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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Mk 10,1 ; Lk 4,16 ; 22,39 ; Apg 17,2 - „Nach seiner Gewohnheit“Mk 10,1 ; Lk 4,16 ; 22,39 ; Apg 17,2 - „Nach seiner Gewohnheit“
Oft wird den Gläubigen, die nach Möglichkeit sonntäglich das Mahl des Herrn feiern (vgl. meinen Aufsatz in der vorigen Lieferung)!, zum Vorwurf gemacht, daß sie aus dieser Sache eine bloße Gewohnheit machten, daß aber dieses Zusammenkommen viel zu erhaben und feierlich sei, um es so herabzuwürdigen; aus der bloßen Gewohnheit würde doch auch gar zu leicht eine leere, ja, tote Gewohnheit und Sitte! - Dieser Vorwurf, mit den notwendigen Gesten und Mienen vorgebracht, macht auf manche einfältigen Gotteskinder einen tiefen Eindruck und bewirkt bei ihnen jenes ehrfürchtige Gefühl dem Abendmahl gegenüber, das die die Schrift nicht als alleinige Grundlage gelten lassende „Kirche“ nur zu gerne pflegt. Wird ihr doch dadurch das angemaßte „Recht“ der alleinigen Verwaltung des sogen. „Sakraments“ nur noch mehr gesichert. Darüber ließe sich viel sagen, was ich aber hier unterlasse. -
Doch auch viele solche, die das „Herrenmahl“ (1Kor 11,20) nicht mehr als ein kirchliches „Sakrament“ ansehen, sondern als eine Feier, die vom Herrn der gläubigen Gemeinde gegeben ist, um Seiner zu gedenken, lassen sich durch obigen Einwand (es werde leicht zu einer leeren Gewohnheit) manchmal abschrecken, den Worten des Herrn - „dies tut zu Meinem Gedächtnis!“ - so oft und gern nachzukommen, wie sie es um Seinetwillen wohl möchten und könnten. Denen möchte ich zu dienen versuchen.
Nicht allzuoft ist der Ausdruck „nach Gewohnheit“ im Neuen Testament zu finden. Es gibt für denselben im griechischen Grundtext zwei stammverwandte, gleichbedeutende Worte, und ich führe hier einige Stellen, in denen sich dieser Ausdruck findet, an: außer auf die der Überschrift weise ich hin auf Mt 27,15; Lk 1,9; 2,42; Joh 19,40; auch Apg 15,1 gehört hierher (die Sitte, Gewohnheit, Weise des Mose), vgl. 21,21 (Gebräuche, Gewohnheiten, 6,14) und 25,16 (Sitte, Gewohnheit); 26,3 und 28,17.12 Auf noch eine Stelle komme ich später zu sprechen! -
Alle die letztgenannten Stellen zeigen uns schon, daß die Gewohnheit an sich keineswegs etwas Leeres oder Totes zu sein braucht, sondern vielmehr durch ihren Inhalt sehr lebendig sein kann. Wird sie zu einer leeren, toten Form, wie es zweifelsohne die jüdischen Gewohnheiten und Gebräuche geworden waren, so liegt das nach dem Zusammenhang der Stellen an den sie ausübenden Leuten, die ihren ursprünglichen göttlichen Sinn vergessen und - mit und nach ihres Messiaskönigs Tod - verleugnet hatten. Dagegen die ersteren Stellen aus Matth., Lukas und Johannes sind alle Zeugen höchst lebendiger Gewohnheiten, die durch noch so häufige Ausübung nichts an Lebendigkeit einbüßten.
Nur beiläufig sei bemerkt: Essen, Trinken und Schlafen, auch Arbeiten und Ruhen u. a. sind doch gleichfalls Gewohnheiten! Welcher Mensch aber könnte wohl auf den Gedanken kommen, dieselben - da sie so unendlich häufig, beständig und regelmäßig ausgeübt würden - leere, tote Gewohnheiten zu nennen oder sie in Ansehung der unablässigen Ausübung schädlich oder gefährlich zu nennen?! Wie lebensvoll z. B. die Gewohnheit des Essens oder Schlafens ist, sieht man schon daran, daß sich die allermeisten Menschen aufs Essen oder Schlafen gemeinhin recht freuen und sich - hungrig geworden - sehr gern zu Tisch setzen oder - ermüdet - mit Behagen auf ihr Lager zu strecken pflegen!
