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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
Eine Bibelstunde über die Sünde und die SündenEine Bibelstunde über die Sünde und die Sünden
Es ist keine Haarspalterei, wenn wir zwischen der „Sünde“ und den „Sünden“ sorgfältig unterscheiden. Obgleich beide eng miteinander verbunden sind, besteht doch ein bedeutender Unterschied zwischen beiden.
In Röm 5,12 finden wir diese beiden Seiten in einem Verse der Schrift: „Gleichwie durch einen Menschen die ‚Sünde‘ in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod und also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle ‚gesündigt (Sünden begangen) haben‘.“ Die „Sünde“ ist das, was durch Adams Fall in die Welt kam; gerade wie das Gift einer Schlange, wenn es in den Körper eines Menschen gekommen ist, sein ganzes System durchläuft und sein tödliches Werk tut, so hat auch die „Sünde“, das Gift jener alten Schlange, des Teufels, des Menschen Sinne durchdrungen und verdorben, und die Folge davon ist: „Alle haben ‚gesündigt‘.“
Die „Sünde“ ist also der sündige Naturtrieb, die Quelle, die treibende Wurzel. Die „Sünden“ dagegen sind die schädlichen Früchte, die daraus hervorkommen. Dies dürfte klar sein.
Laßt uns nun einen Schritt weiter gehen und fragen, was diese „Sünde“ ist, die in die Welt eingedrungen ist. Die Antwort gibt uns 1Joh 3,4: „Die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“, d. h. die Sünde ist ihrem Wesen nach Gesetzlosigkeit. Aber dieser Vers berührt auch die andere Seite, die der Sünden, das Tun der Sünde. Der Vers lautet: „Jeder, der die Sünde tut (ausübt), tut (übt aus) auch die Gesetzlosigkeit, und die Sünde ist die Gesetzlosigkeit“. Wir sehen auch an dieser Stelle wieder den großen Unterschied, den die Schrift zwischen diesen beiden Dingen „Sünde“ und „Sünde tun“ macht.
Fragen wir uns nun: „Was ist Gesetzlosigkeit?“ Gesetzlosigkeit ist die Beiseitesetzung jedes Gesetzes, die Ablehnung aller in göttlicher Oberhoheit gegebenen Gebote und Verordnungen, und das Durchsetzen des eigenen Willens im Verwerfen des göttlichen Willens. Das ist die Sünde, und genau dasselbe kommt auch in dem „Sünde tun“ zum Ausdruck. Wir sehen dieses schon bei Adam, als er die erste Sünde tat, indem er von der verbotenen Frucht aß.
Wie furchtbar waren die Folgen dieser ersten Sünde Adams und des damit zusammenhängenden Eintrittes der „Sünde“ in die Welt. Statt daß der Mensch einem leuchtenden Planeten gleich, durch die Sonne beherrscht, sich aufwärts bewegte, ist er dem Irrsterne gleich geworden, von dem die Schrift so bezeichnend sagt: „Irrsterne, denen das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit aufbewahrt ist“. (Jud 13). Statt ein Herrscher zu sein, wird er nun durch das Böse beherrscht, welchem er sich selber ergeben hat. Die „Sünde“ hat die Herrschaft über ihn gewonnen und bringt fortgesetzt „Sünden“ hervor. Dabei übt sie einen solchen abstumpfenden, tötenden Einfluß auf das Gewissen des Sünders aus, daß dieser das rechte Bewußtsein über seinen Zustand verliert.
Wenn Gottes Gnade in einem Menschen zu wirken anfängt und der Heilige Geist an einer Seele arbeitet, so wird er zum Bewußtsein seines wahren Zustandes zurückgeführt. Er sieht sein vergangenes Leben in dem Lichte Gottes, und seine Sünden werden ihm zu einer brennenden Frage. Die erste Wirkung ist dann ein Schrei des Schmerzes und der Not; und seine Unruhe hört nicht eher auf, bis er den Wert des kostbaren Blutes Christi erkannt hat und durch Glauben sagen darf: „Meine Sünden sind mir vergeben um Seines Namens willen“.
