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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 14 - Jahrgang 1929
ZerstreuungZerstreuung
Eine Wirkung des Todes unseres Herrn Jesus Christus ist, daß Er die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelt. Kajaphas weissagte über den Herrn , daß Er nicht für die Nation allein sterben solle, „sondern auf daß Er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte.“ (Joh 11,52) Und der Herr sagt: „Und Ich, wenn Ich von der Erde erhöht bin, werde alle (nicht die Juden allein) zu Mir ziehen.“ (Joh 12,32) Er ist der große und neue Sammelpunkt aller Kinder Gottes.
Von Zerstreuung spricht die Schritt zum ersten Male in der Geschichte Babels. Diese Zerstreuung war das direkte Gericht Gottes über jene, die unabhängig von Gott eine untrennbare Einheit bilden wollten. Weiter wird von der Zerstreuung geredet in Bezug auf das Volk Israel. Es wurde um seiner Sünde willen unter die Nationen zerstreut, weil es dem Herrn nicht gehorchen wollte. (3Mo 26,33; vgl. auch 1Mo 49,7 in Verbindung mit der Blutschuld)!
Diese beiden eben erwähnten Zerstreuungen waren Gerichtshandlungen von seiten Gottes. Wir finden aber auch Zerstreuungen, die ein Werk des Satans sind. Er gebraucht dazu die verderblichen Wölfe. Paulus kündigte ihr Hereinkommen an und ermahnte die Ältesten, die Herde Gottes zu hüten, über welche der Heilige Geist sie als Aufseher gesetzt hatte. (Apg 20,29) Solange der Herr - „der gute Hirte“ - hienieden bei ihnen war, bewahrte Er sie in Seines Vaters Namen; als Er aber von ihnen ging, betete Er, daß der Heilige Vater sie in diesem Namen bewahren möge. (Joh 17,11)
Als Er Seine Augen auf gen Himmel hob (Joh 17,1) und Seinem Vater die Seinigen zur Bewahrung anvertraute, da war der Augenblick gekommen, wo sie zerstreut werden würden. Die Stunde des Menschen und der Gewalt der Finsternis offenbarte sich, und Satans Gewalt bewegte und beherrschte alle.
In Seiner letzten Unterredung nimmt der Herr zweimal auf die Zerstreuung Bezug (Mt 26,31; Joh 16,32). Das erste Mal knüpfte Er an das Wort Sach 13,7 an, als Er sagte: „Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden zerstreut werden“, und das zweite Mal spricht der Herr von ihrem Zerstreutwerden: „Siehe, es kommt die Stunde und ist gekommen, daß ihr zerstreut sein werdet, ein jeder in das Seinige, und Mich allein lassen werdet.“ Obwohl die Zerstreuung durch den Feind bewirkt wurde, enthüllt der Herr uns doch in diesen beiden Stellen zwei Ursachen dafür, die bei den Jüngern selbst gefunden wurden, und es wird nützlich für uns sein, diese ein wenig näher zu betrachten.
Es ist keine Frage, daß die Elfe den Herrn wirklich liebten und an Ihn glaubten. Petrus bezeugte dieses in den Worten: „Du hast Worte ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du der Heilige Gottes bist.“ (Joh 6,68.69) Als sich aber die furchtbare Gewalt der Finsternis in ihrem ganzen Ausmaß über den Geliebten entfaltete und die bewahrende Sorge des Hirten sie in dieser Zeit Seiner Leiden und des Todes nicht mehr umgab, wurde die erste Ursache ihres Zerstreutwerdens offenbar.
Der Hirte wurde geschlagen, und die Schafe waren ohne Seinen Beistand. Jetzt verwendet Er Sich droben fürbittend für uns, und wir haben allezeit Seinen Beistand.
Er nahm gewissermaßen schon im voraus diesen Platz der Fürbitte für Petrus ein, als Er sagte: „Ich aber habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht aufhöre.“ (Lk 22,32) Jetzt lebt Er immerdar, um Sich für uns zu verwenden (Heb 7,25). Und doch tragen wir dieselbe Ursache der Zerstreuung in uns, die wir bei den Jüngern finden.
Um kurz auf die beiden Ursachen ihres Zerstreutseins einzugehen, finden wir die erste Ursache in Mt 26,31 darin, daß die Jünger sich selbst vertrauten und sich nicht bewußt waren, was das menschliche Herz ist und wozu es fähig ist. Petrus vertraute deshalb seinem eigenen Herzen. Die zweite Ursache finden wir in Joh 16,32, daß die Jünger in ihrem Herzen nicht die Wahrheit von der Herrlichkeit Seiner Person aufnahmen als des Sohnes, der vom Vater gekommen und jetzt zum Vater zurückkehrte. Sie erfaßten es nicht, daß sie durch die Verbindung mit Ihm, mit dem Vater, der Quelle der ewigen Liebe, die Er in Worten und Werken hienieden offenbarte und zu der Er jetzt zurückkehren wollte, verbunden waren.
