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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 23 - Jahrgang 1938
Dan 3-6 – Streifzüge durch das Buch DanielDan 3-6 – Streifzüge durch das Buch Daniel
1. Der brennende Feuerofen. (Kap. 3). Wunderbar hatte Gott es Daniel und seinen Freunden gelingen lassen. Aus armen Gefangenen waren hohe, einflußreiche Staatsbeamte geworden. Nun aber sollte ihr Glaube auf eine schwere Probe gestellt werden. Ein dreißig Meter hohes goldenes Götterstandbild hatte der König aufrichten lassen und allen Untertanen streng befohlen, dieses Bild anzubeten, sobald die Musik das Zeichen dazu gebe. Hier gab's kein Ausweichen. Jeder Ungehorsam war sofort sichtbar. Wie mögen die Männer im Gedanken an den furchtbaren Tod, der jeden Ungehorsam treffen sollte, gezittert haben! Was tun? Sollten sie äußerlich mit zu Boden fallen, um kein Aufsehen zu erregen? Unmöglich! Das wäre ja Verrat an dem Gott gewesen, der ihnen bisher Seine Macht und Güte so sichtbarlich gezeigt hatte. Der Entschluß war schnell gefaßt und wurde auch ebenso schnell bekannt. Der König war außer sich. Drei Männer, dazu elende Gefangene, die ihre hohe Stellung allein seiner Gunst verdankten, sollten es wagen, ihm, dem mächtigen König, zu trotzen? War derartiges glaubhaft? Aber das Unglaubliche wurde zur Tatsache. Befragt, gaben die Männer ihm mit dürren Worten zu verstehen, daß sie seinem Gebot nicht folgen und das Bild nicht anbeten würden. Nebukadnezar schäumte vor Wut. Auf seinen Befehl wurde der Schmelzofen siebenfach geheizt. Die stärksten Männer des Heeres mußten die Widerspenstigen in die ungeheure Glut werfen, eine Hitze, die die Schergen augenblicklich tötete. Doch was war das? Ein Trugbild der Phantasie? Anstatt augenblicklich verzehrt zu werden, wandelten die drei in dem Ofen wie in einem Lustgarten. Drei, nein, vier waren es jetzt. Eine majestätische Gestalt, eine Himmelserscheinung hatte sich ihnen zugesellt. Die Wut des Königs wich jähem Entsetzen. Er wandte sich an seine Umgebung. Auch sie starrten die wunderbare Erscheinung an. Nebukadnezar sprang auf, trat an den Ofen: „Sadrach, Mesach und Abednego, ihr Knechte des höchsten Gottes, geht heraus und kommt her!“ Die Männer kamen heraus, und wahrhaftig, nicht ein Haar war an ihnen versengt, nicht einmal ein Brandgeruch zu spüren. In tiefer Bewegung erkannte Nebukadnezar den wahren Gott an, der so gewaltig Seine Macht erzeigte. Die Treue der drei hatte sich gelohnt. Ihr Gott war verherrlicht worden, und sie selbst erhielten vom König eine hohe Anerkennung. Sie wurden in der Landschaft Babel befördert. „Fürchte dich nicht!“ beginnt das 43. Kapitel des Propheten Jesajas, „denn Ich habe dich erlöst; Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist Mein.“ Dieses Wort mochten die drei Männer wohl kennen. Jetzt hatten sie seine Kraft erfahren.
