Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 22 - Jahrgang 1937
Mehr Freude! (2)Mehr Freude! (2)
(Schluß).
Von den Israeliten, die unter Esra und Nehemia aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren und zum ersten Male wieder gemeinsam dem Worte Gottes lauschten, werden die besonders erwähnt, „die Verständnis hatten, um zuzuhören“. (Neh 8,2)
Solches Verständnis hat nichts mit dem Grade unserer Bildung zu tun, auch nichts mit der Menge unseres Wissens. Es hat seinen Sitz nicht im Kopfe, sondern im Herzen. Wer dieses Verständnis besitzt, will das Wort Gottes nicht nur hören, um erbaut und in der Erkenntnis gefördert zu werden, sondern um zu erfahren, was „der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“ (Röm 12,2 und Eph 5,10), und Kraft zu empfangen, ihn auch zu tun.
Viel wird von „Redekunst“ gesprochen. Gläubige aber sollten wenigstens ebensoviel, wenn nicht noch mehr über die „Kunst des Zuhörens“ nachdenken. Für Christen entspricht sie der Bereitwilligkeit, sich vom Herrn durch Seine Knechte mit dem ewig bleibenden Worte Gottes dienen zu lassen. Wer sich in dieser wahrhaft edlen Kunst übt, wird nicht mehr fragen, wie gut oder mangelhaft ein Bruder gesprochen hat, und dadurch des empfangenen Segens verlustig gehen, sondern wird sich prüfen, was Gott ihm hat sagen und zeigen können, und wird willig sein, auf Seine Unterweisungen gehorsam einzugehen.
Und wie das Verständnis des Zuhörens vor falscher und böser Kritiksucht bewahrt, so vertreibt es auch den verderblichen Schlafgeist. Es läßt auch nicht zu, daß wir mit ungeduldigem Wunsch nach der Uhr schielen, die Versammlung möge doch bald zu Ende gehen. Esra las „vom lichten Morgen bis zum Mittag“ (V. 3a), und es ward den Kindern Israel nicht zuviel. Indem sie Verständnis zum Zuhören hatten und so die rechte Aufnahmefähigkeit besaßen, war ihnen zugleich der Gewinn geschenkt, das Gehörte zu verstehen. Zweimal wird das hervorgehoben und das eine Mal sogar als besonderer Grund ihrer Freude angegeben. (V. 8 und 12)
Die Israeliten bewunderten aber nicht etwa den Schriftgelehrten Esra, der ihnen das Wort vorlas und auslegte, sondern „die Ohren des ganzen Volkes waren auf das Buch des Gesetzes gerichtet“. (V. 3b)
Nicht weil Esra sprach, waren ihnen diese Stunden so kostbar; das Wort Gottes, das sie hören durften, hat ihre Freude hervorgerufen. Müssen wir uns nicht darunter beugen, daß wir oft mehr auf die Brüder achten als auf das, was Gott uns sagen will? Wie schnell sind wir einerseits bereit, solche Brüder zu verherrlichen, die eine besondere Art oder eine große Redegabe besitzen. Wenn wir uns dann aber enttäuscht fühlen, weil wir beim Näherkennenlernen ihre Unzulänglichketten und Fehler entdecken, dürfen wir sie nicht in unseren Herzen oder gar bei anderen Gläubigen verklagen, sondern müssen die Schuld uns zuschreiben. Andererseits wagen wir es vielleicht, den einfachen, schlichten Dienst eines weniger begabten, aber treuen Bruders zu mißachten, obwohl Gott uns durch ihn gerade zu zeigen haben mag, was uns fehlt.
Wir wollen lernen, von den Brüdern wegzublicken und auf den Herrn zu hören. Dann werden wir das uns verkündigte Wort mit großer Freude und - vorausgesetzt natürlich, daß es in Lauterkeit und Reinheit mitgeteilt worden ist - als Gottes Wort aufnehmen, wie es hier bei den Israeliten der Fall war und wie es uns von den Thessalonichern berichtet wird (1Thes 1,6.13). Dann halten wir auch keine besondere Einrichtung oder eine künstlich erzeugte Stimmung für nötig, um gesegnet zu werden. Ein einfaches „Gerüst von Holz“ war es, von dem aus Esra zu dem Volke sprach (V. 4). Der Segen, den wir zu empfangen begehren, ist nicht in erster Linie von dem Bruder abhängig, der uns dient; er ist auch nicht gebunden an den Ort und die Umstände unseres Zusammenseins; er wird vielmehr dem Zustand unserer Herzen entsprechen, mit dem wir dem Worte begegnen.