Später dann (und dies ist die Erfahrung der meisten Gläubigen) erhebt sich die Frage der „Sünde“. Er macht die schmerzliche Entdeckung, daß, obgleich seine Sünden vergeben sind, ein Prinzip, eine Natur, eine Wurzel in ihm ist, aus welcher immer wieder das Sündenübel hervorkommt. Und es ist bereits ein Schritt vorwärts, wenn ein Gläubiger anfängt, zu sehen, daß die in ihm wohnende „Sünde“ (das Gesetz der Sünde in seinen Gliedern, Röm 7,20.23) die Quelle seines Schmerzes und seiner Sorge ist. Manche Gläubigen sind so ausschließlich mit ihren Sünden (den traurigen Früchten) beschäftigt, daß sie die Wurzel, aus der diese kommen, gar nicht beachten.
Vor einigen Jahren wandte sich ein junger Mann an einen älteren Bruder und klagte ihm, daß trotz aller Gebete und Anstrengungen immer wieder Sünden sich in sein Leben und Betragen einschlichen. Sünden und wieder Sünden war der Refrain seiner Klage. „Auf welchem Baume wachsen Äpfel?“ war die einzige Antwort, die er erhielt. „Nun, auf einem Apfelbaum“, sagte der erstaunte junge Mann. Die Frage schien ihm so unpassend und lächerlich. „Und auf was für einem Baume wachsen Pflaumen?“ „Auf einem Pflaumenbaum.“ Sein Erstaunen nahm zu. „Und auf welchem Baume wachsen Sünden?“, war die nächste Frage.
Es entstand eine Pause, dann sagte er mit einem Lächeln: „Auf einem Sündenbaume, müßte ich meinen“. „Du hast recht geantwortet, mein Junge,“ sagte sein Freund, „gerade dort wachsen sie.“
Merke dir den Punkt! Die Sünden, die die Gläubigen zu beklagen und zu bekennen haben, sind nicht einzelne lose Sünden, die der Feind ohne Zusammenhang nur so einzeln in unser Leben hineinstreut, sondern sie sind Früchte einer in uns liegenden Wurzel, und diese Wurzel ist die „Sünde“. Die Schrift sagt: „Wenn wir sagen, daß wir keine ‚Sünde‘ haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1Joh 1,8). Wenn die Schrift solches sagt, so haben wir nichts anderes zu sagen.
Nun liegt die Frage nahe: „Wie werden wir frei von dieser in uns wohnenden Sünde?“ Die Antwort liegt in dem einen Wort: „Tod“.
Der Tod oder noch besser, die Auferstehung oder Verwandlung, welche unser Teil sein wird, wenn der Herr Jesus kommt, wird die Sünde, soweit sie uns betrifft, auf immer beseitigen. Jeder Gläubige blickt wartend und mit Freuden danach aus; aber blicken wir auch mit derselben Freude zurück auf den Tod des Herrn Jesus, der die Grundlage unserer Befreiung von der Sünde ist?
Laßt uns einen Augenblick unsere Gedanken auf Röm 6 richten. Wir lesen dort Vers 10: „Denn was Er gestorben ist, ist Er ein für allemal der Sünde gestorben; was Er aber lebt, lebt Er Gott“. Er starb nicht nur für unsere „Sünden“ (indem Er sie sühnte), sondern Er starb auch der „Sünde“, und der Heilige Geist belehrt uns, daß, einsgemacht mit Ihm in Seinem Tode, auch wir uns deshalb der Sünde für tot zu halten haben. Durch Glauben dürfen wir Seinen Tod als den unseren uns aneignen, so daß, wenn Er ein für allemal der Sünde gestorben ist, auch wir der Sünde gestorben sind. Beachten wir in den Versen 10 und 11 die Worte: „also auch ihr“. „Was Er gestorben ist, ist Er ein für allemal der Sünde gestorben; was Er aber lebt, lebt Er Gott. Also auch ihr()! haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christo Jesu.“
Dieses heißt nicht, daß ich in mir selbst tot bin, sondern Christus starb der Sünde, und darin liegt mein Recht, mich der Sünde für tot zu halten und Gott zu leben in Christo Jesu. Die „Sünde“ ist auch nicht tot in mir, aber ich bin für die Sünde tot. Als ein mit Christus Gestorbener bin ich nicht mehr unter ihrer Herrschaft.