2. Nebukadnezars Demütigung. (Kap. 4). Wieder hatte Nebukadnezar einen Traum, wieder war er tief beunruhigt. Entgegen dem vorigen (Kap. 2) hatte er ihn diesmal behalten und konnte ihn den Schriftgelehrten und Wahrsagern vortragen. Aber da war keiner, der diesen merkwürdigen Traum zu deuten vermochte. Als letzter trat Daniel vor den König. Dieser erzählte ihm von einem gewaltigen Baum, dessen Spitze bis an den Himmel reichte, der die ganze Erde erfüllte, unter dessen Schatten die Tiere des Feldes weideten, in dessen Zweigen die Vögel wohnten, der mit seinen Früchten die ganze Menschheit ernährte. Dann war ein Himmlischer herabgestiegen und hatte befohlen, den Baum umzuhauen. Nur sein Wurzelstock sollte in der Erde bleiben, aber in Fesseln von Eisen und Erz. Von einem menschlichen Herzen des Baumes war die Rede gewesen, das in das eines Tieres verwandelt werden würde - eine unheimliche Begebenheit! - Schweigend hatte Daniel zugehört. Immer ernster waren seine Züge geworden. Eine drückende, beängstigende Stille trat ein. Endlich unterbrach der König das Schweigen. „Beltsazar, der Traum und seine Deutung ängstige dich nicht!“ Ach, nicht um sich hatte Daniel Sorge. „Mein Herr“, rief er schmerzlich aus, „der Traum gelte deinen Hassern und seine Deutung deinen Feinden!“ Er selbst, Nebukadnezar, war ja dieser Baum; er selbst sollte seiner ganzen Macht verlustig gehen, sollte zu einem Tier erniedrigt werden, bis er erkannt hätte, daß Gott es ist, der das Königtum verleiht. Daniels Herz war voller Mitgefühl mit seinem unglücklichen Monarchen. Er flehte ihn an, durch Buße und Abkehr von seinen Sünden den Zorn Gottes abzuwenden. Vergebens, der König hörte nicht auf ihn; er mußte erst durch das Gericht zur Einsicht kommen. Wie viele Menschen gleichen doch dem Nebukadnezar, oft genug auch die Gläubigen! Ein ganzes Jahr noch hatte Nebukadnezar Zeit zur Umkehr. Er nutzte sie nicht. Eines Tages wandelte er auf seinem Palast umher; wohlgefällig und voller Stolz ruhten seine Augen auf den Prachtbauten seiner Residenz. Selbstgefällig kam es über seine Lippen: „Ist das nicht das große Babel, welches ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit?“ Aber kaum hatte er ausgesprochen, da kam der Wahnsinn über ihn. Von der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen, mußte er sich nun wie ein Rind von den Früchten des Feldes nähren, bis „sein Haar wuchs gleich Adlerfedern und seine Nägel gleich Vogelkrallen“. Sieben volle Jahre dauerte dieser unwürdige Zustand. Da kam Nebukadnezar der Verstand wieder. Er erkannte, was Gott ihm zu zeigen hatte. Nun pries er nicht mehr sich und sein Werk, sondern den Höchsten, den ewig Lebenden, „dessen Werke allesamt Wahrheit, und dessen Wege recht sind, und der zu erniedrigen vermag, die in Hoffart wandeln“. Glücklicher Nebukadnezar! Wohl jedem Menschen, der wie er den wahren Gott erkannt hat! Einem solchen ergeht es wie dem Psalmisten, der von sich sagen konnte: „Es ist gut für mich, daß ich gedemütigt ward, damit ich Deine Satzungen lernte.“ (Ps 119,71).
3. Belsazars Mahl. (Kap. 5). Hell strahlten die Fenster des königlichen Palastes zu Babylon. Aus dem gewaltigen Thronsaal Nebukadnezars drangen Musik und weinselige Stimmen in die stille Nacht der Stadt. Belsazar, ein Nachfolger Nebukadnezars, machte seinen tausend Gewaltigen ein Mahl. Immer höher stieg die Stimmung, ein witziger Einfall folgte dem anderen. Der Wein floß in Strömen. Jetzt winkte der König mit der Hand. Alles wartete gespannt. Da kam auch schon der Zug der Sklaven herein. In ihren Händen glänzten und gleißten kunstvoll geschmiedete goldene und silberne Gefäße. Bereitwillig zollte alles dem König Beifall. Die vor Jahren aus Jerusalem fortgeschleppten Tempelgefäße zu holen war wirklich ein herrlicher Einfall, eine sinnvolle
Handlung, denn so groß und stark wie die Götter der Chaldäer war keiner sonst; ihnen war auch der Jehova der Juden erlegen. Feurig glitt der dunkle Wein aus den Bechern und Schalen über die Lippen. Da plötzlich bricht die Musik ab. Aller Augen richten sich auf den König, der mit weitaufgerissenen Augen die gegenüberliegende Wand anstiert. Der Anblick, der sich da bot, war grauenvoll genug. Eine Hand kam aus der Wand und schrieb eine Schrift, die keiner zu lesen verstand. Die Hand verschwand, aber die rätselhafte Schrift stand unauslöschlich da. Was mochten die Zeichen bedeuten? Endlich faßte sich Belsazar. Mit schriller Stimme, aus der sein ganzes Entsetzen klang, rief er nach den Beschwörern und Wahrsagern. Aber keiner konnte die Schrift lesen, geschweige denn deuten, mochte der König noch so hohen Lohn verheißen. Ein Schrecken, fast schlimmer als der erste, befiel den Monarchen. Er ahnte ein furchtbares Unheil. Er spürte es kommen und wußte doch nicht Ursprung und Verlauf.
