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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
Mk 2,20 - „Der Tag des Fastens“Mk 2,20 - „Der Tag des Fastens“
„Und dann, an jenem Tage, werden sie fasten.“ Mk 2,20.
Man fragte den Herrn im Tone des Vorwurfes, warum die Jünger des Johannes und die der Pharisäer fasteten, aber Seine nicht. Auf diese Frage antwortete Er ihnen mit der Gegenfrage: „Können etwa die Söhne des Brautgemaches fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist?“ Alsdann spricht Er von Tagen, da der Bräutigam von ihnen genommen sein wird, dann, an jenem Tage werden sie fasten. Der Herr gab den Seinigen in bezug auf das Fasten keine Anordnungen, keinen Befehl, noch setzte Er etwa bestimmte Fasttage fest, sondern Er sprach einfach prophetisch die Tatsache aus: „An jenem Tage werden sie fasten“.
Der Bräutigam ist längst von den Söhnen des Brautgemaches weggenommen, und bis zum heutigen Tage weilt Er fern von ihnen. Die wahren Söhne des Brautgemaches empfinden tief und schmerzlich Seine Abwesenheit. Sie fühlen instinktiv, daß Er ihnen fehlt. Sie können sich nicht leicht darüber hinwegsetzen wie andere, deren Benehmen sagt (wenn es der Mund auch nicht sagt): „Wir haben uns schon an die Abwesenheit des Bräutigams gewöhnt; wenn Er auch nicht hier ist, es geht uns auch ohne Ihn nicht so sehr schlecht, und fast wäre es schade, wenn Er jetzt zurückkehrte und unsere großartigen Pläne für die Besserung der Welt und die Hebung der Menschheit unterbrechen würde“. Nein, die echten Söhne des Brautgemaches fasten heute noch so, wie Er es Selbst von ihnen vorausgesagt hat. Sie können verstehen und nachfühlen, was das Herz Maria Magdalenas bewegte, als sie, nach der Ursache ihres Weinens gefragt, unter Tränen antwortete: „Weil sie meinen Herrn weggenommen haben“. (Joh 20,13).
Die Welt fastet nicht, aber die Söhne des Brautgemaches sollten durch Fasten gekennzeichnet sein. Der Herr Selber sagte: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch, daß ihr weinen und wehklagen werdet, und die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, aber eure Traurigkeit wird zur Freude werden“ (Joh 16,20). Die Gemeinde Christi sollte diese ganze Zeitspanne in dem Stande des Fastens gefunden werden, denn darin offenbart sich die wahre Herzensgesinnung der Söhne des Brautgemaches. Wie könnte es auch anders sein, da ihr Herr und Haupt nicht hier ist! Wohl haben sie verborgene unaussprechliche Freude, die die Welt nicht kennt noch verstehen kann, aber doch, ihr Herr ist weggenommen, und also fasten sie.
Das bedeutet gewiß nicht, sich ab und zu des Genusses der täglichen Speisen zu enthalten, das wäre bloß eine äußere Form und eine vermeinte fromme Pflicht. Das Fasten der Söhne des Brautgemaches ist vielmehr ein Seelenzustand, eine Gesinnung, eine Stellung des Herzens. Es ist ein Fasten und Schmachten des Herzens nach Dem, den man liebt und der nicht hier ist.
Dieses Fasten ist nur eine Frage der Liebe. Stehen unsere Herzen in der rechten Liebe zum Herrn, dann wird ohne Anstrengung, ohne Gesetzlichkeit, ja, ich möchte sagen, unbewußt, dieser Seelenzustand des Fastens bei uns vorhanden sein. Meinst du, es wäre dem Bräutigam lieb, wenn Er während Seiner Abwesenheit die Söhne des Brautgemaches ganz froh, gleichmütig und unbekümmert sähe? Haben wir nicht von den Tieren, z. B. Hunden, gehört, daß sie nichts fraßen, wenn ihre Herren, denen sie anhingen, auf Reisen waren? Das war gewiß nichts Künstliches oder Erzwungenes bei diesen. Und bei uns sollte es nicht etwas ganz Natürliches sein? Fastengesinnung sollten wir, so lange der Bräutigam von uns weggenommen, in unserer Seele tragen.