Daß die Kinder Israel damals die rechte Stellung zum Worte Gottes hatten, beweist ihr Verhalten beim Hören des Wortes. Als Esra das Buch öffnete, „stand das ganze Volk auf“ (V. 5b), um damit seine Ehrfurcht vor dem Worte Gottes auszudrücken.
Heute ist dem Volke Gottes diese Ehrfurcht zum großen Teil verlorengegangen. Sie braucht sich zwar nicht unbedingt im äußeren Aufstehn zu bekunden, aber unsere Herzen sollten sich vor dem Worte erheben. Zu unserer Beschämung sei es gesagt, daß wir uns an das Lesen und Hören des Wortes als an etwas Selbstverständliches gewöhnt haben und dadurch oft, um mit ähnlichem Bilde zu sprechen, vor ihm sitzen geblieben sind. Daraus erklärt sich auch, daß wir im Glaubensleben nicht recht vorwärts gekommen, vielleicht sogar in geistlichen Schlaf gefallen sind. Wollen wir uns nicht zukünftig mehr befleißigen, in würdiger Weise, d. h. mit ehrfurchtsvollem Herzen, vor den Herrn hinzutreten, wenn Er, der Herr Himmels und der Erden, durch Sein Wort zu uns reden will? Nur, weil in unseren Reihen vielfach ein unehrerbietiges Verhalten gegenüber dem Worte Gottes vorhanden war, ist es möglich geworden, daß so viele Gläubige ein Gefühl der Sattheit überkommen hat. Wieweit ist es uns überhaupt noch wirklich Ernst damit, von Gott ermahnt, belehrt und gefüllt zu werden?!
Die Israeliten hoben ihre Hände empor (V. 6), um von oben Segen zu empfangen. Kennen wir solch inneres Warten auf Seine Segensfülle? Halten wir auch so unsere Hände vor Gott hin, in dem Bewußtsein, daß wir in uns selbst leer sind und darum Seines Segens bedürfen? Erst wenn wir uns wieder solch inbrünstiges Verlangen nach den Segnungen Seines Wortes schenken lassen, werden wir Ihm gebührend für Sein herrliches Wort danken und uns in Anbetung vor Ihm niederwerfen ob dieses wunderbaren Geschenkes, wie die Israeliten es getan haben. (V. 6b)
Als sie so unter dem Einfluß göttlichen Segens standen, weinte das ganze Volk (V. 9b). Gewiß empfanden sie aufrichtigen Schmerz darüber, daß sie durch ihre frühere Lauheit und Gleichgültigkeit selbst schuld daran waren, solchen Segen so lange Zeit entbehrt haben zu müssen.
Ach, daß auch wir uns in Demut und aufrichtigem Schmerz darunter beugen möchten, daß wir Gottes Wort bislang so wenig geachtet und darum auch nicht genügend befolgt haben! Dann dürften wir gar bald wieder mehr von seinem herrlichen Reichtum und seiner kostbaren Labsal verspüren; dann würden wir gleichsam wieder „Fettes essen“ und „Süßes trinken“ (V. 10), so oft wir darin forschen oder in ihm unterwiesen werden; dann würde sich wieder bei uns bewahrheiten, daß der Mund überfließt, wenn das Herz gefüllt ist, und wir gingen hin, um Teile zu senden denen, „für die nichts zubereitet ist“ (V. 10). Und wie viele wissen nichts von der Kostbarkeit und Herrlichkeit des Wortes Gottes! Wollen wir ihnen nicht mehr davon sagen und zeugen als bisher?
Wenn Gottes Wort uns wieder zum größten Reichtum wird, werden wir auch wieder schmecken und noch mehr erfahren, daß die Freude am Herrn unsere Stärke ist.
H. Metzger.