sein großer Vorläufer und Wegbereiter hat Ihn als solchen gesehen und verkündet (Joh 1,34) und zugleich in Ihm das Lamm Gottes erkannt, das der Welt Sünde wegtragen sollte (Joh 1,29.36). Daher war es für ihn erwiesen, daß Dieser, den er hatte taufen müssen, der Messias sei (Jes 53)!.. So war es für Seine eigenen Jünger, die er auf Jesum hinweist und die bei diesem blieben, die natürliche Folge ihres Suchens in Aufrichtigkeit, daß sie in Seiner Nähe Ihn als den Messias erkannten und als solchen weiter verkündigten. Joh 1,35 bis Schluß. Aus dieser Stelle lernen wir, daß der Herr denen, in denen kein Falsch war, sich als Messias offenbaren konnte. Aber im allgemeinen fand Er in Israel keine Annahme (vgl. Joh 1,11; Lk 4 u. a.)!., und nunmehr trat Er im allgemeinen nicht mit dem Anspruch, als Messias anerkannt zu werden, auf, sondern als „der Sohn des Menschen“, der gleichsam für alle, nicht nur für Israel, da war. Er nannte Sich so, wie Er angesehen wurde, aber mit bestimmter Betonung und darum in unendlich höherer Bedeutung. Er war nicht nur in Gestalt der Menschen (Phil 2), sondern Er benannte Sich mit „der Sohn des Menschen“, und zwar, wie ich glaube, einmal deshalb, weil Er zugleich etwas anderes, höheres war: der Sohn Gottes, und dann deshalb, weil Er allein der wahre Mensch nach Gottes Gedanken war (Röm 5; 1Kor 15). Als der Messias ist Er der Sohn Gottes, aber in dieser Seiner Eigenschaft, in diesem Seinem ewigen Wesen hat Er, bevor Er auf die Erde kam, freiwillig auch jenen Titel der Erniedrigung angenommen, ja, Er war schon vor Seiner Menschwerdung in den Ratschlüssen Gottes als „der Sohn des Menschen“ in den Himmeln (Joh 3,13; 6,62). Welch ein wunderbares Geheimnis! Er wußte um Seine Verwerfung hienieden und nahm schon in der Herrlichkeit freiwillig einen Titel an, der hienieden von uns aus gesehen Ihn auch gleichsam in Seinen eigenen Augen als einen von denen erscheinen ließ, die wir selber sind! Welche Herablassung in Gnade! Nicht nur wurde Er Mensch, in Seiner äußeren Erscheinung uns gleich (Phil 2), sondern Er hatte schon, ehe Er in die Welt kam, einen Titel angenommen, hinter dem nur die, die Ihn erkennen wollten, den Messias erkannten. Wunderbar! Es war somit in Seinen eigenen Augen kein Widerspruch, daß Er als Messias leiden und sterben mußte (Lk 24,7.26.44.46), es war kein Unglück, das Ihm widerfuhr, keine
Verhinderung Seines Messiasberufes, es war Sein eigener freier Wille zu leiden, und da Er wußte, daß Er von Seinem Volke abgelehnt würde (schon indem Er aus Nazareth käme), so nahm Er für jede Gelegenheit, da man Ihn verkennen würde, diesen Titel der Selbsterniedrigung an, stellte Sich dar als solchen vergleichbar, wie wir sind, um unserer, ob Juden oder Heiden, soviel als möglich zu gewinnen (1Kor 10,19-23). Es ist alles Liebe, was Ihn trieb, zu uns zu kommen, aber auch, was Ihn trieb, so zu kommen und so zu sein, wie Er kam und unter uns war. Er sah, welches Ärgernis Er mit Seinem Auftreten in Seiner niedrigen Gestalt Seinem Volke geben werde, und darum gab Er Sich diese Bezeichnung und betonte z. B. in Joh 6,51ff. dieselbe so stark, damit die da vielleicht glauben wollten (6,30)!. durch dieselbe und durch das, was Er mit ihr verbindet (z. B. Lk 19,10; Mt 18,11; 20,28 oder auch Joh 6,53 usw)., das Ärgernis, den Anstoß überwinden (Mt 11,6) und an Ihn, den Messias, gläubig werden, indem sie, gezogen vom Vater, zu Ihm kommen (Joh 6,37.44). Welche Gnade!
Aber auch welcher Ernst, den abzuweisen, dem, weil Er als „der Sohn des Menschen“ der Messias und d. i. der Sohn Gottes ist, als solchem und darum auch als „dem Sohn des Menschen“ alle Herrlichkeiten des Vaters zu eigen sind, ja, der Gott gleich ist (Joh 10,33)! Er kann von Sich, „dem Sohn des Menschen“ auch alle jene Worte sagen, die trotz Seiner Selbsterniedrigung Herrlichkeit in sich schließen. Darum, wer Ihn, der Sich Selbst zu nichts machte, uns zu retten, abweist, der wird einst gerichtet werden von Ihm, der das Recht vom Vater erhalten hat, Gericht zu halten, weil Er „der Sohn des Menschen“ ist (Joh 5,27). Das leitet uns über zu dem zukünftigen Charakter dieses Titels in Heb 2 und besonders auch, wie Er in Apg 7,56 und in der Offenbarung auf Grund von Dan 7,13 erscheint: in dem richterlichen Charakter! Gnade und Gericht, beides ist verbunden mit der kostbaren Selbstbezeichnung des Herrn Jesus: „der Sohn des Menschen“.
Ehre und Preis unserem Herrn Jesus Christus in Ewigkeit!
F. K.
15 Jeder Schriftleser sollte eine sogen. Konkordanz besitzen! F. K.↩︎