Da trat die Königinmutter herein. Sie hatte noch nicht vergessen, was seinerzeit Nebukadnezar erlebt hatte. Auf ihr Geheiß wurde Daniel hereingerufen. Daniel kam; mit eiserner Miene übersah er das Vorgefallene, die Lästerung seines Gottes. Kaum scheint er die verlockenden Verheißungen des Königs zu vernehmen. Dann spricht er. Mit einer Verachtung sondergleichen weist er die Geschenke des Königs zurück. Aber er tut nach dem Wunsch des Herrschers und deutet die Schrift: „Gezählt, gezählt, gewogen und zerteilt.“ Alles hatte Belsazar gewußt, was seinem Vorfahr begegnet war (V. 22), dennoch sein Herz verhärtet. Und Daniel war ihm keine unbekannte Persönlichkeit. Nun waren die Tage seines Königtums gezählt, er selbst gewogen und zu leicht erfunden; das Gericht würde unerbittlich kommen. Belsazar befahl; er hielt sein Versprechen trotz der üblen Deutung. Daniel wurde mit Purpur bekleidet, eine goldene Kette um seinen Hals gehängt, er selbst als dritter Herrscher ausgerufen. Es war Belsazars letzter Befehl. In der gleichen Nacht noch wurde er von seinen Knechten umgebracht.
O der weise Spruchdichter hat recht, wenn er sagt: „Der Spötter spottet Er, den Demütigen aber gibt Er Gnade. Die Weisen erben Ehre, aber die Toren tragen Schande davon.“ (Spr 3,34.35).
4. Daniel in der Löwengrube. (Kap. 6). Könige waren gegangen, neue waren gekommen. Eine große Umwälzung hatte stattgefunden. Anstatt der Chaldäer war der zweiundsechzigjährige Meder Darius auf den Thron gelangt. Einer war geblieben, der königliche Ratgeber Daniel. Er gehörte zu den drei höchsten Staatsbeamten, denen die Vorsteher der hundertzwanzig Gaue unterstellt waren, in die Darius das Land eingeteilt hatte. War es seine unbestechliche Gerechtigkeit, war der Grund der, daß er nicht den heidnischen Göttern diente? - Eins ist sicher, Daniel war bei seinen Untergebenen verhaßt. Als nun der König gar noch beabsichtigte, ihn über das ganze Königreich zu bestellen, da reifte der Plan in ihnen, Daniel zu stürzen. Aber wie? In seiner Verwaltung stimmte alles auf das genaueste. Sein Leben war tadellos. Doch war nicht in seiner Religion ein Anklagegrund zu finden? Ein teuflischer Plan wurde ausgeheckt, der so harmlos aussah, daß der König ohne weiteres darauf einging. Eine Bestimmung, daß während dreißig Tagen von keinem Gott oder Menschen etwas erbeten werden durfte als nur von ihm, war geeignet, seine Huld und Gnade, aber auch seine große Macht allen fühlbar zu machen. Das Gebot wurde erlassen. Eine Abänderung war nach dem Gesetz der Meder und Perser nicht möglich. Die Feinde hatten richtig gerechnet. Einen Daniel konnte nicht einmal der Tod in der Löwengrube von seiner Treue abbringen. Das tägliche Gebet war seine Kraftquelle. Darauf konnte er unmöglich verzichten. Triumphierend kommen die Ankläger zu Darius. Nun kann ihnen Daniel, dieser aus der Mitte eines verachteten Volkes Weggeführte, der mehr sein will als sie alle, nicht mehr entgehen. Der König erschrickt in sein Herz hinein. Daß gerade sein tüchtigster, sein weisester Beamter das erste Opfer des törichten Verbotes sein werde, damit hat er nicht gerechnet. Daniel töten, unmöglich! Aber wie das unumstößliche Verbot, das er selbst unterzeichnet hat, im Blick auf diesen Mann aufheben? Da gibt es keinen Ausweg. Das Verbot ist erlassen, der Übertreter muß sterben.
Der einzige, der in dieser verzweifelten Lage helfen konnte, war der Gott Daniels - eine schwache Hoffnung für einen Darius, der diesen Gott nur vom Hörensagen kannte. Aber als der König sich beim Morgengrauen zur Löwengrube begab - gewiß war von
Daniel längst nichts mehr übrig - und mit zaghafter, trauriger Stimme nach ihm rief, da tönten ihm aus dem Verlies Siegesworte entgegen. Das Wunder war geschehen, Daniel lebte und wurde im Triumph aus der Grube geholt. Ein neues gewaltiges Zeugnis hatte er für seinen allmächtigen Gott ablegen dürfen. Darius brachte Ihm nun selbst öffentlich Ehre. Daniels Ankläger aber - nicht umsonst hatten sie ihrem König eine schlaflose Nacht bereitet - wurden mitsamt ihren Familien den Löwen vorgeworfen und augenblicklich zermalmt.
Wie heißt's doch in jenem Triumphlied, das die Macht des Gottes besingt, Dessen Stärke so groß ist wie Seine Treue? „Wer im Schirm des Höchsten sitzt, wird bleiben im Schatten des Allmächtigen ... Er wird Seinen Engeln über dir befehlen, dich zu bewahren auf allen deinen Wegen.“ (Ps 91,1.11).
Wa. Br.