Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 22 - Jahrgang 1937
Lk 12,56 – Wie aber ist es, daß ihr diese Zeit nicht beurteilt?Lk 12,56 – Wie aber ist es, daß ihr diese Zeit nicht beurteilt?
Wenn diese Zeilen in die Hände unserer lieben Leser kommen, ist das alte Jahr vergangen und das neue angebrochen. Wieder sind wir um einen Zeitabschnitt dem Ende näher gerückt. Wie haben wir die Zeit ausgekauft? Sind wir uns bewußt, welch ein kostbares Pfund Gott in derselben uns anvertraut hat, um damit zu wuchern?
Der Herr sagte einst zu der Volksmenge: „Das Angesicht der Erde und des Himmels wisset ihr zu beurteilen; wie aber ist es, daß ihr diese Zeit nicht beurteilet?“ (Lk 12,56) Wie beurteilen wir als Gläubige die Zeit? Was ist uns ihr Wert und ihr Zweck? Die Welt sagt: Zeit ist Geld, und ein gutes Leben ihr Ziel und Zweck. Kinder Gottes aber sehen die Zeit von anderen, von göttlichen Gesichtspunkten aus.
Sie sehen die Zeit in ihrer Bedeutung zur Ewigkeit und wissen, daß in der jetzigen Zeit Gott den gefallenen Menschen in Gnade begegnet und ihnen ewiges Leben geben will.
Muß dieses Wissen, lieber Leser, nicht unser ganzes Leben, unser Wesen und unser Verhalten zu den Menschen beeinflussen? Wenn Gott jetzt den Sünder ohne eigenes Verdienst auf Grund des Glaubens erretten und ihm ewiges Leben geben will - wenn dies das Ziel Gottes in der jetzigen Zeit ist, dann muß unser Ziel und Wirken mit diesem Ziele Gottes in Einklang sein. Alsdann streben wir uns danach aus, daß in unserem Verhalten und Wesen Gottes Wille und Wesen gesehen werden. So war es bei den Treuen aller Zeiten. Sie trachteten danach, daß Gottes Eigenschaften und Gottes Wille in ihrem Leben zu sehen waren. Die Untreuen mochten auch Gott kennen, aber ihr Verhalten gab nicht das rechte Bild von Gott.
Wir möchten das oben Gesagte durch ein oder zwei Beispiele noch erläutern, damit diese ernste Wahrheit neu auf unser Herz gelegt werde, weil wir alle darin oft straucheln. In der Geschichte des Heerobersten Naaman finden wir sowohl ein Beispiel von Treue als auch von Untreue in der Darstellung Gottes, der durch uns gekannt werden will. O möchte unser Leben immer ein Brief Christi sein, gelesen von allen Menschen!
Naaman war ein aussätziger Heide. Er hatte gehört, daß der Gott Israels Aussatz heilen könne. Er wußte aber nicht, daß es allein aus Gnaden geschah, ohne Ansehen der Person und ihrer Würde, ihres Verdienstes und ihrer Darbringung von Schätzen und guten Werken. Diese Wahrheit sollte Naaman vor dem Hause Elisas und in dem Verhalten des Propheten ihm gegenüber lernen. Als er mit seinen Rossen und Wagen und Schätzen vor dem Hause des Propheten hielt, um geheilt zu werden, ging dieser völlig über seine hohe Würde und seine Schätze hinweg, kam nicht einmal zu ihm heraus, sondern sandte ihm nur eine Anweisung für seine Heilung. Und wiederum, als Naaman nach seiner Heilung seine Schätze öffnete, um seine Heilung zu belohnen, nahm der Prophet nichts an, damit die Gnade seines Gottes nicht durch eine Lohnannahme verdunkelt werde.
Elisa kannte Gottes Gedanken, kannte Seine Gnade und Sein Erbarmen dem armen aussätzigen Syrer gegenüber. Naaman aber mußte von seiner Höhe als Heeroberster des Königs von Syrien herabgeführt werden, um in der rechten Stellung als ein armer Aussätziger vor Gott zu erscheinen. Vor der Tür des Propheten mußte er dies lernen.