Manche möchten tot in sich selbst sein, und sie sehen prüfend in sich hinein, ob sie gestorben sind. Aber die Wahrheit ist: Wir sind nicht in uns selbst tot, sondern, einsgemacht mit Ihm, sind wir gestorben mit Christo. Christus starb, dies war eine Tatsache, und das, was von Ihm tatsächlich wahr ist, ist in der Aneignung des Glaubens auch wahr für mich. Es ist eine große Sache, wenn der Glaube dies erfaßt. Wir sind nicht in uns selbst gestorben, nicht in uns selbst auferweckt, nicht in uns selbst lebendig gemacht, sondern wir sind mit Christus gestorben (Röm 6,8), mit Christus auferweckt (Kol 3,1), mit Ihm lebendig gemacht (Kol 2,13).
So wie niemand in sich blicken wird, ob Er auferstanden ist, so gibt es auch für uns kein Gestorbensein der Sünde ohne Ihn - ohne die Todesgemeinschaft mit Christus - und kein „Gott leben“, ohne die Lebensgemeinschaft mit Christus. Wir können nicht Gott leben in Adam, sondern nur in Christus Jesus. Und in unserem Glaubensleben gibt es auch nur die eine Reihenfolge: 1. Er starb der Sünde, 2. Er lebt Gott. Das ist die Ordnung auch für uns.
Wichtig zu beachten ist ferner auch, daß die Sünde, der Er starb, nicht in Ihm war; sie war um Ihn, sie umgab Ihn, aber „Sünde ist nicht in Ihm“. (1Joh 3,5). Bei uns ist es anders, nicht nur umgibt sie uns als das herrschende Prinzip in der Welt, sie ist auch drinnen in uns das herrschende Prinzip in unseren Gliedern.
Der Tod Christi war auch die völlige Verurteilung und Verdammung der Sünde. Wir lesen Röm 8,3, daß „... Gott, Seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische verurteilte ...“ Am Kreuze wurde die Sünde in ihrer ganzen Schrecklichkeit offenbar (denn die Gesetzlosigkeit erreichte dort ihren Höhepunkt), und dort fand in dem heiligen Opfer Christi auch ihre Verurteilung statt.
Merke dir sorgfältig diese Unterscheidung! Die „Sünden“ sind getragen, gesühnt, und ihr Gericht hat stattgefunden. Die „Sünde“ in ihrem Wesen ist enthüllt und verurteilt worden, und wir sind ihr gestorben im Tode Christi. Dies alles bedeutet das Kreuz und noch viel mehr. Welche Gerechtigkeit, Gnade und Liebe Gottes umfaßt doch das Kreuz! Wie steht es in seiner Bedeutung unerreicht und unerreichbar vor uns!
Wir lesen in Joh 1,29 von der „Sünde der Welt“, und in Röm 8,3 von der „Sünde im Fleisch“. Ist zwischen diesen beiden Stellen ein Unterschied, und wie sind sie von den Sünden der Einzelnen zu unterscheiden?
