Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 16 - Jahrgang 1931
Mt 16,6.11.12; Mk 8,15; Lk 12,1 - Hütet euch vor dem Sauerteig! (3)Mt 16,6.11.12; Mk 8,15; Lk 12,1 - Hütet euch vor dem Sauerteig! (3)
(Fortsetzung)
In meiner letzten Betrachtung (Lieferung 4) kündete ich an, daß ich nunmehr übergehen wolle zur Besprechung des „Sauerteigs der Sadduzäer“. Das soll auch, s. G. w., geschehen, doch muß ich zuvor doch noch etwas mir höchst wichtig Scheinendes über die Pharisäer hinzufügen. Es hängt dies mit dem, was die Sadduzäer betrifft - gegensätzlich - zusammen und muß darum, soweit ich sehe, lieber vorher (statt nachher) gesagt werden.
Wie ich in der ersten Betrachtung (Lieferung 3) schon betonte, handelt es sich bei der Warnung des Herrn vor dem „Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer“ darum, daß die Gewarnten sich hüten sollten „vor der Lehre der Pharisäer und Sadduzäer“ (Mt 16,6 und 11.12). Und diese Lehre der ersteren nennt der Herr in Lk 12,1 „Heuchelei“, d. i. aber, wie ich dann weiter ausführte: „Scheinleben“! Die Pharisäer standen ja auf dem Boden der Schrift, also des Alten Testaments, und betonten die richtige Lehre so sehr, daß das entsprechende richtige Leben demgegenüber zurücktrat, also daß vor ihrer Handlungsweise gewarnt werden mußte (Mt 23,3). Aber - hier haben wir eben ein ernstes „Aber“ einzuführen - es war doch nicht allein die Schrift, die sie vertraten und deren Lehren sie im Gegensatz zum Leben so überspannten - kaum hätte sonst der Herr Jesus so scharf mit ihnen ins Gericht gehen können, wie Er in Mt 23 tat. Man wird der Beurteilung der Pharisäer auch nicht völlig gerecht, wenn man nur der allzu orthodoxen Betonung der Schriftlehre die Schuld gibt an der Heuchelei ihres praktischen Lebens. Nein, dem ist ja auch gar nicht so, d. h. die Schrift als solche war ihnen ja auch gar nicht die so arg überspannte Hauptsache, sondern vielmehr das, was an „Satzungen“ („Überlieferungen“, „Traditionen“, „Aufsätzen“ [Luth.]) jener hinzugesetzt war. Wohl sahen sich die Pharisäer als Hort und als Vertreter der göttlichen „Thorah“, d. i. des Gesetzes, und die pharisäischen Schriftgelehrten lebten und starben für die Auslegung der mosaischen Gesetzessammlung. Aber die 613 Gebote des göttlichen Gesetzes umrankten sie mit einer solchen Fülle von abgeleiteten Menschensatzungen (der „Halacha“, d. i. „Regel“, nämlich den „Aufsätzen der Ältesten“, „Überlieferungen“, vgl. Mt 15,2.3.6; Mk 7,3.5ff. und den praktischen Niederschlag in Mt 23)!, daß das einfache Wort Gottes, d. i. Sein Wille, völlig verdunkelt, zum mindesten äußerst schwer erkennbar wurde. Jes 29,13 (vgl. Jerem. 8,8.9 u. v. a). geißeln diese Art schon im Alten Testament. So war das einfache Volk - soll ich einmal in gegebener Absichtlichkeit der Betonung sagen „die Laien“?! - stets angewiesen auf seine Lehrer, um den - angeblich - richtigen, gottwohlgefälligen Weg gehen zu können, denn erst die „Überlieferungen der Ältesten“ und dann wieder die jene betreffenden Auslegungen seitens der verschiedenen religiösen Schulen (der pharisäischen Schriftgelehrten nämlich) zeigten - angeblich - an, was und wie Gott das Gesetz verstanden wissen wollte. Und war doch diese ganze Fülle von „Überlieferungen“ und Auslegungen nur mehr auf das Äußerliche, auf den Schein, auf Buchstabendienst und -Knechtschaft, auf Formendienst und Formelabhängigkeit gerichtet und darum auf Selbstruhm und heuchlerische Frömmigkeit, die es dem lieben Nächsten voraustun wollte in äußeren, sichtbaren Beweisen der pharisäischen „Gerechtigkeit“ Wie unsagbar ernst darum die Auseinandersetzung des Herrn mit dieser Art von „Gerechtigkeit“, die mit der „Gerechtigkeit im Gesetz“ nur mehr den Namen gemein hatte. Beachtet man dieses ein wenig, dann versteht man die Bergpredigt Mt 5-7 besser, sowie das Kapitel 23! Und dann begreift man die Betonung, mit der der Herr, der Mund der Wahrheit, sagte: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht ins Reich der Himmel eingehen!