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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 18 - Jahrgang 1933
Heb 12,22 - Die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische JerusalemHeb 12,22 - Die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem
Unsere letzte Betrachtung über „Sinai“ und „Zion“ schlossen wir mit der Ehebrecherin in Joh 8, die, bildlich gesprochen, den Weg vom Berge Sinai zum Berge Zion fand. Denselben Weg hatten auch die gläubigen Hebräer gefunden. Der Apostel schrieb ihnen: „Ihr seid gekommen zum Berge Zion.“ Aber dies war nicht alles. Mit dem Gekommensein zum Berge Zion hatte sich ihnen auch zugleich ein weiter Kreis von Segnungen aufgetan. Diese führt der Apostel ihnen vor Augen, indem er sagt, sie seien gekommen „zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem und zu Myriaden von Engeln usw.“ Wie mußten diese Worte ihre Herzen als gläubige Juden berühren, in deren Geschichte Jerusalem und die Engel eine so große Bedeutung hatten!
Aber nicht zum irdischen Jerusalem, der Stadt des großen Königs, sondern zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, waren sie gekommen. So wie Sinai im Gegensatz zum Berge Zion stand, so steht auch das himmlische Jerusalem im Gegensatz zum irdischen. Sie sollten lernen, daß sie nicht nur vom Gesetz zur Gnade, sondern auch von der Erde zum Himmel gekommen seien.
In der Schrift finden wir verschiedene Stellen, die unsere Gedanken zur Stadt Gottes lenken. Schon Abraham schaute nach dieser Stadt aus, die Grundlagen hat. Welche Offenbarung Gott Abraham von dieser Stadt gemacht hat, wissen wir nicht; aber wir wissen, daß er die Stadt erwartete, die ewige Grundlagen hat, „deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“ (Heb 11,10). In den Städten, die der Mensch in Unabhängigkeit von Gott baute und in denen Gott nicht wohnen konnte, wollte Abraham nicht wohnen noch Bürger sein. Deshalb wohnte er in Zelten und blieb Fremdling und Pilgrim in dieser Welt; und nicht nur er, sondern alle, die nach dieser Stadt ausschauen, werden Fremdlinge und Pilgrime hienieden. Dies mußten auch die gläubigen Hebräer und ebenso auch wir heute erfahren. Von dem Jerusalem droben schreibt Paulus den Galatern, daß sie unsere Mutter ist (Gal 4,26). Symbolisch ist sie die Mutter aller derer, die des Glaubens an Christum Jesum sind. Jerusalem ist die Heimat der Kinder Gottes, die Stadt, die Gott ihnen bereitet hat und in deren Mitte Er wohnt.
Diese Stadt stand vor dem Herzen des Apostels, als er den Philippern schreibt: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten.“ (Phil 3,20) Auch wir sind von dem Bürgertum auf Erden zum Bürgertum im Himmel gelangt.
Durch Glauben sind wir zu dieser Stadt gekommen, aber was wir im Glauben ergriffen haben, haben wir noch nicht tatsächlich in Besitz genommen. Wir besitzen es in Hoffnung. Der Apostel konnte somit den Hebräern schreiben: Wir suchen die zukünftige Stadt.“ (Heb 13,14) Wie schon gesagt, spricht die Schrift von Jerusalem in verschiedener Weise. Sie spricht in unserer Stelle vom „himmlischen Jerusalem“, im Galaterbrief vom „Jerusalem droben“, in der Offenbarung vom „neuen Jerusalem“ und von der „heiligen Stadt Jerusalem“. Obwohl alle diese verschiedenen Bezeichnungen ihre besondere Bedeutung haben, je nach dem Zusammenhang, in dem sie gefunden werden, so stehen sie doch (als alle in Verbindung mit der Stadt Gottes) in naher Beziehung zueinander.