Aber leider, die Gemeinde Christi hat nicht in dem Fasten ausgeharrt. Sie hat die Fremdlingschaft aufgegeben, das Pilgergewand abgelegt und das Fasten eingestellt; sie hat angefangen, die Knechte und Mägde zu schlagen. Paulus schrieb in seinen Tagen sogar: „Schon seid ihr gesättigt, schon seid ihr reich geworden, ihr habt ohne uns geherrscht“. (1Kor 4,8). Ja, man fing schon an, sich zu benehmen, als ob der Bräutigam nicht weggenommen sei. Die Apostel und die Treuen fasteten, denn er fügte hinzu: „bis auf die jetzige Stunde leiden wir sowohl Hunger und Durst und sind nackt und werden mit Fäusten geschlagen und haben keine bestimmte Wohnung ... nicht euch zu beschämen schreibe ich dieses, sondern ich ermahne euch als meine geliebten Kinder“. (1Kor 4,11-14).
Die Gemeinde in Laodicäa hatte diese Herzensgesinnung so völlig verloren, daß sie sich rühmte: „Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts“ (Off 3,17). Ach, wie traurig ist es, wenn die Söhne des Brautgemaches es sich bequem und behaglich in dieser Welt machen oder sich der Mode dieses Zeitlaufes anpassen! Die ernste Ermahnung des Herrn lautet: „Hütet euch aber, daß eure Herzen nicht etwa beschwert werden durch Völlerei und Trunkenheit und Lebenssorgen, und jener Tag plötzlich über euch hereinbreche“ (Lk 21,34). Möge der Herr uns in einem Zustand des geistlichen Fastens bei Seiner Ankunft finden!
Es gibt jedoch auch Kinder Gottes, die das Schriftwort anführen: „Der uns alles reichlich darreicht zum Genuß“ (1Tim 6,17) und die auf Grund dieses Schriftwortes meinen (obwohl sie theoretisch die Wahrheit festhalten, daß der Bräutigam weggenommen ist), sich der weltlichen Freuden oder Genüsse nicht enthalten zu brauchen, aber trotzdem hört man sie mit andachtsvoller Stimme mit Tersteegen singen: „Wir entsagen willig allen Eitelkeiten, aller Erdenlust und Freuden“.
Jawohl, die Söhne des Brautgemaches fasten und entsagen willig den Eitelkeiten und der Erdenlust und Freuden, und zwar aus Liebe zu ihrem abwesenden Herrn. Treten wir mit diesem Prüfstein an zweifelhafte Sachen heran, so kommen wir bald zur Klarheit. Dann fragen wir nicht mehr, ob wir dieses oder jenes dürfen, dann entscheidet die Liebe zu Ihm, die das Herz die rechte Fastenstimmung einnehmen läßt.
Ein Bruder mag die Freiheit in Anspruch nehmen, zu rauchen, denn Gott reiche Tabak dar zum Genuß. Die Welt mag diesen eitlen Genuß haben, ein geistlich Gesinnter aber fühlt, daß das nicht zum Fasten gehört, denn die Sehnsucht nach dem abwesenden Herrn und qualmender Tabak passen nicht zusammen. - Gehört das zum Herzensfasten, wenn Schwestern ihre Haare, die Gott ihnen anstatt eines Schleiers gegeben hat, abschneiden lassen? Es schaut gar nicht aus, als ob man die Abwesenheit des Bräutigams vermisse, wenn man im Aussehen denen gleich zu sein begehrt, die in die Grube hinabfahren.
Zwei herrliche Beispiele für rechtes Herzens-Fasten finden wir in der Zeit der Regierung Davids. Urija, der Hethiter, antwortete dem König, als dieser ihn fragte, warum er nicht nach der Reise in sein Haus gegangen sei: „Die Lade und Israel und Juda weilen in Hütten, und mein Herr Joab und die Knechte meines Herrn lagern auf freiem Felde, und ich sollte in mein Haus gehen, um zu essen und zu trinken?“ (2Sam 11,11). So etwas wollte Urija nicht tun. Er legte sich lieber mit den übrigen Knechten auf die harten Steine am Eingang des Hauses des Königs nieder, als daß er sich der Bequemlichkeit seines Hauses hingab. Wir bewundern die edle Gesinnung des Urija; er hatte volle Freiheit, in sein Haus zu gehen und es sich bequem zu machen, aber er konnte es nicht übers Herz bringen, so etwas zu tun, solange es Kriegszeit war. Er ist das treffliche Bild eines guten Kriegsmannes Jesu Christi, der Teil an den Trübsalen nimmt, obwohl er nur ein Hethiter war.
