Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 13 - Jahrgang 1928
Mt 18,15-17 - „Wenn dein Bruder wider dich sündigt ...“Mt 18,15-17 - „Wenn dein Bruder wider dich sündigt ...“
„Wenn aber dein Bruder wider dich sündigt, so gehe hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde. Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner.“ (Mt 18,15-17).
Mit diesen Worten weist der Herr Jesus mir deutlich den Weg, den ich zu gehen habe, wenn ein Bruder gegen mich sündigt. Selbstredend gelten diese Worte auch in bezug auf eine Schwester.
Laßt uns aber beachten, daß es sich hier nicht um eine allgemeine Sünde, sondern um ein Betragen, eine Sünde handelt, die gegen eine bestimmte Person, einen Bruder oder eine Schwester geschieht. Wenn z. B. ein Bruder einen allgemein anstößigen Lebenswandel führt, dann ist es nicht eine Sünde gegen eine einzelne bestimmte Person. Nehmen wir an, ein Bruder habe sich betrunken. Hat er damit gegen einen bestimmten Bruder gesündigt, daß die obigen Worte des Herrn Anwendung auf ihn hätten und danach mit ihm gehandelt werden müßte? Oder ein Bruder verkündigt eine Irrlehre - oder laßt uns lieber einen Fall aus der Schrift als Beispiel nehmen: Ein Bruder lebt in der Sünde, wie sie in 1Kor 5,11 genannt wird, so sind das Fälle, für welche das Wort des Herrn in Mt 18,15-17 nicht in Frage kommt.
Hier in dieser Stelle handelt es sich, wie schon gesagt, um einen einzelnen Bruder, gegen den ein anderer Bruder gefehlt hat.
Mit diesen Worten legt der Herr eine sehr ernste Verpflichtung dem auf, gegen den gesündigt worden ist. Darf er eine Sünde, die gegen ihn geschieht, auf sich beruhen lassen, oder darf er nach Mt 5,23.24 darauf warten, daß sein Bruder zu ihm kommen soll, um seine Verfehlung wieder gutzumachen? Der Herr Jesus sagt: „Nein, wenn dein Bruder wider dich sündigt, so gehe hin“. Er sagt nicht: „Schreibe ihm einen Brief“, sondern „gehe hin“! „O“, sagst du, „das ist schwer!“ Ja, es ist wahr!
Und es wird noch schwerer, wenn du zu ihm gehst, denn du sollst ihm nicht sagen: „Mein Bruder, ich vergebe dir, was du mir Böses getan hast“, sondern der Herr , der gesagt hat: „Lernet von Mir, denn Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“, sagt: „Gehe hin und überführe ihn.“ Damit sagt der Herr uns, daß wir das Verkehrte, das Sündige in seinem Tun ihm mit aller Sanftmut und Demut vorstellen sollen, damit er davon überführt werden möchte. Warum? Was ist der Zweck eines solchen schweren Weges? Nicht etwa, um deinen Zorn zu stillen und es ihm ordentlich wiederzugeben. Wir wissen gut genug, daß solches aus dem Bösen wäre und daraus nichts Gutes hervorkommen würde. Nein, Nein! Der Zweck muß sein, unseren Bruder zu gewinnen. Wenn wir dieses im Auge haben und mit diesem Ziel im Herzen zu ihm gehen, dann werden wir sicher, ehe wir gehen, unsere Knie vor dem Herrn beugen und um Gnade, Weisheit und Niedriggesinntheit unseres Herzens bitten, damit wir fähig sind, uns vor unserem Bruder bücken und ihm die Füße waschen zu können.
Dieser Weg und diese Art und Weise, wie ihn unser liebreicher Herr und Meister vorschreibt, ist voll göttlicher Schönheit. Wir würden diesen Weg nicht gefunden noch gewählt, noch erdacht haben, wir würden vielmehr geneigt sein, zu sagen: „Ich bemühe mich nicht mehr um ihn“, „ich lasse ihn links liegen“. „Nein“, sagt der Herr Jesus, „das sollst du nicht, gehe hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.“ Dies ist meine Aufgabe, und dieses Ziel muß vor mir stehen. Mit diesem Ziel vor Augen gehe ich zu ihm, und mein Gebet ist: „Herr , gib ihn mir, daß ich sein Herz gewinne.“
Ich warte also nicht, bis er zu mir kommt, sondern ich gehe zu ihm. Ist dies nicht gerade das, was der Herr mit dir getan hat? Bin ich vielleicht erst zu Ihm gekommen? Hat Er mich nicht zuerst aufgesucht? Und was tat Er mit mir? Er überführte mich von meiner Sünde gegen Ihn, und dies geschah zwischen Ihm und mir allein. Er hat mich Widerspenstigen, der ich war, gewonnen. Gelobt sei der Herr Jesus Christus! Meiner Natur und meinem stolzen Ich würde es besser gefallen, zu warten, bis der Bruder, der gegen mich gesündigt hat, zu mir kommt. Aber in Mt 18,15 wendet Sich der Herr nicht an ihn, das tut Er in Mt 5,23.24, hier jedoch wendet Er Sich an den, gegen den gesündigt worden ist und schreibt ihm klar und deutlich den Weg vor, den dieser zu betreten hat.