Sprechen also obige Stellen durchaus nicht zugunsten derer, die in der möglichst häufigen Feier des Mahles zum Gedächtnis des Herrn die Gefahr einer toten Gewohnheit sehen, so ist dies ganz besonders nicht der Fall mit den Stellen, die von der Gewohnheit unseres geliebten Herrn reden, welcher entsprechend Sein großer Apostel Paulus in Apg 17,2 auch „nach seiner Gewohnheit“ handelte. Möchten wir (um noch mit wenigen Worten diese letztere Stelle zu streifen) dem Paulus etwa vorzuwerfen wagen, sein beständiges Besuchen der Synagogen sei eine tote Gewohnheit gewesen - also ihm, der so sehr sein Volk liebte, daß er, obwohl „Apostel der Nationen“ (Röm 11,13), nach Möglichkeit stets „den Juden zuerst“ (Röm 1,16) das Evangelium predigte? Wie unrecht täten wir ihm! Wahrlich, wir haben alle Ursache, jene Stelle (Apg 17,2) recht zu beachten, damit wir die lebendige Liebe verstehen, die einen Paulus beseelte zu seinem Volk, das ihn gleichwohl stets enttäuschte! Aber dann! Wie kostbar, wie lebensvoll sind jene Stellen aus Mk 10,1; Lk 4,16 u. 22,39! - „Und wiederum kommt eine Volksmenge zu Ihm zusammen, und, wie Er gewohnt war, lehrte Er sie wiederum.“ - „Und Er kam nach Nazareth, wo Er erzogen war, und Er ging nach Seiner Gewohnheit am Sabbattage in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen“ - „und Er ging hinaus und begab Sich der Gewohnheit nach an den Ölberg.“ -
Wenn diese drei Stellen uns weiter nichts zu sagen hätten, als daß unser teurer Herr Gewohnheiten hatte, heilige, goldene Gewohnheiten, so sagten sie uns schon genug, um jenen nachzueifern und für immer der Gefahr zu entgehen, Gewohnheiten zu toten Gewohnheiten werden zu lassen. Diese Stellen adeln für alle Zeiten das Wort „Gewohnheit“! Gläubige, die von „leeren, toten Gewohnheiten“ reden, mögen sich sagen, daß auch von unserem geliebten Herrn gesagt wird, Er habe Gewohnheiten gehabt! Haben wir auch Gewohnheiten, Geliebte? Ich glaube, wohl nicht tote und hoffentlich keine bösen Gewohnheiten! Aber haben wir lichtvolle, lebendige, kostbare Gewohnheiten wie Er, der uns - nach Seinen eigenen Worten - ein Beispiel hinterlassen hat, daß wir Seinen Fußtapfen nachfolgen sollen?
Aber diese drei Stellen sagen uns noch mehr, sie sagen uns anbetungswürdig Großes! Sie zeigen uns die Art Seiner Gewohnheiten, sie machen uns bekannt mit dem, was Er in Seiner vollkommenen Menschheit hienieden gewohnt war zu tun. Was war's? - Die Stellen in ihrer zeitlichen Reihenfolge betrachtet, war es
1. Seine Gewohnheit, am Sabbattage in die Synagoge zu gehen (d. i. persönliche Treue gegen göttliche Grundsätze);
2. war Er gewohnt, die Volksmenge zu lehren (d. i. Dienst);
3.begab Er Sich der Gewohnheit nach an den Ölberg, d. h. wie wir aus anderen Stellen wissen, Seine Gewohnheit war, dort mit Seinem Gott und Vater zu reden (Gebet). Die nächsten Verse dieser Stelle zeigen das ganz besonders.
Nur mit wenigen Worten möchte ich diese drei Punkte ausführen; jeder Leser kann auf Grund derselben weiterforschen.
