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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 22 - Jahrgang 1937
Das Endziel der HeilsverkündigungDas Endziel der Heilsverkündigung
Der Apostel Paulus hatte in Ephesus zunächst ein Vierteljahr lang in der Synagoge gelehrt. Als dann die Juden „sich verhärteten“, sonderte er die Jünger ab und „hielt täglich seine Besprechungen im Hörsaal eines gewissen Tyrannus“, etwa zwei Jahre hindurch. In dieser Zeit wuchsen „treue Männer“ heran, „die tüchtig sein sollten, auch andere zu lehren“. Ephesus wurde so die Zentrale, von der aus die frohe Botschaft sich durch die ganze Provinz Asien ausbreitete, „so daß alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als Griechen, das Wort des Herrn hörten“. Als Paulus dann nach Europa, nach Mazedonien abreist, überläßt er sein großes Werk in Ephesus seinem Timotheus, trotz dessen Jugend, als seinem Stellvertreter. Was für eine Last legt er damit auf diese noch jungen Schultern! Man begreift es leicht, daß es dem Apostel da am Herzen liegen muß, seinem „echten Glaubenskinde“ die Weisungen, die er ihm gewiß auch mündlich gegeben hatte, zusammengefaßt in einem Briefe schriftlich zu geben, damit er sie sich immer vergegenwärtigen kann.
Die gottgeschenkte Führergabe des Apostels der Heiden zeigt sich dabei in der Klarheit, mit der er in einem kurzen Wort, einem Leitsatz, knapp und doch vollständig sagt, was das Endziel aller Lehrtätigkeit, aller Verkündigung, aller seelsorgerlichen Wirksamkeit sein und bleiben muß. Von der Klarheit der Grundidee hängt bei allem Wirken weitgehend der Erfolg ab. Das weiß niemand besser als der Soldat. Ein guter Befehl muß kurz und klar sein. Es darf kein Zweifel für den Empfänger bleiben, was von ihm verlangt wird. Dann wirkt solch Befehl befreiend und anfeuernd. Der Empfänger atmet auf: Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Nun alle Kräfte eingesetzt, um ohne Zeitverlust das Ziel zu erreichen, den Befehl durchzuführen - los, ans Werk! Aber gerade solche klare Zielsetzung, die dann so einfach wirkt, ist schwer. Der Feldmarschall Moltke sagte einmal: „Im Kriege verspricht nur Einfaches Erfolg; aber gerade das Einfache ist schwer.“ „Das Endziel der Heilsverkündigung ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ - das ist die Zielsetzung des Paulus. Es sollen Menschen dahin gebracht werden, aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben zu lieben - Gott zu lieben, die Brüder zu lieben, alle Menschen zu lieben. Dieses Endziel muß bis zur Wiederkunft des Herrn jedem, der das Heil weiterzugeben hat, ebenso unverrückbar vor Augen stehen, wie es der Apostel dem Timotheus vor Augen gestellt hat. Auch alle Förderung in tieferer Kenntnis der Schrift darf nur diesem Ziele dienen. Wird sie Selbstzweck, so fällt sie unter das Wort des Paulus: „Die Erkenntnis bläht auf“ (1Kor 8,1), „Die Liebe erbaut“. Ihn Selbst, den Herrn, zu gewinnen - dies Eine ist not.
Das Wort von der christlichen Liebe hat heute in vielen Ohren einen unangenehmen, widerwärtigen Klang bekommen. Durch das verkehrte Wesen vieler Menschen, die sich zum „Christentum“ halten, ist der Eindruck erweckt worden, als handele es sich bei dieser Liebe um etwas ungesund Weichliches, Süßliches - man empfindet einen Geschmack wie von einer zu stark gezuckerten, dünnen Limonade. Und dadurch ist „der Weg der Wahrheit verlästert worden“. Über dieser Vorstellung von etwas Unnatürlichem, Verzerrtem, Verkrampftem hat mancher vergessen, daß es doch für das Zusammenleben der Menschen keine bessere Grundregel geben kann, als daß jeder dem anderen soviel Gutes tun soll, wie nur irgend in seiner Macht liegt, alles das, was er wünscht, daß man ihm selber tun soll. Wenn in die Menschenherzen eine Kraft hineinkommt, die von innen heraus dem Menschen den Drang gibt, so zu handeln, dann sind alle sozialen Fragen gelöst.