Johannes wurde es gegeben, die heilige Stadt Jerusalem zu sehen. Sie kam aus dem Himmel hernieder von Gott, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut (Off 21,2). Danach lesen wir Vers 9, daß ein Engel kam, ihm die Braut, das Weib des Lammes, zu zeigen. Das erste aber war, daß der Engel ihn im Geiste hinweg auf einen großen und hohen Berg führte, und von dort sah er dann die heilige Stadt Jerusalem herniederkommend in dem Schmuck der Herrlichkeit Gottes - der Herrlichkeit, der wir uns jetzt schon in Hoffnung rühmen (Röm 5,2), die wir dann aber tragen werden. Auch wir müssen, um sie zu sehen, im Geiste sein und das, was hier unten ist, verlassen und zur Höhe hinaufsteigen. Welche Ermunterung mußte es für die Hebräer sein, die durch so viele Trübsale hindurchgingen, zu hören, daß sie zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, gekommen seien! Und ist es nicht auch uns zur Ermunterung geschrieben? Gehören nicht auch wir der Brautgemeinde an, die jetzt mit dem Geiste vereint ruft: „Komm, Herr Jesus!“?
Wir möchten uns wundern, daß dieses wunderbare Gesicht Johannes in dem Doppelsinne als Braut und Stadt zugleich gezeigt wird, da doch Braut und Stadt etwas ganz Verschiedenes ist. Ähnliches finden wir auch in Joh 10, wo der Herr uns als Hirte und zugleich auch als Tür gezeigt wird. Er war der Hirte und war doch auch die Tür.
Es ist oft gefragt worden, ob die Braut, das Weib des Lammes, Israel oder die Gemeinde sei. Diese Frage ist bereits in einem früheren Jahrgange eingehend behandelt worden30. Ich zweifle nicht, daß die Gemeinde damit gemeint ist. Wenn das Weib des Lammes Israel wäre, so wäre das Weib des Lammes in Kapitel 19,6-10 auch Israel, was m. E. ganz ausgeschlossen erscheint.
Für unsere Hebräerstelle kommt aber diese Frage nicht in Betracht. Es handelt sich hier nicht darum, ob die Braut, das Weib des Lammes, Israel oder die Gemeinde ist. Hier handelt es sich allein um „die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem“. Wenn auch die Gemeinde es ist, die die Stadt bildet, so wird hier doch nicht die Gemeinde in ihrem besonderen Segenslose als Gemeinde dargestellt. Dies geschieht erst ein wenig später, als der Apostel den gläubigen Hebräern sagt, daß sie zu der „Gemeinde der Erstgeborenen“ gekommen seien. Hier wird nur von dem „himmlischen Jerusalem“ in dem Charakter als der „Stadt des lebendigen Gottes“ gesprochen. Es ist Seine Stadt, Seine Residenz. Sie steht im Mittelpunkt des Reiches. In Seiner Residenz muß das Geheimnis Seines Willens zuerst kundgemacht und gesehen werden. Alles, was Er Sich „für die Verwaltung der Fülle der Zeiten“ vorgesetzt hat (Eph 1,10), nimmt von hier aus seinen Lauf.
Die Stadt des lebendigen Gottes, das himmlische Jerusalem, ist nicht ohne Verbindung mit den Heiligen des Alten Bundes und den Bewohnern der Erde in der Zeit der tausendjährigen Herrschaft Christi auf Erden. Die zwölf Tore dieser Stadt zeigen ihre Verbindung mit den Menschen des tausendjährigen Zeitalters an, denn „die Nationen werden durch ihr Licht wandeln“ (Off 21,24). Engel als die Ausführer Seines Wortes und Wohlgefallens (Ps 103,20.21) sehen wir an den Toren der Stadt. Sie erinnern uns an das Wort des Herrn: „Ihr werdet den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen.“ (Joh 1,51) Es ist die Verbindung zwischen dem Himmel und der Erde.
Alles, was Gott in Christo vollführt hat, alles, was Sein Herz erfreut, wird in dieser Stadt gesehen werden. Und zu dieser Stadt waren die gläubigen Hebräer gekommen. Welche Ermunterung zum Ausharren lag darin für sie und auch für uns! Möchten wir treu sein, damit schon jetzt Gottes Wille und Wohlgefallen an uns offenbar und von uns ausgeführt werde!
A. v. d. K.
30 Siehe Jahrbuch 3, Seite 93ff.↩︎