Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 17 - Jahrgang 1932
Werden wir unsere Freunde im Himmel wiedererkennen?Werden wir unsere Freunde im Himmel wiedererkennen?
Gar oft hört man diese Frage, besonders in Umständen tiefer Trauer, und viele unserer Leser werden sicher ein Interesse an derselben haben.
Laßt uns einige Stellen der Schrift betrachten, die uns etwas Licht hierüber zu geben vermögen. Verhältnismäßig spricht die Schrift wenig hierüber, und auch nicht in bestimmten Worten, ebenso wie sie es nicht über die Dreieinigkeit, die Unsterblichkeit der Seele usw. tut. Das Wort Gottes zeigt diese Dinge so, daß wir sie wohl erkennen können, gibt uns aber keine besondere Mitteilung darüber. So ist es auch mit unserer Frage. Die Schrift läßt uns die Tatsache sehen, ohne sie uns weiter zu erklären.
Zunächst laßt uns einige Stellen des Alten Testamentes beachten. Wir lesen 5Mo 32,48ff.: „Und Jehova redete zu Mose: Steige auf dieses Gebirge Abarim, den Berg Nebo, der im Lande Moab liegt, der Jericho gegenüber ist, und sieh das Land Kanaan, das Ich den Kindern Israel zum Eigentum gebe; und du wirst sterben auf dem Berge, auf welchen du steigen wirst, und zu deinen Völkern versammelt werden; gleichwie dein Bruder Aaron auf dem Berge Hor gestorben ist und zu seinen Völkern versammelt wurde.“ „Zu deinen Völkern versammelt.“
Dies konnte sich natürlich weder auf den Leib Moses noch auf den Leib Aarons beziehen, denn die Leiber beider wurden nicht bei den Toten ihres Volkes beerdigt. So wußte selbst niemand, wo der Leib Moses hingelegt war. Dieser göttliche Ausspruch muß sich deshalb auf den unsterblichen Geist und die Seele dieser Glaubensmänner beziehen und sagt uns somit, daß sie selbst in ihrer Persönlichkeit zu den ihnen angehörenden Völkern versammelt wurden. Liegt hierin nicht schon der liebliche Gedanke der Wiedervereinigung, des glücklichen Wiedersehens und der erneuerten Gemeinschaft?
In einer anderen Stelle spricht David: „Als das Kind noch lebte, habe ich gefastet und geweint, weil ich dachte: Wer weiß, ob Jehova mir nicht gnädig sein wird, daß das Kind am Leben bleibt? Nun es aber tot ist, warum sollte ich denn fasten? Vermag ich es wieder zurückzubringen?
Ich gehe zu ihm, aber es wird nicht zu mir zurückkehren.“ (2Sam 12,22.23) „Ich gehe zu ihm.“
Ich denke nicht, daß David mit diesen Worten meinte, daß er wie sein Kind sterben oder wie sein Kind zu Gott gehen werde oder daß, wo sein Kind begraben, er begraben werden würde. Welch ein schwacher Trost wäre das in diesem Augenblick für sein tief verwundetes Herz! Welche Tröstung dagegen aber war es ihm, daß er zu seinem Kinde gehen werde! In diesem dunklen Augenblick stärkte ihn nichts so sehr wie diese Gewißheit des Wiedersehens, die ja auch unsere Herzen in solchen Stunden so überaus zu trösten vermag.
Wir wenden uns jetzt dem Neuen Testament zu. In erster Linie richten wir unseren Blick auf den auferstandenen Herrn . Er ist das Vorbild von dem, was wir alle einst sein werden. Die Seinigen erkannten Ihn nach Seiner Auferstehung wieder, wiewohl Seine Beziehung zu ihnen sich geändert hatte. Er war derselbe Christus, wieder in dem menschlichen Leibe, aber durch die Auferstehung in einem anderen Zustand. Sein Leib trug die Merkmale Seiner Persönlichkeit, manche sichtbar für das natürliche, andere nur für das geistige Auge. Er erneuerte Seinen vertrauten Umgang mit den Seinigen, und so fuhr Er hinauf gen Himmel. Der Schluß des Lukas-Evangeliums führt uns den auferstandenen Herrn und Heiland, den Sohn des Menschen, vor Augen, der von ihnen weg in den Himmel genommen wurde.