Der Ausdruck „die Sünde der Welt“ in Joh 1,29 umfaßt alles; er ist so allumfassend, wie er überhaupt nur sein kann. Alles, die Sünde, die Wurzel wie auch jeden Sproß, kurz alles, was in der Welt von der Sünde berührt ist, nimmt das Lamm Gottes auf Grund Seines Kreuzes hinweg. Der Herr wird dieses tun, so wie es uns in Off 19-21 beschrieben ist. „Die Sünde im Fleische“ ist davon unterschieden. Wohl ist die Sünde, wo sie auch immer im Weltall Gottes gefunden werden mag, ob in Dämonen oder Menschen, im Grund und Wesen immer gleich. Aber in der „Sünde im Fleische“ wird uns die alte gefallene Adamsnatur als der Träger gezeigt, in der sie wohnt und wirkt.
Stelle dir eine große elektrische Kraftstation vor, von der aus sich ein ganzes Netzwerk von ungeschützten, unisolierten Drähten über eine Stadt verbreitet, Schrecken und Tod würden die Folge sein. So möchte ich die „Sünde“ mit der elektrischen Kraft vergleichen, die sich nach allen Richtungen geltend macht. - Die Drähte sind die Träger dieser furchtbaren Kraft, und damit möchte ich das Fleisch vergleichen, durch welches die Sünde wirkt. Die Sünden der Einzelnen möchte ich mit den Auswirkungen des Stromes vergleichen, die Schrecken und Tod zur Folge haben. „Die Sünde der Welt“ umschließt alles zusammen, gleichsam das ganze Getriebe, den elektrischen Strom, die Drähte und die Auswirkungen, alles zusammen. Das Lamm Gottes ist es, welches die Sünde der Welt (das ganze Getriebe) hinwegnimmt. Wie groß ist der Wert des Kreuzes! Wir können verstehen, wenn Johannes bewundernd sagte: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt“.
Wir sprechen allgemein von der Vergebung der „Sünden“, können wir nicht auch ebenso richtig von der Vergebung der „Sünde“ sprechen?
Nein, denn die Schrift spricht nie derartiges. Sie spricht an vielen Stellen von der Vergebung der „Sünden“ und ebenfalls auch von der Vergebung einzelner Sünden, aber von der Vergebung der „Sünde“ niemals. Ein einfaches Bild mag uns helfen.
Eine Mutter ist sehr bekümmert um ihren kleinen Sohn, der ein zügelloses Temperament entwickelt. Eines Morgens, durch seine Schwester gereizt, die sich mehr für ihre Puppe als für seinen Wagen interessiert, will er mit Gewalt ihren Blick darauf richten. Bei dem Ringen stößt er ihren Kopf gegen das Fenster und verletzt sie schwer.
Der Knabe wird von seiner Mutter ins Zimmer geschickt, und nachdem der Vater gekommen, empfängt er seine Strafe.
Nach einiger Zeit kommt er in Tränen zu seinen Eltern und bekennt sein Unrecht. Sie sehen, daß er aufrichtig bereut und vergeben ihm die böse Tat. Aber vergeben sie das böse Temperament, aus dem die Tat entstand? Keineswegs. Solches würde ja mehr oder weniger eine Anerkennung desselben sein. Im Gegenteil, sie verurteilen es streng. Sie zeigen ihm liebevoll, aber mit Verurteilung, seine häßliche Naturanlage und deren Folgen und suchen ihn dahin zu führen, sie ebenso zu verabscheuen und zu verurteilen, wie sie es tun. „Gott ... verurteilt die Sünde im Fleisch“. Er verzeiht sie nicht, noch vergibt Er sie, und das Wirken des Heiligen Geistes will uns dahin führen, sie ebenso zu verurteilen, wie Gott sie verurteilt, damit wir von ihrer Macht befreit werden möchten.
Wie ist die Verurteilung der Sünde im Fleische damit in Einklang zu bringen, daß Gläubige noch Sünde tun können?