Kehren wir noch einmal zu der ersten Ursache ihres Zerstreutwerdens in Mt 26 zurück. Ihre Herzen waren fähig, sich an dem Herrn Jesus zu ärgern. Sie hatten Seine Liebe in der Feier des Mahles gerade in einer ganz besonderen Weise geschmeckt und hatten ein Loblied zusammen gesungen, als der Herr ihnen sagte: „Ihr werdet euch alle in dieser Nacht an Mir ärgern.“ (V. 31) Konnte dies möglich sein? Konnten sie mit Ihm am Mahle sitzen und zusammen ein Loblied singen und dann in der Stunde Seiner Not und Bedrängnis Ihn verlassen und zerstreut werden? Ja! Der Heilige Geist hatte in Ps 116,11 zuvorgesagt: „Ich sprach in Meiner Bestürzung: Alle Menschen sind Lügner“ (d. h. solche, denen nicht zu trauen ist).
Petrus, in dem Gefühl seiner Liebe zum Herrn , kann nicht glauben, daß seinem Herzen nicht zu trauen sei. Er erwidert: „Selbst wenn ich mit Dir sterben müßte, werde ich Dich nicht verleugnen.“ Und er stand mit dieser Erwiderung nicht allein: „Gleicherweise sprachen auch alle Jünger.“ (Mt 26,35) Das ist das menschliche Herz! Wieviel Selbstvertrauen wohnt darin, und wie leicht sind wir geärgert, und wie leicht alsdann zerstreut und weggeführt von dem Herrn Jesus!
Wir betonen oftmals die Wahrheit, daß der erste
Mensch sein Ende gefunden hat und daß das menschliche Herz mehr als alles arglistig und verderbt ist (Jer 17,9). Aber ist es uns eine solche Wirklichkeit, daß jeder von sich sagen kann: Das dort beschriebene Herz ist mein Herz, und der Tod Christi am Kreuz ist das über mein Fleisch vollzogene Todesurteil? Wenn wir die Kürze der Zeit erwägen, die da zwischen dem Singen des Lobliedes mit dem Herrn und dem Verleugnen und Verlassen des Herrn lag, dann lernen wir so recht, kein Vertrauen auf Fleisch zu haben.
Die Liebe des Herrn zu den Seinigen konnte durch nichts erschüttert werden. Obgleich Er das Ärgern der Jünger, die Verleugnung des Petrus und das Verlassensein von allen voraussah, sagte Er dennoch: „Nachdem Ich aber auferweckt sein werde, werde Ich vor euch hingehen nach Galiläa.“ (V. 32) Er ist bereit, mit diesen Jüngern Seine Beziehungen wieder aufzunehmen.
Wenden wir uns jetzt zu Joh 16,32. Der Herr sagt in dieser Stelle, daß Er in Gleichnissen geredet habe, die Stunde aber komme, da Er nicht mehr in Gleichnissen zu ihnen reden, sondern ihnen offen von Seinem Vater verkündigen werde (Joh 16,25). Er tat dieses, als Er Maria Magdalene beauftragte: „Gehe hin zu Meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater.“ (Joh 20,17) Damit sie aber fähig sein möchten, diese Botschaft völlig zu erfassen, war es notwendig, daß der Sachwalter zu ihnen komme. Der Geist der Wahrheit würde sie in die ganze Wahrheit leiten. Der Herr sagte deshalb: „Alles, was der Vater hat, ist Mein; darum sagte Ich, daß Er von dem Meinen empfängt und euch verkündigen wird.“ (Joh 16,15)
Als der Herr bei ihnen war, konnten sie die Mittellungen, die Er ihnen so gern gemacht hätte, noch nicht tragen. Er kannte ihre Schwachheit und ihr Unvermögen, Seine Worte aufnehmen zu können. Aber ungeachtet dessen verbindet Er sie doch mit der Liebe des Vaterherzens. Er sagt ihnen: „Der Vater Selbst hat euch lieb.“ (Joh 16,27) Und Er fügt hinzu, daß der Vater sie deshalb liebhabe, weil sie Ihn geliebt und an Ihn geglaubt hatten, daß Er von Gott ausgegangen sei. Ihr Verständnis und ihr Glaubenserfassen ging nicht weiter, als daß „Er von Gott ausgegangen“ sei. Dies aber erreichte nicht die Höhe der Wahrheit, die Er ihnen kundmachte. Er erklärte ihnen deshalb: „Ich bin von dem Vater ausgegangen und bin in die Welt gekommen; wiederum verlasse Ich die Welt und gehe zum Vater.“ (V. 28) Diese Ausführungen waren wirklich klar, aber die Jünger waren nicht imstande, zu erfassen, was in dem Unterschied lag: „von Gott ausgegangen“ (V. 27) und „von dem Vater ausgegangen“ (V. 28) zu sein. Wohl sagten sie: „Siehe, jetzt redest Du offen und sprichst kein Gleichnis ... hierdurch glauben wir, daß Du (vom Vater? Nein)! von Gott ausgegangen bist.“ (V. 30) Dieses zeigt, daß sie die tiefere Wahrheit, von dem Vater ausgegangen zu sein, nicht verstanden.
