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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 19 - Jahrgang 1934
Wie kam es? (1)Wie kam es? (1)
„Ich weiß gar nicht recht, wie es eigentlich kam! Das kam so plötzlich über mich, ehe ich mich recht besann - da war ich mitten drin und konnte nicht mehr zurück, und hernach blieb mir nur das schmerzliche Bedauern, die Reue, die Scham. Und wenn ich sagen würde: ‚Das soll mir nicht wieder passieren!‘, so fürchte ich, ist die Möglichkeit zu einem neuen Fall schon wieder gegeben! - Wie soll ich's nur machen?“
Mein teurer Leser, kennst du diese Sprache? Hörtest du schon Ähnliches - vielmehr, sagtest du selber schon solche Worte, kämpftest du selber schon die gleichen Kämpfe aus, machtest du selber schon ähnlich schmerzliche Erfahrungen mit dir selber? Ja, das sind Gewissensfragen, und ihnen nicht auszuweichen ist klüger, als die Augen vor ihnen zu verschließen nach der „Vogel-Strauß-
Weise“: „Wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht!“ Nein, damit kommt man nicht weiter, damit betrügt man sich selbst, damit wird man nicht frei und nicht froh!
Und nun - worauf will ich hinaus? Kurz gesagt, ich möchte im folgenden das ernste Wort aus 1Kor 10,12: „Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, daß er nicht falle!“ besprechen, aber nicht eigentlich dies Wort an sich - das spricht ja für sich allein! -, sondern vielmehr ist es meine Absicht, so der Herr will und ich lebe, fortlaufend Bilder und Beispiele aus der Schrift zu betrachten, und zwar in möglichst knapper Form, aus denen wir alle für uns lernen können, wie es kam! Denn solche Bilder aus dem Worte Gottes reden eine gewichtige Sprache. In ihnen, den Typen, finden wir uns selber wieder, wir sehen alle die Gefahren, die uns drohen, wir sehen die Anfänge zu schmerzlichen, schlimmen, ja fürchterlichen Ausgängen, und wir sehen zugleich auch die Hilfsmittel, wie man diesen Anfängen hätte von vornherein erfolgreich entgegentreten können (d. h. wenn der Wille dazu dagewesen wäre)!, wir empfangen Belehrung und Licht für den Pfad des Glaubens, den wir zu gehen haben nach 2Kor 5,7: „Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen!“ - wir erfahren die Kraft des Wortes Gottes, das nach Ps 119,105 „Leuchte meinem Fuße und Licht für meinen Pfad“ ist, und wir sehen die gewaltig tiefe Wahrheit von 1Kor 10,11, dem obiger Stelle vorangehenden Verse: „Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist!“, sowie von Röm 15,4: „Denn alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, auf daß wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben.“ Wie kostbar ist dieses!
Nach diesen einleitenden Bemerkungen stelle ich die praktischen Fragen, die im Verlaufe dieses Aufsatzes nach und nach besprochen werden sollen, wenn auch nicht gerade in diesem Nacheinander, wie ich sie hier nenne:
Wodurch kam es, daß sie ihre Vorrechte verscherzten, was brachte sie zum Aufgeben ihrer Beziehungen zu Gott, ihrer Stellung, ihres Glaubens, ihrer Tatkraft, ihrer Freude im Herrn usw., was führte ihren Fall herbei oder wenigstens ihr Zukurzkommen, was machte sie unfähig, untüchtig zum Reiche Gottes, ungeeignet, die Sache Gottes zu vertreten, was raubte ihnen ihre Arbeit für den Herrn, ihre Betätigungsfelder zum Zeugnis für Ihn, ihr Ansehen bei den Menschen, so daß diese nicht mehr auf sie horten? usw. usw. Ja, was? wodurch und wie kam es?
Die Namen, die ich nun nachfolgend nenne, habe ich - absichtlich! - in keine nach Gesichtspunkten systematisch geordnete Reihenfolge gebracht; ich fürchtete, das würde ermüdend wirken, weil dann zuviel des Ähnlichen nahe beieinander stehen würde, was die Unmittelbarkeit der Anschauung stören könnte. Ich habe vielmehr die Personen zumeist in der Reihenfolge gelassen, wie sie sich mir aufdrängten, als ich im vergangenen Jahre begann, über den Gegenstand nachzusinnen, und wie mir gerade durch nähere Betrachtung des ersten meiner Reihe die Sache so wichtig ward, daß ich mich mehr und gründlich damit abgab.
Es sei noch vorausgeschickt, daß es, wie schon gesagt, in meiner Absicht und auch in der Natur der Sache liegt, wenn ich einige der Beispiele (bzw. Personen) nur kurz nenne, während andere ausführlich besprochen zu werden verdienen. - Der Herr aber segne uns diese Betrachtung Seines Wortes!