Es handelt sich nicht um ein in-Einklang-Bringen. Eine Verurteilung der Sünde im Fleische ist nicht gleichbedeutend mit einer Ausrottung derselben. Dieselbe Bibel, welche von der Verurteilung der Sünde im Fleische spricht, spricht ebenso auch von der Tatsache, daß Sünde noch in uns ist, und berücksichtigt weiter, daß der Gläubige sündigen kann, indem sie auf die göttliche Vorsorge in solchem Falle hinweist (1Joh 2,1), und spricht sogar offen als von einer Tatsache, daß wir alle oft straucheln (Jak 3,2).
Das Fleisch und die Sünde hat Gott, solange wir noch hienieden sind, in uns gelassen. Wir lernen auf dem Wege beide in ihrer wahren Natur praktisch kennen, und oft verurteilen wir sie erst nach sehr schmerzlichen Erfahrungen. Wenn wir aber dahin kommen, die Sünde im Fleisch zu verurteilen, so wie Gott sie am Kreuz verurteilt hat, so gelangen wir zur Befreiung, und wir können dann in Antwort auf den Schrei unseres Herzens: „Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes“ sagen: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn!“ (Röm 7,24.25).
Es steht in 1Joh 3,9 geschrieben: „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde etc.“. Muß nach diesem Wort nicht die Sünde aus einem Gläubigen hinweggenommen sein?
Wie schon gesagt, nach dem Tode, wenn ein Gläubiger ausheimisch aus dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn ist (2Kor 5,8), ist er für immer von der Sünde frei. Bei dem Kommen des Herrn werden alle Gläubigen einen verherrlichten Leib empfangen, der keine Spur von Sünde trägt. Bis dahin haben wir die Sünde in uns, obgleich es unser Vorrecht ist, von ihrer Herrschaft befreit zu sein. Der angeführte Vers steht in keiner Weise in Widerspruch mit dem, was wir bereits betrachtet haben. Diese Stelle zeigt und stellt uns die Natur eines Menschen, der aus Gott geboren ist, vor Augen. Ein solcher kann nicht Sünde tun - es liegt nicht in seiner Natur, solche zu tun. Der
Apostel zeichnet in diesen Worten einzig und allein den Gläubigen in seiner Natur als aus Gott geboren, ohne irgendwie auf den Kampf, die Versuchungen und das Zukurzkommen im Leben des Gläubigen Bezug zu nehmen.
Ein Beispiel: Du gehst in einem Fischerdorfe mit einem Freund an die Küste. Dort siehst du ein langes Netz mit daran befestigten Korkstücken, und du sagst: „Wie wertvoll ist doch für den Fischer dieser Kork, der nicht untergehen kann. „O“, antwortet dein Freund, „der Kork kann doch untergehen. Vor einer Stunde beobachtete ich die Männer, welche dieses Netz vom Grunde der See heraufholten. Nur einzelne Korke schwammen oben, aber die meisten waren gesunken.“ - Wie kam das? Das Blei, welches an der Unterseite des Netzes hing, war so schwer, daß das Netz mit dem Kork in die Tiefe gezogen wurde.
Wer hatte nun recht? Beide hatten recht, jeder von seinem Gesichtspunkte aus. Der erste sprach von der Natur des Korkes, der zweite sprach von demselben in einem unnormalen Zustande. So spricht auch der Apostel Johannes ausschließlich von dem aus Gott Geborenen seiner neuen Lebensnatur nach. Sünde ist für den aus Gott Geborenen eine unnormale Sache. Er kann nicht willig in einem Zustand verharren und fortgesetzt Dinge tun, die seiner Natur entgegen sind.
Die Gläubigen sündigen aber leider oft. Gehen sie dadurch nicht ihrer Errettung etc. verlustig?
Nein, denn das Kreuz Christi ist die Grundlage ihrer Errettung. Alles, was ihnen auf diesem Grunde zuteil wurde, ist allein die Gabe der göttlichen Gnade, und „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“ (Röm 11,29), das heißt: sie sind keinem Wechsel von seiten Gottes aus unterworfen, sie sind für ewig.