Elisa als Gottes Prophet nahm deshalb keine Rücksicht auf seinen Rang und Stand. Er sah nur seinen Aussatz und seine Not, schickte ihm aber eine klare Anweisung, wie er von seinem Aussatz frei werden konnte. Mit dieser Botschaft kannte Naaman den Weg zu seiner Rettung. Beugte er sich vor Gott als ein dem Tode unrettbar Verfallener, der dem Hohen und Erhabenen nichts darbringen noch vergelten konnte, der allein auf Gnade angewiesen war, so stand ihm die Heilung, die er suchte, offen. - So aber wollte Naaman nicht geheilt werden. Er hatte über seine Heilung, wie sie geschehen müsse, seine eigenen Gedanken. Aber Gott kümmerte sich nicht um sie. Naaman wollte als der große FeldHerr behandelt und geheilt werden und nichts umsonst von Gott haben. Elisa aber konnte Belohnung nicht annehmen, denn Naaman sollte Gott erkennen als einen gebenden und nicht als einen empfangenden Gott.
Treu stand Elisa an seinem Platz. Gleich einem Spiegel gab er die Hoheit und Herrlichkeit seines Gottes und den Glanz Seiner Gnade wieder. Sein Herz begehrte kein Ansehen, keinen Gewinn, keine Ehre für sich, er suchte nur seines Gottes Ehre. Frei von Habsucht, vermochte auch das Drängen Naamans ihn nicht zu bewegen, auch nur ein Geringes von ihm anzunehmen. Seines Gottes Charakter und Wesen sollte auch nicht durch die Annahme des Geringsten verfälscht werden. Elisa verstand seine Zeit. Er wußte, was er zu tun hatte, damit Gottes Bild und Wesen durch ihn recht dargestellt werde.
Etwas ganz anderes finden wir in Gehasi. Auch er kannte Gott und sollte die Zeit, Ihn recht darzustellen, kennen. Gottes Ehre aber stand nicht vor seinem Auge. Sein Herz begehrte nicht, das rechte Bild von Gott zu geben, sein Herz begehrte das Silber und die Feierkleider Naamans. Das Verlangen nach den Schätzen Naamans raubte Gehasi jede Besonnenheit. Es ist so, wie Jakobus schreibt: „Wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die
Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“ (Jak 1,15) Wie ernst ist dieses.
Dem Auge Gottes bleibt nichts verborgen. Alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen Dessen, mit Dem wir es zu tun haben (Heb 4,13). Wie bald mußte Gehasi dies erfahren! Gott brachte das Verborgene ans Licht, und ein ernstes Gericht traf Gehasi. Die Worte des Propheten sind von tiefer Bedeutung. Er fragt: „War es Zeit, Silber zu nahmen und Kleider zu nehmen und Olivenbäume und Weinberge und Kleinvieh und Rinder und Knechte und Mägde?“ Die zuletzt genannten Dinge scheint der Feind dem Auge Gehasis als durch das Silber Naamans erreichbar vorgegaukelt zu haben. Das Ende aber war das strenge Gericht: „So wird der Aussatz Naamans an dir haften und an deinem Samen ewiglich. Und er ging von ihm hinaus, aussätzig wie Schnee.“ (2Kön 5,26.27)
Laßt uns beachten, daß der Prophet bei der Verkündigung dieses Gerichtes sich nicht auf seine Lüge und seinen Betrug bezieht, so schrecklich diese auch waren, sondern er nimmt Bezug auf die Zeit. Er fragt gleichsam, ob jetzt die Zeit dazu da sei, Silber und Kleider zu nehmen - die Dinge der Welt zu ernten. War es nicht die Zeit, den lebendigen Gott zu verherrlichen und kundzutun? Gehasi dachte nur an die Gelegenheit, irdischen Gewinn erlangen zu können. Aber die Zeit der Ernte war noch nicht gekommen. Er wollte den Segen, den Lohn, vor der Zeit haben. Und diese beschäftigten sein Herz mehr als die Ehre Gottes und die rechte Darstellung Seines Charakters in der ihm dazu gegebenen Zeit.
Welch tiefer Ernst liegt in dieser Frage: „War es Zeit, Silber und Kleider, Olivenbäume und Weinberge zu nehmen?“ Ja, lieber Leser, ist es die Zeit, jetzt nach irdischen Dingen zu trachten und unsere Berufung zu vergessen? Gehasi hatte die Besonderheit jener Stunde, einem Gott fernstehenden Heiden das rechte Bild von dem lebendigen Gott zu geben, nicht beachtet. Wie ernst ist diese Geschichte! „Wenn wir untreu sind - Er bleibt treu.“ Er verleugnet Sich denen gegenüber nicht, die Ihn kennen und die Er berufen hat, Ihn zu verherrlichen.
