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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
3Mo 25 – Das große Hall- und Jubeljahr3Mo 25 – Das große Hall- und Jubeljahr
Das Evangelium ist die einzige Glaubensverkündigung auf Erden, die mit Frohlocken und Jubelgesang himmlischer Heerscharen in die Welt eingeführt worden ist. Damit ist schon von vornherein sein Charakter und Wesen zum Ausdruck gebracht. Wenn je eine Botschaft „Lebensbejahung“ ist, d. h. Bejahung des wahren, reinen, heiligen, glückseligen Lebens im Sinne des Schöpfers, dann das Evangelium! Nur Unwissenheit und Irregeleitetsein können der Botschaft der Bibel Verneinung des wahren Lebens vorwerfen. Gerade Christus, das Zentrum der Heiligen Schrift, ist der Fürst alles Lebens. Er beglückt die Unglücklichen. Er stärkt die Schwachen. Er bricht alle Todesbanden. Er siegt und triumphiert. Er ist der Auferstandene und einst Wiederkommende. Darum ist die Botschaft von Ihm „Evangelium“, d. h. Freuden- und Heilsbotschaft.
Von dieser Herrlichkeit des Evangeliums zeigt - in Vorbildern - schon das Alte Testament manche Lichtstrahlen. Und unter der Anweisung des Herrn und Seiner Apostel können wir, ohne irrezugehen, nicht wenige solcher Vorausdarstellungen des neutestamentlichen Heils im Alten Testament finden. So hat der Herr Selbst gleich zu Anfang Seines Dienstes eine alttestamentliche Einrichtung, das große Hall- und Jubeljahr, zum Ausgangspunkt Seiner Verkündigung gemacht. „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil Er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; Er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht ..., auszurufen das angenehme Jahr des Herrn.“ (Lk 4,18.19; vgl. Jes 61,1.2).
Am Vorbild des alttestamentlichen Hall- und Jubeljahres können wir wesenhafte Grundzüge des neutestamentlichen Evangeliumszeitalters erkennen (3. Mose 25).
I. Die Grundlage der Segnungen. Das Jubeljahr war das stets 50. Jahr der israelischen Zeitrechnung und begann am 10. Tage des 7. Monats des 49. Jahres, also des 7. Sabbatjahres. „Und du sollst dir sieben Jahrsabbate zählen, siebenmal sieben Jahre, so daß die Tage von sieben Jahrsabbaten dir neunundvierzig Jahre ausmachen. Und du sollst im siebenten Monat, am Zehnten des Monats, den Posaunenschall ergehen lassen ..., und ihr sollt das Jahr des fünfzigsten Jahres heiligen.“ (3. Mose 25,8-10).
In gottgegebener Zahlensymbolik wird hier die Grundlage aller himmlischen Erlösungssegnungen angedeutet: Es ist der Bund, den Gott mit den Menschen schließt, und zwar der Bund in seiner vollen, von Ihm Selbst bewirkten Vollendung. Dies jedenfalls - so will uns scheinen - ist der Sinn der Zahlen Sieben und Zehn, die die Kalenderlage des Jubeljahrbeginns beherrschen. Wir Menschen von heute - zumal im Abendland - haben vielfach den Sinn für Symbolik verloren. Mit dem Aufkommen jugendfrischer Neubelebung - wir können dies auch im politischen Leben beobachten - kommt es aber auch immer wieder zu einem neuen Verständnis für symbolisches Denken, und dabei ist gerade die Zahlensymbolik von besonderer Bedeutung.
Die ganze sichtbare Welt ist von der Zahl beherrscht. Wenn wir die Zeit angeben wollen, müssen wir die Stunden „zählen“. Wenn wir den Raum messen wollen, müssen wir seine Ausdehnungen durch „Zahlen“angaben ausdrücken. Wenn wir einen stofflichen Gegenstand beschreiben wollen, müssen wir ihn nach Länge, Breite oder Höhe irgendwie - direkt oder indirekt - „zahlenmäßig“ festlegen. So ist alles in der Welt - Stoff, Raum und Zeit - von der Zahl beherrscht. Die Zahl ist das „Geistigste“ am Sichtbaren. Darum aber muß sie auch - da diese sichtbare Welt ein Abbild der unsichtbaren ist - als dieses „Geistigste“ am Stofflichen in allererster Linie ein Sinnbild des „rein Geistigen“, d. h. der ewigen Gotteswahrheiten, sein. Daher auch das Recht, ja die Notwendigkeit biblischer Zahlensymbolik.