Aber jede Sünde nach der Bekehrung der Gläubigen zerstört die
Glückseligkeit und die Freude der Vergebung und der Gotteskindschaft,
bis daß die Sünde in Selbstgericht bekannt und die Vergebung des Vaters
durch den Fürsprecherdienst Christi wiedererlangt ist (
Kann man aus der Stelle Joh 1,29, daß der Herr Jesus die Sünde der Welt hinwegnimmt, schließen, daß, als Er starb, Er die Sünden aller Menschen getragen hat?
Die Schrift unterscheidet sehr deutlich zwischen dem Tod des Herrn als dem Werk der Sühnung für alle und als der Stellvertretung für jeden einzelnen Gläubigen. Sie sagt uns von der Sühnung, daß sie für die ganze Welt ist. „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unsrigen, sondern auch für die ganze Welt“ (1Joh 2,2) (Nicht „für die Sünden der ganzen Welt!“). Der Gläubige darf durch Gnade sagen, daß alle seine Sünden gesühnt sind, und kann hinzufügen, daß diese Sühnung, die seine Sünden gesühnt hat, in ihrem Werte sich auf die ganze Welt erstreckt.
Und weiter sagt sie, daß die Erlösung für alle da ist: „Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch Seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist“. (Röm 3,22-25).
Und weiter, daß Er für alle gestorben ist (2Kor 5,14).
Und weiter, daß ein Mittler ist, der sich selbst zum Lösegeld gab für (im Blick auf) alle ... (1Tim 2,5).
Diese Aussprüche zeigen uns die Weite Seines Sühnungswerkes. Eine Sühnung ist gemacht, die für alle hinreicht. Sein Blut genügt für Gott, die Sündenfrage jedes Einzelnen in Gnade zu ordnen. Die Tragweite Seines Werkes ist somit allumfassend.
Diesem allumfassenden Werke der Sühnung gegenüber steht nun die andere Seite des Todes des Herrn als des Stellvertreters derer, die im Glauben von dem Werke der Sühnung für sich selbst Gebrauch gemacht haben. Von diesem Gesichtspunkte der Stellvertretung aus spricht die Schrift nicht, daß diese für alle geschehen ist. Sie sagt nicht, daß Er die Sünden „aller“ an Seinem Leibe auf dem Holz getragen hat, sondern: „welcher selbst unsere (der Gläubigen) Sünden an Seinem Leibe aus dem Holze getragen hat. (1Pet 2,24).
Und weiter: „Er aber hat die Sünden vieler (nicht „aller“) getragen“ (Jes 53,12) und ebenso: „nachdem Er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen“ (Heb 9,28), und bei der Einsetzung des Abendmahles sagt der Herr: „Dieses ist mein Blut ..., welches für viele vergossen wird.“ (Mt 26,28). „Er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden“ (Röm 4,25). „Den, der Sünde nicht kannte, hat Er für uns (nicht für alle) zur Sünde gemacht“ (2Kor 5,21). „Christus ist für unsere Sünden gestorben“ (1Kor 15,3), „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in Seinem Blute, und uns gemacht hat zu einem Königtum ...“ (Off 1,5). Usw.
Sühnung und Stellvertretung verwechselt die Schrift nicht miteinander. Die Sühnung ist für alle ausreichend; Stellvertretung aber ist das Eintreten der einen Person für die andere, indem sie für deren Rechte und Verpflichtungen eintritt. Stellvertretung ist in Verbindung mit Einzelwesen, man kann nicht von Stellvertretung für „die ganze Welt“ reden. - So dürfen wir mit der Schrift sagen, daß eine Sühnung, eine Erlösung, ein Mittler für alle da ist, aber die Schrift erlaubt uns nicht, zu sagen, daß Christus die Sünden aller trug, sondern sie sagt, daß Er die Sünden vieler getragen hat.
Gepriesen sei Gott, daß wir unter diesen vielen sind!
(H). v. d. K.