Wissen wir nicht, daß unser abwesender Herr alles genau beobachtet? Und wenn Er ein wenig Fasten bei uns aus Liebe zu Ihm sieht, so ist das für Sein liebendes Herz Freude, und niemals in aller Ewigkeit wird Er das vergessen.
Das zweite Beispiel ist Mephiboseth, der in vollen Zügen die Gnade Davids schmeckte und beständig am Tische des Königs Brot aß. David wurde von seinem Throne vertrieben, und gern wäre ihm Mephiboseth in die Verbannung gefolgt, aber durch den Betrug des Ziba wurde dieser Wunsch vereitelt; doch wie benahm er sich während der Abwesenheit des Königs? Eine Vorschrift für sein Verhalten gab es nicht, aber sein für den vertriebenen David treu schlagendes Herz zeigte ihm das rechte Verhalten; der Schmerz um ihn spiegelte sich darin. Die Liebe und Sehnsucht nach David ließ ihn die Erfrischungen seiner eigenen Person so vergessen, daß er seine Füße nicht reinigte, seinen Bart nicht machte und seine Kleider nicht wusch, bis sein König in Frieden nach Jerusalem zurückgekehrt war.
Man könnte sagen, daß das alles nicht nötig war. Aber Mephiboseth konnte nicht anders. Sein Seelenzustand in der Zeit der Abwesenheit seines geliebten Königs brachte dieses hervor. So mag auch jemand sagen, daß es nicht nötig sei, daß die Söhne des Brautgemaches an dem Tage, da der Bräutigam fortgenommen, fasten. Aber der Herr sagte einfach: „Sie werden es tun.“ Er wußte, Seine Liebe zu ihnen würde Liebe zu Ihm in ihrem Herzen erzeugen und dann würden sie es sich nicht in dieser Welt, die Ihn verworfen hat, behaglich machen.
Diese ganze Zeitspanne ist ein Tag des Fastens, denn Er ist weggenommen. Er sagt Selber: „Ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch“. (Joh 16,22). Hätten die Jünger, als Er bei ihnen war, gefastet, so wäre es so gewesen, als sei der Bräutigam nicht bei ihnen, als wäre ein Flicken von neuem Tuch auf einem alten Kleide oder neuer Wein in alten Schläuchen. Jetzt aber fastet die Gemeinde des Herrn, und diese Herzensgesinnung, dieses geistliche Fasten, wird bis zu Seiner Ankunft bei den Seinigen gefunden werden. -
Bald wird der Tag des Fastens zu Ende sein, und dann wird Er mit den Seinigen neu vom Gewächs des Weinstockes trinken in dem Reiche Seines Vaters. (Mt 26,29).
Als Er diese Worte in jener dunklen Nacht beim letzten Passahmahle in so schlichter Weise sagte, wollte Er damit nicht zart andeuten, daß der Bräutigam mit den Söhnen des Brautgemaches eins sei - daß Er mit ihnen faste? Er sagte so feierlich, daß Er nicht mehr von dem Gewächs des Weinstockes trinken werde bis an jenem Tage; dann wird das Fasten gebrochen, und denen, die mit Ihm in Seinen Versuchungen ausgeharrt haben, verordnet Er ein Reich, gleichwie der Vater Ihm verordnet hat, auf daß sie essen und trinken an Seinem Tische in Seinem Reiche. (Lk 22,30).
Das Gewächs des Weinstockes ist ein Sinnbild der Freude und ist ein Genuß bei der Hochzeit; dürfen wir nicht sagen (weil Er davon nicht mehr trinken wird bis an jenem Tage), daß Er Selber in einer gewissen Hinsicht mit den Seinigen fastet? Denn nicht nur sie empfinden Seine Abwesenheit, auch Sein liebendes Herz fühlt, daß sie Ihm fehlen. Könnte Er von dem Gewächs des Weinstockes trinken, solange die Söhne des Brautgemaches sich davon enthalten? Konnte David von dem Wasser aus der Cisterne von Bethlehem trinken, als es in seiner Hand war? (2Sam 23,13-17) Er wollte es nicht trinken. Will der Herr die völlige Freude genießen, solange Seine Gemeinde noch im Zeichen des Fastens steht? Nein, Er trinkt nicht von dem Gewächs des Weinstockes, bis Er es neu mit ihnen trinkt.
Bald trinken wir mit Ihm, und mit dieser herrlichen Hoffnung im Herzen fasten wir weiter, anders schickt es sich nicht, denn Er ist abwesend: „Denn gleichwie Er ist, sind auch wir in dieser Welt“. (1Joh 4,17).
F. Btch.