1. Der Herr Jesus befand sich zur Zeit von Lukas 4 noch ganz auf jüdischem Boden und begegnete Seinem Volke da, wo Er es fand (wie stets)!. Obwohl Er „Herr des Sabbats“ ist, was Er bei anderen Gelegenheiten zeigte (z. B. Mk 2,27.28), so stellt Er sich doch hier ganz unterwürfig an den Platz des Volkes, das am Sabbattage in die nicht den ursprünglichen vor der babylonischen Gefangenschaft gegebenen Offenbarungen Gottes entsprechenden jüdischen Versammlunghäuser („Synagogen“) ging, um dort über das Gesetz und die Propheten belehrt zu werden. Da diese Synagogen, wie gesagt, keine ursprünglich gottgegebenen Einrichtungen waren, so hatte auch keiner ein gottgegebenes Recht, das Vorlesen und Besprechen für sich allein zu beanspruchen, sei es nun ein Priester oder sonst ein Schriftgelehrter. Jeder großjährige Jude konnte solchen Posten gelegentlich bekleiden. Jetzt kam Der, in dem der Ratschluß Gottes Gestalt gefunden hatten, Er war der Berufenste, um vorzulesen und das Verlesene zu besprechen, denn Er durfte es auf Sich deuten. Und so wie Er in jener Synagoge Seiner Heimat Nazareth, wo „Er erzogen war“ (wie tief hat Er Sich erniedrigt, gepriesen sei Er! Er ließ Sich erziehen)!, erschien, so hatte Er die Gewohnheit, jeden Sabbat in die Synagoge zu gehen, d. h. an solche Plätze, an denen das Wort Gottes öffentlich gelesen wurde.
War das eine leere Gewohnheit? Nicht wahr, diese Frage stellen heißt sie verurteilen! Und, teurer gläubiger Leser, ist es dir eine leere, bloße, tote Gewohnheit, auf dem Boden, nicht mehr des Judentums, sondern der Gemeinde des Herrn „am ersten Tage der Woche“ (Joh 20,19) mit deinen Brüdern und Schwestern zusammenzukommen, um das Wort Gottes zu lesen, zu betrachten und darüber auch zur Welt zu reden? -
Gewiß nicht! Und warum nicht? O, es ist göttlicher Boden, zusammenzukommen zu Seinem Namen hin (Mt 18,20), es entspricht den göttlichen Grundsätzen, so wie einst bei dem Herrn, der das Vorhandene nahm, wie so oft (vgl. Jahrb. 9, Seite 232, Antwort B), also hier die Synagoge, und der dem göttlichen Willen völlig entsprach in der ganzen Treue, die in Ihm verkörpert war. Seine Treue ist uns ein Vorbild für unsere Treue im sonntäglichen Versammlungsbesuch und für unsere sonstigen Zusammenkünfte, nicht zum wenigsten für die zum Mahl des Herrn, wo wir Seiner in Seinem Leben und Tode gedenken. Wenn es Ihm nicht zu einer leeren, toten Gewohnheit wurde, Sabbat für Sabbat mit Seinem doch so widerspenstigen Volk da zusammenzukommen, wo Gott in Seiner Nachsicht die Möglichkeit gelassen hatte, sollte es uns, den geisterfüllten und durch den Geist zusammengeschlossenen Gliedern seines Leibes dann zu viel oder zu einer leeren Gewohnheit werden können, nach Seinem Wunsche uns recht oft zum Mahl Seines Gedächtnisses zu versammeln? (Vgl. Apg 20,7). Sollte es uns nicht vielmehr eine sehr liebe, vertraute, köstliche Gewohnheit sein, so wie Ihm Selber?! Und hier ist es Zeit, auf jene Stelle hinzuweisen, die ich oben noch absichtlich ausgelassen habe, in der auch das Wort „Gewohnheit“ vorkommt: Heb 10,25 „... indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen, wie es bei etlichen Gewohnheit ist ...!“ Also schon damals kam das vor? Ja! wie beschämend! Aber die Menschen sind stets gleich, und nachdem die ersten Jahrzehnte der ungehinderten Kraft des Geistes dahin waren, fanden manche Unvollkommenheiten in der Gemeinde Raum, die zu Anfang unmöglich gewesen wären.
Und nun Bruder, Schwester, die ihr mit solchen törichten, fadenscheinigen Gründen die Zusammenkünfte der Gemeinde versäumt, also auch das Mahl des Herrn, indem ihr sagt, es würde euch eine tote Gewohnheit - hütet euch, daß ihr nicht unter das Urteil dieser Stelle fallet und euch der Ungehorsam, die Untreue - im Gegensatz zur Treue des Herrn Jesus - zur Gewohnheit, ja, zur schlechten Gewohnheit werde!
Ehe ich noch ein paar Worte zu Punkt zwei und drei sage, möchte ich noch betonen, daß die möglichst häufige Feier des Mahles des Herrn denen nie zu einer toten Gewohnheit werden kann, welche die Bedeutung und den Wert dieses Mahles für den Herrn Selbst verstanden haben (vgl. 7. Lieferung)!. Im Gegenteil: Diese Gewohnheit, nach Seinem Wunsche: „Tut dies zu Meinem Gedächtnis!“ (nicht aus eurem Bedürfnis heraus, also um euretwillen) zu handeln, wird ihnen immer köstlicher und lieber. Möchte es dir auch so gehen, lieber Leser!