Und mit welch herrlichen Worten beantwortet der Apostel Paulus unsere Frage. Im 1. Thessalonicher-Brief schreibt er Kap. 2,19: „Wer ist unsere Hoffnung oder Freude oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus bei Seiner Ankunft? Denn ihr seid unsere Herrlichkeit und Freude.“
Hätten wir auch nicht eine einzige Antwort auf unsere Frage, so würden diese Worte genügen. Wie konnten diese Christen von Thessalonich seine Freude und Krone sein, derer er sich erfreuen wollte bei der Ankunft des Herrn , wenn er sie und sie ihn nicht wiedererkennen würden? Diese Worte sagen uns ganz deutlich, daß er „seine Kinder im Glauben“ kennen und von diesen wiedererkannt werden wird, ja, daß auch alle anderen Heiligen sie kennen werden. Und wie verlangt er danach, sie an diesem herrlichen Tage wiedersehen zu dürfen!
Und weiter sagt Paulus (Kap. 4,18), daß, wenn Er wiederkommt, die durch Jesum Entschlafenen mit Ihm kommen werden, und fügt weiter hinzu: „So ermuntert einander mit diesen Worten.“ „Ermuntert einander!“
Wenn es kein Wiedersehen und Wiedererkennen gäbe, wo wäre dann der Trost und die Ermunterung, die diese Worte geben sollen?
Und was wäre unser Leben hienieden mit den wunderbaren Führungen des Herrn , wenn es, wie manche meinen, keine Erinnerung gäbe und kein Gedächtnis an alles mehr vorhanden wäre? Wenn ich mein Gedächtnis nicht behalte, dann vergesse ich, daß es eine Zeit gab, in welcher ich den Herrn Jesus, das Lamm Gottes, das für mich starb, kennenlernte - dann vergesse ich all die Wege, die Gott in Seiner Liebe und Gnade mit mir ging. Dies würde ein großer Verlust sein.
Wie herrlich, daß ich es im Himmel nicht vergessen werde, daß ich mein unverwesliches Erbe schon hier auf Erden durch den Glauben ergreifen durfte und mein ewiges Heil schon in den Händen meines Erlösers sicher war, als wäre Er für mich allein gestorben. Mit David nenne ich Ihn „meinen Hirten“, und mit Paulus „jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben“. (Phil 3,14)
Wenn wir im Himmel sein werden und wir dort unter den Seligen das Werkzeug der Gnade sehen, durch welches wir zu Jesus geführt wurden, dann sagt uns unser Gedächtnis: „Das ist das Antlitz dessen, der mir auf Erden den Weg des Lebens gezeigt hat!“ Sollte ich nur die „Tür“ erkennen und nicht auch den „Wegweiser“?
Ein anderes Beispiel von dem Erkennen der Heiligen finden wir auf dem Berge der Verklärung, von welchem uns drei Evangelisten berichten. Zwei hervorragende Personen des Alten Testamentes, Moses und Elias, waren auf dem Berge gegenwärtig, und die drei Jünger, welche der Herr mit auf den Berg hinaufgenommen hatte, kannten sie. Wie oder woran sie sie erkannten, wird uns nicht gesagt, auch nicht, daß ihnen ihre Namen genannt wurden. Ganz unerwartet und plötzlich wurden sie in diese wunderbare, herrliche Szene versetzt, und sofort wußten sie, daß die Erschienenen Moses und Elias waren, die mit dem Herrn Jesus redeten. So werden auch wir bald alle Heiligen sehen und kennen, wenn wir in dem Lande der prachtvollen Herrlichkeit vereint am Throne des Lammes stehen werden.
Wir sehen also, daß, wo die Heilige Schrift auch die Frage des Wiedererkennens und Wiedersehens berührt, es immer in bejahender Weise geschieht. Allerdings ist der Schleier nur ein wenig aufgehoben, aber wir dürfen doch einen Blick in die freudevollen Wohnungen des Vaterhauses tun und mit Herz und Seele festhalten, daß wir unsere Lieben, die uns vorangegangen sind, wenn wir und sie dem Herrn angehören, droben bei Ihm wiederfinden werden. Mann und Frau sehen sich wieder, wenn auch nicht mehr als Mann und Frau, denn wir werden den Engeln gleich sein (Lk 20,29-36). Und nicht nur werden wir diejenigen kennen, die wir hier auf Erden gekannt haben, sondern auch die Gläubigen aller Zeiten, die Patriarchen, die Propheten, die Apostel, die Hirten und Lehrer, die Helden des Glaubens, die Märtyrer, „deren die Welt nicht wert war“, usw., jeden in seiner Persönlichkeit, jeden von jedem gekannt; alle von allen erkannt in unauflöslicher Gemeinschaft miteinander, Ihm Lob und Ehre darbringend. Und obwohl der Herr Jesus, das Lamm Gottes, Er Selbst, alles in allem für uns sein wird, dem unsere Anbetung gilt, so werden wir gewiß in Ihm die ganze Familie Gottes lieben, besser, höher und erhabener, als wie wir es hier je vermochten.
M. Sch.