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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
Mt 11,6 – Glückselig ist, wer irgend sich nicht an Mir ärgern wird!Mt 11,6 – Glückselig ist, wer irgend sich nicht an Mir ärgern wird!
In Mt 11 finden wir einen merkwürdigen Vorfall aus dem Leben Johannis des Täufers, einen Vorfall, der sehr zu unserer Belehrung und Ermahnung dienen kann. Wir lesen dort nämlich: „Als aber Johannes im Gefängnis die Werke des Christus hörte, sandte er durch seine Jünger und ließ Ihm sagen: Bist Du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten? Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin und verkündet Johannes, was ihr höret und sehet: Blinde werden sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt; und glückselig ist, wer irgend sich nicht an Mir ärgern wird!“ (V. 2-6) Johannes der Täufer ärgerte sich also an dem Herrn Jesus. „Wie ist das möglich?“ möchte mancher fragen. „Johannes der Täufer, der Wegbereiter des Messias, der Mann, dessen Finger auf Jesum, das Lamm Gottes, hinwies - wie konnte er sich an Ihm ärgern?“ Und dennoch war es so. Die Worte des Herrn: „Glückselig ist, wer irgend sich nicht an Mir ärgern wird“, setzen diese Tatsache außer allen Zweifel. Aber warum ärgerte er sich? Werfen wir einen Blick auf die Umstände, in denen sich Johannes befand, und dann wird es uns leicht sein, die rechte Antwort auf die Frage zu finden.
Johannes war in der Tat der Wegbereiter des Herrn gewesen. Er hatte gepredigt: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ Er hatte den König Israels angeschaut und in Ihm das Lamm Gottes gesehen, „welches die Sünde der Welt hinwegnimmt“, und er hatte seine Jünger von sich ab und zu Jesu hingewiesen. Aber geradeso wie die Jünger Jesu, selbst nach Seiner Auferstehung (siehe Apg 1,6), so hatte auch er erwartet, daß die Ankunft des
Messias in Glanz und Herrlichkeit stattfinden sollte, daß Israel von der Zwingherrschaft der Römer erlöst werden und die von den Propheten des Alten Testaments angekündigte herrliche Regierung des Königs Israels sofort beginnen würde. Nichts jedoch war von diesem allen geschehen. Im Gegenteil, anstatt in Glanz und Herrlichkeit war Christus in Niedrigkeit und Elend erschienen. Jesus mußte von Sich Selbst bezeugen: „Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo Er das Haupt hinlege.“ (Mt 8,20) - Er, der der König der Juden war, ging verachtet und verspottet Seinen Weg. Und Johannes der Täufer, der Vorgänger und Herold Jesu, hatte, anstatt einen ausgezeichneten Platz im Reiche zu bekommen, einen Platz im Gefängnis gefunden und mußte sogar, bevor noch das Reich aufgerichtet war, durch die Hand des Henkers sterben. Dieses alles vermochte sich Johannes nicht zu erklären. Darüber war er unzufrieden; daran ärgerte er sich. Und darum sandte er aus dem Gefängnis Boten an Jesum mit der Frage: „Bist Du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Diese Frage birgt keineswegs einen Zweifel bezüglich der göttlichen Sendung des Herrn in sich. O nein; davon war er überzeugt; denn sonst würde er nicht zu Ihm gesandt haben. Allein, er glaubte dadurch den Herrn an den Zweck erinnern zu müssen, um deswillen Er in die Welt gekommen war. Es ist, als ob er hätte sagen wollen: „Ist das nun die Offenbarung des Königs der Ehren?“ - Aber welche Antwort gibt ihm der Herr auf seine Frage? Er weist Johannes auf Seine Werke hin und fügt hinzu: „Glückselig ist, wer irgend sich nicht an Mir ärgern wird.“ Johannes hatte nicht begriffen, daß vor der Herrlichkeit die Leiden kommen sollten und daß die Reinigung und Heilung Israels der Herrlichkeit der Regierung Christi vorangehen mußten. Er erwartete die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen über die Herrlichkeit des Königreiches; aber er hatte ebenso wie die Jünger Jesu nicht die Prophezeiungen beachtet, welche über die Leiden des Messias sprachen.