In diesem Zusammenhang sind aber die Zahlen Sieben und Zehn von besonderer Bedeutung. „Sieben“ ist in der biblischen Zahlensprache die Summe von drei und vier. „Drei“ ist die Zahl Gottes; „vier“ ist die Zahl der Welt. Darum ist „sieben“ die Zahl des Bundes zwischen Gott und Welt, d. h. die Zahl der Heilsgeschichte. „Zehn“ ist der Abschluß des Zahlenreiches, daher die Zahl der vollständigen Entfaltung, des Endes einer Entwicklung, d. h. die Zahl der Vollendung. Und wenn nun hier in der Schrift ausdrücklich bestimmt wird, daß das große Hall- und Jubeljahr nicht nur nach siebenmal sieben Jahren, sondern auch dann noch geradezu im siebenten Monat und dort am zehnten Tage beginnen soll, so wird damit offenbar angedeutet, daß diese ganze Segenszeit und erst recht die geistliche Heilszeit, von der diese erstere ja nur ein Schattenbild war, aufgebaut ist auf der Grundlage des göttlichen Gnadenbundes und ihre volle Ausgestaltung erfahren wird, wenn der Tag der Erfüllung, der Tag der „Vollendung“, gekommen sein wird. Das aber heißt, neutestamentlich ausgedrückt: Nur der „Neue Bund“, der durch das Blut des Gottessohnes eingeweiht ist, macht die Segensfülle möglich, die im Evangelium zu uns herniederströmt. Wenn Gott Sich nicht zu uns herabgeneigt hätte, hätten wir niemals den Weg zu Ihm hinauffinden können. In Christus aber ist diese Verbindung ermöglicht worden. Er, der Gottes- und Menschensohn, ist die Brücke zwischen Himmel und Erde. Er ist der Immanuel, der „Gott mit uns“, der ewige Bundesmittler.
II. Der Inhalt der Segnungen. Drei besondere Gnadengüter waren mit dem Beginn des Hall- und Jubeljahres in hervorragender Weise verbunden. Die erste war
1. Ruhe. „Ihr sollt nicht säen und seinen Nachwuchs nicht ernten und seine unbeschnittenen Weinstöcke nicht lesen; denn ein Jubeljahr ist es: es soll euch heilig sein.“ (3. Mose 25,11.12). Um dies zu ermöglichen, wollte Gott - so lautete Seine Zusage - im Jahr vor dem Sabbat- bzw. Jubeljahr eine derartig reiche Ernte geben, „daß es den Ertrag für drei Jahre bringen würde“ (3. Mose 25,20-22). Damit aber wird das alttestamentliche Halljahr zu einem Vorbild auf die Ruhe und den Frieden, den im „angenehmen Jahr des HErrn“ die Heilsbotschaft Jesu Christi den Glaubenden bringt. Nun dürfen wir ruhen im vollbrachten Werk von Golgatha. Der Friede mit Gott, das Ruhen in Seiner Liebe, die freudige Hoffnung auf die einstige Ruhe bei Ihm in der Herrlichkeit - das alles darf jetzt unser glückseliges Teil sein. Machen wir aber von diesem Vorrecht auch Gebrauch? Sind wir wirklich Menschen, die etwas von dem Himmelsfrieden an sich tragen? Wieviel Hast, wieviel Betriebsamkeit, wieviel Hetzen und Jagen kennzeichnet doch oft das Leben des modernen Menschen! Wir sind in Gefahr, unsere „Seele“, unser Gemüt, den innersten Wert unseres Gefühlslebens zu verlieren. Menschen, die immer in der Hast sind, werden oberflächlich und flüchtig, und auch wir Gotteskinder können gar zu leicht veräußerlichen und irdisch gesinnt werden und damit an unserem Zusammenschluß und der praktischen Gemeinschaft mit dem Herrn großen Schaden leiden. Und dennoch bleibt es Wahrheit: „Nur an einem stillen Hafen legt Gott Seinen Anker an.“ Darum: „Ringet danach, daß ihr stille werdet!“ Wenn uns die Jubel- und Halljahrsbotschaft des Evangeliums Frieden und Ruhe verheißt, dann wollen wir dieses göttliche Geschenk auch wirklich annehmen und genießen.