So gehe ich denn, und wir stehen uns einander gegenüber, er und ich. Was nun? Ich sage ihm vielleicht: „Lieber Bruder, der Herr heißt mich, zu dir zu kommen, um mit dir über die Dinge zu reden, in denen du gegen mich gehandelt hast. Ich weiß wohl, daß ich im Herzensgrund nicht besser bin als du, und es ist meinem Herzen fern, mich über dich zu stellen, und doch darf ich über die Sache nicht hinweggehen, sondern muß dich mit allem Ernst der Liebe aufmerksam machen, daß dein Tun nicht allein Sünde gegen mich, sondern auch gegen Gott ist. Der Herr sagt mir: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen. Du sollst deinen Nächsten ernstlich zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld tragest. Du sollst dich nicht rächen und den Kindern deines Volkes nichts nachtragen.“ (3Mo 19,17.18). Und da diese Sache nun zwischen uns persönlich ist, so gebietet mir der Herr Jesus, zu dir zu gehen, um dich von der Sache zu überführen. Ich vertraue, du wirst es einsehen, und es wird dir leid sein, damit zwischen dir und mir alles gut sei. Dann wird es auch zwischen dir und dem Herrn geordnet werden.“ „Wenn er auf dich hört“, „hören“ bedeutet hier natürlich nicht, nur den Klang deiner Stimme hören, sondern „hören“ bedeutet „achtgeben“, „es zu Herzen nehmen“, so wie es z. B. in Jes 55,3 heißt: „Höret, und eure Seele wird leben.“
Aber was soll geschehen, wenn das gewünschte Ziel nun nicht erreicht wird, wenn der Bruder auf die Stimme seines Bruders nicht hört? Was dann, wenn er in seiner Sünde verharrt und sich in Bosheit abwendet? Sollen wir ihn dann sich selbst überlassen oder auf ihn losschlagen? O nein! So hat der Herr es nicht mit uns gemacht, als wir auf Seine mahnende Stimme nicht gleich hörten. Wenn er aber nicht auf dich hört, wenn der Besuch und das Gespräch nicht den gewünschten Erfolg haben, was soll dann geschehen? Dann muß ich wieder aufs neue zu ihm gehen; jetzt aber nicht allein, sondern mit einem oder zwei Brüdern; natürlich nicht mit dem ersten besten, sondern mit Brüdern, von denen ich weiß, daß sie helfen und dienen können. Auch hierüber wirst du dir zuvor Weisheit vom Herrn erflehen, um den rechten geistlich gesinnten Bruder zu bitten, mit dir zu gehen. Auch dieser zweite Besuch muß von demselben Geist der Liebe getragen sein wie der erste, denn das Ziel ist das gleiche, den Bruder zu gewinnen.
Wenn der Arme sich aber nicht gewinnen läßt und nicht hören will, was dann? Ist dann alles vorbei? O nein, die Liebe ist in ihren Bemühungen nicht so schnell fertig. Nun soll die Sache aufgedeckt werden; die Gemeinde soll in Kenntnis gesetzt werden, sowohl von dem, was geschehen ist, als auch von dem betrübenden Eigensinn, der alle Bemühungen, den Bruder zurechtzubringen, vereitelte. Nun hat Sich die Gemeinde mit dem Bruder zu befassen. Der Herr gibt keine Vorschrift, in welcher Weise die Gemeinde mit ihm handeln soll. Soll sie einzelne Brüder bitten, in ihrem Auftrage mit dem widerspenstigen Bruder zu reden? Soll sie in einem Gemeinde-Zusammenkommen versuchen, ihn von seinem Verhalten zu überführen? Der Herr sagt nichts darüber. Eins aber steht fest, auf welche Weise es auch geschehen mag, die Gemeinde hat die Aufgabe, die Sache jetzt zu behandeln.
Wenn nun die Bemühungen der Gemeinde auch fruchtlos bleiben, und somit alle Bemühungen der Liebe, die das Beste des armen Bruders im Auge hatten, mißlungen sind, was dann? Soll man dann alles so hingehen lassen und der Verkehr mit ihm bleiben? Nein, so soll es nicht sein. Sind auch die Bemühungen der Gemeinde vergeblich, und hört er auch auf die Stimme der Gemeinde nicht, dann sollst du (wohl verstanden der, gegen den jener gesündigt hat) allen Umgang mit ihm abbrechen. Er sei dir wie ein Heide und Zöllner.
Wie betrübend ist solches! Und wie soll es nun weiter sein? Der Herr sagt nichts darüber. Und doch müssen wir aus dem, was der Herr zuvor gesagt hat, schließen, daß, wenn er für mich gleich einem Heiden und Zöllner sein soll, er dann auch den anderen Brüdern und Schwestern nichts anderes sein kann. Kann die Gemeinde, auf die er nicht hört, das alte Verhältnis aufrechterhalten, als ob alles in Ordnung wäre, und die Segnungen der Gemeinschaft mit ihm teilen? Die Antwort auf diese Frage wird je nach der Sache und den Umständen gefunden werden. Ist die
Person durch die Sache als ein Böser offenbar geworden, dann wird die Gemeinde die Aufgabe haben, nach 1Kor 5,13 zu handeln.