Diese Kraft haben wir von Natur nicht. Von Natur sind wir selbst unser Mittelpunkt, die Achse, um die sich alles in unserem Leben dreht. Nicht Gottes Wille regiert, sondern unsere eigenen Triebe. Dieser Zustand kann nur durch eine Geburt von oben her, durch eine Tat Gottes geändert werden. „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.“ (Röm 5,5) Wie das geschehen ist, sagt die Fortsetzung dieses Wortes: „Denn Christus ist ... für Gottlose gestorben“, und „Gott erweist Seine Liebe gegen uns darin, daß Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“. Wenn diese Tat Gottes durch den Heiligen Geist als Wirklichkeit im Glauben vor den Augen unseres Herzens steht, dann füllt sie es zum Überfließen mit der staunenden Anbetung vor Gottes Liebe und dadurch mit der Liebe zu Ihm Selber aus, weil Seine Liebe uns überwältigt! „Er hat den Rat gefunden, der Sünder selig macht.“ Und Er hat uns zu Seinem eigenen Reiche und zu Seiner eigenen Herrlichkeit berufen!
Nach dem Wort des Apostels ist diese Liebe untrennbar von drei Werten, die in wunderbarer Wechselwirkung sowohl Auswirkung wie Vorbedingung für die Liebe sind, von der hier die Rede ist.
Zunächst: Das reine Herz! Wir können unser Herz nicht reinigen; aber Gott tut es durch den Glauben. Petrus sagt von den Gläubigen aus den Heiden, daß Gott „durch den Glauben ihre Herzen reinigte“ (Apg 15,9). Es gibt keine andere Reinheit für unser Herz als dadurch, daß „Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt“. Wenn ich es im Glauben erfasse, was Paulus Gal 2,20 sagt: „Ich bin mit Christus gekreuzigt, ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“, dann habe ich das reine Herz. Aber dieser rettende, beseligende Glaube wird nur dann ungetrübt in uns wirken, wenn wir in ihm wandeln. „Wenn wir im Lichte wandeln, wie Er in dem Lichte ist, so haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ (1Joh 1,7)
Im Herzen fallen die freien Entscheidungen, die unserem Leben Gestalt und Richtung geben. Gebe ich es ungeteilt meinem Herrn hin, so wie es ist, dann ist das Herz rein durch den reinen Herrn, der darin Wohnung macht. Und „die Augen des Herrn durchlaufen die ganze Erde, um Sich an denen mächtig zu erweisen, deren Herz ungeteilt auf Ihn gerichtet ist“. (2Chr 16,9)
Wieviel Verwirrung und wieviel Irrtum sind schon mit dem Wort „das reine Herz“ verbunden worden! Als ob jemals in diesem Leben die Tatsache aufgehoben würde: „Ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt.“ „So wir sagen, daß wir keine Sünde haben, betrügen wir uns, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Er allein ist unsere Rettung, unser Leben. Je tiefer ein Herz erfaßt hat, daß es in Christus rein ist, desto vollständiger erkennt es die eigene Unreinheit ohne Christus.