2. Freiheit. Die zweite Hauptbestimmung des Jubeljahres bezog sich auf die Freilassung der israelitischen Schuldknechte. Es konnte sein, daß ein Israelit derartig verarmte, daß er sich - und unter Umständen auch seine Kinder - seinem Gläubiger „verkaufte“. Dann aber durfte dies nach dem ausdrücklichen Verbot der Sozialbestimmungen des Gesetzes kein eigentliches „Sklaven-“Verhältnis, auch nicht einmal ein sonstiges, unauflösbares Dauerverhältnis sein (3. Mose 25,39); sondern nur wie ein „Tagelöhner“, ein „Beisasse“ durfte er gelten und mußte beim Anbruch des Jubeljahres noch dazu freigelassen werden. „Dann soll er frei von dir ausgehen, er und seine Kinder mit ihm, und zu seinem Geschlecht zurückkehren.“ (Vers 41-46.54). Darum bedeutete der Schall der Posaunen am Jubeljahrbeginn für alle diese Knechte Freiheit von ihrem SchuldHerrn, und das alttestamentliche Halljahr wies hin auf die große Zeit der Gnade, in der Christus als der wahre „Losmacher“ Sein Befreiungswerk vollbrachte, um nun „Armen gute Botschaft zu verkündigen ... und Gefangenen Befreiung auszurufen“ (Lk 4,18).
So erfüllt das Neue Testament dieses Vorbild des Alten in geistlich-ewiger Hinsicht. „Wenn der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein.“ (Joh 8,36). Ja, es übertrifft noch alle alttestamentlichen Schattenbilder bei weitem. Denn der losgelassene ehemalige Schuldknecht wird hier nicht nur Freier, sondern Herr, ja König. Christus hat uns zu Königen und Priestern gemacht (Off 5,10; vgl. 1Pet 2,9). Freigemacht von der Sünde, dürfen wir uns nun eines himmlischen Adels erfreuen und sollen darum auch würdig wandeln der hohen Berufung, mit der wir berufen worden sind, denn Stellung verpflichtet.
3. Wiederherstellung des Besitztums. Der eigentliche Landbesitzer in Kanaan war Gott. Das Volk Israel war darum nur der von Ihm eingesetzte Nutznießer desselben, und zwar jeder an seinem Teil und jeder an seinem Ort. Darum konnte von einem eigentlichen Land„verkauf“ in Israel niemals recht die Rede sein. Es wäre ein Widerspruch gewesen gegen das Grundgesetz der Theokratie (der Gottesherrschaft). „Das Land soll nicht für immer verkauft werden, denn Mein ist das Land; denn Fremdlinge und Beisassen seid ihr bei Mir.“ (3Mo 25,23). Die Folge war, daß, wenn ein Israelit ein Stück Land „verkauf“artig abgab, er eigentlich nur die Ernten verkaufte (3Mo 25,15.16), und um jegliches etwa dennoch aufkommende Großgrundbesitzertum von vornherein auszuschalten, kam die Bestimmung hinzu, daß im Hall- und Jubeljahr aller Landbesitz wieder an seinen ursprünglichen Besitzer bzw. dessen Erben zurückgegeben werden mußte. Dies war zugleich eine außerordentlich weise Sozialbestimmung im bürgerlichen Leben, da sie ungemein ausgleichend zwischen Arm und Reich wirken mußte. „Ein Jubeljahr soll es euch sein, und ihr werdet ein jeder wieder zu seinem Eigentum kommen.“ (3Mo 25,10 u. 28). „Und im ganzen Lande eures Eigentums sollt ihr dem Lande Lösung gestatten.“ (Vers 24).
Auch hier bringt das Neue Testament die geistliche Erfüllung und Vollendung. Wir sind „reich“ gemacht im Glauben, „überreich“ in der Hoffnung (Röm 15,13). Der „unausforschliche Reichtum Christi“ gehört durch Gottes Gnade der Gemeinde (Eph 3,8). Christus ward arm um unsertwillen, auf daß wir durch Seine Armut reich würden (vgl. 2Kor 8,9). Beim alttestamentlichen Jubeljahr handelte es sich darum, daß der verlorengegangene, veräußerte Besitz einfach zurückgegeben und wiederhergestellt wurde. Bei der Erlösung aber handelt es sich um etwas noch weit Höheres und Größeres. Nicht nur sollen die durch Adam verlorenen Schöpfungsgüter uns wiederhergestellt werden, sondern die durch Christus, den „letzten“ Adam, erworbenen Erlösungsgüter übertreffen alles einst Verlorene und nun Wiedererworbene noch bei weitem! „Denn wenn durch die Übertretung des Einen der Tod durch den Einen geherrscht hat, so werden vielmehr die, welche die Überschwenglichkeit der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den Einen, Jesum Christum.“ (Röm 5,17). Denn „wo die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwenglicher geworden“ (Vers 20).
