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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
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Handreichungen Band 8 -Jahrgang 1921/22
Spr 1,17 - „Vergebliches Netzausspannen“Spr 1,17 - „Vergebliches Netzausspannen“
Wir wollen heute an der Hand von ein paar Beispielen aus dem Leben uns den wertvollen Rat zu Gemüte führen, den uns Salomo in seinen Sprüchen gibt: „Vergeblich wird das Netz ausgespannt vor den Augen der Vögel“ (Spr 1,17).
Da begleitet eine gottesfürchtige Mutter ihren heranwachsenden Sohn in die Stadt, um ihn bei einem Kaufmann, dem Herrn S..., in die Lehre zu geben. Der Kaufmann ist ein lebendiger Christ und als solcher weithin durch redliche Geschäftsgepflogenheiten bekannt. Es war daher für die Mutter des Lehrlings sehr wertvoll, für ihren Sohn Max in diesem angesehenen Geschäftshause ein Plätzchen gefunden zu haben.
Jetzt tritt sie mit ihrem Jungen ins Bureau; er ist ein großgewachsener blonder Bursche mit eigenartig sinnendem Blick. Die Mutter stellt ihn Herrn S... vor und bemerkt dann: „So wollen wir denn hoffen, Herr S..., daß sich Max unter Ihrem Dach bekehren wird“. Der Junge stutzt und setzt ein trotziges Gesicht auf. Herr S... sagt nur: „Das steht bei Gott allein! Ihm wollen wir es anheim stellen“.
Im Sohne aber regt sich etwas wie Zorn. Seine Mutter ist ganz traurig, als sie von ihm Abschied nimmt, und sein unfreundliches Gesicht kann sie noch lange nicht vergessen. Ist es in diesem Falle verwunderlich, wenn die Herzensgüte des Chefs, sein gesunder christlicher Einfluß und seine wohlmeinenden Ermahnungen auf den jungen Mann ohne Eindruck bleiben? Hier ist „das Netz ausgespannt vor den Augen des Vogels“. Er wird sich hier schwerlich jemals fangen lassen.
Eine andere Begebenheit aus dem Alltagsleben: Der Anstaltsvorsteher A... ist ein gläubiger Mann, der den großen Ernst dieses Lebens für sich und die Seinen voll erfaßt hat. Schade ist nur, daß seine Hausandachten sich so weit über die Gebühr in die Länge ziehen. Wenn er mit seiner großen Hausgemeinde betet, so breitet er jede einzelne Verfehlung seiner Schützlinge vor Gott aus, jede kleine Nachlässigkeit der Dienstmägde. Dann fleht er
Gott mit tiefern Ernst an, Er möge diese Sünde vergeben. - Anna, die Tochter, ist drauf und dran, das Zimmer zu verlassen, denn es schmerzt sie tief, wie es ihr Vater vor der ganzen Hausgemeinde im Gebet berichtet, daß sie im Laufe des Tages eine Unwahrheit gesagt hat. Diese Untreue hat ihr selbst großen Kummer bereitet, und unter vier Augen hatte sie der Mutter ihren Fehler bekannt. Daß aber jetzt der Vater alles vor die große Öffentlichkeit bringt, vermag sie nicht zu verstehen. Sein Gebet bleibt für sie ohne jeglichen Segen, weil sich in ihrem Inneren etwas gegen den Vater auflehnt.
Die übrigen Hausgenossen machen fast täglich die nämlichen Erfahrungen, und Herr A... ist traurig, daß so wenig Fortschritte im geistlichen Wachstum der Seinen zu erkennen sind. Ist dies absonderlich, wenn so sichtbarlich „das Netz vor den Augen der Vögel ausgespannt“ worden ist? Ein derartiger Vogelsteller wird schwerlich jemals eine Beute davontragen.
Wir sind im Krankenzimmer einer alten Frau. Die Tür geht auf, und es erscheint ein junges Mädchen, das schon auf der Schwelle ruft: „Tante L..., Mama hat mir gesagt, ich soll heute Nachmittag zu Dir gehen und ein bißchen lieb mit dir sein! Morgen Vormittag will sie kommen und Dir aus der Bibel vorlesen. Was soll ich jetzt anstellen, um Dich zu erfreuen?“
Das Mädchen ist in der Tat voll guten Willens, und doch merkt es nicht, daß das Feuer der Tante im Ofen ausgegangen ist und daß die kalte Luft des Zimmers die Kranke husten macht. „Du willst lieb mit mir sein“ murmelt die alte Frau, „ich bedarf Deiner Liebe nicht, geh nur ruhig wieder heim; ich brauche nichts.“
Ganz verblüfft steht das Mädchen da. „Wahrhaftig, die Tante ist wieder einmal in herzlich schlechter Laune, und ich habe doch lieb zu ihr sein wollen!“
Die Tochter hätte es den Krähen absehen können, daß keine in ein Vogelnetz geht, das vor ihren Augen aufgestellt worden ist.
Die Tür hat sich hinter dem Mädchen geschlossen. Die kranke Frau liegt wieder einsam in ihrer kalten Stube, sie hustet und brummt für sich: „Ach, deshalb nur wollen sie mir ihre Liebe beweisen, damit sie nachher das Recht bekommen, mir aus der Bibel vorzulesen; aber weder nach dem einen noch dem anderen trage ich Verlangen!“
Wahrhaftig, es ist schade, jammerschade, wie es so vielen wirklich treuen und aufrichtigen Kindern Gottes an der „Schlangenklugheit“ (Mt 10,16) gebricht. So oft werden „die Netze vor den Augen der Vögel ausgespannt“ ... Diese merken die Absicht, fliegen eilends davon, um manchmal für immer den Blicken zu entschwinden. Es ist ein „vergebliches Unterfangen“, spricht Salomo, der große Menschenkenner.
Aus „C. V. a. B.“.
Erstellt: 29.03.2024 15:15, bearbeitet: 08.10.2024 21:06