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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 16 - Jahrgang 1931
Die Anfangsverse des Matthäusevangeliums
Mt 1,1-17 - Die Anfangsverse des Matthäusevangeliums (2)Mt 1,1-17 - Die Anfangsverse des Matthäusevangeliums (2)
II. Das Geschlechtsregister.
Das der Überschrift folgende Geschlechtsregister zerfällt in drei Teile, auf die der Geist Gottes in Vers 17 nachdrücklich hinweist. Sie kennzeichnen drei wichtige Abschnitte der Geschichte Israels, 1. die Zeit vor dem Königtum, 2. die Zeit des Königtums und 3. die Zeit nach dem Königtum.
Der Stammbaum in Lukas 3, der wahrscheinlich der der Maria ist (wessen sollte er sonst sein?), gibt nicht die königliche Linie des Hauses Davids und hat auch keine Unterteilung, sondern führt ohne Unterbrechung bis Adam, ja, bis zu Gott, dem Schöpfer. Er zeigt Jesum als den Sohn des Menschen, den vollkommenen Menschen, der zugleich der Sohn Gottes war, der auf diese Erde kam, um das auf Sich zu nehmen, was durch des ersten Adam Fall in die Welt gekommen war, er beginnt nicht mit den Trägern der Verheißungen Gottes, mit Abraham und David, sondern mit Jesus Selbst (Lk 3,23) und führt darum rückwärts. Alles das steht in vortrefflicher Übereinstimmung mit dem Charakter des Lukasevangeliums.
Matthaus dagegen bezieht sich auf das Königtum, und danach teilt er ein. Sein Evangelium trägt königlichen Charakter. Der wahre Erbe der Verheißungen, der Erbe des Thrones Davids, der wahre König der Juden ist erschienen. (Kap. 2,2)
Das Geschlechtsregister beginnt mit Abraham, Isaak und Jakob, drei Männern, die infolge des göttlichen Grundsatzes der Auswahl einen hervorragenden Platz einnehmen. Gott gab ihnen eine Stellung außerhalb der Reihe ihrer Brüder. Abraham ist der einzige von seinen Brüdern, der in innige Verbindung mit dem lebendigen Gott gebracht wird. Isaak ist der Sohn der Verheißung, weil bevorrechtet vor den übrigen Söhnen Abrahams. Von Jakob endlich spricht Jehova: „Ich habe Jakob geliebt, Esau aber habe Ich gehaßt“ (Mal 1,3). „Jakob aber zeugte Juda und seine Brüder.“ (V. 2) Damit wird etwas Neues eingeführt, der Zusatz „und seine Brüder“ bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte. Wohl ist es Juda, aus dessen Stamm Schilo, der Ruhebringende, kommen sollte, aber auch seine Brüder werden in den Segen ihres Vaters eingeschlossen (1Mo 49). Von nun an besteht das Haus Israel (Mt 10,6; 15,24), das irdische, zwölfstämmige Volk Gottes.
Gott trug dieses Sein Volk in Langmut. Er war und ist langsam zum Zorn und groß an Güte und Barmherzigkeit. Durch viele Jahrhunderte hindurch trug Er Israels Untreue, gab ihnen immer wieder Männer, die Zeugnis von Seiner Gnade ablegten, seien es Richter oder gottesfürchtige Könige oder Propheten. Er trug Israel bis zu einem neuen Wendepunkt in ihrer Geschichte, bis dahin, wo Er sie in die Hand ihrer Feinde geben mußte, die sie nach Babel wegführten. Dieser neue Wendepunkt wird wiederum durch den Zusatz „und seine Brüder“ charakterisiert: „Josia aber zeugte Jechonia und seine Brüder um die Zeit der Wegführung nach Babylon.“ (V. 11)