Andererseits finden wir in dieser Geschichte eine wunderbare
Zartheit und Gnade Gottes Naaman gegenüber, dessen Herz Gott wohlzugefallen wünscht, aber sich seiner Schwachheit bewußt ist. Wie zart geht der Prophet auf seine Schwierigkeiten ein. Er legt keine Last auf ihn, die er noch nicht tragen kann. (2Kön 5,18.19)
Möchten wir uns mehr bewußt sein, daß unsere Segnungen und unser Erbteil nicht in dieser Welt sind, sondern daß wir Genossen der himmlischen Berufung sind. Unser Verlust ist groß, wenn unser Sinn auf das gerichtet ist, „was auf der Erde ist“ (Kol 3,2). Wir verlieren dann den Blick für Gottes Gedanken und beurteilen die Zeit nicht in dem Lichte der Offenbarung des Evangeliums der Gnade Gottes.
Nun laßt uns noch kurz auf eine andere Schriftstelle hinweisen! Wir lesen Haggai 1,4: „Ist es für euch selbst Zeit, in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieses Haus wüst liegt?“
Seiner Untreue wegen war Gottes Volk aus seinem Lande vertrieben. Ein Überrest war im Vertrauen auf Gottes Gnade und Treue zurückgekehrt, klein an Zahl und in großer Schwachheit. Trotz allem Widerstand aber bauten sie das Haus Gottes und behaupteten die Rechte des Herrn. Dann aber kam eine Zeit der Prüfungen und Schwierigkeiten. Müde und matt geworden, hielten sie es für verfrüht, an dem Wiederaufbau des Hauses Gottes zu arbeiten. Sie sahen die Zeit nicht mehr vom göttlichen Standpunkt aus und in Verbindung mit Gottes Plänen und Gottes Haus. Sie urteilten nach dem Sichtbaren und sagten: „Die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit, daß das Haus Jehovas gebaut werde.“ Und die Folge war, daß sie ihre eigenen Häuser bauten und die Zeit für sich selbst benutzten, sich ihr Leben angenehm und schön zu machen.
Sicher war ihr Irren und ihre Untreue nicht so offenkundig böse wie in dem Falle Gehasi, aber dem Grundsatz nach war es das gleiche. Auf diese ihre Worte hin geschah dann das Wort des Herrn durch den Propheten zu ihnen: „Ist es für euch selbst Zeit, in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieses Haus wüst liegt?“ Kann das Verhalten dieses Überrestes nicht auch mit unserer Zeit verglichen werden? Haben diese Worte nicht auch uns etwas zu sagen? Arbeiten wir am Bau des Hauses Gottes? Oder ist unser Sinnen auf den Bau unseres eigenen Hauses, auf unseren Wohlstand, unsere Bequemlichkeit, Ehre und Ansehen gerichtet? Wollen wir uns am Anfang eines neuen Zeitabschnittes nicht prüfen, worauf unser Herz gerichtet ist? Darauf kommt es an!
Die Worte, die Haggai dem Volke sagen mußte: „Richtet euer Herz auf eure Wege!“ (V.6), gelten auch uns! Warum ist so wenig Frucht für Gott zu sehen, so wenig Eifer für Sein Werk? Warum kennen wir so wenig die Freude am Herrn in unserem Herzen? Ist es nicht, weil wir mehr für unsere Dinge als für die Dinge des Herrn besorgt sind?
Und eins noch: Wie beurteilen wir den Wert der Zeit? Als ein kostbares Pfund, mit dem wir wuchern sollen, ist sie uns vom Herrn anvertraut, und von ihrem Gebrauch werden wir einst Rechenschaft abzulegen haben. Sie ist uns gegeben, um Ewigkeitslohn in ihr zu erwerben. Ihr Wert ist um so größer, ais ihre Dauer kurz und ungewiß ist. Hiob sagt, daß unsere Tage dahingleiten schneller als ein Weberschiffchen und unser Leben wie ein Hauch ist (Hiob 7,6.7). Die Zeit, die vergangen, kehrt nie wieder zurück, sie gehört uns nicht mehr. Darum ermahnt uns das Wort, die Zeit auszukaufen (Eph 5,16; Kol 4,5). Von welch unsagbarem Wert ist im Blick auf die Ewigkeit deshalb die kurze Zeit unseres Lebens. In ihr haben wir das unschätzbare Vorrecht, dem Herrn Jesus Christus zu dienen, Seine Tugenden zu verkündigen; nie wieder haben wir die Gelegenheit, für Den zu zeugen, der uns geliebt wie kein anderer, der unser Gericht getragen, uns von unseren Sünden gewaschen und uns das Haus Seines Vaters geöffnet hat. „Da wir die Zeit erkennen, daß die Stunde schon da ist, daß wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben: Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe. Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen.“ (Röm 13,11.12)
(M. A). Alb. v. d. Kammer.