Wie die Sicherheit des Schiffbrüchigen nur darin besteht, daß er im Rettungsboot ist, so besteht unsere Reinheit nur in der Gemeinschaft mit Ihm, dem Reinen, der Sich nicht schämt, uns Seine Brüder zu nennen. Wenn ich im Flugzeug mit 300 Kilometer Stundengeschwindigkeit dahinfliege, so besteht meine eigene Unfähigkeit zu fliegen unverändert fort; aber sie ist durch die Tatsache außer Wirksamkeit gesetzt, daß das Flugzeug fliegt und daß ich in ihm bin. Wie töricht, wer durch die eigene Unfähigkeit zu fliegen sich die Freude daran trüben läßt, daß ihn das Flugzeug trägt! Genau so töricht ist es, wenn wir die Freude über unsere Stellung in Christus uns durch die Tatsache trüben ließen, daß „in unserem Fleische nichts Gutes wohnt“, daß wir versuchlich sind und immer noch sündigen können, ja müssen, wenn wir nicht in Ihm bleiben. „Bleibet in Mir und Ich in euch, denn außer Mir könnt ihr nichts tun.“
Zu diesem Leben des Glaubens aber ist die zweite Voraussetzung erforderlich. Wir können das reine Herz nur haben, wenn wir die weitere Bedingung erfüllen: Das gute Gewissen. Wenn unser Leben nicht eine dauernde Absage an das Böse und eine dauernde Zusage an den Willen Gottes ist, dann ist selbst unser Gebet ein Greuel vor Gott. Gewiß, „der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die Sein sind“, aber untrennbar gehört dazu: „Es trete ab von der Ungerechtigkeit, wer den Namen des Herrn nennt.“ (2Tim 2,19) Es ist wahrlich kein Kinderspiel, den Namen des Herrn zu nennen! „Wer da sagt, ich kenne Ihn, und hält Seine Gebote nicht, der ist ein Lügner ... Wer da sagt, daß er in Ihm bleibe, der ist auch schuldig, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat.“ (1Joh 2,4.6) Was für ein furchtbar wahres Wort! Wie versagt solcher Forderung und Notwendigkeit gegenüber alle unsere Kraft! Aber wir haben eine wunderbare Quelle der Kraft: „Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.“ Der Blick auf Ihn gibt uns das gute Gewissen im Blick auf die Riesenschuld unserer Sündentaten. Wo blieben wir, wenn wir nicht den Blick auf den Gekreuzigten hätten, der unsere Schuld trug! Wir sind in der Lage jener Verbrecher, von denen man wohl einmal hört, die ihre eigene Beseitigung durch den Tod des Gerichts als Befreiung ersehnten, weil sie die Last ihres verdorbenen Lebens nicht mehr glaubten tragen zu können. Wir dürfen wie Paulus es ergreifen: „Ich bin mit Christus gekreuzigt.“ „Sein Kreuz bedeckt meine Schuld, Sein Blut macht hell mich und rein - mein Wille gehört meinem Gott, ich traue auf Jesum allein.“
Dies alles aber ist unmöglich, wenn wir nicht die dritte Voraussetzung für die Liebe haben: den ungeheuchelten Glauben. Das Wort des Urtextes für Glauben hat zugleich die Bedeutung von Treue und Vertrauen. Es ist gut, wenn uns diese beiden Bedeutungen bei dem Worte Glauben immer mitklingen. Der Glaube ist die Hand, die all die Fülle dessen entgegennimmt, die uns im Herrn geschenkt ist. „Aus Seiner Fülle haben wir alle genommen, und zwar Gnade um Gnade.“ „In Ihm wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig - und ihr seid zur Fülle gebracht in Ihm, der das Haupt jeder Macht und Gewalt ist.“ Und wenn dieser Glaube ungeheuchelt ist, dann wirkt er sich aus in Gehorsam und in Vertrauen. Das sind die beiden Schienen, auf denen der Zug unseres Glaubenslebens fährt, eine so unentbehrlich wie die andere. Ohne die Werke eines Lebens im Gehorsam und Vertrauen aus Glauben ist unser Glaube tot! „Es werden nicht alle, die zu Mir ‚Herr, HErr‘ sagen, zu Mir in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen Meines Vaters im Himmel tun!“ Aber das können wir nur, wenn wir Seine Herrlichkeit mit unverhülltem Angesicht anschauen - dann allein werden wir verwandelt von einer Herrlichkeit zu der anderen als durch den Herrn, den Geist, in Sein Bild! Das allein ist der Glaube, der sich in Liebe auswirkt. Ein Herz, das in ungeheucheltem Glauben Seine Liebe anbetend auf sich wirken läßt im Blick auf das Kreuz und die Auferstehung und die Wiederkunft des Herrn - das kann nicht anders, als die Brüder und alle Menschen weiter zu lieben.
Das reine Herz, das gute Gewissen, der ungeheuchelte Glaube, sie sind Wirkung und Voraussetzung für die Liebe, die das Endziel der Heilsverkündigung ist. Sie sind Voraussetzung, Beweis und Wirkung der Tatsache des „ewigen Lebens“: „Christus wohnt in uns durch den Glauben, die wir in Liebe gewurzelt und gegründet sind.“ Wie sollten wir wachen, diesen Heiligen Geist nicht zu betrüben! „Und ob jemand kämpft, so wird er doch nicht gekrönt, wenn er nicht nach den Regeln gekämpft hat.“
Laßt niemand uns um den Kampfpreis bringen, der irgend etwas anderes zum „Endziel der Heilsverkündigung“ macht als nur Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.
Ernst Lange.