Hier müssen wir einen wichtigen Gesichtspunkt im Auge behalten, der viel zum Verständnis unseres Evangeliums beiträgt. Es wird nämlich nicht davon gesprochen, daß Gott Sein Volk verstoßen habe, daß Er es als Lo-Ammi = Nicht-Mein-Volk (Hos 1,9) betrachte. Im Lukasevangelium ist es ganz anders. Dort wird von vornherein das Volk im ganzen als verworfen angesehen, und nur der treue Überrest wie Zacharias, Simeon und Anna wird von Gott anerkannt. Die heidnischen Nationen haben deshalb auch die Herrschaft über das Land (Lk 2,1; 3,1). Seitdem Gott die persönlichen Beziehungen mit dem Volk als Ganzem abgebrochen hat und die Herrschaft dem Nebukadnezar übertrug (Dan 2,37), regiert Er nicht mehr wie vordem direkt und gleichsam sichtbar über Israel - die Wolke der Herrlichkeil im Tempel zeugte von dieser Regierung -, sondern Er hält nur die unsichtbaren Zügel unter der Vorsehung in Seiner Hand. Die Zeiten der Nationen (Lk 21,24), die durch diesen Zustand gekennzeichnet sind, dauern seit jenen Tagen Nebukadnezars bis zu dem noch zukünftigen Tage, da Gott die Beziehungen zu Seinem irdischen Volke wiederaufnehmen und die Herrlichkeit Jehovas wiederum das Haus erfüllen wird. (Hagg. 2,7)
Von diesem Gesichtspunkt der Zeiten der Nationen geht unser Evangelium nicht aus. Gott Selbst schlägt sozusagen eine Bresche in die Zeiten der Nationen, indem Er dem Volke den Messias, den Heiland, schenkt. Israel ist keineswegs Lo-Ammi, keineswegs verstoßen, wenn der wahre Sohn Davids in Erscheinung tritt, es ist Ammi = Mein Volk (Hos 2,23): „Er wird Sein Volk erretten von ihren Sünden“ (Mt 1,21), und ganz Palästina einschließlich Galiläas ist das „Land Israel“ (Kap. 2,20), obwohl doch die Römer über das Land herrschen und die zehn Stämme irgendwo in der Zerstreuung leben. Das ist die Betrachtungsweise des Matthäusevangeliums, die somit in ernster Weise den Zustand der Juden indirekt charakterisiert, wenn diese selbst unter solchen Umständen ihren Erretter verwarfen.
Doch wir wollen zu dem Geschlechtsregister zurückkehren. Wir finden darin nicht alle Königsnamen, die sich aus dem Alten Testament ergeben würden. Es fehlen in Vers 8 zwischen Joram und Osia die 3 Könige Ahasja, Joas und Amazja. In Vers 11 vermissen wir Joahas und Jojakim. Diese Auslassungen geschahen einerseits, um 14 Geschlechter in jeder Abteilung zu haben, es gibt aber noch einen anderen Grund, der in der Geschichte dieser Könige selbst liegt. Ahasja, Joas und Amazja sind direkte Nachkommen des gottlosen Königs Ahab, denn der in Vers 8 genannte Joram hatte Athalja, die Tochter Ahabs, zum Weibe (2Kön 8,18). Ahab, auf dessen Hause der Fluch Gottes lag (1Kön 21,17-26), war somit der Großvater des hier nicht aufgezählten Ahasja. Bis ins vierte Geschlecht Ahabs werden die Namen nicht genannt. Darin scheint eine Bestätigung der ernsten Worte des Gesetzes zu liegen, die da sagen: „Ich, Jehova, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern, am dritten und am vierten Gliede derer, die Mich hassen.“ (2Mo 20,5) In bemerkenswertem Gegensatz dazu steht die Verheißung an Jehu, den Vertilger des Hauses Ahabs, in 2Kön 10,30: „Und Jehova sprach zu Jehu: Weil du wohl ausgerichtet hast, was recht ist in Meinen Augen, und an dem Hause Ahabs getan hast nach allem, was in Meinem Herzen war, so sollen dir Söhne des vierten Gliedes auf dem Throne Israels sitzen.“
Über das Haus Ahabs war durch Elia, den Thisbiter, der Fluch ausgesprochen worden: „Wer von Ahab in der Stadt stirbt, den sollen die Hunde fressen, und wer auf dem Felde stirbt, den sollen die Vögel des Himmels fressen.“ (1Kön 21,24) Die Ähnlichkeit dieses Fluches mit dem über Jojakim, den König von Juda: „sein Leichnam wird hingeworfen sein der Hitze bei Tage und der Kälte bei Nacht“ in Jeremia 36,30, ein Fluch, der dem Leichnam des Königs ein ehrenvolles Begräbnis versagte (vergl. auch Jer 22,19) wie den Leichnamen des Hauses Ahabs, läßt es erklärlich erscheinen, warum auch Jojakim in dem Geschlechtsregister ausgelassen ist. Sein Bruder Joahas aber, der ebenfalls fehlt, gehört nicht in die Reihe, weil er ja nicht die direkte Linie der Könige fortsetzt, er war der Oheim, nicht der Erzeuger des Jechonia, der die Linie fortführt.