III. Die Ermöglichung der Segnungen. Aber wie können alle diese Gnadengüter ermöglicht werden? Wie kann dem Ruhelosen Frieden, dem Gebundenen Freiheit, dem Verarmten Reichtum zuteil werden? - Auch hierauf gibt die Einrichtung des alttestamentlichen Jubeljahres vorbildlich eine volle und klare Antwort. Das Jubeljahr begann am großen Versöhnungstage. Am Zehnten des siebenten Monats, also am gleichen Tage, an dem der Hohepriester mit dem Blute des Opfers in das Allerheiligste einging (3Mo 16), an diesem Tage ertönten die Halljahrsposaunen, die frohe Kunde ins Land hinaustragend, daß das Jahr des Friedens, der Freiheit und der Wiedereinsetzung in den Erbbesitz angebrochen war.
Damit aber weist dieses alttestamentliche Vorbild auf den Mittelpunkt und das Zentralgeschehen aller Erlösung hin, auf den Tod des wahren Hohenpriesters, der in Seiner Himmelfahrt nicht mit fremdem, sondern mit eigenem Blut in das obere Allerheiligste eingegangen ist und somit auf Golgatha den wahren, großen Versöhnungstag ermöglicht und begründet hat. Und das ist der Grund, warum alle Gläubigen immer wieder vom Kreuze reden. Denn im Kreuz allein ist himmlisches Heil. Erst der Gekreuzigte durchbricht unsere Banden; erst Er ist unser Friede; nur Seine Hingabe in den Tod öffnet uns den Weg zum ewigen Lebensreichtum.
IV. Die Verkündigung der Segnungen. Mit Mut und mit Vollmacht muß diese Botschaft bezeugt werden.
Es ist eine heilige Botschaft. „Ihr sollt das Jahr des fünfzigsten Jahres heiligen; ... es soll euch heilig sein.“ (3Mo 25,10.12).
Es ist eine machtvolle Botschaft. Darum soll sie „proklamiert“ werden mit königlicher Autorität, wie ein „Herold“ im Namen seines Herrschers auftritt.
Es ist eine allumfassende Botschaft. Das „ganze Land“ soll sie hören (3Mo 25,9.24), „alle seine Bewohner“ insgesamt (Vers 10a), „jeder“ einzelne insonderheit (Vers 10b.13).
Es ist eine weithin hörbare Botschaft. Darum ertönt sie mit Posaunenschall. Sie soll niemals verstummen. Alles andere wird einst zunichte werden; aber Jesu Worte werden bestehen. „Der Himmel und die Erde werden vergehen, Meine Worte aber sollen nicht vergehen.“ (Mt 24,35).
Es ist eine triumphierende Botschaft. Ein Jubeljahr ist es, keine Trauerperiode (3Mo 25,10.13), ein Freudenmanifest, keine Ankündigung einer Leidenszeit, ein ewiges Frohlocken, ein Leben in Licht und Sonne, ein Genießen der Gegenwart Christi und einst ein unverhülltes Schauen Seines göttlichen Angesichts! Zuletzt aber:
Es ist eine persönliche Botschaft. „Ein Jubeljahr soll es euch sein.“ (3Mo 25,10.11). „Euch soll es heilig sein.“ (Vers 12). Und Christus bezeugt in der Synagoge von Nazareth: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt.“ (Lk 4,21). Die Heilsbotschaft wendet sich zunächst an den Einzelmenschen. Gott denkt nicht nur in Völkern und großen Stammverbänden - obwohl auch diese Seine Schöpfungs- und Geschichtsordnungen sind -, sondern zunächst ist Er der Gott der Einzelseele. Er will den einzelnen erretten. Dann aber will Er ihn hinführen zum Zusammenschluß mit seinen Mitbrüdern, vom bloßen „Ich“ zum gemeinsamen „Wir“, aus der persönlichen Einzelheit in die Gemeinschaft der Heiligen, aus dem rein Ichhaften in den Gesamtorganismus Seines Reiches.
Dies ist die Botschaft vom neutestamentlichen Jubeljahr. Lohnt es sich, an diesen Heiland zu glauben, der alle diese Gotteswunder in unserem Leben bewirkt? Gewiß, es lohnt sich! Wir haben tausendfachen Grund zum Triumphieren. Wir haben tausendfachen Grund, diesen Heiland und Sein Heil wie mit lauttönendem Posaunenschall vor der Welt zu bezeugen.
Er. Sr.