2. Die zeitlich zweite Stelle redet von Seiner Gewohnheit in Seinem Dienst. Er lehrte! Das war Sein täglicher Dienst. Wenn wir in Mk 1,21-28 lesen, wie Er in der Synagoge zu Kapernaum den Besessenen heilte - auch wieder am Sabbat! -, so sehen wir, wie zu dieser Seiner Lehrtätigkeit Seine Wunder gehörten (vgl. Vers 22 mit Vers 27: „Was ist dies für eine neue Lehre?“). Seine Lehre war in Kraft mit Gewalt oder Vollmacht, und darum wechselten in Seinem Dienst Rede und Wunder als Zeichen miteinander ab. Und das war Seine Gewohnheit! Welch herrliche Gewohnheit! Wurde sie Ihm je etwas Altes, Abgestandenes? Nein, nie! Stets, Tag für Tag, „wiederum“ und „wiederum“, wie es in Mk 10,1 so schön heißt, lehrte Er „nach Seiner Gewohnheit“! Tag für Tag bedurfte die Volksmenge Seiner, wiederum und wiederum stand, saß, wandelte Er unter ihnen, um ihnen das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen, und das, obwohl Er wußte, wie sie Ihn (wie später auch Paulus) enttäuschen würden. Liebreicher Herr, sei gepriesen, daß Dir dieser Dein köstlicher Dienst damals und heute nie zu viel, nie zu einer toten Gewohnheit wurde noch wird! Wir bedürfen Deiner auch heute noch allezeit! Dank sei Dir für deine heilige Gewohnheit! Lehre auch uns, die wir Dir an den Menschen dienen, es zu tun in heiliger, lieber, lebendiger Gewohnheit!
3. Über diesen Punkt möchte ich nichts mehr sagen, wenn irgendwo, so ist hier heiliger Boden, wo es gilt, die Schuhe auszuziehen!
Das Gebetsleben des Herrn Jesus in Seiner vollkommenen Menschheit, das Gebetsleben des „zweiten Menschen“, des „vom Himmel“, des letzten Adam! Welch heilige Gewohnheit sowohl in bezug auf Zeit als auf Ort Seines Gebetslebens hatte der teure Herr! „Frühmorgens, als es noch sehr dunkel war!“ (Mk 1,35) und dann „wüste Stätten“, „der Berg“, „der Ölberg“ - das sind Seine Gewohnheits-Gebetszeiten und Gewohnheits-Gebetsplätze. Wer denkt da nicht an jenen alttestamentlichen Heiligen, der es fast ebenso hielt: Daniel! (Dan 6,11)! Was lehrt uns diese Gewohnheit? Das brauche ich dir nicht zu sagen, die Schrift tut's deutlich genug, und der Heilige Geist ist eben jetzt bemüht, dir zu zeigen, was du lernen sollst - aber zurückkehrend zu der Veranlassung dieses Aufsatzes:
Möchte keiner, der bis dahin über dieses oder jenes Zusammenkommen der Gemeinde Gottes, besonders das zum Mahl des Herrn, oberflächliche Gedanken von „toter, leerer Gewohnheit“ hatte, diese Gedanken weiter im Herzen behalten, hegen und pflegen! Sie sind schriftwidrig und beleidigend gegen den geoffenbarten göttlichen Willen! Und sie sind ein Widerspruch gegen Den, der heilige Gewohnheiten in Seinem Leben hienieden übte und der dadurch solchen Gewohnheiten volles Daseinsrecht und mehr als das: Herrlichkeit verlieh. Laßt uns lernen zu denken, zu leben und zu handeln wie Er Selbst, indem wir Ihn betrachten und im Anschauen Seiner verhüllten Herrlichkeit hienieden und Seiner jetzt nur dem Glaubensauge sichtbaren Herrlichkeit droben verwandelt werden in Sein Bild - und zwar von Herrlichkeit zu Herrlichkeit als durch den Herrn, den Geist! (2Kor 3,18). Er gebe uns Gnade dazu! Sein wunderbarer Name sei gepriesen!
F. K.
12 In der wichtigen Stelle Heb 5,14 steht noch ein anderes Wort im Grundtext, das mit „Fähigkeit“ oder auch „Gewohnheit“ wiedergegeben werden kann (Wiese: „erworbene Befähigung“, Miniatur: „Übung“).↩︎