Aus der Fülle der vielleicht 40 und mehr Personen, die wir, s. G. w, an unserem geistlichen Auge vorüberziehen lassen wollen, soll die erste, die, wie erwähnt, mich erst auf dies Thema brachte, die des Königs Saul sein, der „eines Hauptes höher als alles Volk“ (1Sam 9,2 u. 10,23 nach Luther) in allem hervorragend war, in seiner Schönheit, Tapferkeit, Tüchtigkeit, Fähigkeit usw. sowohl wie leider auch in seinem Abweichen von Jehova, in seiner Sünde, in seinem Haß gegen David, in seinem Verderben! (Vgl. u. a. Davids Klage über ihn in 2Sam 1)!
Bei dem König Saul finden sich zweifelsohne schöne und wahrhaft königliche Züge! Man lese nur 1Sam 9; 10; 11 und insonderheit 10,27 u. 11,12-15! (Siehe auch 14,52)! Aber er war bei all seinen natürlichen Vorzügen und bei all seiner anfänglichen Hingabe an den Herrn doch kein wahrhaft treuer, dem Herrn gehörender Mann, er verließ sich nur allzu sehr auf seine guten Absichten, auf seine Meinungen, auf seine Religiosität (vgl. Kap. 13,8ff.; 14,32ff. u. a)., und darum kam's ihm nicht immer so genau darauf an, was der Wille Jehovas war und was gemäß Seinem Worte war. Mit kurzen Worten gesagt: Saul scheiterte an der Klippe des Ungehorsams! Und weil diese Sache so ungeheuer wichtig für uns ist, für uns alle ist, deswegen soll sie eben auch - am Anfang eines neuen Jahres! - an der Spitze meiner Ausführungen stehen!
Wie also kam es, daß Saul, dieser zu Hohem berufene Mann, seine Vorrechte, seine Stellung, sein erbliches Königtum und schließlich sein Leben in einer seiner unwürdigen Weise verlor? Durch seinen Ungehorsam, den der Herr sogar „Widerspenstigkeit“ nannte in jener Stelle, die uns noch näher beschäftigen muß (1Sam 15,22-23). Er ist in dieser Hinsicht ein echtes Abbild von dem ganzen Volke Israel1, das gerade durch diese seine Sünde der „ Widerspenstigkeit“ wieder und wieder und endgültig (bis zu seiner Wiederherstellung am Ende der Tage)! alles Vorrechtliche verlor! Wie oft ist von der „Widerspenstigkeit“ des Volkes Israel die Rede! (Für viele, viele nur 2 Stellen: 5Mo 1,41ff. und Hes 2,1-7 und so noch oft in Hesekiel)! Und wie sehr ist Israel in dieser Hinsicht eine Mahnung und Warnung für uns! Nichts ist so häßlich und gefährlich für uns in Gottes Augen wie Ungehorsam und Widerspenstigkeit! Lassen wir uns durch diese Beispiele der Schrift warnen, vor allem durch Saul, über den wir jetzt noch weiter zu schreiben haben!
Ungehorsam war das traurige Kennzeichen dieses Mannes, der mit Samuels, des ihm sehr zugetanen großen Propheten, Hilfe ein Mann „nach dem Herzen Gottes“ hätte werden können. Dieser Ungehorsam zeigte sich bei dem König schon sehr frühzeitig und gleich in solchem Maße, daß schon damals alles auf dem Spiele stand und mehr als das: schon bahnte sich die Verwerfung an. Diese traurige Geschichte steht 1Sam 13,8-15 und fällt mitten in die Philisterkämpfe. Sicher wäre Saul siegreich gegen diesen Erbfeind gewesen und geblieben, wenn er nicht eigene Wege gegangen wäre. Aber er konnte nicht warten! Wie oft ist dies Übel der Urgrund zu Ungehorsamstaten! Samuels Nichtkommen war für Saul eine Prüfung, die er aber nicht erkannte und nicht bestand. So „überwand“ er sich (V. 12)!, beachtete nicht das Gebot Jehovas und brachte Opfer dar, d. h. offenbar nicht durch Priester, sondern persönlich, wozu er doch kein Recht hatte! Wußte er das nicht? O gewiß, aber er „überwand“ sich eben aus fleischlicher Ungeduld! Dabei war er doch sehr religiös: er dachte, ohne Opfer sei kein Segen Jehovas zu erwarten, und da der Prophet nicht kam, so tat er, was sich für ihn nicht geziemte - und die Strafe folgt auf dem Fuße! (V. 13)! Dennoch - so ernst die Prophetenworte auch sind - vielleicht sind sie noch nicht endgültig, vielleicht läßt Gott noch Gnade walten, wenn Saul die nächste Probe besteht? Jedenfalls folgte noch eine Probe, einfach für einen Menschen, der gehorchen gelernt hat, sehr schwer für einen Saul, zumal, wenn er schon nicht mehr volle Autorität über das Volk hat, so daß er aus Furcht auf dessen Stimme hört! (1Sam 15,24)! Es ist stets so: fürchtet man nicht Gott, so wie sich's geziemt, dann fürchtet man Menschen! Wenn Gläubige das Wort Gottes und den Gehorsam gegen dasselbe über alles stellen, so stehen sie fest, machen sie aber Abstriche vom Wort des Herrn, gehorchen in erkannten Dingen nicht (z. B. bezüglich der Gläubigentaufe u. ähnl)., dann werden sie bald aus Furcht vor Menschen jeden göttlichen Pfad geistlicher Absonderung aufgeben und sich dem Wink von Menschen beugen. (Kompromißmenschen)!