Obwohl der Herr ihre Liebe zu Ihm voll anerkannte, so wußte Er doch, daß sie zurzeit nur ein dunkles Verständnis über Seine Person hatten - daß Er, der Sohn, das Gefäß der überströmenden Liebe des Vaters hienieden war und daß Er jetzt die Welt verließ, um wieder zu dem Vater zurückzukehren. Aus ihre Antwort (V. 30), die nur ihre Verständnislosigkeit offenbarte, erwiderte Er nur fragend: „Glaubet ihr jetzt?“ Er fühlte, sie verstanden nicht, was in dem Vaternamen lag, um in das Reich der Liebe des Vaters einzutreten. In diesem Zusammenhang spricht Er alsdann: „Siehe, es kommt die Stunde und ist gekommen, daß ihr zerstreut sein werdet, ein jeder in das Seinige, und Mich allein lassen werdet; und Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei Mir.“ (V. 31.32)
Der Herr verbindet ihre Zerstreuung mit dem Mangel der Aufnahme der vollen und himmlischen Wahrheit. Hätten sie Seine Worte voll erfaßt, so würde die Liebe des Vaters sie in eine ganz andere Sphäre getragen haben. Statt daß sie zerstreut wurden, ein jeder „in das Seinige“ hienieden, würden ihre Herzen zu der Stätte der Liebe des Vaters und des Sohnes geführt worden sein. So aber wurden sie zerstreut, und ein jeder war mit dem „Seinigen“ beschäftigt, und ihr Herz vom Herrn abgewandt. Sie ließen Ihn allein, und doch war Er nicht allein, denn der Vater war bei Ihm.
Wandeln wir nicht in dem Lichte der Wahrheit, so haben wir unser verdorbenes und arglistiges Herz noch nicht in Wirklichkeit erkannt, und Selbstvertrauen wohnt statt Abhängigkeit vom Herrn darin. Haben wir uns aber als hoffnungslos verdorben erkannt, so ist für Selbstvertrauen kein Platz mehr in unserem Herzen - unser Halt ist allein der HErr. Alles, was aus uns ist, erfüllt uns mit Mißtrauen. Wir umfassen Ihn nicht so wie einst zu unserer Errettung, sondern jetzt als unseren Weg, unsere Wahrheit, unser Leben.
Der Heilige Geist ist jetzt wohnend in uns, und die Gläubigen sind im Besitz einer Kraft, welche die Jünger, als sie weg vom Herrn zerstreut wurden, noch nicht hatten. Selbst die Kindlein in Christo haben jetzt die Salbung von dem Heiligen und wissen alle Dinge (1Joh 1,20). Sie kennen die Wahrheit - Jesus ist die Wahrheit. Lassen wir das Licht, das uns heute so hell leuchtet, in uns wirken, so verlassen wir jede Verbindung mit dem ersten Menschen, der als gänzlich verdorben am Kreuz Christi gerichtet ist, und treten verbunden mit Ihm in das neue Verwandtschaftverhältnis mit dem Vater ein. Und so wird 1. Zerstreuung als eine Folge unseres Selbstvertrauens und 2. Zerstreuung als eine Folge des Nichteingehens in das volle Licht der himmlischen Wahrheit verhütet werden.
So wie der Herr sagte, daß sie zerstreut würden, „ein jeder in das Seinige“, so schrieb Paulus später: „Alle suchen das Ihrige und nicht das, was Jesu Christi ist“ (Phil 2,21), ein Beweis, daß sie nicht im Lichte der Wahrheit standen. Und wiederum, so wie sein Meister sagte, daß sie Ihn allein lassen würden, so schrieb auch Paulus am Schluß seines Lebens: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abgewandt.“ (2Tim 1,15)
Als das Volk Gottes die Beschneidung von Gilgal vergessen und das herrliche Land nicht voll in Besitz nahm, stand der Feind immer auf der Lauer, es zu überfallen und zu berauben. - Bei dem Bericht der letzten Worte Davids nennt der Heilige Geist uns auch die Namen der Helden Davids. Zwei Dinge kennzeichnen diese. 1. Mit ungeteiltem Herzen, in völliger Hingabe und Treue, standen sie zu David; 2. Unerschrocken traten sie den Philistern entgegen und verteidigten den von Gott gegebenen Besitz des Volkes Gottes.
So wie damals der Feind das Volk Gottes zu berauben suchte, so ist er noch heute auf dem Plan. Stehen wir heute so zu dem Herrn , wie diese Männer zu David standen? Halten wir so die ganze Wahrheit fest, wie diese den reichen Besitz des Volkes? Möge das Bewußtsein unseres eigenen Nichts, aber Seiner Liebe, uns nahe zu Ihm halten!
R. (v. d. K).