Traurige Kapitel aus der Geschichte Israels enthüllen sich damit unseren Augen. Gerade durch die Auslassungen weist der Geist Gottes darauf hin. Wenn Gott schweigt, ist es nicht ohne Absicht und stets zu unserer Belehrung. Doch wir finden noch mehr in unserem Geschlechtsregister:
Es enthält Namen, die wir als Menschen und die besonders ein Jude nicht mitaufgezählt hätte. Es sind die Namen von vier Frauen, die der Thamar, der Rahab, der Ruth und der, die Urias Weib gewesen. An jeder dieser vier Frauen haftete ein Makel. Die schändliche Geschichte der Thamar berichtet uns Gottes Wort in 1Mo 38. Rahab war eine Hure und stammte von denselben Kanaanitern, deren völlige Ausrottung Gott Seinem Volke geboten hatte. Ruth war eine Tochter Moabs, eine Heidin. Von ihrem Volke durfte noch nicht einmal das zehnte Geschlecht in die Versammlung Jehovas kommen (5Mo 23,3). Bathseba schließlich, das Weib Urias, des Hethiters, bot den Anlaß zu dem schwersten Fehltritt, den David während seines Lebens tat. Alle diese Frauen scheinen mit dem Heidentum in Verbindung gestanden zu haben. Von Thamar wissen wir nicht, woher sie war, jedenfalls nicht direkt aus Israel. Rahab war Kanaaniterin, Ruth Moabitin, und Bathseba hatte eine Ehe mit einem Hethiter geschlossen, einem Nachkommen der Bewohner des Landes, die Israel nicht ausgerottet hatte. Aber die unumschränkte Gnade Gottes führte diese Frauen in Verbindung mit Seinem auserwählten Volke und sogar in die Linie des Messias und machte sie damit zu Stammmüttern Dessen, der die Sehnsucht der Weiber in Israel bildete (Dan 11,37). Ein Israelit hätte viel lieber gesehen, wenn Sara oder Rebekka, diese wohlangesehenen Frauen, in dem Geschlechtsregister des Messias genannt worden wären. Aber Gott legt mit Absicht den Finger auf wunde Stellen in der Geschichte des Volkes, auf Punkte, die andererseits Seine Gnade und Unumschränktheit am herrlichsten widerstrahlen.
Vielleicht ist es nicht nur die Gnade Gottes, die durch die Erwähnung dieser Frauen hervorgehoben werden soll, vielleicht soll auch ein Gegensatz betont werden, der in dem zweiten Abschnitt unseres Kapitels ans Licht tritt. Wir erinnern uns, daß die genannten Frauen mit einer sittlichen Verirrung zu tun hatten. Bei Thamar, Rahab und Bathseba liegt dies offen zutage. Aber auch bei Ruth, der Moabitin? Von ihr persönlich lesen wir nichts Ungereimtes; aber sie stammte von einem Volke, das durch die blutschänderische Tat der Töchter Lots entstanden war (1Mo 19,30-38). Vier traurige Verfehlungen auf sittlichem Gebiet hält also hier Gottes Wort noch einmal fest: scheint es nicht, um damit umso nachdrücklicher den Gegensatz hervorzukehren, einen freilich unendlichen Gegensatz, der zwischen solchen Verirrungen und dem unergründlichen, anbetungswürdigen Wunder der Menschwerdung unseres Herrn und Heilandes bestand, eines Herrn , der heilig war vor Seiner Geburt (Lk 1,35), der heilig und unbefleckt durch eine Welt der Sünde ging und der Sich ohne Flecken durch denselben ewigen Geist Gott geopfert hat (Heb 9,14), durch den Er auch gezeugt wurde?!
Welch einen Herrn haben wir doch! Wir begegnen Seiner Herrlichkeit auf Schritt und Tritt in Seinem Wort. Kostbare Gabe, die uns in Ihm geschenkt ward! Möchten wir Ihn doch stets mit heiliger Ehrfurcht anschauen und
Ihm mehr und mehr die Liebe entgegenbringen, die Er uns ins Herz gesenkt hat! Sein wunderbarer Name, mit dem unser Kapitel schließt, sei auch jetzt und immerdar gelobt!
Th. Bu.