Das Maß Amaleks, des Todfeindes Israels, war voll, darum sollte Saul ein schonungsloses Gericht an ihm, an den Amalekitern, vollziehen. (15,2.3)! Saul erringt einen großen Sieg, aber da das Wort des Herrn ihm nicht über alles ging, die Beute ihm außerdem zu schade zur gänzlichen Vernichtung schien (V. 9! 21)!, so erfüllte er den ihm gewordenen Befehl nicht restlos, im Gegenteil! Und dieser „Rest“, den er in bester Meinung übrigließ, ward ihm zum endgültigen Verhängnis. Aber, könnte mancher denken (und so dachte er eben auch)!, wenn ich von dem Vieh etliche gute Stücke übriglasse zum Opfer (V. 21, vgl. V. 15)!, so ist dies doch gut und ehrt doch den Herrn auch?! Ja, solche törichten eigenwilligen Gedanken haben nicht nur Kinder den Befehlen ihrer Eltern gegenüber, sondern auch wir erwachsenen kurzsichtigen Menschen leicht, doch nur, wenn wir nicht durchaus gehorsam zu sein begehren! Der Gehorsam überlegt nicht so, er handelt, wie ihm aufgetragen, und bekommt dann seine Anerkennung. Der Gehorsam kritisiert auch nicht die ihm gewordenen Befehle, er tut sie und überläßt die Verantwortung dem Befehlshaber. Ein Saul kann nicht gehorsam sein, er muß selber handeln und - handelt hier nicht nur „töricht“ wie in 13,13, sondern böse, so böse, daß sein Eigenwille eben Widerspenstigkeit genannt und mit Abgötterei verglichen wird (15,23)!. Welche Verkehrtheit, zu meinen, Gott könne mehr Wohlgefallen an Opfern haben als an Gehorsam! (V. 22) Meine geliebten Leser, wir Gläubigen sind auch leicht in solchem Irrtum! Es kann sogar sein, daß wir bewußt im Ungehorsam wandeln, dabei aber glauben, Gott sähe darüber hinweg, wenn wir nur in anderen Punkten Sein Wohlgefallen täten, indem wir z. B. das Mahl des Herrn in biblisch einwandfreier Weise feierten oder sonst wie etwas täten, was gleichsam ein Opfer sei! O welch Selbstbetrug! Wie leicht wird Gott zum „Diener der Sünde“ des Ungehorsams gemacht, indem man diesen durch anderweitiges Wirken für Gott zu vertuschen sucht! O daß wir mehr im Blick auf den Richterstuhl Christi wandelten (Röm 15,10; 2Kor 5,10), wo unser Tun ins rechte Licht gestellt werden wird! Wir würden dann sicherlich mehr Gewicht auf das Gehorchen legen als auf irgend etwas anderes! Laßt uns die erschütternd ernste Stelle 1Sam 15,22.23 (und dazu auch 1Chr 10,13.14)! etliche Male nacheinander lesen und den Herrn bitten, daß Er sie tief in unserem Herzen verankere, uns zum Segen, Ihm zum Preise! Dann würde der tiefschmerzliche Fall Sauls mit den Folgen seines Verscherzthabens seiner ursprünglich ihm zugedachten erblichen Rechte und seines eigenen Königtums für uns unberechenbaren Segen in sich schließen!
Wie kam es also bei Saul? Durch Ungehorsam - lediglich durch diesen! Wie furchtbar ernst! Mögen wir Gnade haben, dies tief auf unser Leben und Wesen wirken zu lassen, und möchten wir lieber denen gleichen, von denen
Paulus rühmt: „... indem ich an euer aller Gehorsam gedenke ...“ (2Kor 7,15; vgl. Phil 2,12) und: „Euer Gehorsam ist zu allen hingelangt“ (ist allen kundgeworden)! (Röm 16,19) Am besten lernen wir den Gehorsam von Dem, „der gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze“ (Phil 2,8), von unserem geliebten Herrn Jesus Christus, dessen ständiger Gehorsam am lieblichsten sich offenbart in Seiner Herzensstellung zu Seinem Gott und Vater, wie sie vor allem ausgedrückt ist in Seinem kostbaren Wort „Ja, Vater!“ (Lk 10,21) Möchten auch wir „jeden - selbständigen? - Gedanken gefangennehmen unter den Gehorsam des Christus!“ (2Kor 10,5) und wandeln in demütiger Abhängigkeit von Ihm, dann werden wir weniger oft Grund haben, uns traurig zu fragen: „Wie kam es?“ Der Herr gebe uns Seine Gnade zu allem wohlgefälligen Wandel! (Vgl. Heb 12,28)!
F. K.
(Fortsetzung folgt, s. G. w).
1 Anstatt später näher auf Israel und das Verscherzthaben seiner Vorrechte einzugehen, nenne ich es hier gleich kurz! Man beschäftige sich weiter damit! F. K.↩︎