Johannes ärgerte sich also an dem Wege, den der Herr Jesus eingeschlagen hatte. Er begriff nicht, warum der Herr soviel Erniedrigung und Schande ertrug und nicht Seine Herrlichkeit offenbarte. Verurteilen wir ihn nicht! Sicher, es war hart für Johannes, sein Leben im Gefängnis zubringen und enden zu müssen, wogegen er einen Platz in dem herrlichen Königreiche Christi erwartet hatte. Und ach! wie oft befinden wir uns in einer ähnlichen Lage! Wie manchmal ärgern wir uns an dem Wege, den der Herr uns führt! Wie oft seufzen und klagen wir, wenn der Herr uns in schwierige Lagen kommen läßt oder uns aufs Krankenlager legt oder uns durch andere Leiden und Trübsale heimsucht! Der Herr führt uns oft ganz anders, als wir erwartet hatten. Anstatt uns Glück und Wohlsein finden zu lassen, läßt Er uns manchmal durch Kampf und Leiden gehen. Anstatt unsere mühevolle Arbeit durch äußere günstige Erfolge gekrönt zu sehen, finden wir nicht selten Mißgeschick und Unglück. Statt dann Seiner Wegführung zu vertrauen, uns unter Seiner Hand zu beugen und zu prüfen, was Er uns zu sagen hat, zweifeln wir oft an Seiner Liebe, wünschen es anders zu haben und ärgern uns an dem Wege, den der Herr uns führt. Und in einer solchen Gemütsstimmung sind dann auch wir geneigt, zu rufen: „Bist Du der liebreiche und gnädige Heiland, der uns verheißen hat, für uns sorgen und unsere Gebete erhören zu wollen?“
Die Hand aufs Herz, geliebte Brüder! ist es nicht oft so bei uns? Und was tut dann der HErr? Er bringt zuerst unseren Herzenszustand zurecht und, wenn es uns zum Guten dient, auch unsere Schwierigkeiten. Sicher hört und erhört der Herr unsere Gebete, wenn manchmal auch anders als wir gedacht. Solche Glaubensproben sind oft unserer Herzenshärtigkeit wegen nötig, um uns zu reinigen und um uns segnen zu können. O möchten wir doch dieses verstehen lernen! Zu den Israeliten sagte Gott am Ende ihrer vierzigjährigen Wanderung durch die Wüste, daß all die Dinge geschahen, „um dich zu demütigen ... damit Er dir wohltue in deiner Zukunft“ (5Mo 8,2.16). - Und ebenso ist es mit uns. Die Wege, die der Herr uns führt, haben den Zweck, uns zu demütigen und zu offenbaren, was in unserem Herzen ist. Durch diese Wege werden die Beweggründe unserer Herzen offenbar; und wir werden dahingeführt, dieselben vor Gott zu verurteilen. Dieses dient natürlich zu unserer Demütigung, zur Beseitigung unseres Hochmutes und unseres Eigenwillens; und das ist es, was Gott in uns erreichen will. Er will uns mehr und mehr zur Selbsterkenntnis führen, damit wir nicht mehr uns selbst vertrauen, sondern uns Seiner Kraft und
Seiner Gnade rühmen. Das Endziel der Wege Gottes ist stets Seine Verherrlichung und unser Glück. Darum: Glückselig ist jeder, der sich nicht an den Wegen Gottes ärgert, sondern sich kindlich dem Willen Gottes unterwirft.
Laßt uns noch beachten, mit welcher Nachsicht und Güte der Herr Jesus Johannes behandelt. Weder die Volksmenge noch die Boten Johannis konnten den milden Tadel verstehen, der in der Antwort des Herrn verborgen war; Johannes aber waren diese Worte verständlich. Kaum haben sich die Boten entfernt, so richtet der Herr die Frage an die Volksmenge: „Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? ein Rohr vom Winde hin und her bewegt? Was aber seid ihr hinausgegangen zu sehen? einen Menschen mit weichen Kleidern angetan? Siehe, die die weichen Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Was aber seid ihr hinausgegangen zu sehen? einen Propheten? Ja, sage Ich euch, und mehr als einen Propheten.“ - Und dann fügt der Herr hinzu, daß unter denen, die von Weibern geboren seien, kein Größerer aufgestanden sei als Johannes der Täufer. Alles dieses tat der Herr, wiewohl Johannes noch etliche Augenblicke vorher sich als ein vom Winde hin und her bewegtes Rohr erwiesen hatte. Welche Liebe! Welche Zartheit! Und behandelt der Herr uns nicht mit derselben Liebe, mit derselben Güte? O sicher! Wohl straft und tadelt Er; doch Er tut es mit der gleichen Gnade und Liebe; Er gibt nicht harte Verweise. Er will durch die Macht Seiner Liebe unser Gewissen erreichen und unser Herz überwinden. Wunderbarer HErr! Lehre uns mehr und mehr, Dich und Dein Herz erkennen, damit wir in Dir ruhen und uns in Deiner Liebe erfreuen!
Aus „Botschafter des Heils“ 1869.