“ (Mt 5,20) Ihre Gerechtigkeit baute sich auf auf selbsterwählten religiösen Übungen, die, nur scheinbar abgeleitet von der Quelle des Wortes Gottes, darum nicht mit dem reinen Quellwasser desselben gespeist waren, sondern mit dem brackigen oder gar vergifteten der „Menschensatzungen“, die als unerträgliche Bürden die Seelen der Ungelehrten („Laien“) bedrückten. Daher ein Wort wie Mt 11,28 belebend und erquickend wirken mußte, daher man auch dem Herrn nachsagte: „Er redete gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mt 7,29 nach Luth)., daher das Erstaunen der Volksmenge über Seine Lehre! (V. 28) Die doktrinäre, abstrakte (unpersönliche, unwirkliche, unpraktische, nur begriffliche) Lehre der Pharisäer konnte kein Leben wecken, zog nicht an, fließ vielmehr ab, und die Vertreter derselben lebten nicht, was sie lehrten, konnten es gar nicht, da ihnen die Kraft dazu fehlte - so ward ihr Leben Heuchelei,
Scheinwesen, und was sie von anderen forderten, taten sie selber nicht. Darum verloren sie das Vertrauen im Volk, das meist sehr scharf beobachtet und die Fehler der herrschenden religiösen Systeme immer dann am deutlichsten sieht, wenn ihre Vertreter so tun, als ob sie etwas seien, was sie nicht sind! „So tun, als ob“ ist aber Sauerteig! „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welcher Heuchelei ist!“ (Lk 12,1) Vor der Lehre der Pharisäer sollten sie sich hüten (Mt 16,12): also sie ist Heuchelei! Warum? Weil sie nicht das Wort Gottes selber ist, sondern in Zusätzen zu ihm besteht! Darum das Leben nach ihr, d. h. nach diesen Zusätzen („Überlieferungen“), selber Heuchelei ist (ein „Tun, als ob“)!. Wohlgemerkt: In der ersten Betrachtung zeigte ich, daß man die richtige Lehre haben kann und doch nicht das entsprechende richtige Leben, das wirkliche Leben“ nach 1Tim 6,19, und hier füge ich ergänzend hinzu, daß man der Heuchelei, dem Scheinleben - im Gegensatz zum wahren Leben - verfällt, wenn man nach Grundsätzen, Satzungen, Überlieferungen lebt oder zu leben sucht, die wohl Religiosität hervorzurufen imstande sind, aber nicht wahre gottgewollte Frömmigkeit, eben weil ihre Quelle nicht gottgewollt ist. Die Pharisäer waren „orthodox“ und „fromm“, und sie meinten selber, es zu sein, aber sie waren es nicht nach Gottes Willen, darum war ihre Frömmigkeit in des Herrn Augen Heuchelei, also „Sauerteig“, und vor diesem warnt Er die Seinen, auch uns heute! „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer!“
Was hat das denn in diesem hier soeben geschilderten Zusammenhang uns zu sagen? Ich fühle mich da gedrängt, kurz etwas zu erwähnen, was, wie ich zu Anfang der heutigen Betrachtung anführte, im Gegensatz zu der Weise der Lehre der Sadduzäer steht: Die Pharisäer - wohl orthodox („rechtgläubig“) bezüglich der Lehren des Alten Testaments, z. B. auch bezüglich der Lehre von den Engeln, von der Auferstehung, vom Geist, vom Messias usw. - entblödeten sich doch nicht, allerlei traditionelle Zusätze zum Wort Gottes zu machen, und an der Beobachtung dieser lag ihnen mehr als an der des einfachen gottgegebenen Gesetzes - und heute -? -
Ist es nicht heute mit den Vertretern der sogenannten kirchlichen Orthodoxie ganz ähnlich? Ist nicht die Betonung z. B. der traditionellen, von den sogenannten „Kirchenvätern“ überlieferten Kindertaufe (vergl. Frg. 10 der Lieferung, Antwort A, Absatz 1)! oder die Einführung der (kath). Firmelung bezw. der (protest). Konfirmation (mit dem damit verbundenen kirchlichen „Recht“, zur „Kommunion“ bezw. zum „Tisch des Herrn “ zu gehen)! sowie das Festhalten an den ungezählten sonstigen religiösen Sitten, Gebräuchen und „gottesdienstlichen“ Zeremonien usw., die alle schriftwidrige Zusätze zum Worte Gottes sind - ist das alles nicht auf das Konto der sogenannten „orthodoxen Theologie“ zu setzen und als gefährlicher religiöser „Sauerteig“ zu werten, gerade wie die „Aufsätze der Ältesten“ bei den Pharisäern?! Selbst entschieden christliche Kreise, die es besser wissen könnten, halten ängstlich fest an ihren kirchlichen oder auch denominationellen Überlieferungen, mit denen wohl das religiöse „Eifern“ gefördert wird, aber nicht das echte, an solchen toten Formen nicht hängende, sie vielmehr ablehnende lebendige Christentum. Wahrlich, nicht als „Angriff“ auf teure Gläubige schreibe ich dieses, sondern aus brüderlicher Liebe und tiefem Schmerz darüber, daß auch unter uns (wir alle müssen uns einrechnen)! wahren Gotteskindern noch so leicht „Sauerteigs“-Überlieferungen dem schlichten klaren Wort Gottes beigemischt werden, und nicht nur das, sondern daß dann die Beobachtung jener Traditionen gern als ein Beweis höherer „Geistlichkeit“ und „biblischerer Stellung“ angesehen, ja, fast zum „Schibboleth“ wahren Gläubigseins gemacht wird! „Hütet euch vor dem Sauerteig!“ ist aber auch uns heutigen Gläubigen gesagt! O über die Zusätze zur Schrift! Laßt uns uns ängstlich davor hüten, Geliebte! Die Theologie kann uns, die wir mit dem ganzen Christentum Ernst machen, nicht so gefährlich werden mit ihren Zusätzen zur Schrift, mit ihren „Überlieferungen“, wie wir selber mit diesen und jenen (in der Schrift) ungeschriebenen Grundsätzen über den „rechten Boden“ oder über die „rechte Absonderung“. Wohl sind „Absonderung und Gemeinschaft“ die Grundpfeiler wahren Christentums, aber wehe, wehe, wenn wir schriftwidrige Grundsätze zur Grundlage der Absonderung usw. machen! Dann ist der „Pharisäismus“ nicht fern, und wir sind nicht weit von ihm. Dann ist dieser „Sauerteig“, den wir unseren Grenzen fern wähnten, mitten hineingedrungen, und da jeder Sauerteig leicht den ganzen Teig durchsäuert, so sind wir in Gefahr, bei besten Absichten, in bester Meinung zu einem in gewisser Hinsicht heuchlerischen Christentum zu gelangen, durch das wir uns und andere betrügen, aber mehr: den Herrn betrüben! Dies sollte und brauchte nicht zu sein, und manche unschriftgemäße Trennung unter und von Brüdern wäre vermieden worden, wenn man die Gründe zur Trennung mehr auf ihre Schriftgemäßheit geprüft hätte: Sie hätten sich dann vielleicht gar bald entpuppt als erwachsen auf dem Boden der „Überlieferung“, der „Grenzen der Väter“ oder auch der „kirchlichen“ Zusätze zur Schrift usw., und brüderliche Liebesbande wären nicht rüde zerrissen worden! - Zurück allein zum Wort des Herrn ! Zum Anfang! -
Genug von allen diesen Dingen, über die sich noch viel sagen ließe! Lassen wir uns vom Herrn belehren über jedes Gebiet, wo wir der Gefahr erliegen könnten, dem Sauerteig pharisäischer Lehre und pharisäischer Heuchelei zum Opfer zu fallen, sei es nun was die Stellung der Pharisäer in oder neben der Schrift anbelangt, sofern „das wirkliche Leben“ dadurch beeinträchtigt, verhindert oder gar erheuchelt zu werden Gefahr läuft. Der Pharisäismus in jeder beschriebenen Form ist eine große Gefahr für uns Gläubige alle!
Der Sadduzäismus auch? Wir werden, s. G. w., sehen, aber schon jetzt sei vorweggesagt: „Die Lehre der Sadduzäer“, vor der als „Sauerteig“ der Herr warnt, liegt ebenso wie z. T. die der Pharisäer in ihrer falschen Stellung zur Schrift! Die Pharisäer erkannten die Schrift wohl bis zum Jota an, aber erweiterten sie nach ihrem Gutdünken, die Sadduzäer im Gegensatz zu ihnen - standen „liberal“ (freisinnig) zu ihr und erkannten nur an, was sie menschlich begreifen konnten, folglich zerpflückten sie das Wort Gottes, dessen Untrüglichkeit ihnen geradezu lächerlich war (siehe Mt 22,23-29)! nach ihrem bösen, kritischen Sinn. Bibelkritik ist aber ebensosehr „Sauerteig“ wie das Erweitern der Schrift durch Menschensatzungen! Und - und damit komme ich für heute zum Schluß - Gott sei's geklagt: Auch Gläubige erlauben sich oft und leicht Kritik am unauflöslichen Gotteswort und Abstriche von ihm, sich und anderen zum Schaden und zum Verderben ihres geistlichen Lebens und dessen der Gemeinde. Wie traurig ist das! Wie vorsichtig sollte uns dies machen! „Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!“ Der Herr gebe uns stets „neue Gnade“ dazu!
F. K.
Fortsetzung folgt, s. G. w.